Juli 2019 – Nagelstudio

Die jungen Frauen im vietnamesischen Nagelstudio tun, als wär ich nicht da. Sie quatschen in ihrer Sprache an mir vorbei, durch mich hindurch und über mich drüber, anschauen tun sie mich nicht. Sie halten kurz beim Feilen inne, um irgendwas laut lachend quer durch den Raum zu rufen oder die Nebenkollegin was zu fragen, sie gucken sich gegenseitig über die Schulter, reden über meine Nägel. Ich bin Luft. Nur ab und an richten sie eine Frage oder einen Befehl an mich. Rund? Locker! Oder: Hier! Aber meistens machen sie nur schweigend eine Handbewegung oder führen meine Hand mit ihrer Hand irgendwohin, in das kleine Aufweichbecken oder unter den Trockner. Eine fängt an, mit der Prozedur, aber sie hat keine Lust und bleibt dauernd mit der Feile hängen, die alt ist und abgenutzt, sodass ich schon überlege, ob ich was sagen soll, sie kann nichts, und das weiß sie auch. Die zweite schiebt die erste weg aus meinem Frontalblick, und sich rein, ins Bild. Die zweite macht das schon ganz gut. Dann kommt die dritte, die kanns. Als ich bei der dritten, die vor mir auf dem Stuhl auftaucht, grinse, und sage, Jetzt bin ich verwirrt, du bist schon die dritte, lacht sie und sagt: Ja?, dann redet sie mit den beiden Vorher-Mädchen auf Vietnamesisch weiter.

Keine Ahnung, vielleicht hab ichs verdient, weil ich ins Nagelstudio gehe, oder es ist so ein Kulturding, dass ich nicht kapiere oder kenne, aber ich finds unhöflich. Dabei hab ich doch ein schickes, mittemäßiges Studio gewählt, die jungen Frauen und Männer sehen alle aus wie Hipster, die aufs Gymnasium gehen und vor allem eins wollen: Arbeiten und Geld verdienen, damit sie sich Klamotten kaufen können. Kostet ja auch das Doppelte hier wie im Billigstudio. Trotzdem ist es ein Job bei dem man den ganzen Tag Lack einatmet und was weiß ich noch für andere giftige Substanzen – meine giftigen Substanzen! Und man weiß nicht, unterstützt man damit jetzt die vietnamesische Community mit ihren selbst aufgebauten Geschäftszweigen oder die vietnamesische Mafia mit ihren selbst aufgebauten Geschäftszweigen, Kulturförderung oder Mädchenhandelförderung, Selbstermächtigung oder moderne Sklaverei?, die Linien sind fein, das weiß man ja, wo ist was, kolonialistisch, imperialistisch, globalkapitalistisch, ich guck jedenfalls alle an und mich guckt hier keiner an,

ich bin eine Hand mit Nägeln.

Am Ende freu ich mich über die herrlich sauber gemalten kleinen roten Flächen an meinen Fingern und sehe es so: Die Mädchen hier sind alle hübsch, selbstbewusst und unhöflich. Das lässt doch hoffen!

Juli 2019 – Anonyme Spende

Ständiges inneres Stress-Dilemma in se Börlin Sitty: Wem was geben, wie viel, wie oft. Kann man spontan entscheiden, klar, irgendwelche Kriterien anwenden, dem hab ich noch nie was gegeben, das ist ne Frau, dem geht’s aber schlecht heute, was ist das denn für ne neue Obdachlosenzeitung, hab schon ewig niemand mehr was gegeben, jetzt sitzt der auch im Rollstuhl, hab heute Geld von der VG Wort bekommen, der ist ja rührend – was auch immer. Aber das stört mich. Dieses der Nase nach. Ich will niemanden meiner Stimmung ausliefern, von meiner Tagesverfassung abhängig machen, meinem Sympathieempfinden unterwerfen, meinen ganzen subjektiven Ego-Assoziationen. Ich will das rationalisieren, abstrahieren. Wer bin ich zu entscheiden, wer von mir Geld bekommt? Ich will was spenden, aber ich will nicht wissen für wen. Ich will:

Die anonyme Spende.  

