Juli 2014 – BraunWeißGrün

Ich fahre morgens mit dem Rad am Ufer in Kreuzberg entlang und entdecke auf der gegenüberliegenden Seite einen Lastwagen mit Kran, der gerade dabei ist, Flaschencontainer auzuladen. Das sieht toll aus. Diese bulligen Dinger hängen in der Luft, schwanken und schweben über dem oben offenen Lastwagen. Dann wird dem Container irgendwie der Boden weggezogen und die Flaschen tosen auf die Ladefläche.
Was mich schon immer interessiert hat, und T. neulich ausdrücklich bezweifelt hat, ist die Frage, ob die von der gutgläubigen Bevölkerung so hübsch und liebevoll in braun weiß grün sortierte Flaschen womöglich am Ende zusammengeschüttet werden. ich bleibe also stehen und warte bis der grüne Container aufgeladen ist. Der nächste grüne Container aufgeladen ist. Und jetzt wirds spannend. Wird er als nächstes den braunen Container an den Haken nehmen? Wird er davon fahren, weil er der Lastwagen für die grünen Flaschen ist und bald wird ein anderer kommen, der sich der braunen Flaschen annimmt? Und dann noch ein weißer? Der Kran greift sich den Braunglascontainter, zieht ihn hoch, der Containerbully schwankt über der offenen Ladefläche und zack – ergießt sich dann mit ohrenbetäubendem Lärm in den Lastwagen. Es könnte sein, also es könnte wirklich sein, dass in der Ladefläche des Lastwagens Unterteilungen angebracht sind, für braun weiß grün, dass Zwischenwände eingebaut sind, die man nicht sehen kann, weil der Lastwagen zu hoch ist, das könnte sein, man sieht es eben nicht, aber es könnte wirklich sein. Im Lastwagen sind die Flaschen dann getrennt, auch wenn es jetzt erstmal so aussieht, als würden sie höhnisch alle zusammen schmeißen. Ich höre T. verächtlich lachen. Na gut.
Ich trenne trotzdem weiter, das ist wie beten für Atheisten.
By the way, wieso stellen sie eigentlich nicht einfach neben die Flaschencontainer noch einen, in den man die Deckel werfen kann? Das wär doch praktisch.

Juli 2014 – Sozialhorst

Teil I
Ich bin auf einem Geburtstag eingeladen. Ein Mädchen, das ich mag. Mit dem ich irgendwie wenn auch von ferne aber doch befreundet bin.
Sie hat ein Kind. Einen festen Freund. Eine Eigentumswohnung. Sie interessiert sich für ethische Tiere und vermüllte Umwelt. Also bis auf das zweite alles anders als ich.

Ich bin zwei Tage lang nervös, denn man soll was mitbringen. Ich überlege Kuchen. Wälze Kochbücher, Kochhefte, Koch-Internet, was Einfaches, was Schnelles, was was nicht schief geht? Was Aufwändiges, was Cooles, was was mir Spaß macht? Sie hat gesagt, kein Stress. – Ich kaufe ein neues Kochbuch.

Endlich entscheide ich mich, gehe einkaufen, am Tag des Tages. Ich backe den Kuchen. Der will nicht so wie das Rezept sagt. Ich lass ihn drin. Noch immer ist er butterweich. Ich lass ihn noch mehr drin. Ich werde unruhig. Der ist zu feucht, aber jetzt wird er bestimmt zu trocken. Was mach ich dann? Eigentlich wollte sie ja auch lieber Salat mitgebracht haben, so in den Abend reingedacht. Ich hatte nur mehr Lust auf Kuchen backen. Aber sie hat doch Geburtstag, da sollte sie bekommen, was sie will. Wann geh ich denn da jetzt hin? Ab 5 geht‘s los, aber was heißt das? Wann geht man denn dann hin, um 5 oder um 8? Um fünf vor 5 mach ich einen Salat.

