Januar 2021 – T67

Beim Therapeuten gewesen,

nochmal an letzte Stunde angeknüpft, einen Turning Point festgehalten, über J.s Erkrankung gesprochen, die Angst, die das auslöst, das schlechte Gewissen und die Frage, wie ich eigentlich Beziehungen beende.

Januar 2021 – Wotan 1

Nachts wache ich auf, huch, hab ich was übersehen, eine Eilmeldung sagt an, dass Demonstranten das Kapitol gestürmt haben, ich klicke herum, bin genervt vom Öffentlich Rechtlichen, das nicht in der Lage ist eine Livesendung zu installieren, die letzte tagesschau ist Stunden her, heute, ZDF info, nicht mal Phoenix ist wach, irgendwo läuft Hans Albers, macht ja nix, überfallen ja nur ein paar von Trump angefeuerte AltRights mit Südstaatenflagge, Wotanknoten-Tattoo, Camp Auschwitz-T-Shirt das Kapitol. Aber so hab ich wenigstens was, worauf ich meine Aufregung verschieben kann.

Dezember 2020 – Corona – TestTest

Mein erster Corona-Test. Ich hab Symptome, in jedem anderen Jahr hätte ich gesagt Magen-Darm-Grippe, aber bevor ich zum Superspreader werde, will ichs lieber wissen. Überall sprießen die privaten Teststationen aus dem Boden, Auguststraße, Moritzplatz. 49,90 für einen Antikörpertest, 99,90 für einen PCR-Test, die Leute stehen Schlange wie vorm Berghain, wo das nicht mehr geht. Übers Gesundheitsamt oder den Hausarzt dauerts einfach zu lang, man muss ewig aufs Ergebnis warten (Labore am Anschlag) und bis dahin in Quarantäne. Das will ja keiner.

Ein junger Mann schiebt mir ein langes Wattestäbchen in die Nase bis nach hinten in den Rachen und dreht dort fünfmal um. Im anderen Nasenloch das gleiche. Es gibt Angenehmeres, aber nach zwanzig Minuten ist das Brennen weg und das Ergebnis da: Negativ ist das neue positiv! Dazu hab ich auch noch meinen riesen Batzen Text zufrieden abgegeben, jetzt bin ich frei!

Dezember 2020 – T65

Beim Therapeuten gewesen,

über meine Überlegung gesprochen, am Ende von zwei Jahren Trennung eine Markierung zu setzen und T. zu schreiben, um etwas loszuwerden,

über die Frage nachgedacht, ob das das alte Muster heraufbeschwört oder etwas neues.

Dezember 2020 – umworben

Auf der Straße laufe ich an einem Typ vorbei, vielleicht Mitte Ende zwanzig, er telefoniert. Laut spricht er ins Telefon, gereizt, Heute ist Donnerstag, sagt er, da kann man ja wohl langsam mal fragen, ob man was macht am Wochenende, und du meldest dich ja nicht – auf der anderen Seite spricht sie zurück, Ja, is schon klar, schon klar, spricht er jetzt noch lauter über sie drüber, ich versteh schon, ich habs kapiert, genau genommen ist schon am Schreien, du willst umworben werden, du willst eine Prinzessin sein, ist okay, hab ich kein Problem mit, aber vielleicht kannst du ja auch mal….

Überall das gleiche Elend.

November 2020 – Corona 39 – Lockdown light

Light ist eigentlich gar nichts mehr.

Jedes WE werden die Demos größer, die Leute aggressiver, Querdenker, die was von Sophie Scholl faseln und Anne Frank, alles wird immer noch bodenloser, im telegram-Kanal treffen sich die Wahnsinnigen.

Museum Kino Theater Club Café Bar Restaurant, alles zu. Die Mall hat offen. Außerdem Schule und Arbeit. Eigentlich müsste ein harter Lockdown her, aber angesichts der protestierenden Massen und des bevorstehenden heiligen Festes traut sich das auch keiner mehr. Außer Merkel, von der sich die Ministerpräsidenten gerne gar nix mehr sagen lassen.

Kurz vor dem Lockdown überfällt mich die Platzangst. Ich komm hier nicht mehr raus. Die Türen gehen zu und angesichts der Zahlen und des bevorstehenden Winters werden sie es lange, lange bleiben. Ich brauche einen Moment, um zu adaptieren, es von mir weg zu halten, das mulmige Gefühl, mich zu fokussieren, auf das, was möglich ist. Ich überlege eine Bar zu eröffnen, drei Haushalte darf man in Berlin zusammen führen, ließen sich also zwei Leute mit Abstand und German Stoßlüften bespaßen. Aber ich muss eh die ganze Zeit arbeiten.