Meine aktuelle Lösung: Immer wenn meine Pfandflaschentasche voll ist, packe ich die Flaschen in eine saubere Papiertüte mit Henkel und stelle sie neben den BSR Mülleimer auf die Straße. And off I go. Das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Davon bin ich gerade begeistert. Von dieser Lösung. Die macht mich total zufrieden. Ein Dilemma weniger.

Vielleicht. Ist es aber auch so: Ich trickse Menschen in Zwangslagen aus, damit sie Dienstleistungen für mich verrichten, auf die ich keinen Bock habe, weil ich stinkfaul und -reich bin. Gut, dass die Anonymität für beide Seiten gilt.

Juli 2019 – GTGA

Ein Typ und sein Kumpel laufen an mir vorbei. Beide son bisschen punkig-schwarz gekleidet, Mitte fünfzig, schon rough, aber jetzt auch nicht obdachlos oder so. Der Typ, Bierflasche in der Hand, zu mir im Vorbeilaufen: Geile Titten. Ich, im Weiterlaufen: Arschloch. Er, im Weiterlaufen, checkt meine Rückseite: Und geiler Arsch! Ich rufe: Sexist, Arschloch und bleibe stehen. Er dreht sich um, hält beide Mittelfinger in die Luft, lacht dreckig. Der Kumpel neben ihm die ganze Zeit kein Wort zu gar nix.

Jaja, sowas ist nicht schön. Ekelhaft ist das. Dumm kommt man sich vor, hilflos und kläglich in seiner Reaktion, reduziert auf seine sexuellen Merkmale, an denen sich jemand einfach so delektiert ohne darum gebeten worden zu sein. Und dennoch. Fühle ich mich den ganzen Tag: Geile Titten, geiler Arsch, summt es in mir und ich laufe beschwingt weiter. This asshole made my day. Wann hab ich mich in den letzten Monaten so gut gefühlt? So viel Anerkennung bekommen? Dieser widerliche, voll gestörte, abstoßende, hässliche Vollhorst, dem ich am liebsten in die Eier treten würde, hat es geschafft, dass ich plötzlich denke, vielleicht ist ja doch noch nicht alles verloren und man kann mich wollen. Ich weiß, der Ekeltyp sagt das nicht mir, ich bin ja nicht blöd, der meint nicht mich, der meint nicht mal meine Titten und meinen Arsch, der sagt das zu jeder Frau, bzw. zu allen Titten und allen Ärschen, die vorbeilaufen, völlig egal, ob die geil oder ungeil sind, da wird angelabert was rumläuft, solange kein Mann neben den Titten und Ärschen geht, dessen Besitzverhältnisse man in Frage stellen würde, mit so einem Spruch.

Seine eigene Attraktivität steht hier natürlich nicht zur Debatte, nie. So einer geht praktisch permanent durch den Supermarkt – der ist noch dazu so alt und so prollig, dass er nicht mal wegswipet, davon hab ich hier schwer profitiert – liefern muss der gar nix, der ist ein Mann, das reicht als Währung aus, der will Frauen vögeln, bzw. Titten und Ärsche, und hat alles recht dazu, ob die Frauen ihn wiederum vögeln wollen, spielt dabei erstmal keine Rolle. Er macht das dann schon. Er verständigt sich schon mit den Titten und den Ärschen. Zur Not gegen Geld oder mit Gewalt.

