Alle sind immer so pikiert über die Frage nach dem Namen bei Starbucks. Ich gebe sehr gerne meinen Namen an, wenn ich gefragt werde, für wen der Kaffee denn sein darf. Ich heiße dann z.B. Daphne oder Zoe oder Lou. Alice hatte ich schon – wegen Alice im Wunderland und Alice in den Städten einer meiner all time favorite Mädchennamen – aber auch abwegige Sachen wie Patty, Fanny, Penny, Lana, Elsa, Inga, Malu und Kai. Demnächst mach ich mal die 80er Spießernummer mit Dagmar, Beate, Bettina und Yvonne. Wer man alles sein kann, ist doch herrlich!
Monat: Juni 2017
Juni 2017 – Geliebtes Tier, ich esse dir
Ich gehe mit B. ein Bier trinken. Wir reden über Tiere. Ich mag Tiere. Er auch. Da haben wir beide viel zu erzählen.
Wir reden über Oktopusse, Eichhörnchen, Seepferdchen und Pinguine. Wir begeistern uns für Esel, Ziege, und die allseits unterschätzte Kuh.
B. sagt, er mag Tiere sogar so gern, dass er Lust kriegt, sie zu essen, wenn er sie sieht. Er schaut so eine Gämse an, wenn er sie beim Klettern trifft oder sieht so einen Fischschwarm, wenn er schnorchelt, und findet sie so wundervoll, ist so begeistert von ihnen, dass er so richtig Appetit bekommt, auf einen schönen, saftigen Ziegen-Braten oder eine leckere, gegrillte Forelle am Abend. (B. ist, wie man hier unschwer erkennen kann, eher so der Outdoor-Typ, er kennt Tiere aus der freien Natur, anders als ich, die sie aus dem Fernsehen oder dem Was ist was-Buch kennt).
Das habe ich noch nie gehört. Dass einer sowas sagt. Dass er Tiere zum Fressen gern hat. Ich finde das so witzig wie genial: Der Carnivore als der konsequenteste aller Tierliebhaber!
Ich hoffe nur, B. macht das nicht auch serienmäßig mit Frauen.
Juni 2017 – Feminist
Ich bin auf einer Konferenz. Es geht um gute Sachen, aktuelle Fragen und Gedanken. Der Veranstalter und Moderator hat die Vortragenden des Tages um einen runden Tisch versammelt, von wo aus sie aufstehen, zu ihrem Pult gehen, zwischendurch diskutieren. Augenfällig: Alles Männer, eine einzige Frau.
Nach der Pause berichtet der Moderator, dass die Frau ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass nur Männer am Tisch seien. Das, meint er, und lacht leicht nervös, wollen sie (die beiden männlichen Veranstalter) natürlich nicht, sie mögen Frauen, finden Frauen ganz toll, ja, er sei Feminist. Er schlägt vor, dass einige der Frauen aus dem Publikum, die er kennt, sich mit an den Tisch setzen, mitdiskutieren. Die wollen aber nicht. (Komisch).
Noch eine Pause später – die Sache scheint ihn schwer zu beschäftigen – haben sich ein paar seiner Freundinnen breitschlagen lassen, und sich mit an den Tisch gesetzt. Als er anfängt sie vorzustellen, fällt ihm bei zweien ein, dass sie früher Schauspielerinnen waren, bei einer dritten, dass sie sogar mal Model war. Wow! sagt er. (Genau das denke ich auch). Eine anwesende junge Amerikanerin, sowieso not amused von seinem Gehabe, sagt: You are makin it worse. Er tut daraufhin so, als sei sie gekränkt, weil er nicht ihr, sondern einer anderen Frau eine Frage gestellt hat: I have a question for you, too, in a second I have a question for you, too, sagt er, als wären seine Fragen goldene Bonbons die aus seinem Mund kommen, und nach denen sie sich verzehrt. Auch eine Möglichkeit, eine Attacke abzufedern, einfach den anderen zum Narzist erklären.
