April 2020 – Corona 31 – Normalzustand

Ich lese wie immer in aufregenden Zeiten möglichst schnell Zizek. Diesmal liegt es doch nun wirklich auf der Hand, dass man eine Pandemie als Weltgemeinschaft angehen muss! Eine Rückkehr in den Kapitalismus vor Corona ist nicht mehr möglich! Der alte Optimist. Mein Eindruck: Alle wünschen sich so schnell wie möglich das „Normale“ zurück. Dass der Normalzustand ein Ausnahmezustand war, wird keiner mehr glauben.

April 2020 – Corona 30 – Hallo Berlin

Ich videochatte mit N. und B., wir benutzen zum ersten Mal jitsi, die neue netzpolitisch super vollkorrekte, datensichere Video-Chat-Applikation nach Zoom. Wir quasseln fröhlich vor uns hin, jeder so in seinem Fenster, plötzlich poppt ein viertes auf: Oh-, Entschuldigung!, sagt ein Typ hastig, und verschwindet wieder.

Das Meeting hieß Hallo Berlin.

April 2020 – Corona 29 – V wie verrückt

Ich verabrede mich auf dem Markt mit einem Freund. Ich hab ihn länger nicht gesehen, vor Corona das letzte Mal. Als ich ankomme, sehe ich, dass man am Eingang zum Markt Schlange stehen muss. Als der Freund mich dort entdeckt, läuft er straight auf mich zu ohne stehen zu bleiben und umarmt mich mit den Worten: So, darf ich dich jetzt mal umarmen, das ist ja hier,- Ich, noch in der Umarmung: Äh, nein, eigentlich nicht; er redet weiter, steht dabei dicht neben mir, spricht wie schon zuvor laut, sodass die Umstehenden, sein eigentliches Publikum, ihn hören: Da wird man ja gleich schon wieder angeguckt wie ein Hygieneterrorist, wenn man die Leute umarmt.

Ich bin verblüfft. Niemand den ich kenne, hat sich bisher so benommen. Nein, sage ich, das ist kein Hygieneterrorismus, sondern der erforderliche Mindestabstand und schiebe wie zum Trotz die Maske hoch, die ich heute zum ersten Mal draußen dabei habe, so von wegen Einkaufen und mit Verkäufern reden, da dachte ich, vielleicht fühlt sich das angemessen an. Doch er ist im Schwung, zieht weiter vom Leder: Weißt du eigentlich wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich dich oder du mich jetzt hier ansteckst? Er rechnet es mir vor: Bei eins zu einer Million! Dann beklagt er sich über sein völlig unplanbares Jahr, in dem er nicht wie sonst zweimal Richtung Asien udn diverse Ziele in Europa ansteuern kann. Inzwischen haben wir den Markt geentert, bei einem Kaffee auf die Hand kratzbürsteln wir uns weiter über Sinn und Zweck der Maßnahmen an. Er: völlig übertrieben, niemand kann beweisen, dass die Maßnahmen was nützen, die Leute die grade sterben, wären sowieso gestorben, Ich: völlig angemessen, was ohne die Maßnahmen passiert, können wir doch überall da sehen, wo sie nicht ergriffen wurden, Er: Ich wette am Ende haben wir nicht mehr Tote als sonst, man kann gar nicht beweisen, dass die Leute an Corona gestorben sind, usw., usf.

Später erzähle ich ihm, dass das Autoprojekt abgesagt ist, und man von wegen alternativer Terminplanung grade ja eh nur auf Sicht fahren kann. Ich vergesse, ihm die Anführungszeichen in die Luft zu malen, denke, beim Autothema und wenn man mich ein bisschen kennt, könnte man sich die dazu denken. Er lacht unangenehm, du lässt heute ja auch wirklich kein Klischee aus, sagt er.