Das ist das Perverse an dieser Welt. Der Cat-Call, die Belästigung, die Nötigung, der Missbrauch, sogar die Vergewaltigung tragen in sich den Kern eines Kompliments, einer Anerkennung, einer äußerst schmeichelhaften Wahl, die auf uns als Frau gefallen ist, einer Auswahl von der wir getroffen wurden, (positiver Sexismus, Hierarchie nett gemeint), die wir nicht loswerden, die an uns klebt und  in uns wirkt und weswegen wir dann auch die sexualisierte Gewalt so schlecht loswerden. Das ist die Logik innerhalb derer wir uns bewegen. Und als Frau, die sich dessen bewusst ist und die versucht, da rauszukommen, ist man dann auch noch mit seinem schlechten Gewissen beschäftigt, dass man da was gut findet, dass man da was draus zieht, wogegen man sich aber doch eigentlich wehren muss, was man nicht gut finden darf, wogegen man sich richten muss, gegen die aufgezwungene Logik, gegen die verkackte Welt. Wir haben das Gewissen, nicht die. Nicht ein bisschen Gewicht auf ihnen.

Juli 2019 – in die Stadt

Gestern auf der Rolltreppe. Rechts stehen die Leute in langer Schlange hintereinander den Berg hinab, ich laufe links die Stufen runter, frei und flüssig, produziere dabei diesen typischen Sound, den die hohen Stufen machen, wenn man von oben auf sie tritt, fällt ja beinahe, dieses leicht nachschwingende dack, dack, dack, ich liebe es – bis ich bei einem Paar ankomme. Sie versperren den Weg, sie links, er rechts, beide leicht angeprollt, sie Mitte vierzig, er Anfang fünfzig mit Sonnenbrille. Das übliche Dilemma: „Entschuldigung“ sagen, „darf ich?“ und vorbei gelassen werden – oder stoisch aushalten bis die Rolltreppe am Ende in einem natürlichen Prozess alle Wegversperrer in die Umgebung verteilt?

Die Frau motzt irgendwas, weil offensichtlich gerade ein Typ vor mir, dem ich neidisch hinterher schaue, ums Vorbeilassen gebeten hat. Ich mische mich ein. Rechts stehn, links gehen geht ja auch besser, sage ich. Da dreht die Frau sich zu mir um, holt mit beiden Händen aus und schubst mich an der Brust so kräftig nach hinten, dass ich strauchle, und mich gerade noch am Gummigeländer festhalten kann, um mich nicht komplett auf den Hintern zu setzen: Halt deine dreckige Fresse!, brüllt sie mich an. Hey!, schreie ich, spinnst du! Sie: Halts Maul, Votze! Ich: Ja, gleichfalls!

Die Rolltreppe ist am Ende. Das Paar gleitet auf die Erdgeschossfläche Bahnhof Friedrichstraße. Er, der die ganze Zeit nicht mal ne Augenbraue gehoben hat, jetzt zu ihr:

Du wolltest ja unbedingt in die Stadt.

Juli 2019 – bi-curious

Alle sind jetzt bi-curious. Ich nicht. Ich bin überhaupt nicht curious. Schon gar nicht bi. Außer bi meint zwei Hetero-Jungs, die mit mir Sex haben wollen. Das stört mich nicht. Und wenn zwei Jungs sich anfassen wollen, während ich dabei bin, da hab ich auch nichts dagegen. Was ist das dann? Gay-curious? Und wenn ich selbst mal einer der Männer sein könnte, da hätte ich auch nichts dagegen, was ist das dann, dick-curious?

Aber am Ende, wie ichs drehe und wende, alles was ich will ist meine hetero-normative Ruhe und ein imaginäres Gesamt-Sex-Szenario in dem ich die einzige Frau weit und breit bin, am besten nach der Frauen-Apocalypse.

Juli 2019 – leiser

Leise höre ich dich flüstern, auch du liegst gerade allein im Bett:

Wie geht es dir?

Du weißt doch, flüstere ich zurück, und lächle dich an:

Ich bin zäh.

Manchmal brauche ich diese Vorstellung.

