Mai 2018 – youtoo

T. gewinnt einen mit 10.000 Euro dotierten Preis. Eine Freundin, der er es in meiner Anwesenheit erzählt, sagt spontan zu mir: Jetzt hast du da einen Millionär.

Bei der Verleihung des Preises, wiederum eine andere gemeinsame Freundin. Fragt mich: Und, bist du stolz? Ich sage, ja, klar, du nicht? Sie: Wenn er dir jetzt Schuhe kauft.

Ladies – was ist los mit euch? Schuhe, Millionär? 2018, really?

Was schlüpft da raus, für einen Moment? Denn beide Frauen sind weder doof, noch unreflektiert, noch komplett hinterm feministischen Mond. Was für eine Sehnsucht wird da offenbar? Was für eine Grundannahme? Dass es doch das ist, was wir Frauen alle wollen, wovon wir träumen: von einem Mann, der reich ist und uns versorgt, und zwar mit Schuhen? Der uns auf Händen trägt, weil wir in den Schuhen nicht laufen können?

Diese unangenehme Annahme von Gleichheit auch, diese augenzwinkernde Eingemeindung in eine Schwesternschaft, dieses Pendant zum männerbündischen Kneipengespräch, das mir hier aufgedrückt wird, so von Frau zu Frau, vorbei am Mann auch, der mit am Tisch sitzt, zuhört, seine Objekthaftigkeit miterlebt.

Sexismus unter Frauen ist das. Youtoo, fasst euch mal an die eigene Nase.

Mai 2018 – Kentucky Fried Dove

Gestern vorm Kentucky Fried Chicken am Alex: Eine Taube pickt an einem herumliegenden Hühnerknochen herum.

Erstens. Fressen die jetzt auch schon Fleisch?!

Zweitens. Ist das nicht Kannibalismus?! Hühner sind doch auch Vögel!

Ekelhaft.

Mai 2018 – Transaktionsanalyse

Die Transaktionsanalyse, so lerne ich, spricht vom Eltern-, Kind- und Erwachsenen-Ich. Die Ichs teilen sich wiederum auf in Unteraspekte. Das Eltern-Ich beispielsweise teilt sich auf in einen strengen Teil und einen fürsorglichen Teil.

Überall auf dem Papier sind Kreise. Ich schreibe rein. Sätze, die gefallen sind, bzw. sich in meinem Kopf als Wahrheiten gebildet haben, Handlungen, die getätigt wurden, bzw. mir in Fleisch und Blut übergegangen sind.

Am Ende ist alles vollgeschrieben, nur ein Feld bleibt leer. Da, wo der fürsorgliche Aspekt des Eltern-Ichs gefüllt werden soll, bleibt eine hartnäckige Lücke. Es will mir partout nichts einfallen.

Das geht vielen Menschen so, sagt die Therapeutin.

Mai 2018 – Biene

Ich sitze in meinem Liegestuhl auf meinem Balkon und lese. Eine Biene kommt und fliegt zielgerichtet – im Nachhinein denke ich: war sie schon öfter hier? – in ein Loch in meinem Fensterrahmen.

Ich bin überrascht.

Das Loch hat einen Durchmesser von knapp 2 Zentimetern und ist vielleicht drei Zentimeter tief, so tief wie mein Fensterrahmen eben. Ist mir noch nie aufgefallen, das Loch, keine Ahnung wozu es gut ist. Noch weniger aber verstehe ich, was die Biene da drin will. Ich bin alarmiert. Legt sie da drin Eier? Kann eine Biene sich in einem so winzigen Loch vermehren, ein Königinnenreich aus Bienen errichten, mir den Sommer verderben mit ihrem Summen und Brummen und Stechen? Ich müsste das wissen, so viele Artikel und Bücher wie über Bienen erschienen sind, ich müsste die Biene und ihr Königinnenreich auf meinem Balkon nicht nur tolerieren, nein appreciaten müsste ich sie, so vom Aussterben bedroht und wichtigwichtig für uns alle und die Umwelt sie ist. Aber ich bin ein Arschloch und will meinen Balkon für mich alleine haben. Was also tun? Ich schaue vorsichtig ins Loch. Sie ist immer noch drin. Der Länge nach, Po zu mir, Kopf nach vorne, sie kann sich da drin nicht mal umdrehen. Sie verharrt, ich sehe, wie ihre Fühler vorne ein bisschen tasten. Gibts in diesem sinnlosen Dreckloch irgendwas was ihr schmeckt?

