Die Strände sind perfekt. Flaches Wasser, unfassbar klar, sandiger Boden, kaum Wellen, fantastische Kulissen. Ich übe schwimmen. Oder besser: Ich übe, ohne Angst mit dem Kopf unter Wasser zu sein. T. hilft. Arsch hoch, Arsch hoch, brüllt er. Die Leute am Strand haben viel Spaß mit uns. Es geht richtig gut. Ich bin glücklich.
Monat: September 2017
September 2017 – O.fest versus B.hain
Schon klar. Das Oktoberfest ist CSU, Heteronormativität, Dummheit (Alkohol, B-Promis), Filz (Politiker, Fußball-Bosse, A-Promis), Sexismus (Busen-Fräulein, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung), Traditionalismus und Konservatismus kurz vor der AfD. Da gehen nur Deppen hin, gerne in Horden, proben den Einmaljährlich-Exzess, spielen Ausbruch aus dem konservativen Normcore-Alltag, nur um hinterher umso angepasster dahin zurückkehren zu können. So und ähnlich weiß es der Berliner, der noch nie da war.
Hier jetzt aber mal die ketzerische Frage: Ist das Berghain so viel anders? Dresscode, Drogen, Sex? Temporärer Exzess zur Stabilisierung des Systems? Gehn wirs doch mal durch.
Dirndl versus Schwarz in Schwarz. Show your boobs und Wadeln versus show your ass and naked chest. Alkohol in Kruglitergröße versus peaciges MDMA in diskreter Mikroform. Hetero-Norm versus Homo-Vielfalt. Ich recherchiere. Gays auf dem Oktoberfest, das geht doch bestimmt gar nicht, oder? Eine kurze Recherche ergibt: voll gay friendly, das Oktoberfest, die haben sogar ein rosa Zelt, out in the open. Verstecken sich nicht im Darkroom – ha!
Sex. Sex. Sex. Überall auf allen Seiten. Glaub ich persönlich eh schon lange nicht mehr dran, an die behaupteten Exzesse. Auf dem Oktoberfest? Ganz ehrlich, wo und wie soll das gehen? Hinterm Zelt ist vorm Zelt, alle sind besoffen und schnallen eh nicht mehr was wohin gesteckt werden muss. Im Bhain alle eher erfüllt von Zärtlichkeit, Bärchenmänner im Lokomotiv-Modus, najagut, aber der Darkroom, der Darkroom, da gehts ja richtig hart und koksig zur Sache, das ist klar! Und die Toilette erst, der Wahnsinn, na klar was da abgeht! War schon mal jemand auf Toilette im B.hain? Wer da Sex macht ist echt selber schuld.
So und hier noch zwei handfeste Pros für die Bayern-Variante: Das Oktoberfest hat keinen Türsteher und kostet keinen Eintritt. Gut, bei den Preisen trennt sich dann die Spreu vom Weizen, aber immerhin, wer rein will, geht rein. Und 11 Euro für eine Maß oder 5 Euro für ein Butterbrot geht zur Feier des Hartz-IV-Tages auch mal. Im Berghain ein Butterbrot wär auch mal nicht schlecht.
Musik. Schunkel-Schlager-Disco versus Techno-House. Sparen wir uns jetzt die Rede von der Stampfmusik und gehen wir am Sonntag…
ins Berghain!
smiley.
September 2017 – Frau und Manni
Ich lese was über Geldanlage für Frauen. Die interessieren sich nämlich nicht dafür, und überlassen das (ihren) Männern. Das geht dann bei Scheidung und Alter nach hinten los und ist ein Jammer, weil Frauen inzwischen aj auch Geld haben. Frauen, die sich in diesem Geldanlage-Bereich auskennen, wollen das ändern. Sie sagen, Frauen haben andere Bedürfnisse beim Geldanlegen als Männer. Nach Sicherheit zum Beispiel, unkomplizierter Bedienbarkeit, und individueller Beratung. Und wenn sie schon investieren, dann wollen Frauen in was Gutes investieren, und nicht in Korruption, Atomkraft oder Textilausbeutung.
Kann ich erstmal alles Hundertprozent nachvollziehen. Wenn ich sowas mache, dann will ich nicht am Ende weniger Geld als vorher haben, ich will mich nur einmal und nicht andauernd damit beschäftigen müssen, und außerdem coole Energie, gute Digitalisierung und irgendwelchen Sozialkram unterstützen.