Juli 2019 – Mütter, die Haare kämmen

Im Prinzessinnenbad beobachte ich, wie Mütter (eher so Migrationshintergrund) ihren Töchtern die Haare kämmen. Obsessiv und stundenlang. Ich glotze hin, so dass es schon unhöflich ist, aber ich kapiers nicht. Was da vor sich geht. Ich kann es nicht deuten. Ich guck und guck und verstehs nicht, nichts davon kenne ich, nicht die Haare der Töchter, lang und dick, nicht die Mütter, die die Haare kämmen, mit langen, bestimmten Bürstenstrichen, nicht sanft, eher grob und kräftig, das Haar spannt, das Mädchen hält dagegen, die Mutter fährt mit der Bürste über die Kopfhaut, den Nacken hoch, sie und die Tochter ein eingespieltes Team, das muss sein und dennoch machen sie das gerne, da korrespondiert was zwischen den beiden, hier wird eine Erinnerung produziert, eine Kulturtechnik zelebriert, ein Frauenleben tradiert, früher hat mir meine Mutter immer so die Haare gekämmt, und nun kämme ich dir deine. Das Mädchen guckt mit diesem Innenblick nach außen, die Mutter bürstet und findet die Tochter schön und das Haar der Tochter schön, stolz ist sie darauf, und ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Tochter schön bleibt und auch in Zukunft schön sein wird, weil es wichtig ist für Mädchen, und schön, dass sie schön sind und schöne Haare haben, lange und gepflegte, genau wie Mama, später mal, kann sie sie färben, und Frisuren und Wellen haben wie sie, aber jetzt noch nicht, jetzt hat sie noch diese natürlichen, langen Haare, die man bürsten muss, in die man Zöpfe flechten und Haargummis binden und Klammern stecken und all die anderen Drogeriemarktartikel aus der Haarschmuckecke einpflegen kann, vor denen ich genauso interessiert davor stehe wie vor Werkzeug bei Obi, lange, dichte Haare an denen man zupfen und die man streichen kann, bis alles so ist, wie es sein soll, immer wieder, von oben bis runter, die ganze Strecke bis in die Spitzen, das Kind will schon weg, aber die Mutter muss noch hier und da, und doch noch einmal besser ganz durch mit der Bürste, Kontrolle, Stolz, Fürsorge, Besitz, und etwas was ich nicht kenne, erkenne, vielleicht ist es Liebe, ich bin mir aber nicht sicher.

Juli 2019 – Mitte

Drei Anfang Zwanzigjährige, ein Mädchen, zwei Jungs, groß, blond, Tennis, Anwaltseltern oder Arzt, parken ihr Auto in zweiter Reihe, steigen aus, legen das Smartphone aufs Mäuerchen, hier hin, wo alle sind bei dem schönen Wetter, Eltern, Kinder, Weißweingläser, schieben mit der Kreditkarte ein bisschen Koks auf dem Display zusammen, und kichern rebellisch während sie sich die Lines reinziehen.

Juli 2019 – The Dead Dont Die

Hübscher Kinderfilm von Jim Jarmusch. Der mich immer öfter an Wes Anderson erinnert, aber vielleicht liegt das auch nur an Bill Murray. Schön finde ich, dass die Frauenfigur (Chloe Sevigny) Angst haben darf, und nicht der in Zeiten von Meetoo und Pro Quote naheliegende Fehler begangen wird, zu glauben, die „starke Frauenfigur“ sei gleichbedeutend mit der Figur „furchtlose Superlady, die alles im Griff hat“. Schön auch, wie die Köpfe der Zombies beim Wegballern eine Asche-Explosion nach sich ziehen, Asche zu Asche, Staub zu Staub, eine wundervoll poetische Idee.

Juli 2019 – Stockholm

Wir fahren Schiff. Der Kapitän ist sehr hübsch, vielleicht Mitte zwanzig, ich sage jetzt nicht, an wen seine Figur mich erinnert, das kriegt hier so langsam einen Bart. Seine Matrosin im gleichen Alter hat heftig unrasierte Beine und wirkt, als sei sie sehr glücklich und im Reinen mit sich und ihrem Job. Sie muss das Schiff an der Spundwand befestigen und Fika und Kanelubulle verkaufen.