Teil II
Ich bin da und von der ersten Sekunde an ist alles pretty awkward. Kann sein, dass das auch mit meiner bereits instabilen Kuchenverfassung zu tun hat (da steh ich, voll übertrieben, mit Kuchen und Salat und Mitbringsel, wie needy ist das denn). Keine ihrer Freundinnen ist alleine da, keine. Es sind nur Paare da und vor allem: Kinder. Die rennen rum und pinkeln auf den Boden und sind süß und im großen und ganzen verständig. Teilweise hängen sie noch an Brüsten rum, teilweise rennen sie schon kreischend auf und ab oder heulen, weil es nicht ihr Geburtstag ist. Die Männer sind Architekten und Filmemacher und wenn sie jetzt noch nicht da sind, dann kommen sie gegen später dazu, von der Arbeit. Man kennt sich von früher, vom Studium oder aktuell aus dem Kinderladen und alle sind sehr nett und sehen gut aus, aber gucken komisch. Ich weiß nicht, was ich reden soll, fragen soll, für was ich mich interessieren könnte. Ich denke nach bis sich meine Stirn runzelt, aber mir fällt nichts ein. Im Grunde scheint Sprechen aber auch nicht so wichtig zu sein, denn nach Halbsätzen unterbrechen Kinder sowieso quer das angefangene Gespräch. Es geht um Bauprojekte, Wohnungen, die zu klein werden, weil das zweite Kind da ist oder demnächst kommt, um Häuschen im Grünen. I’m an Alien. I’m a legal Alien. Vielleicht bin ich auch ein bisschen enttäuscht. Ich wusste, dass es ein bisschen so wird, aber dass es so doll so wird und gar kein bisschen anders?

Die Wohnung ist schmerzhaft schön. Also wirklich schön, cool geschnitten, toller Balkon im Dach drin, gut eingerichtet, und hat wahrscheinlich in der Lage ne halbe Million gekostet.
F. und ihr Freund sind saunett. Von guten Eltern. Mit Gespür für meine Lage. Trotzdem oder deswegen: So geht’s nicht und ich muss hier raus. Auf der Straße kommen mir die Tränen von der Anstrengung. Ich rufe T. an und texte ihn zu. Der versteht mich.

Ich bin okay mit meinen Entscheidungen. Doch die Strukturen sind stark und lassen niemanden kalt. Nichts an diesem Leben triggert einen Wunsch in mir an (außer die Wohnung). Aber normal ist das nicht. Das kann mir keiner erzählen.

Juli 2014 – Gesprächsthema

Ich komme vom Einkaufen und biege um die Kurve in meine Straße ein. Da steht ein BMW mit der Schnauze in der Eingangstür vom Späti an der Ecke. Drumherum Absperrband und weißes Zeug, damit nichts brennt. Zwei Polizisten laufen um das Auto herum und machen sich Notizen. Well, da ist wohl einer deutlich von der Straße abgekommen. Aber als Berliner geht man an sowas vorbei als wärs nix. Noch nicht mal meinen Schritt verlangsame ich. Ein kurzer, schweifender Blick, und weiter. Daheim im Dorf wär das ein Gesprächsthema für die nächsten Tage.

Juli 2014 – WM

Noch ne halbe Stunde bis Fußball.
Auf dem Hauptbahnhof (Rückfahrt von HH, es ist sonntag Abend 20 Uhr 30) noch schnell zu Kaisers, dauert ein bisschen, bis ich ihn finde. Immer so. Schwer, sich zu orientieren hier.
Alles voll mit leider Assis, ich stehe in einer Eng-Schlange, die sich vorne in zwei Kassen teilt. Jeder vor mir so ca. 1 bis 2 Bier, aber in Gruppen. Es dauert.

Kurz vor dran schleicht sich einer von rechts ran. Vordrängeln. Ich sag ihm, sorry, da hinten ist das Ende der Schlange. Er braucht eine halbe Sekunde von meinem Gesicht bis zu seinem Ohr, dann geht er ab, hoch an die Kaisers-Decke. Beschimpft mich, was singst du, was heulst du, was jaulst du. interessant, guter flow. Interessant auch, welche Assoziationen ich in ihm auslöse, er schimpft, ich würde aussehen wie ne Crack-Hure (okay, kann ich nachvollziehen), ich würde stinken (stimmt nicht, ich riech gut, ich überlege, ob er vielleicht meine Ledertasche meint. Oder mich mit dem Restgestank in der Schlange verwechselt.). Dann nennt er mich Öko-Fotze. Also jetzt bin ich beleidigt. Mit Fotze hätte ich leben können, aber mit Öko-Fotze? Wie kommt er darauf, frage ich mich beunruhigt? Slim-Jeans, silbern glänzende Trash-Turnschuhe, Second-Hand-Windjacke, oh mein Gott, seh ich aus wie ne Öko-Fotze?!