(Als ich T. von der ganzen Sache erzähle, schreit er gleich los: Aber genau das will ich auch!)
Auf einer dieser Beratungsseiten von Frauen für Frauen finde ich eine Typisierung nach Lebensphasen:
Die wilden Zwanziger – 20plus, In anderen Umständen – 30plus, Midlife ohne Krise – 40plus, Späte Familie – 50plus, Mit 66 Jahren… – 60plus.
(Sind Männerleben in andere Phasen einteilbar oder sind das mehr oder weniger die gleichen? Wie wären da die Texte? Die Farben? Auf den Bildern kämen wahrscheinlich auch Telefone vor, aber mehr Surfboards, Freundinnen, Kumpels, Autos, Häuser, in denen Frau und Kinder wohnen. Ich krieg gleich Lust, die Seite zu gestalten und im Klischee zu baden.)
Ich hab hier Spaß, auf dieser Seite, man beschäftigt sich mit mir, bzw. dem, was man annimmt, was ich sei, auf die Tamponfarben bin ich sowieso konditioniert und die Texte klingen original wie Horoskope. In meinem steht: „Jetzt ist die ideale Zeit, ihr Leben zu optimieren – auch finanziell. Nutzen Sie dafür selbst unerfreuliche Ereignisse. Veränderungen sind manchmal schmerzhaft. Bleiben Sie trotzdem am Ball! Beharrlichkeit und gute Taktik zahlen sich aus. Im wahrsten Sinne des Wortes.“
Dann wird mir gesagt, was ich jetzt tun muss (noch ist Zeit): „Sie sollten zunächst Ihre existentiellen Risiken absichern, und sich dann mit dem Thema Altersvorsorge und Geldanlage auseinandersetzen.“
Nach kurzem Aufenthalt auf dieser und ein paar anderen Beratungsseiten habe ich folgenden Eindruck:
-Wer über Geldanlage redet, redet über viel Geld. Unter 20.000 macht wenig Sinn. Die sollten dann am besten auch noch auf 10 Jahre vergessen werden können.
-Bei wenig Geld fällt allen nur Riester ein, und das ist der letzte Nepp. Wird aber nach wie vor gerne verkauft, lohnt sich anscheinend für die Anbieter, danke Deutschland, gut gefördert.
-Wer sich seine netten, nachhaltigsozialen Firmen selbst zusammenstellen und nicht in einen vorgefertigten Fonds investieren will – in dem immer mindestens ein Klima- oder Sozialsünder drinhängt – hat erstens einen hohen Beratungs- und Organisationsaufwand und zweitens ein hohes Risiko. Geht also de facto nicht.
Ach, was für ein herrliches Planspiel für jemanden, der nicht weiß, wie er bis zum Ende des Jahres durchkommen soll.
„Hüten Sie sich vor zu viel Romantik! Paare und Familien, die ein Leben lang füreinander einstehen, sind ein hehres Ideal, aber keineswegs die Regel. Pflegen Sie sich einen gesunden Egoismus und behalten sie die Hoheit über Ihre Finanzen – egal, für welches Familienmodell Sie sich entscheiden.“
September 2017 – hübsch
Wer hübsch ist oder gar schön, der hat lange was davon. Wer noch nie hübsch war oder noch nie schön, der auch.
September 2017 – Doormat
Artikel im Tagesspiegel: Junge männliche Flüchtlinge aus Afghanistan gehen im Tiergarten auf den Strich. Eine ganz neue Szene hat sich da entwickelt.
Man lädt nicht Leute zu sich nach Hause ein, und lässt sie dann jahrelang auf der Türmatte stehen, Aufschrift: Refugees Welcome. Am Ende prostituieren sie sich im Stadtpark und ganz am Ende fahren sie mit dem Lieferwagen in eine Menschenmenge.
September 2017 – PW
Meine Passwörter sind so cool, dass es mir schwer fällt, sie für mich zu behalten.
September 2017 – Tiere und Gewalt
Ich träume sehr viel von Tieren. Und von Gewalt. Das war früher nicht so. In letzter Zeit wird oft geschossen, es geht blutig zu. Kürzlich verfolgt mich ein aggressiver Fuchs, der eigentlich einen bedrohlichen Schäferhund verfolgt, der mir am Ende von hinten auf den Rücken springt. Sich an mir festhält, ganz fest, die Pfoten über meiner Schulter, sein heiserer Atem in meinem Ohr. Er versucht gar nicht, mich anzugreifen, er sucht Schutz bei mir! Vor dem Fuchs. Klar, was Sexuelles ist das auch.