Jo, denke ich, nettes Treffen, als ich auf dem Nachhauseweg in der S-Bahn sitze. Ich wurde umarmt ohne gefragt zu werden, der von mir signalisierte Abstand wurde nicht respektiert, ich wurde mit Infos aus der Superchecker-Welt versorgt, von denen alle anderen keine Ahnung haben, bzw. mit der richtigen Interpretation der Infos, die die normale Welt bereit hält, die alle leider nicht richtig zu interpretieren verstehen, ich wurde, während wir auf dem Markt Trüffelöl und Garam Masala gekauft haben – er arbeitet wie immer im Homeoffice bei gutem Gehalt – mit den Belastungen durch die massiven politischen Einschränkungen von demokratischen Grund- und Freiheitsrechten konfrontiert, in diesem Fall seiner Freiheit, eine Reise zu buchen, und zum guten Schluss noch als klischeehaft, also der aktuell grassierenden Mainstream-Dummheit aufsitzend, beleidigt.

Ich finde ihn so unsympathisch wie noch nie.

Später zuhause schreibt er mir. Bedankt sich für das Treffen, das gut getan habe.

Alle haben ihren eigenen inneren und äußeren Prozess mit dem Virus, der nun schon so einige Wochen unter uns weilt und vorhat, noch eine ganze Weile zu bleiben, die einen haben Angst und ziehen sich zurück, die anderen fühlen sich eingesperrt und hauen gegen die Tür, manche tun als wär gar nix, andere bereiten sich auf die Apokalypse vor. Der Virus macht uns alle ein bisschen verrückt.

Da muss man großzügig sein.

April 2020 – Corona 27 – Auto

Eindrücklich, wie das Auto hier nochmal zu sich kommt. Plötzlich werden Autokinos reaktiviert, Drive-In-Stationen für Corona-Tests eingeführt; am Sichersten sind Sie auf dem Fahrrad oder im Auto, heißt es. Das Auto als privater, abgeschotteter Schutzraum ist zurück. Die Welt außen vor, die Masse der Infektionszombies, Fenster hoch und ab durch die Mitte. Außerdem kann man mal rausfahren, aus dem ganzen Wahnsinn (bitte nicht zu uns, sagt Brandenburg, aber wen schert das). Und auch Hamsterkäufe lassen sich deutlich leichter tätigen mit einem Kofferraum. Glücklich also, wer grade ein Auto hat. Einen Opel Corona, haha. „In Krisenzeiten ist das Auto alternativlos“ witzelt Th. in einer Nachricht. Geiler Slogan für eine Autofirma.

Andererseits. Poppen plötzlich überall Fahrradspuren auf, mal eben schnell in Gelb auf die Straße gezeichnet, wie schnell und unbürokratisch das alles geht, was sonst nie geht, niemals, nienieniemals über Jahre und Zehnte, Forderungen werden laut, man sollte, um den Mindestabstand halten zu können, als Radfahrer und Fußgänger die Straße mitbenutzen dürfen.

Auch hier wieder die Frage. Was für eine Erfahrung wird das gewesen sein. Und was macht sie mit der Welt?

Am 23.4., einen Tag nach den Senatsbeschlüssen, wie die langsame Öffnung vor sich gehen soll, sage ich das Autoprojekt ab.

Das schmerzt.

April 2020 – second thoughts

Ok, cupid – nächster Annäherungsversuch. Diesmal dringe ich bis zur Profileinrichtung vor und poste drei Fotos, zu denen mir geraten wurde. Allein bis ich kapiert habe, wie das geht, stell ich mich an wie Opa mit seinem ersten Smartphone. Mich macht das alles irre nervös hier, kaum bin ich online, bekomme ich Likes: ping, ping, ich habe doch noch gar nichts geschrieben, ping!, stopp! jetzt wartet doch mal!, ich bin doch noch gar nicht fertig.

Ich gehe auf die Likes, kann aber niemanden sehen, das geht nur, wenn ich Geld  ausgebe, wie machen das die coolen Leute hier? Und was ist ein Intro, wieso kann ich das nicht sehen, was ist ein Double Take, Help! von wegen Help, nach der Lektüre der Help-Seiten bin ich noch verwirrter, die wirken, als beschreiben sie eine Vorläufer-Version, bzw. als wären sie absichtlich kryptisch.