Leider bin ich wie er nicht so recht bereit, klein beizugeben. Sollte ich aber vielleicht, er hat ne Flaschen-Waffe in der Hand, die er mir über den Schädel ziehen könnte. Der Typ ist von der klassischen Berliner Proll-Sorte, schnell derbe hochgehen und dann auf jeden Fall dranbleiben. Leider bin ich so langsam auch von der Sorte. 14 Jahre Berlin färben ab. Vielleicht krieg ich irgendwann nochmal auf die Fresse in meinem Leben. Kann echt sein. Fühlt sich leider nur immer so crazy an, in der Schlange stehen und sich mit Assis streiten. Ohgott, ich bin ne borderlinige, Öko-Fotze, alles wird schlimm. Ich muss an O. denken, mit seinem Kieferbruch.

Als ich die Sachen aufs Band lege, zwei vor mir dann der nächste crazy-guy. Er krakeelt und droht und ruft dann ernsthaft mit seinem Handy die Bullen, weil sie seine 5 Pfandflaschen nicht zurücknehmen. Als ich draußen bin, kommen gerade drei schwarz gekleidete Abfederer angelatscht, die Sache kompetent zu lösen. Ist alles voll von denen hier, die haben ne harte Scheißnacht vor sich. Schwarz gefederte zwischen weißen Deutschbeflaggten. Aber ist ja auch furchtbar, der Pfand-Assi wollte bestimmt nur sein Pfand gegen ein Bierchen eintauschen, das Finalspiel genießen, sich inkludieren, und jetzt hat bei Kaisers der Automat dicht. Da pocht er auf seine Menschenrechte als Verbraucher.

Ich rette mich nach Hause und mach das Stadion an.
Das Ergebnis ist ja bekannt.

Juli 2014 – Hamburg 5

Wir sitzen vor Facebook. Habe B. und N. gebeten, mir das beizubringen. Habe mich kürzlich zum zweiten Mal angemeldet. Wir suchen und versuchen, probieren aus, wie man möglichst private bleibt, was man sieht, was nicht, was man löschen kann oder nie mehr. Für uns ein riesen Thema, für 22jährige wahrscheinlich scheiß drauf.

Es gibt ein Foto auf B.s Seite, das jemand gepostet hat, da sieht man viele Leute, unter anderem auch B. Eine Freundin hat es mit B.s Namen markiert. (Ein schönes Foto, aus leichter Aufsicht fotografiert, mit einer tollen Dynamik.) Einzig, die Person auf dem Foto ist nicht B.! Sie sieht ihr nur zum Verwechseln ähnlich.
Ich bin begeistert:
B. hat eine Doppelgängerin, die U-Boot-Ausschnitt trägt, das würde B. nie tun. Vielleicht ist das Foto aber auch aus der Zukunft. Es gibt ein paar Hinweise darauf. Zum Beispiel hat jemand einen gelben Helm auf und einer sieht aus, als hätte man ihn als Sachbearbeiter verkleidet. Es gibt viele Tische hinter denen Menschen engagiert stehen und irgendwas erklären oder bereitlegen als Information. Vielleicht ist es auch ein Theaterstück, eine Performance, eine Tanzaufführung, ein Kunst-Foto, komplett durchinszeniert. Jedenfalls wurde ein Foto von B. gepostet, von jemandem den sie nicht kennt, auf dem sie nicht drauf ist, das aber mit ihrem Namen markiert ist.
OMG!

Juli 2014 – Hamburg 3

Bei B. und N.

Es gibt Frühstück und tollen Käse, alles ist am Platz, gebügelt, sauber und aufgeräumt. Es gibt Einkaufstaschen, die man mitnimmt, wenn man zum Bäcker geht oder auf den Markt. Das tut man nämlich. Es gibt Laken und Besuchercouches und schöne einzelne Dinge und viel Kultur in den Regalen. Es gibt Wege, die man mit dem Rad fährt und geregelte Arbeitszeiten. Alles ist komfortabel und unaufdringlich und ohne jeden Anspruch an andere, es genauso zu machen.