Ich lese weiter. Drei Minuten später, sie ist immer noch drin. Was will sie denn da? Ich ärgere mich. Ich traue ihr nicht. Tiere habe doch immer was zu tun. Sie sind die getriebensten Streber auf dem ganzen Planeten, Ich-AGs, rund um die Uhr unterwegs, im Auftrag von Leben und Sterben inc., ganz besonders die Bienen. Ich nehme ein Streichholz und zünde es an. Ich halte es vor das Loch, puste es aus, es qualmt, stinkt nach Schwefel. Ausräuchern nennt man das. Ich bin so ein Arschloch. Hastig werfe ich das Streichholz weg.

Ich halte meinen E-reader vor das Loch, drücke ihr die Luft ab. Nur ganz kurz. Sauerstoff-Entzug. Weg, das Buch. Sie kommt nicht raus. Ich zünde ein Teelicht in einem Glas an, stelle es direkt vor das Loch, vielleicht verdirbt ihr das Licht den Aufenthaltsort. Bisschen Abstand zwischen Glas und Loch ist noch, aber nicht genug für sie, um rauszukommen. Ich lasse das Licht etwas eine Minute brennen, dann nehme ich das Glas weg.

Sie fliegt raus.

Ich fühle mich schlecht.

All das Biene Maja gucken. Nichts genützt.

Vielleicht wollte sie einfach nur ihre Ruhe, wie ich. Vielleicht wollte sie einfach nur mal weg vom summenden brummenden Bienenstab, in dem die Anforderungen hoch sind, der Arbeitstag lang, das Regiment straff, das Überleben schwer, wollte ein paar Minuten ausruhen, an einem ruhigen, kühlen Zufluchtsort, um einen Moment durchzuatmen, nachzuspüren, was das ist, das Leben. Ein Ort, an dem sie einfach nur mal ein paar Minuten lang eine sinnlose Biene sein kann.

Ich bin so ein korrumpiertes Arschloch. Warum konnte ich sie nicht einfach in Ruhe lassen.

Mai 2018 – Plazenta

Ich gehe mit einem Freund im Park spazieren. Er bleibt stehen, deutet auf eine kleine Baumgruppe. Hier, sagt er, liegt die Plazenta meines Sohnes begraben. Iiiih, schreie ich, und es tut mir im selben Moment furchtbar leid, aber ich kann nicht anders.

Ich frage ihn, wie eine Plazenta aussieht (wie eine Leber aber nicht so glatt, viel knubbligere Oberfläche), ob man die im Krankenhaus einfach so ausgehändigt bekommt, ob er sie im Kühlschrank aufbewahrt hat, in Plastik gewickelt hat (ja, ja und ja). Bei Nacht und Nebel hat er sie vergraben, während daheim Frau und Kind im Wochenbett lagen, getrieben von der Angst, nicht tief genug zu buddeln, so dass ein Hund sie finden und fressen könnte.

Seitdem gehe ich nicht mehr entspannt durch Parks. Hinter jeder Baumgruppe lauert eine Plazenta.

Mai 2018 – M.

B. reicht M. das Telefon: Hier, willst du mal telefonieren, Elli ist dran.

Elli?, sagt M. was für eine Elli, ich kenn keine Elli.

 

Convenient. Komme ich nicht umhin zu denken.

Später denke ich: Für wen.