April 2015 – Laktose

Jetzt gehöre ich auch zu diesen Tussis! Die im Cafe nach laktosefreier Milch fragen. Die im Supermarkt jedes Produkt umdrehen, und misstrauisch die Zutatenliste beäugen. Ich HASSE diese Vergiftungs- Anorexiehaltung, so viele Jahre hat es mich gekostet, das abzutrainieren! So viele Jahre hat es mich gekostet, gern zu essen, den Supermarkt als Schatzkiste zu sehen, in der ich mich bedienen, in der ich tun und lassen kann, was ich will, ein saftiger Ort, der Spaß macht, Lust macht, Impulse zulässt, ein Ort an dem ich den Arm ausstrecken kann, nach etwas greifen kann, mit meinen Händen, weil ich es haben will, weil ich Bock! drauf habe, und es mir zueigen machen kann. Inzwischen auch mal was nehmen kann, was eigentlich schwachsinnig teuer ist. Hart erarbeitet, glücklich etabliert, das Essen als Genuss, als positive Verbindung zum Leben in den letzten 10, 15 Jahren. Und jetzt das. Ich bin frustriert. Wenn alles scheiße ist, sage ich, sagt man: Wenigstens war das Wetter gut oder wenigstens war das Essen lecker!

Joghurt, Käse, Milchkaffee, Kekse, Schokolade, Chips, alles voller Lactose. Nicht mehr, was will ich essen, worauf hab ich Lust, sondern: was kann ich essen, was darf ich essen. Und dann dieses eingeschriebene Konzept des „Sündigens“ – kannst ja was essen mit Lactose, aber dann büßt du, mit Schmerzen. (Wie leicht dreht sich das ins Perverse, wird katholisch, nicht der Genuss ist der Genuss, das Sündigen wird zum Genuss,  das Büßen, das schlechte Gewissen, die Bestrafung.) Zu sehr ist mir das der ewige Kampf der Essgestörten, ihrem inneren Schweinehund, eine ständige Ebene im Hirn.

ein paar Tage später: Fructose-Test.

Positiv.

what the fuck, universe?

April 2015 – Die Plakat-Frau

T. erzählt, dass er kürzlich vor einem Plakat stand, in der U-Bahn.

Auf dem Plakat war eine junge Frau, die hat ihm so gut gefallen, dass es gut war, dass die U-Bahn gekommen ist, sonst hätte er sich in sie verliebt.

Der Witz ist: Ich weiß sofort genau, welches Plakat er meint.

Es ist von einer Wohnungsbaugesellschaft und verkündet, dass gebaut wird, 5000 neue Wohnungen sollen entstehen.

Man sieht einen Mann mit Helm und eine junge Frau mit Helm und im Hintergrund eine Baustelle,  und wenn das Ganze in schwarz-weiß wäre, dann könnte das ein Foto aus der DDR sein, von sagen wir 1953, als die DDR noch in Ordnung war und für ein paar Jahre vielleicht wirklich das bessere Deutschland. Ein Deutschland zumindest mit Stadtplanungsprojekten, die aus besseren Ideen bestanden als einer Ringautobahn und genau wie die jungen, sympathischen Alltagsmenschen auf den alten DDR-Fotos mit ihren Gesichten und ihren Handbewegungen in eine Zukunft wiesen, die den Menschen gehören sollte und nicht dem Profit oder dem Faschismus. (So jedenfalls die linkswestlich-ostalgische Sicht der Dinge.)

Das Mädchen hat eine Brille auf. Sie ist schlau. Sie hat Architektur studiert oder Stadtplanung, also keinen so ganz typischen Frauenberuf gewählt, wofür man ihr zusätzlich Respekt zollen muss und was ihr eine Aura des soliden Handschlags einbringt. Sie liebt ihre Arbeit, denn die macht Sinn, und so macht sie sie mit Engagement, Freude und aus Überzeugung. Eine Frau, mit der man was aufbauen kann.

Ich verstehe, dass T. sich in sie verliebt.

Ich will nicht, dass T. sich in sie verliebt.

Als ich sie das nächste Mal sehe, finde ich, ihre Brille sieht doof aus und ihr Mund ist klein und komisch. Vielleicht guckt er besser nochmal genauer hin.

Gut, dass er eigentlich immer mit dem Fahrrad fährt.