Zum ersten Mal reden sie übers Streiten zwischen sich. Wusste ich vorher gar nicht, dass es das gibt.

Alles ist wie immer sehr entspannt und lustig. Wir lachen viel. Ich komme immer ins Quasseln, ermutigt vom aufmerksamen Zuhören. T. rutscht in sich zurück, wie so oft auf Reisen, um dann für ca. fünfzehnminütige Phasen aufzuwachen und Dinge zu erzählen, die alle interessieren und zu denen er eine dezidierte Meinung hat. Ich fühle mich wohl hier, auch weil das Wetter schön ist, das ist in 95 Prozent der Fälle ja leider nicht so und es kann auch kalt und depri und selten sogar langweilig und fremd sein hier.

Ich mag das Trinken in der Bar und den Flohmarkt und die kurzen Wege, den Dom, den Bunker und die Second Hand Läden, auch wenn die Marktstraße nicht mehr so toll ist wie in den 90ern. Hamburg hatte noch nie ein Problem damit soft zu sein, anders als die Berliner. Deshalb kommt meine Palm Beach Windjacke hier auch gut an, während mein Tiger-Shirt eher für Irritation sorgt.

Was für ein gelungener Wochenendausflug!

Juli 2014 – Hamburg 2

Hamburg ist so schön! Wir stehen am Hafen und die Schiffe tragen dreimal hoch Container, werden geschleppt von sympathischen, tapferen, kleinen Schleppern, vorne, hinten, strengen sich an, bleiben cool, zeigen dem großen Schiff wie man reinkommt in ihren Hafen. Wir trinken Bier und anderes und A. geht es gerade gut und B. und N. stabil wie immer und vom Pudel her klingt krachmusik.

Am Samstag Veranstaltung mit Klaus Walter in dockville in Wilhelmsburg, das mich, vielleicht wegen der Namensähnlichkeit an Williamsburg in New York erinnert, wo man auch rüberfährt, rausfährt, sich des abends nach der Arbeit hinexkludiert und sich wieder zurückinkludiert am Morgen, in einen Kern, der einen nicht dabei haben will, in den man es nicht reingeschafft hat. Ein bisschen auch wie Queens, die Läden, die Leute. Der Vortrag wie 1996, I like it, das war meine Zeit, die wird hier noch hochgehalten. T. lästert. Recht hat er, aber das ist mir egal. Hamburg ist so schön!

Juli 2014 – Hamburg 1

Auf dem Weg nach HH im InterRegio. Wir haben es geschafft ein 19,90 Ticket zu ergattern, den von der Bahn gut versteckten Zug zufinden, der früh morgens um 6:54 nach HH fährt. Im IRE sind die 80er wieder modern, in türkis und altrosa, und ich erinnere mich an all die Fahrten mit diesem Zugtyp, in dem man schlecht aus dem Fenster sieht, die Sitzgruppen wohnzimmerfamiliär zusammengestellt sind, man seine Jacke an eine Garderobe hängt und der Durchguck zur Nachbarin derart frontal ist, dass man tun muss, als wäre man nicht da. Catering gibt’s am Sitzplatz. Theoretisch, faktisch nicht. Schade.

Eine Mutter und ihre ca. 8jährige Tochter steigen ein. Sie reden so nett und verständig miteinander, sind so nett zueinander, so überhaupt nicht nervig, dass ich die ganze Zeit zuhören muss und zu Tode gerührt bin. Dabei sind sie echte Voll-Prolls. Die Mutter trägt Billig-Brille, Klamotten von kik, die Haare dünn und strohig vom vielen immer wieder selber färben. Das Mädchen praktisch genauso. Sie haben sich gefreut, wahnsinnig gefreut auf diese Zugfahrt. Sie haben Cola dabei und Salamibrote und Radieschen, die das Mädchen nicht mag (zu scharf) und Stofftiere, die auch aus dem Fenster gucken dürfen und PFERD! oder KUH! mit entdecken dürfen. Jetzt noch kommen mir die Tränen, wenn ich daran denke.

