Am liebsten sitze ich im Fenster.
Nicht am Fenster, das ist nochmal was anderes und auch schon ganz schön, z.B. in der S-Bahn. Aber am liebsten sitze ich IM Fenster im Cafe.
An einem langen Tresen, der an diesem Fenster entlang führt, an dem man seinen Kaffee im Stehen (bandscheibengerecht), oder auf einem Barhocker sitzend, zu sich nehmen, und dazu eine Zeitung lesen kann. Eine gute Zeitung, die im Cafe 1. vorhanden und 2. nicht von anderen in Beschlag genommen ist. Ach, das ist das Paradies!
Ganz gezielt suche ich mir Cafes aus, in denen man im Fenster sitzen kann.
Ich bin nicht die einzige, die gern am Fenster sitzt. Im Fenster sitzen scheint geradezu eine urmenschliche Konstante zu sein, schon die Römer saßen gerne im Fenster, die Philosophen der Antike, Plato, Sokrates, Aristoteles, ja, Zeus und all die anderen griechischen Götter, sie alle saßen gerne im Fenster im Cafe, das ist überliefert und in vielen Texten und Anekdoten festgehalten .
Hätte ich ein Cafe, ich würde nur Fensterplätze einrichten. Alles andere bringt’s im Grunde nicht.
Und die Vorteile vom Im Fenster sitzen liegen auf der Hand:
1. Man kann rausgucken.
2. Man kann Leute beobachten.
3. Die Leute können reingucken, aber man ist auf der sicheren Seite.
Aber warum guckt man gerne raus? Warum macht man das alles?
Man sieht, wie das Wetter ist, wie der Straßenverkehr seinem Rhythmus nachgeht, man sieht wie die Stimmung so ist, in der Gesellschaft und beim Individuum.
Und das alles durch eine Glasscheibe. Eine Glasscheibe, die einen teilnehmen lässt ohne den Realitäten da draußen ausgesetzt zu sein. Man ist drinnen und draußen zur gleichen Zeit. Im Fenster sitzen ist wie Fernsehen. Es strömt mit seinen Geschichten durch mich hindurch und trägt mich dahin, während es beschäftigt ist mit sich selbst.
Man sieht Frisuren und Klamotten und Schicksale. Man sieht Hunde und Besitzer, Radfahrer und Schalträger. Man sieht Assis, Verrückte und Armut. Man sieht Dummheit und Ignoranz. Lieferwagenfahrer, Shopping-Mädels, Business-Jungs. Kollegen. Man sieht alles, was es so gibt, kranke Leute, alte Leute und die neusten Trends vom Straßenlaufsteg. High Heels und Funktionsklamotten. Bärte, Biere, Plastiktüten. Situationen. Angerempelt, angelächelt, ausgewichen, ins Telefon geredet, dreimal vorbeigelaufen, scheiße, nass geworden, Mütze auf, Schirm ab, Kind schreit, bei COS gewesen, Klassenfahrt, ohje, der Außenseiter, immer alle im Weg, Rollkoffer, lalülala, Rumpeltram, Rollator.
So kann ich arbeiten.
So kommt mir das Leben sinnvoll vor.
Ich bin sehr glücklich, wenn ich im Fenster sitze.