Oktober 2020 – Bademantel-Scam

Als ich am frühen Abend nach Hause komme, steht der Mann meiner älteren Nachbarin in Bademantel vor seinem SUV in der Feuerwehreinfahrt. Der SUV ist der größte, den ich je gesehen habe, alle Türen sind sperrangelweit geöffnet. Im Auto stehen haufenweise Kisten und Gegenstände, die er nach irgendeiner Logik vom Kofferraum auf die Rückbank und wieder zurück räumt. Als er mich sieht, kommt er auf mich zu und ergreift die Gelegenheit, mich von der Seite anzuquatschen. Ob ich einen Schlüssel für die Feuerwehreinfahrt habe? Die Feuerwehreinfahrt ist ein breites Tor, das in unseren Hof führt, in dem Parken nicht erlaubt ist, in dem aber trotzdem immer irgendwelche Pappenheimer parken und morgens um 7 alle aufwecken, weil sie den Zündschlüssel umdrehen und das Motorengeräusch die Wände hochwummern lassen. Er ist also einer dieser Pappenheimer!

Ich: Nö.

Er hatte einen Schlüssel, aber der ist abgebrochen. Er hält den abgebrochenen Schlüssel hoch. Der Anblick des abgebrochenen Schlüssels löst in mir nicht die gewünschte Reaktion aus. Er setzt noch einen drauf, deutet die Straße rauf und runter, kein Parkplatz, seine Frau krank. Warum er nicht einfach zur Wohnungsbaugesellschaft geht und fragt, ob er einen nachmachen kann, will ich wissen. Er murmelt irgendwas Unverständliches, gestikuliert ein bisschen, so dass ich mir schon Sorgen mache, ob der Bademantel auch hält, und hat dann einen besseren Vorschlag. Ich könnte zur Nachbarin im Nebenhaus gehen und ihr sagen, dass ich den Schlüssel für den Hof brauche. Die hat nämlich einen. Und wenn sie ihn mir dann gegeben hat, so erläutert er mir weiter unseren Plan, dann gebe ich ihn ihm und dann macht er den Schlüssel für sich nach. Ich frage, warum er denn nicht zur Nachbarin geht. Er hat aktuell nicht das beste Verhältnis zu ihr, warum ist ja jetzt egal. (Wahrscheinlich weil er einer der Pappenheimer ist, die immer im Hof parken und damit wiederum ihr ihren Pappenheimer-Parkplatz wegnimmt.).

Irgendwie tut er mir leid. Für mich wirkt er so unfassbar aus der Zeit gefallen mit seinem riesigen Auto mit dem er alle paar Wochen in einer halben Stunde von München hier hochbraust (mein Verdacht ist ja, dass er dort eine nicht-kranke Zweitfrau hat), dabei: was soll er sonst machen, wie soll er einkaufen und der Frau alles vorbeibringen, was sie braucht. Ich wiederum muss ihm sowas von dumm und schwer von capé vorkommen, weil ich nicht begreife, dass sein Bedürfnis das logischste und normalste von der Welt ist, weil in dieser Welt alle ein Auto haben und Parkplatzprobleme und man sich da doch unterstützen muss.

So stehen wir

und so gehen wir

auseinander.

Trotzdem, ich mag ihn. Wo sonst kriegt man hier in Mitte einen Nachbarn in Bademantel und Puschen zu sehen. Er ist mit Abstand der coolste SUV Fahrer hier.

Oktober 2020 – T57

Beim Therapeuten gewesen,

das Für und Wider der anstehenden Familienreise besprochen, ungeduldig geworden, weil mir das Thema nicht wichtig genug erscheint, mich am Ende deshalb noch schnell in einem riesigen Rundumschlag beklagt, dass sich das alles nicht wie leben anfühlt, sondern wie übers Leben drüber retten, gesagt bekommen, dass das jetzt eben mein Job sei, mich zu retten.

Oktober 2020 – Mitte

Zurück in Mitte. Die Wände kommen näher, die Kälte kriecht höher, die Männer sind unsympathisch, der Friseur schneidet die Haar falsch. Die Baustelle ist not over. Das Rollkommando aus Weihnachten und Silvester kommt auf mich zu. Auch Ts Geburtstag im November ist nicht zuträglich. Und Corona zieht wieder an. Was mach ich hier?

September 2020 – Pathologisierung

Man kann das alles pathologisieren wie man will, aber Fakt ist, T. wäre begeistert dabei gewesen, bei meinem Besuch am BER, bei meinem abseitigen Kinointeresse im Zeughaus, bei tausend anderen Dingen, die ich mache und liebe.

Es ist nicht verboten, traurig zu sein.

Es ist nicht verboten, jemanden zu vermissen.

Es ist nicht verboten, einem Leben hinterher zu trauern, das reich war.

Es ist nicht verboten, unter einem Verlust zu leiden.

Es ist nicht verboten, Angst zu haben.

Warum nur denke ich immerzu, es sei verboten und ich müsse es aus mir heraus prügeln? Heilt man denn durch Prügel? Heilen. Also doch krank? Prügeln tut man die, die nicht spuren. Die zu langsam sind, zu schlecht.