Die Mutter hat einen nagelneuen kleinen Fotoapparat, digital der Billigsorte, für den sie eine Tasche gehäkelt hat, mit Bändchen. Sie fotografiert alles, das Draußen durchs Fenster und innen das Drinnen. Gemeinsam schießen sie Selfies von sich im Zug. Dann liest die Mama Heftchen und als die Schaffnerin kommt, und mit ihr spricht, fängt sie an, zu stottern. Keine Sekunde hat sie gestottert, als sie mit ihrer Tochter gesprochen hat! Aber es scheint sie nicht zu irritieren. Sie will reden, erzählen, wie sie sich gefreut hat, die Tochter, und dass nun die Schaffnerin endlich kommt und die Tochter ihr die Fahrkarte geben kann! Die bekommt einen ordentlichen Zangenabdruck. Und die Tochte bekommt die Fahrkarte zurück. Eine Medaille, eine Auszeichnung, eine Ehre.

Sie spielen ein gleichberechtigtes Würfelspiel. Die Tochter geht allein aufs Klo. Sie summen sich die Lieder ins Ohr und die andere muss raten. Sie singen leise Eisern-Union-Fan-Lieder (!, die Frauhat die Deutschlandfarben auf den Fingernägeln) und ein Lied namens das Rote Pferd.

Als mal wieder ein paar Kühe die Tochter begeistern, sagt die Mutter, dass sie dann wohl mal Urlaub auf dem Bauernhof machen müssen. Und erzählt einer Sitznachbarin hinter uns, dass sie als Kind bei einer Kälbchengeburt dabei war. Wieder fängt sie an zu stottern. Die Frau lässt sie kühl hamburgisch abfahren. Sie habe viele Jahre auf einer Ranch gelebt, für sie sei das nichts besonderes. Ich würde sie gerne ohrfeigen. Die Mutter jedenfalls hat verstanden und redet den Rest der Fahrt nicht mehr mit ihr.
Die Stofftiere am Fenster (eine kleine Eule und ihr großer Kumpel Frettchen) und daneben das Mädchen. Ich hab Lust, eine Geschichte daraus zu machen. Und ich denke natürlich auch an Irina, und die Zugfahrt mit ihr und Dorothy.

Auf dem Rückweg nach B. werde ich später zu T. sagen, dass ich ein Träger von Geschichten bin, sie sind in mir drin, sie sind unruhig und wollen raus, aber ich kenne sie nicht, kann sie nicht hören, ihnen keine Stimme geben und das quält mich. Ich weiß so viel und finde den Kanal nicht. Das ist schrecklich und es macht mir Angst vor Krebs.

Juli 2014 – A.

Ich habe A. mal wieder gesehen, nach langer Zeit. Sie hat mir ihre Wohnung gezeigt und ihr neustes Kind: O.
Es kam zur Welt als ich mit T. in den USA war, letztes Jahr im September. Wir waren in diesem airbnb-Apartment in Los Angeles, da hab ich die sms bekommen.

O. und ich sind uns gleich sympathisch. (Mir scheint, er kam nicht ganz geplant, was eigentlich so gar nichts für A. ist, die die Dinge sehr gerne plant. Ein kleines bisschen nimmt sies ihm vielleicht übel, aber er ist so ein Typ, der offensichtlich das Gefühl hatte, er gehört auf diese Welt und sich das nicht hat nehmen lassen. Ein kraftvolles Kind, ein kleiner, witziger Aggro mit Rotznase, babydicken Bewegungsbeinchen und wenig Sprache. )

Es rührt mich immer bis in die Eingeweide, sie zu sehen, und ich weiß, dass sie das nicht weiß und wahrscheinlich auch nicht verstehen würde. Aber sie scheint mir so glücklich, so reich, an Verbindung zur Welt und ihren Mitmenschen, mit viel Kraft und Nachhaltigkeit erarbeitet und organisiert, und doch weit davon entfernt nicht zu wissen, wie traurig alles sein kann.
Leider kommt ein Freund und Nachbar von ihr dazu und wir können nicht mehr weiter reden. Oder ich nicht.

Ich erinnere mich, wie sie mich mal mutig gefragt hat, wieso ich keine Kinder will. Ich wusste nicht, wie ich ihr das erklären soll.