November 2020 – Der Rückzug ins Private

1

Am frühen Morgen, die Nacht ist nicht zu Ende, bekomme ich Regelschmerzen, sie werden heftiger, weiten sich zu üblen Krämpfen aus, ich versuche noch, mit Buscopan und Schmerztabletten dagegen zu halten, aber es ist zu spät, im Bad kippe ich beinahe um, lege mich schnell noch auf den kalten Boden, stöhne laut. So ungefähr müssen sich Wehen anfühlen, in meinem Rücken kratzt eine Hexe mit langen Fingernägeln von innen gegen die Wand, der rechte Eierstock brennt, meine Gebärmutter bäumt sich auf, richtet sich auf, bereit, irgendetwas hervorzubringen, abzustoßen, auszustoßen, der hochgepresste Bauch drückt auf den Darm, der sich entleert. Ich bekomme Angst. Was, wenn es was anderes ist, was wenn ich in Ohnmacht falle, meine Zunge verschlucke, ersticke, was, wenn ich es nicht mehr schaffe, den Notarzt zu rufen, soll ich den Notarzt rufen, normal ist das nicht, vielleicht eine Eierstockentzündung, ich hab das nicht zum ersten Mal, eine Zyste, hat meine Frauenärztin später vermutet, ich ziehe die Beine an, ich wiege mich hin und her, ich stöhne und stöhne und versuche zwischendurch ruhig zu atmen, ein paar Mal schreie ich auf. Ich denke an T., an seine Hand auf meinem Bauch, daran, dass ich C. anrufen könnte, was nicht geht, daran, dass ich N. anrufen könnte was nicht geht, daran, dass ich J. anrufen könnte, was nicht geht, weil all das nichts ist, womit man irgendjemand um diese Uhrzeit belästigt, denn was, was, was sollen sie tun, niemand, niemand, niemand, kann jemand für mich sein, der seine Hand auf meinen Bauch legt. Ich wiege mich hin und her, warum wirkt das Busco nicht, ich bin ohne Kontrolle, inzwischen ist es halb 8. Ich rufe J. an, im selben Moment weiß ich, dass das falsch ist, ich schäme mich, lege rasch auf. Langsam werde ich ruhiger, noch eine Stunde dann ist alles ruhig, nur ich fix und fertig wie nach einer Teufelsaustreibung.

Später, am frühen Abend ruft J. mich an. Ich hätte heute morgen um acht mal angerufen, da schläft er ja noch und hat das Handy aus, war was? Ich: Nein, sorry, butt call, das Handy liegt ja oft neben mir im Bett, muss ich irgendwie draufgekommen sein.

2

Ts. Geburtstag. Kein guter Tag. Ich werde ihm nicht gratulieren. Ich weiß nicht mehr warum, es scheint mir schal und verboten und sinnvoll etwas anderes zu probieren als sonst. Ich bin traurig traurig traurig. Ich kämpfe mit mir, denn das geht gegen meine Natur, ich rufe C. an, spreche mit ihr, über dies und das, wir lachen, es ist nett, es tut gut. T. hat heute Geburtstag, denke ich, ganz laut, während wir reden, und ich werde ihm nicht gratulieren und ich bin so unfassbar, unfassbar traurig. Dann legen wir auf.

3

Ich streite mit Ct herum, zum ersten Mal nach langer Zeit spreche ich die Trennung von T. an, fange an zu heulen, doof und betrunken mitten in der Kneipe, weil sich auch die Brücke zwischen uns seitdem einfach nicht mehr schlagen lässt, nicht von ihm zu mir, nicht von mir zu ihm. Du bist nicht allein, sagt er, als wir uns verabschieden. Ich weiß wirklich nicht, was er meint.

November 2020 – Trump

Am Ende verliert Trump die Wahl, aber dem Braten ist nicht zu trauen.

Seltsam wie die Lücken plötzlich sichtbar werden, im System. Wie kann das sein, dass eine Verfassung auf so vielen ungeschriebenen Gesetzen beruht, wie kann es sein, dass ein demokratisches System sich darauf verlässt, dass der Präsident schon den Anstand haben wird, dem Gewinner der Wahl zu gratulieren, bis zum 20.Januar (!) das Weiße Haus zu räumen, in der langen, langen Zeit bis dahin keine Falschbehauptungen über Wahlbetrug so oft in die Welt zu setzen, dass man ihm glaubt, alle notwendigen Geheimdienstinformationen zu übergeben, sich nicht seiner geradezu königlichen Befugnisse zu bedienen, dass er schon nicht vorhaben wird, einen Schurkenstaat zu errichten, seine Feinde zu feuern, seine Anhänger auf den richtigen Posten zu installieren oder sie zu begnadigen, womöglich sich selbst zu begnadigen, einen Putsch vorzubereiten, einen Krieg anzuzetteln, eine Atombombe abzuwerfen, oder wenigstens auf die letzten Meter bis die Stimmen endlich endlich ausgezählt und alle juristischen Möglichkeiten gegen das Wahlergebnis ausgeschöpft sind, noch ein paar Leute mit der Giftspritze zu erledigen? Ernsthaft, was, wenn der da nicht rausgeht?