Ich schaffe es, bei Search durch die Männer zu blättern. Einige wenige, sehr sehr wenige, sind nett, nett, im Sinne von sympathisch. Sie haben alle so ihre Ticks, der eine findet sich zu schön, der andere redet schon im Freitext zu viel, der dritte läuft gleich schon auf Bild 3 vor einem davon (voll mein Typ), alles in allem also nichts ernstlich Unangenehmes, die üblichen Macken halt, nichts, worüber man nicht hinwegsehen könnte.

Aber man muss aufpassen. Manchmal kommt man schon beim zweiten Foto auf den Trichter: Der hat einen riesigen, schnaufenden Hund. Der hat ein Faible für klassische Musik, das er sehnlichst teilen möchte. Der will eigentlich lieber seine Freunde treffen als ne Frau. Und der hat nur den Hauptschulabschluss. Oh, hello, inner snob, da bist du wieder.  

Ich warte 24 Stunden, ob jemand hängen bleibt. Einer bleibt. Aber den schreib ich dann nicht an. Er sieht gut aus, der findet sofort ne Bessere.

April 2020 – Mann

Ich geh rüber ins Nebenhaus, zur Paketnachbarin, Frau L. Wie immer ärgere ich mich furchtbar über DHL, die es immer wieder schaffen, mir diese Begegnung aufzwingen. Ich! war! zuhause!!!. Lazy Abladepaketbote.

Frau L. macht die Tür auf, das erste was sie sagt:

Det is zu groß. Holn Se ma ihrn Mann.

Ich: Ich hab kein Mann.

(Was denken die Frauen eigentlich immer, was das ist, so ein Mann? Ein Schraubenzieher, ein Gabelstapler, ein zusammenfaltbarer Schleppesel?

Ich linse in den Wohnungsflur. Sie hat recht: Det ist zu groß. Ich ziehe das Paketmonster in den Hausflur, vor ihre Wohnungstür, und nehme es an Ort und Stelle auseinander, mit Hilfe eines völlig stumpfen Küchenmessers, das sie mir im von mir angemahnten Mindestabstand reicht: Ich will sie ja nich anstecken oder so. (Vielleicht sage ich auch erstechen, aber das geht mit dem Messer eh nicht.)

Sie guckt zu, wie ich auspacke und freut sich, dass sie endlich mal erfährt, was so drin ist, in meinen Paketen. Ach, aha, det sieht ja jut aus, sowas will sie sich auch kaufen (Tisch und zwei Stühle für den Balkon). Plötzlich finde ich sie irgendwie fast niedlich, oder uns beide so als ungleiches Paar. Sie, die von Krankheit, Sorge und Unterschichtsfernsehen gebeutelte Frau, die doch nur ein bisschen Gutwetter-Kontakt möchte, den ich, das überheblich-nette Arschloch von nebenan, ihr so ausgesprochen ungern gönne, dass ich jetzt schon beinahe wieder lachen muss. Warum ist das bloß so? Warum kann ich ihr das nicht geben?

Ich schleppe den Müll in die Tonne und die Einzelteile über den Hof nach Hause.

HolnSe ma ihrn Mann my ass.

April 2020 – Therapie 4 – Karate Kid

Ich bin noch nie gerne zur Therapie gegangen. Wer geht schon gerne zum Zahnarzt. Wer unterzieht sich schon gerne einer langwierigen, schmerzhaften, dringend notwendigen Prozedur. Jetzt, nach vielen Monaten in dieser Therapie, bei diesem Therapeuten, habe ich zum ersten Mal das Gefühl, ich gehe zu einem Wellnesstermin. Oder sagen wir, zu einer Trainingsstunde. Einmal die Woche fahre ich zu meinem Mentor, meinem sensei, der mir zuhört, der mich ernst nimmt (aber nicht zu sehr), der mich sieht. Der möchte, dass es mir besser geht, und der anders als ich, daran glaubt, dass das passieren kann. Der mich dabei begleitet, zu mir zu kommen, zu dem was ich bin, und der das, was ich bin, aushaltbar findet. Klar tut mir nach dem Training alles weh. Aber manchmal ist auch plötzlich alles leicht. Ich sauge auf, was ich dort erlebe, und es trägt mich, wirkt in mir den Rest der Woche. Ich freu mich auf die nächste. Das hatte ich noch nie.