Ich mag, wie sie ihre Kinder handelt. Sie ist begeistert und voll dabei, sie hat wenig Angst (nicht so wie ich, die den Impuls aktiv unterdrücken muss, O. ständig zu überwachen). Sie addiert ihre Kinder zu ihrem Leben dazu und subtrahiert nicht ihr Leben von den Kindern.

Juli 2014 – Robbe

Ich muss ne Robbe mieten, in meiner Wohnung steht Müll rum. Und zwar ein Bett aus Holz, Größe 100 mal 200, und eine dazugehörige Matratze. Wie so oft, wenn man was aussortiert hat, kann man nicht fassen, wie lange man die Sache durchgezogen hat.

Ich bitte T. mir zu helfen. Wie immer bei solchen Sachen ist er sofort dabei.

Ich miete also eine Robbe am Schalter (dabei treffe ich noch ne Ex-Affäre meines Ex-Mitbewohners, die sich äußerlich so verändert hat, dass ich sie nicht mehr erkenne, sie scheint einen lebensanschaulichen Re-start durchgemacht zu haben, irritierend sowas), bei einer der ladies, die gerade nicht am Telefon sind.

Hier wird kein Mitarbeiter eingestellt, der nicht raucht, das hört man am Husten, sieht man an der Haut und daran, dass sie rauchen. Sie will die Kaution Cash oder gar nicht, also gut, ich nochmal los zur Sparkasse und wieder zurück.
Dann fahren wir zur Behmstraße, Recyclinghof. Ich sitze am Steuer und habe wie immer Angst. Dabei bin ich mal echt gerne Auto gefahren, aber für mich ist das Auto an sich eine Waffe, mit der man Dinge potentiell zerstören und Menschen potentiell umbringen kann. Leider traue ich auch mir da nicht über den Weg. Dennoch ist so weit oben sitzen schön und erhaben und stolz. Aber gleich schon wieder gender-politics, ich weiß nicht, wie der Rückwärtsgang reingeht (T. weiß es), ich weiß nicht, wo die Handbremse ist (T. weiß es). Erzeugt in mir zusätzlichen Aggro-Stress.
An der BEhmstraße werde ich als erstes von tätowierten Männern in orange angeschissen, die auf Barhockern am Eingang sitzen als wären sie Türsteher. Man will wissen,w as ich geladen habe. Man winkt mich undefiiniert rüber richtung links: Sperrmüll.

Ich fahre rüber und stelle mich hinter zwei parkende Auslader-Autos auf die rechte Spur, obwohl T. vorschlägt, ich soll mich auf die linke stellen. Dort sind Container mit geöffneten Türen, mir kommt es vor, als würde ich auf diese Weise den Zugang zubauen. Von links hinten kommt ein Gabelstaplerfahrer inorange. Er hält an, um mich ebenfalls ausführlich anzukacken. Wieso ich links stehe, wo er durch muss. Ich hab keine Lust, mir das gefallen zu lassen, ich kacke zurück, woher ich das wissen soll, nichts davon steht irgendwo, ich dachte dies, die beiden da, usw. T., der sich inzwischen hinten zu schaffen gemacht hat, kommt dazu, als der G.fahrer weiterfährt. Hat er doch gesagt, sagt er. Ich beschwere mich, dass er mir in den Rücken fällt statt sich solidarisch zu zeigen und dem Kerl zu sagen, dass er sich zusammen reißen soll, der jetzt auch noch schön lustvoll den Kopf über mich schüttelt während er seine Tonnen auflädt. Nice.
T. teilt mir mit, dass der Müll abgeladen ist – warum diese Hektik? – und dass die vier Ytong-Steine, die wir noch im Wagen haben, in die Kategorie Schutt fallen und Geld kosten. No way! Fuck BSR. Fuck Kack-Arschlöcher. Ich fahre raus und lade die Steine bei einem Container in einem Wohnviertel illegal ab.
Beim Robbe abgeben muss ich 14 Euro statt 4 Euro bezahlen, weil ich nicht geschnallt habe, was die lady mir untergejubelt hat, eine „Versicherung“ für 10 Euro.
Ich bin müde und traurig über die Welt, in der man immer nur kämpfen muss und verarscht und angekackt wird und ich will nach Hause und muss mich auch noch zusammen nehmen, dass ich T. nicht vollhasse, der ja nur nett war und mir geholfen hat.
Ich kann nicht leben. Ich will nicht leben in so einer Welt, denke ich. Es macht mir keinen Spaß. Ich weiß nicht, wo Handbremsen sind. Und neben mir ist jemand, der immer alles weiß. Wieso will die BSR 50 Euro für Sperrmüllabholung? Damit die Leute ihren Müll in den Wald werfen oder auf die Straße, weil sie kein Geld und kein Auto haben? Damit die Umwelt so richtig schön geschützt wird bei so einem niedrig schwelligen Angebot? Müll entsorgen ist was für reiche Leute in dieser Stadt.
Ich nehme mir vor, das das nächste Mal den Müll in unseren Hof zu werfen, so wie alle anderen in meinem Haus es tun. Das ist billiger und schont die Nerven.

