Vor der Badeanstalt: Schuhe aus. Ab in den Spind. Da sehen wir uns noch, dann verschwinde ich hinter dem roten Vorhang mit dem chinesischen Zeichen für Frauen, U. hinter dem blauen für Männer. (der Vorhang heißt Noren, hängt an vielen Ladentüren, oft mit Aufdruck).
Im Vorraum zum Bad. Ein Fernseher. Spinde. Darin: Körbe aus Plastik, weiß. Regale mit Manga. Eine Holzbank. Eine Spiegelwand. Ein einzelner Fön auf der Ablage darunter. An der anderen Wand: Zwei Trockenhauben. Alles irgendwie alt, auch die nette, gut gelaunte Dame, die alles managed.
Die Verschlüsse der Spinde, ein Rätsel, wohin mit meinen Sachen, ah, in die Körbe, ziehe ich alles aus, nehme ich das Handtuch mit in den nächsten Raum, hülle ich mich in das Handtuch ein, ab wo bin ich nackt, hier schon oder erst im nächsten Raum? Im TV über mir das Wetter – tenki, mindestens so wichtig wie Sport hier. Magazine für Frauen auf einem Tischchen neben der Holzbank.
Die alte Frau, die Bademeisterin, sitzt leicht erhöht wie in einem Stand, sie kann zu den Männern und den Frauen schauen. Manchmal hört man die Geräusche, die die Männer auf der anderen Seite machen. Die Frau lacht viel, wenn ich etwas frage, das ist gut für mich, nichts was ich falsch mache, ist wirklich schlimm, und am Ende scheinen doch alle individueller mit allem umzugehen, als man auf den ersten Blick denkt.
Vom Vorraum geht es in den eigentlichen Baderaum, besser: Waschraum. Kacheln. Rosa Plastikhocker, gelbe Schüsseln, aufeinander gestapelt.
Die gespreizten Beine der alten Frau. Die Frau (mein Alter), die sich um ihre alte Mutter kümmert, ihr den rund gewordenen Rücken abreibt, das ist hier überhaupt sehr beliebt, sich einzuseifen und kräftig mit Tüchern abzuschrubben, später, im Vorraum dann, wird sie ihr etwas zu trinken kaufen. Weil ihr schwummrig ist. Das Getränk in der kleinen braunen Flasche, das ich später auch versuche.
Aha, auf den rosa Hocker setzt man sich also, nackt, an einen der Plätze vor der Spiegelfront. Die ist auf entsprechender Höhe zum Hocker – also niedrig und geht die ganze Wand entlang. Am Boden eine Rinne, alles, alles gekachelt hier, alle barfuß, keine Latschen. Ausnahmsweise. Zwei Tretpedale am Platz, in der Rinne am Boden, links blau, kalt, rechts heiß, rot. Über mir außerdem: ein Duschkopf. Die Frauen mischen das kalte und heiße Wasser in der gelben Schüssel an und begießen sich damit. Über die Schultern, den Kopf. Viele haben – professionals eben – kleine Plastikkörbe mit ihren Sachen dabei, Seife, Handtuch, ich weiß erst nicht, wohin mit meinem Kram, nehme mir dann einfach eine zweite gelbe Schüssel, lege mein Handtuch da rein, naja, suboptimal, das hätte ich im Vorraum lassen müssen. Aber ich hab mich geniert.
Ich drehe den Riegel am Duschkopf, nichts passiert. Ich schaue verstohlen zur Nachbarin, sie hat ihn auch nach rechts gelegt. Ich versuche den Duschkopf am Platz links neben mir, aha, der funktioniert. Ich rutsche mit Hocker und Schüssel nach links. Elegant ist was anderes.
Alle, so habe ich den Eindruck, registrieren, dass ich nicht kapiere, wie alles funktioniert, aber keiner mischt sich ein.
Ich lasse also heißes und kaltes Wasser in der Schüssel zusammen fließen, gieße es über meine Schultern, den Rücken, den Kopf. Ich seife mich ein, das muss richtig schäumen, Signal für Sauberkeit, shampooniere die Haare, rasiere meine Achseln, meine Beine, das darf man hier, das macht man so, das Sento stammt aus einer Zeit, in der die Menschen noch keine Bäder in ihren Häusern hatten.
Ich kauere auf dem Hocker vor dem Spiegel und sehe mein Gesicht, meine Brüste, meinen Bauch, will man das? Die Nähe zu mir selbst ist mir unangenehm. Auch wenn jeder in dieser japanischen Art bei sich bleibt, ein unsichtbares Raum-Zelt um sich herum: ich sehe die Frauen, die hinter mir an den Plätzen der anderen Spiegelwand sitzen, im im Spiegel vor mir, so wie sie mich, verborgen bleibt hier wenig. Faltige Haut, krumme Hüften, knochige Knie, Scheiden, Schamhaare, Brüste, man sieht sich, in Gleichheit und Abgrenzung, sieht, was man war und was man wird, das Schöne und das Knorrige, das Krumme und das Ehemalige, ich bin ein bisschen verschreckt, das ist viel.