Stockholm ist sehr nah. Buchstäblich – nach einer Stunde 20 landen wir schon, aber auch sonst. Nichts ist hier fremd, könnte auch ein Ausflug nach Hamburg oder Lübeck sein. Wir tauschen keine einzige Krone um, weil absolut alles mit ec-Karte geht.

Der Audio-Guide auf dem Schiff schildert selbstbewusst und mit viel Liebe, was schwedisch ist, was den Schweden so wichtig ist und wie die schwedische Geschichte so war. Gut nämlich. Das wäre hier in Germany nicht möglich, behaupte ich mal, das finde ich schon interessant. So eine (Leit-) Kulturidentität. Würden wir nicht schildern. Wir würden nicht voller warmherzigen Stolzes uns selbst gegenüber erzählen, dass wir pünktlich sind, am liebsten Sauerkraut und Kartoffeln essen, eine große Handwerks- und Ingenieurstradition haben und viele tapfere Helden, die blutige Schlachten gewonnen haben.

Juni 2019 – LiebeundBeziehung

Zuerst musst du so tun, als wär`s wahnsinnig wichtig. Du musst dich reinhängen und dranbleiben und verzeihen und weitermachen, du musst es leben und reden, aber auch nicht zu viel, du musst das breit machen in dir und in deinem Leben und es zulassen, du musst teilen und teilnehmen und fragen und zuhören, du musst die Nähe aushalten und die Distanz, die Liebe und den Hass, die Schönheit, das Glück, die Hässlichkeiten und die Verzweiflung, du darfst den anderen nicht einengen, aber auch selbst nicht zu kurz kommen und und und, wichtig wichtig wichtig, jahrelang

Dann, von einem Tag auf den anderen. Musst du so tun, als wärs nicht wichtig. Als wärs nie wichtig gewesen. Du musst es vergessen. Du musst es ignorieren, hinterfragen, kaputt machen, zersetzen, über den Haufen werfen, beerdigen. Du musst es „egalisieren“, banalisieren, es als Einbildung, Projektion, Fehler, Abhängigkeit, Schuld deklarieren. Du bist jetzt wichtig, dich musst du lieben, dir musst du genügen. (Als wär das nicht die ganze Zeit schon sinnvoller Teil davon gewesen.)

Das ist die Aufgabe. Der Anspruch. Die totale Verunwichtigung von Liebe und Beziehung.

Und natürlich

muss dir eines Tages.

Wieder jemand

wahnsinnig wichtig sein.

Aber da.

Mach ich nicht mit.

Juni 2019 – mit auf den Weg

Wie kann es sein, dass jemand im Sterben liegt, der nichts möchte als leben und jemand lebt, der nichts möchte als sterben.

Ich schäme mich deshalb. Ich fühle mich schuldig.

Du hast immer so gern gelebt. Du hast es gut gemacht. Du hattest ein Talent dafür. Dein Leben reich zu machen. Und das der anderen. Voller Bindungen und Beziehungen, voller Klugheit und Offenheit.

Ich möchte nicht sterben, das wollte ich noch nie, ich wollte schon immer gerne leben. Aber es klappt einfach nicht. Ich hab kein Talent dafür. Ich weiß nicht, wies geht. Und irgendwann. Sollte man das vielleicht einfach mal anerkennen. Und es lassen.

Gib gut auf dich acht, und mach das, wozu du Lust hast, am besten jetzt. Das sagst du mir. Gibst es mir mit auf den Weg.

Juni 2019 – Sommer

Ich liebe den Sommer.

Der Fluss ist schön. Das Wasser ist klar. Ich schwimme! Ich bewege mich. Die Räder des Fahrrads unter mir. Ich komme voran. Ich gleite. Ich trinke, und rauche, ich rede. Mit jemandem, den ich wirklich mag.