Juni 2014 – Hochzeit 2

Der freund einer freundin von L. flippt aus, als ich ihm sage, dass ich 8 Jahre älter bin als L. ich weiß nie, wie ich mit dieser reaktion umgehen soll, die es leider sehr häufig gibt, weswegen ich angefangen habe, meine altersangabe der situation und den wahrscheinlichen Vorannahmen anzupassen. Diese art von reaktion ist mir nämlich zutiefst unangenehm, ich scheine nicht im geringsten die erwartungen zu erfüllen, die man an eine Person meines alters hat und deshalb spreche ich nicht gerne daüber.

L. motzt über die Unterbringung. Wie immer hat ihre Schwester, die es chronisch besser erwischt besser erwischt – dabei ist sie doch die Patentante und sofort und als erste bereit gewesen, die Reise nach K. auf sich zu nehmen, während die Schwester bis kurz vor knapp nicht wollte. Ich kann das verstehen. Trotzdem strengt sie mich an. Sie ist die klassische Pauschalurlauberin. Wie viel und was kriegt man fürs Geld, Portionsgrößen, Sauberkeit, Freundlichkeit, wird alles bemerkt, jeder Deutsche ein ltur. Trotzdem haben wir es nett miteinander. ich mag sie, ihr Weg ist und war der längste. Die anderen kapieren das nicht. Am Abend darauf gehen wir beide ganz allein noch einen trinken.

M. tanzt. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals in meinem Leben tanzen gesehen zu haben. Der verschüttete Mensch in ihr kommt zum Vorschein. Und doch scheinen mir ihre Bewegungen, ihre Ausdauer schon geprägt zu sein von der Krankheit. Ich nehme sie mit auf mein Hotelzimmer als sie mal auf Toilette muss. Ich fotografiere sie. Ihr Kleid wirkt absurd mädchenhaft und ich ärgere mich über die Schneiderin. Sie kämmt sich die Haare. Sie plappert. ich mag sie, ohne sie zu verstehen, jemals verstanden zu haben. Wie immer tut sie mir leid, weil sie eine Tochter hat wie mich.

Als mein Bruder mit I. tanzt, kommen mir doch noch die Tränen.
Ich finde, sie schlagen sich hervorragend. Was für ein Stresstag! Sie sind ein gutes Team. Ich freue mich auf die Kinder.
Es regnet kein einziges Mal obwohl es die ganze Zeit so aussieht. Alles läuft nach Protokoll. Das ist lang und durchgetaktet. Zwei Standesbeamten müssen sich versichern, dass beide Parteien verstehen, auch das Kleingedruckte. Sie müssen versichern, dass sie sich gegenseitig über ihren Gesundheitszustand aufgeklärt haben. Die Übersetzerin weint mit vor Rührung.

Der Fotograf ist ein harter, abgebrühter Typ, er manipuliert das Lachen der Menschen wie ein Marionettenspieler. Später erfahre ich, dass er das schon seit 20 jahren macht.
Der Videomann erklärt uns morgens wie wir L. ankleiden sollen, das macht man so in der Slowakei. Es macht Spaß, auch wenn mir M. ein bisschen leid tut.
Als sie B. für ein Foto küssen soll sieht sie aus wie ein Kind das zum ersten Mal in ihrem Leben und noch dazu einen fremden Onkel auf den Mund küssen soll.