Fassen wir das mal zusammen. Da ist also einer, ein Chef und Podiumsbestimmer, der von der einzigen Frau am Tisch mit der Nase darauf gestoßen wird, dass er sich möglicherweise keine Gedanken über sowas wie Repräsentation auf seiner Veranstaltung gemacht hat. (Bis zu diesem Zeitpunkt schien mir das kein größeres Problem zu sein, am Tag zuvor waren viele Frauen da. Aber das war wohl eher Zufall wie sich zeigt). Er kriegt jedenfalls einen Schreck und fühlt sich ertappt, und weil er doch ein Guter ist und sein will, ein Aufgeklärter, bittet er rasch die anwesenden Frau/Freundinn/en sich zur Übertünchung des Fauxpas um den Tisch zu garnieren. Aber gegen strukturelle Problematiken und Misogynie hilft nun mal keine Floristik. Die tapferen Frauen, die sich dazugesetzt haben, waren schon von vorneherein im unauflöslichen Dilemma. Präsenz zeigen, den Mund aufmachen, und sein dekoratives Spiel mitspielen waren schon nicht mehr voneinander zu trennen.
Was lernen wir daraus? Erstens. Junge Amerikanerinnen sind anscheinend gnadenloser, wenn es darum geht, bei dem Thema zurück zu schießen (siehe auch Miranda July). Als er auch noch was von „Trump ist der neue Hip-Hopper“ faselt, fragt sie What do you mean? Da rudert er rasch zurück, jetzt bloß nicht auch noch latenter Rassismus-Vorwurf. Irgendwie redet er sich immer mehr Kopf und Kragen.
Zweitens. Wenn einer sagt, er sei Feminist, muss einen das misstrauisch machen. Feminismus bedeutet nicht, Frauen wahnsinnig schön, stark, und begehrenswert zu finden. Feminismus ist nicht, wenn man auf Frauen steht. Von da aus ist es nicht mehr weit zum Bumper Sticker „Ich bin für Frauenbewegung, solange sie rhythmisch ist“. Oder wie ein gender-studierter Geisteswissenschaftler-Polit-Freund mal gesagt hat: Ich bin für Emanzipation, denn emanzipierte Frauen sind selbstbewusster und deshalb viel besser im Bett. Da bleibt einem doch die Spucke weg.
Drittens. Männer, die sich als Feministen bezeichnen, wollen einem was wegnehmen. Sie wollen einem was wegnehmen, was sie gar nicht haben können. Oder kann ich als Weißer sagen, ich bin Black Power? Nee, kann ich nicht. Ich kann sagen, ich unterstütze eure Sache, weil ich die Schnauze voll habe, von diesen gesellschaftlichen Zuständen, weil ich mich selbst eingeschränkt fühle, von diesen identitären Zuschreibungen (hier hinkt der race-Vergleich), das kann ich alles sagen, und das ist auch im höchsten Maße wünschenswert, dass möglichst viele das sagen, aber ansonsten hab ich doch gefälligst zu kapieren, und damit zu leben, dass ich das Problem bin. Ich bin ein strukturelles Problem, ich bin ein Täter, das hab ich zu akzeptieren, ich kann jetzt nicht auch noch das Opfer sein wollen, den Opfern das Opfersein wegnehmen wollen. Sorry.
Juni 2017 – Weimar
Schon kein guter Start, ich und Weimar. Das AO Hostel liegt an einer menschenfeindlichen Zufahrtsstraße mit Druckampel zwischen Tanke und McDonalds und ist natürlich hässlich. Es hat keine oder eine zu gut versteckte Rampe für den Koffer, und braucht ne geschlagene halbe Stunde in der Schlange, bis es mir sagt, dass ich noch nicht einchecken kann.