Der Körper im Bad ist als individueller sichtbar, gleichzeitig ist er Teil einer Gemeinschaft. Ein Gemeinschaftskörper. In Gemeinschaftlichkeit wird sich ihm gewidmet. Mit den Gesten von Waschung und Pflege wird er gesund gehalten, ihm soll Wohlbefinden zuteil werden, ein persönliches wie gemeinschaftliches Anliegen. Wie sich jemand wäscht und pflegt ist ein intimer Vorgang, dessen Zeuge wir sind, anders als bspw. in der Sauna. Gleichzeitig zeigen diese Gesten ein allgemeines, gemeinschaftliches Wissen um diese Vorgänge.
Erst nach einer Weile komme ich rein, das Wasser überm Kopf, immer wieder, über die Schultern, nochmal einseifen, wie mach ich das mit dem Po, da sitz ich ja drauf. Viele, besonders die älteren Frauen, sitzen nicht auf den Hockern, sondern im Fersensitz auf dem Boden, also auf den Unterschenkeln, wie man es in Japan oft sieht. Auch die Gärtner zum Beispiel sitzen so, in den Wohnungen wird so gegessen, ist mir völlig unklar, wie man das lange aushält.
Es gibt drei Becken, nicht allzu groß, ähnlich den Eintauch-Becken, wie man sie aus der Sauna kennt. Ein rotes, ein mittleres, ein erstes. Gibt es eine bestimmte, heilige Reihenfolge? Ich nehme das Becken, in dem nur eine Frau ist, außerdem schaut sie mich einigermaßen freundlich an. Das Wasser ist herrlich heiß. Ich liebe es. Die anderen Frauen in den Becken haben sich noch gar nicht die Haare gewaschen, bemerke ich, aber so wirklich schlimm kann das nicht sein. Das Becken mit dem rot gefärbten Wasser ist mir suspekt, das meide ich. Die Frau darin guckt aber auch mürrisch. Bei der zweiten Runde finde ich das winzige Kaltwasserbecken. Da geht niemand rein. Aber ich! Das mag ich nämlich am Allerliebsten. Meine Haut ist rot, ich pumpe, so soll es sein.
Schnell hab ich keine Lust mehr. Zu fremd ist das alles. Es gibt noch eine kleine Kammer, ist das ein Dampfbad? Niemand benutzt es, ich trau mich nicht rein. Ein Mädchen, vielleicht zehn, kommt in den Baderaum, ihr Körper so anders in seiner Geschmeidigkeit, Festigkeit, es ist unfassbar. Rasch setzt sie sich ins Becken, schnell ist sie weder raus, sie bewegt sich so sicher hier, ist sie alleine da, zu wem gehört sie?
Ich gehe durch die Glastür in den vorderen Raum zurück. Ich ziehe mich an, alles mit Bedacht, dann kann ich besser schauen, wie andere ihre Abläufe gestalten, außerdem hab ich das gelernt hier. Die Dinge, die man tut, ernst zu nehmen und sich Mühe mit ihnen zu geben.
Ich föhne mir die Haare. Das Mädchen – ich verstehe jetzt, dass die Bademeisterin und das Kind sich kennen, sie muss die Enkeltochter sein – guckt ein bisschen nach mir. Zack ist sie wieder angezogen. Sie muss das alles seit sie ein kleines Kind ist tausendmal gemacht haben.
Die Frau versucht mir etwas zu sagen, anscheinend habe ich irgendwas verpasst, vielleicht die Sauna, das Dampfbad, keine Ahnung. Es ist nicht schlimm, ich habe genug Abenteuer erlebt. Ich will jetzt auch so ein braunes Fläschchen trinken. San hyaku en (Dreihundert Yen) wiederhole ich, denn das hab ich verstanden, was mich freut, und ich betrachte die noch immer sehr ungewohnten Münzen in meiner Hand. Das Kind hilft mir, zählt die kleinen Münzen aus meiner Hand, die Frau lacht. Ich will raus mit dem Getränk, aber das Kind schüttelt energisch den Kopf, zeigt mir den Kasten, in den die leere Flasche gehört. Ich setze mich auf die Holzbank. Gut so. Nicht davon rennen. Langsam machen. Die süße Gummibärchen-Limonade trinken, die sich in der kleinen braunen Flasche befindet. Auch das mit dem Drehverschluss musste das Mädchen mir zeigen. Es hatte eine gute Zeit.
Später, als ich draußen bin und auf U warte, bin ich ein wenig erleichtert. Es fühlt sich an, als sei ich nah an etwas herangekommen, vielleicht zu nah. Ein Eindringling bin ich gewesen. Das Bad war kein schickes Onsen, nicht auf Touristen ausgerichtet oder auf junge, urbane Japaner, es war ein kleines, altes Bad in der Nachbarschaft. Zu U werde ich sagen, dass ich es erstaunlich finde, dass man in dieser Nachbarschaft weiß, wie die Lehrerin nackt aussieht, die Frau mit den zwei kleinen Kindern, die in der dritten Etage im selben Haus wohnt oder die Frau, die am konbini hinter der Kasse steht. In der sich sonst so bedeckt gebenden Kultur in Japan würde man diesen im Bad plötzlich so offensiven Umgang mit Nacktheit und Körperlichkeit nicht vermuten.