Der Garten ist wunderschön, ich bin auf einer amerikanischen Hochzeit mit weißen Tuchgirlanden und Blumen und einem Zwischengang durch den die beiden schreiten. Ich freue mich den ganzen Tag über das schöne Fest.
Wir Germans tanzen alle und die Slowaken trinken viel weniger als angenommen. Das dient dem Abbau von Vorurteilen. Alleine tanzen darf man übrigens nicht. Man fasst sich an den Händen, das geht dann links rechts, viel GEhüpfe, auch mal große Runden, Kreise, Polonaisen.

Irgendeine dicke Cousine der Braut kommt zu mir, als ich alleine tanze, später, zu Daft Punks Discohit des letzten Sommers. Ooouuuhh, macht sie, I cant see you dancing alone, und drückt mir ein Gespräch rein, dass mich an diese proll-britischen Hochzeitssendungen auf sixx erinnert. Ob ich neidisch bin, auf meinen Bruder, weil er jetzt (vor mir) verheiratet ist. Ob ich nachher auch den Brautstrauß fangen gehe. Nein. sage ich. (Dieses Ritual entpuppt sich später übrigens als abgekartetes Spiel, die hübsche Trauzeugin und beste Freundin der Braut kriegt das Ding praktisch vorgelegt, wie als wär sie Stürmer beim Fußball). Okay, denke ich, bitch. Wenn ich keine überzeugte alte Jungfer wäre, sondern eine mittdreißige Single-Frau mit Hang zur klassischen Biografie würde ich mich jetzt richtig schlecht fühlen und auf die Toilette gehen, um zu heulen und bulimisch das Hochzeitsbufett auszukotzen. Ohne heiraten und Kinder kriegen kann eine Frau hier nicht glücklich werden. Dafür sorgen schon die anderen Frauen. Auch bei den german friends von L. übrigens steht das Heiraten hoch im Kurs. Und die sind alle Mitte dreißig. Schwer, sich nicht falsch zu fühlen. Gottseidank lebe ich im Heimathafen der Schrägvögel, da fällt mir nie auf, wie schräg ich bin.

Juni 2014 – Hochzeit 1

B. ist wahnsinnig. So wahnsinnig zwangswahnsinnig, dass ich wieder mal nur staunen kann. Und das noch wahnsinnigere ist, dass alle so tun, als wär das normal. Dass sie sich kommandieren, beherrschen, bestimmen lassen von seinem Wahnsinn. Er meint‘s doch nur gut, höre ich immer wieder an diesem Wochenende. Von den Frauen in der Familie. Klar, wie Hitler, der hat‘s auch nur gut gemeint.

U. erzählt mir, dass sie sich erinnert, wie er mir schon hinterher gerannt ist als ich noch klein war, und ich ihm immer davon. Das ist heute noch so, sage ich, aber ich weiß nicht, ob sie es gehört hat. Es geht nicht um Sorge, es geht nicht um kümmern. Es geht um Zugriff, Kontrolle, es geht um ihn. Seine Identität als Mann und B. Darum, dass er sich nicht wohlfühlt, nicht weiß was er tun soll ohne eine anerkannte Aufgabe, als wäre es ihm peinlich mit den anderen herumzusitzen und zu reden, weil man da sozial sein muss und er nicht weiß, wie das geht.

Ich und B. schreien uns also auf der Straße an. (Ich bin erstaunt, über meinen problemlosen Zugang zur Wut. Es macht mich fertig, ich schäme mich, ich zittere, aber unterm Strich ist das egal. Ich sage ihm, dass ich ihn übergriffig finde.) Was da aufblitzt, für einen Moment, auf dieser Straße in K., in Anwesenheit von Zeugen, ist der blanke Hass. Er steht in meinem Gesicht und wird augenblicklich von seinem Gesicht beantwortet, als hätte er nur darauf gewartet. Das erstaunt mich für eine halbe Sekunde. BEstätigt mich und meine alten GEfühle. Nur ein paar Millimeter unter der Oberfläche steckt sein Hass, sofort sichtbar, ungefiltert, genährt von Jahrzehnten unterdrückter Aggression.

Wie immer ist meine Mutter nicht da. Sie ist Luft. Sie ist irgendwo. Man kann sie nicht sehen und sie spielt keine Rolle.