In Weimar drin dann alles auf einem Platz: Goethe und Schiller Weimarer Verfassung Bauhaus Museum – alles kondensiert auf einem Haufen, einem Deutsche-Kultur-Haufen. Drumrum die übliche Mischung deutsche Fußgängerzone, hier mit einem Ost-spezifischen Schlag interpretiert: Arschgeweihe, Kulturtouristen, Roma, Kram-Discounter, Oma-Cafés, Pizzeria Romantica, Adipositas-Familien, Rollatoren, Hightech-Ausflugs-Radler, Rostbrat-Wurstebuden, Jung-Nazis als wär nix dabei, AfD-Nazis als wär nix dabei, ein paar Studenten, kaum Migranten, ein Junggesellenabschied, Goethe und Schiller als Salzstreuer im Souvenir-Shop, ein paar schöne Häuser, ein paar hässliche, ein sozialliberales Kulturzentrümchen, ein wohlsortierter Park. Im Hintergrund dräut Buchenwald.
Im Bauhaus Museum erfahren wir, dass die Bauhausianer von Anfang an zu kämpfen hatten mit der Stadt. Das ganze moderne Hippiezeug, das ganze arme Künstlergesocks, das kein Geld hatte und entscheiden musste, ob der Ofen angemacht wird, um zu heizen oder Keramik zu brennen, die jungen Mädels, die kamen, um zu studieren, das war der Mehrheit der Weimarer alles ein Dorn im Auge. Wir wissen, wies ausging. Die Stadt, die heute von all dem profitiert, macht auf mich nicht den Eindruck, als hätten ihre Einwohner G und S gelesen, wären je im Bauhaus Museum gewesen oder nach Buchenwald gefahren, außer mal mit der Schuuullee Augeverdrehsmiley. Kultur steht rum und ist für die Aushäusigen. Die würden das Bauhaus wieder vertreiben, genau wie damals.
Muss ich nicht mehr hin. Nach Weimar.
Juni 2017 – Das hier
Was ist das hier?
Ein Blog. Naja. Literatur. Nein. Ein Tagebuch, okay. Ein öffentliches Tagebuch. Mehr oder weniger. Eine Dokumentation.
Ja, das gefällt mir.
Eine dokumentarisch-archivarische Arbeit. Eine Langzeitdokumentation. Eine Subjektive auf die Objektive. Im Ausschnitt, im Anschnitt, im Fluss: Ein Leben. In einer Stadt in einem Land in einer Zeit.
Kürzlich sehe ich ein Plakat: Er litt, liebte und starb. Was hat er sich dabei gedacht? (Bazon Brock). Das wandel ich ab.
Sie litt, liebte und starb. Was sie sich dabei gedacht hat, steht hier.
Juni 2017 – Pornografie 2
Das einzige was ich vom Pornogucken gelernt habe, wo man ja ständig anderer Frauen Geschlechtsteile anschauen muss, als wäre man im Bio-Unterricht: Ich habe eine sehr hässliche Möse.
Danke dafür, Pornografie.
Als hätt ich nicht schon genug Probleme.
Juni 2017 – Neid
Kürzlich bekomme ich einen bösen Neidanfall.
Ich sage so dumme, missgünstige, misogyne Sachen über eine andere Frau, dass ich einen Schreck kriege, schon in dem Moment, in dem sie aus meinem Mund kommen.
T. erzählt mir beiläufig von einer Bekannten, die 10.000 Euro brutto im Monat verdient.
Da passierts.
Ich sehe das strahlende, weiße Lächeln dieser Bekannten vor mir und ihre schönen, vom Topfriseur gepflegten Haare und ihren übervollen Kleiderschrank und die Loftwohnung, die sie sich kauft, und ich sage: 10.000 im Monat?, klar, kann ich mir vorstellen, sie weiß, wie man Small Talk macht, sie kann bestimmt super mit Kunden umgehen, Sie sieht gut aus.
– Du liebe Zeit, ich könnte sie auch gleich als Prostituierte bezeichnen!
Dass sie – im Gegensatz zu mir – drei Sprachen fließend spricht, hervorragende internationale Referenzen hat, bis spät in die Nacht arbeitet, und ganz sicher in ihrem gesamten Arbeitsleben sehr viele schwierige, stressige und unangenehme Situationen durchgehalten und dabei immer kompetent ihre Arbeit getan hat – das fällt mir in dem Moment nicht ein.