Warum also.

Nützt es nichts.

Juni 2019 – Solidarität

Gestern auf dem Heimweg. Wedding, kurz vor Ubahnhof Pankstraße, es ist 23 Uhr. Läuft ein Typ an mir vorbei, Mitte 50, klein, dick, migrationsprollig. Ich trage einen Rock, ein bisschen Bein schaut raus – Tssch, schnalzt er genüsslich mit der Zunge, macht unvermittelt eine Bewegung in meine Richtung und schnipst mit Finger an mein Bein, gerade so ohne es zu berühren. Ich erschrecke, die Bewegung kommt so plötzlich, im Weiterlaufen mache ich auch Tss, und sage laut „Arschloch.“

An der Ampel kommt eine junge Frau neben mir zu stehen, Mitte zwanzig, sie ist hübsch, bisschen New Yorki gekleidet, sie spricht mich an: Are you okay? Yes, sage ich, thank you, und lächle sie an. I hate, when this happens, sagt sie. Yes, sage ich, its always horrible, thank you for asking, thats very nice, really: Thanks for asking. Wir nicken uns zu. Es ist wundervoll.

Am I okay?, frage ich mich im Nachhinein. Das, was in mir aufwallt, ist etwas anderes als das, was ich getan habe (Weiterlaufen, Arschloch sagen). Ich hätte ihm gerne die Fresse poliert, meinen Hass, meine Verachtung und meine Frustration über meine Ohnmacht in sein Gesicht gehauen, ihm mit dem Fuß Thai-Box mäßig gegen seinen Wanst getreten, um ihm ein für alle Mal das Handwerk zu verderben. Das ist, weil er mich erschreckt hat. Weil ich zusammen gezuckt bin. Weil er nicht nur dumm und sexistisch agiert hat, sondern weil er meinen Körper affiziert hat. Weil ich mich aufrege, weil ich zittrig bin, weil er mir den Abend versaut hat. Einfach so. Weil ers kann.

Vielleicht wäre es doch besser gewesen, stehen zu bleiben und ihn mit mehr als einem „Arschloch“ zu konfrontieren, worüber er eh nur kichert. Vielleicht ist es doch mal an der Zeit Kampfsport zu machen. Oder wenigstens einen Selbstverteidigungskurs. Auch wegen und für die junge Frau, die mich angesprochen hat. Solidarnosc

Juni 2019 – Silhouette

Ich sehe deine Silhouette, deinen Gang, deinen Körper, ich kenne deine Haut, die Linien und Flecken, deine Hände, deine Augen. Ich kann alles aufrufen und abrufen und vor mir sehen, und ich werde einen Teufel tun, das zu tun, ich bin ja nicht bekloppt, und dann kommt ein Traum und tut genau das.

Juni 2019 – DNT

FCK NZS

steht auf dem T-Shirt einer Frau.

Müsste es nicht heißen:

DNT FCK NZS

Wir wollen die ja jetzt nicht auch noch mit Sex belohnen.

Juni 2019 – Staub

Ich guck mal, was passiert, wenn man sich totstellt.

Nichts, wie sich herausstellt. Man hört einfach auf zu existieren. Man gewöhnt sich an die Abwesenheit. Es wird still um einen. Man wird vergessen. Irgendwann ist man tatsächlich tot. Man muss es nur durchziehen. Aufhören zu essen. Aufhören ans Telefon zu gehen. Aufhören die anderen ständig mit seinen Ideen für Aktivitäten zu nerven. Man muss einfach leise sein. Keinen Pieps mehr von sich geben. Den Puls herunterfahren. Den Atem flach halten. Dann geht es irgendwann ganz von alleine. Das ist kein großer Akt. Damit lockt man niemanden hinterm Ofen vor.

Heimlich still und leise

in den Staub