November 2020 – Corona 38 – Ans Tageslicht

Was Corona so alles hervorbringt.

In der Fleischfabrik herrschen nicht nur für Tiere unwürdige Zustände, auch Menschen werden hier eingepfercht, nicht artgerecht gehalten und gehen zugrunde.

Auf einer Nerzfarm in Dänemark bricht das Coronavirus aus, alle Nerze werden getötet und in ein Massengrab geschaufelt – aus dem sie ein paar Tage später wieder hervor quellen, weil niemand das Ausmaß ihres Fäulnisprozesses bedacht hat, der sie wieder nach oben treibt. Es ist erlaubt, mitten in Europa Nerze zu züchten, Tiere, die nicht mal gegessen werden, sondern lediglich zur Herstellung von Pelzen produziert werden.

Oktober 2020 – T60

Beim Therapeuten gewesen,

über den Job gesprochen und über die Angst und Belastung und das Nummer-zu-groß-Gefühl, das er jetzt mit sich bringt und auf lange Perspektive mit sich bringen wird, und den heimlichen Wunsch, es möge einfach vorbei sein.

Oktober 2020 – T59

Beim Therapeuten gwesen,

über den Job gesprochen, die Schwierigkeit meine Rolle dabei zu finden, und den Umgang mit der autobiografischen Nähe zur Hauptfigur.

Oktober 2020 – T58

Beim Therapeuten gewesen,

über Ts. Ausübung von „Herrschaftswissen“ gesprochen, und über den Versuch, mit Ct in der Kneipe eine Annäherung zu T. als Tabuthema zu wagen, mit ähnlich mäßigem Erfolg wie bei C.

Oktober 2020 – prokrastinieren

Ich laufe im Modus der Prokrastination durch die Fressabteilung des Kadewe – Komme gerade von der Therapie, da bin ich hungrig und durchgekocht.

Ein älterer Mann in Hemd und Jogginghose geht vor mir zur Toilette, leicht unsicher im Tritt, zwei verschiedene Schuhe an den Füßen, ein Bremsstreifen ziert die Hose an der entsprechenden Stelle, er muss sie also auch schon mal anders herum getragen haben. Als ich dann noch seine Augen sehe, ist das hier meine Diagnose: Demenz. Wahrscheinlich abgehauen aus dem Pflegeheim oder von daheim wo seine Frau ihn pflegt. Angesichts der Symbole auf den Türen zögert er kurz, öffnet dann die Tür zum Herren-WC, schließt sie aber wieder, als er einen Herrn darin entdeckt, wendet sich der Tür mit dem anderen Icon zu, der Damentoilette. Da waren Sie richtig, sage ich, nicke ihm bestätigend zu und öffne ihm die Tür zur Herrentoilette. Er stiert mich an, auf der Suche nach allem, was ihm das sagen soll, mein Gesicht, meine Worte, und verschwindet dann artig hinter der Tür.

Später sehe ich ihn wieder. Er tapert an den Regalen mit Dosen aus aller Welt entlang, an den Vitrinen mit Fisch, Brot, und Kuchen, an den Stehtischen mit Austern, Champagner und Kaviar, wegen seines Hemdes und seiner gekämmten Haaren nicht auf den ersten Blick als Störfaktor erkennbar, der Nachrichtensprecher-Effekt, erst aber der Hüfte geht’s bergab. Soll ich ein Fass aufmachen, ihn ansprechen, ihn fragen, ob man ihm helfen kann, ihm vorschlagen, dass man ihn nach Hause bringt, jemanden aufmerksam machen auf ihn, jemanden rufen, der ihm hilft? Nein, warum. Er ist erfolgreich ausgebüchst, hat allen ein Schnippchen geschlagen und macht sich einen schönen Tag. Genau wie ich. Er und ich, wir prokrastinieren hier gemeinsam und auf Luxusniveau, er seine Krankheit, seinen Pflegeknast, ich meine Arbeit. Und im Kadewe kann man stundenlang im Kreis laufen, ohne sich weh zu tun.

Das einzige, was mir später Sorgen bereitet, ist, dass er keine Maske trägt.