Ich denke in diesem Moment nur: Warum verdient die 10.000 im Monat und ich 20.000 in einem (guten) Jahr. Hab ich mich nicht auch durchgekämpft? Hab ich mich nicht aus der Realschule über den Zweiten Bildungsweg ins Abitur gehievt, hab ich nicht ein kompliziertes, geisteswissenschaftliches Studium mit Eins abgeschlossen? Versuche ich nicht seit Jahren redlich, mich in einer schwierigen Branche durchzusetzen oder zumindest zu halten, stehe ich nicht andauernd frustrierende Arbeitssituationen durch, überwinde ich nicht ständig tausend Ängste? Bin ich nicht auch irgendwie ganz gut in meinem Job? Warum also hat sie ein entspanntes Leben und ich jeden Tag Angst um meine Existenz?
Dass Geld auf dieser Welt nicht gerecht verteilt ist, weiß ich. Vielleicht konnte man sich das in den 70ern in Westdeutschland mal für ein paar Jahre einreden, dass es da eine objektiv nachvollziehbare Logik gibt, dass wer fleißiger ist oder einen verantwortungsvolleren Job hat oder eine längere Ausbildung gemeistert hat, auch mehr Geld verdient, im Sinne von verdient. Aber im großen und ganzen war das ja global betrachtet schon immer Quatsch. Wieso die Arbeits- sprich Lebenszeit des einen Menschen mehr wert ist als die des anderen, dass die eine Branche diese Tarife hat und die andere jene (die Bekannte arbeitet bei einer großen Agentur als Projektleiterin), dass die einen Skills besser bezahlt werden als die anderen, das hat mit Mechanismen zu tun, die weit außerhalb von Gerechtigkeitsfragen liegen.
Dass verdienen und verdienen in direkter Korrelation zueinander stehen, ist eine übers System drüber gelagerte Vorstellung, die sich notwendig hält, um es am Laufen zu halten. Wie sollte man das alles sonst legitimieren? Wie sollte man sich sonst sicher sein, dass alles mit rechten Dingen zugeht? Und weil ich hier nun mal dazugehöre, kann auch ich nicht anders als zu denken, dass GELD etwas mit Anerkennung zu tun hat, und KEIN GELD eine Folge von Dummheit, Schuld und Versagen. Kurzum: Ich nehms persönlich. Und werde persönlich. Ich folge einem sehr tief liegenden, sehr alten, sehr verkrusteten, und sehr verbreiteten Reiz-Reaktions-Schema, und mache die Frau als Frau nieder. Ich tue das, was über Jahrhunderte getan wurde und noch immer jeden Tag getan wird: Ich nehme an, ich unterstelle, dass diese Bekannte nicht aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer Klugheit, ihrer Fähigkeiten, ihrer Verhandlungsstärke, ihres Selbstbewusstseins den Job bekommen hat und nun gutes Geld verdient, sondern weil sie gut aussieht und nett mit den Kunden (!) Small Talk macht. Über einen Mann hätte ich das nie gesagt.
Dabei sind Frauen für mich doch eine schützenswerte Spezies! Ich will keine Frau sein, die über andere Frauen herzieht, ihnen das Leben schwer macht. Ich will mich freuen, wenn Frauen Erfolg haben, will sie unterstützen, ihnen applaudieren, stolz auf sie sein, mich mit ihnen verbunden fühlen, mir Mut holen bei ihnen, sie mir zum Vorbild nehmen, sie ein bisschen beneiden, okay, aber auf generöse, sportliche Art. Meistens klappt das auch. Aber in diesem Moment, da klappt es nicht. Irgendwo in den Untiefen meines Inneren fliegt ein Deckel weg. Die Sicherung brennt durch.
Ich weiß, aus mir spricht der Frust. Ich weiß, ich bin traurig, müde und abgekämpft. Enttäuscht von mir. Und der Welt. Aber so? Will ich nicht sein. Ich will nicht verbittert und böse sein, werden, enden.
Ich habe Entscheidungen getroffen, die Konsequenzen haben, und diese Konsequenzen haben mich nicht von den Entscheidungen abgehalten. Aber ich habe sicher auch gehofft, dass die Konsequenzen schon nicht so schlimm sein werden.
Wie nur, wie soll ich meinen Frieden machen?