September 2017 – loslassen dranbleiben loslassen dranbleiben
Ich gebe auf. Ich lasse los. Ihr habt gewonnen.
Ich falle.
Was unten kommt, weiß kein Mensch.
Ich bleibe dran.
September 2017 – Bußgeld
Meldung heute, eine Frau und zwei Männer laufen unabhängig voneinander im Vorraum eines Bankautomaten an einem gestürzten, bewusstlosen Rentner vorbei, ohne ihm zu helfen. Die Begründung: Sie dachten, der Mann sei ein schlafender Obdachloser. Der Richter verurteilt sie wegen unterlassener Hilfeleistung. Der mich beunruhigende Gedanke: Das hätte ich sein können. Und ich meine nicht den Rentner.
Die Frau gibt an, vor den Geldautomaten lägen öfter Obdachlose, sie gehe da einfach immer rein, und mache ihre Erledigungen, ohne links und rechts zu schauen. Einer der Männer sagt, er habe in solchen Situationen schon gefragt, ob Hilfe benötigt werde, und sei dann angepöbelt worden. Kenn ich. Bin ich.
Kürzlich kommt nachts auf dem Nachhauseweg eine junge Frau mit riesigem Rucksack die U-Bahn-Treppe hinunter, läuft heulend an mir vorbei, fragt, ob ich einen Euro habe oder zwei, ich, wie immer im Eilschritt unterwegs, bin schon 5 Schritte weiter bis sie ihren Satz beendet hat, scanne im Vorbeilaufen die Situation wie ein Terminator:
– Frau, Ende zwanzig, Fertigfaktor 2 auf einer Skala von 1 bis 10 (also noch recht frisch), Verrücktheitsfaktor 1 (also zu vernachlässigen), Obdachlosigkeitsfaktor 3 (also keine eingefleischte Obdachlose, eher ein Frischling, möglicherweise sogar Backpacker mäßig unterwegs gewesen und akut an irgendeinem Typen gescheitert, irgendeiner Situation zum Opfer gefallen) –
antworte wie immer prompt, routiniert, und wegen nachts und müde zusätzlich noch auf Schutzwall programmiert: Nee sorry – und bin weg.
Warum, denke ich, nochmal 5 Schritte weiter, bist du nicht stehen geblieben, hast einen kleinen Moment inne gehalten? Warum hast du nicht die Routine durchbrochen und sie gefragt: Was ist denn los? Warum heulst du? Hätte ich mir einen Zacken aus der Krone gebrochen, einmal den Schritt zu verlangsamen, nicht schnell, und auf Street Credibility gepolt, sondern aufmerksam zu reagieren, mich von dem kleinen Impuls leiten zu lassen, den es noch gibt, da drinnen, der sagt, Stopp, Mitleid, Verantwortung, vorurteilsfreie statt algorhitmische Beurteilung des Ganzen, dem Impuls also, den ich unterdrücke, um keinen Stress zu haben, nicht in Schwierigkeiten zu geraten, mir den immer gleichen Sermon anzuhören, der am Ende höchstwahrscheinlich wie immer auf eins rausläuft, auf was auch sonst, nämlich: Gib ma Kohle. Und die Schwelle war niedrig, in diesem Fall: Frau, jung, womöglich einfach blöd Pech gehabt. Aber ich war zu schnell, zu abgebrüht.
Was macht diese Stadt mit mir? Is she fucking me up? Oder trifft die Stadt keine Schuld und ich bin einfach nur ein Arschloch? Ist die unterlassene Hilfeleistung woanders zu suchen, liegt sie in der Alltäglichkeit der (augenscheinlich) vorgefundenen Situation.
Jedenfalls, merke: Wenn du schon umkippst, mach das nicht in Bankfilialvorräumen.
Und: Ich nehme mir vor, in den nächsten Wochen und Monaten stehen zu bleiben und Euros raus zu hauen wie geht, bis ich das richterlich verhängte Bußgeld in Höhe von 2500 Euro abgegolten habe.
September 2017 – zurück
Eigentlich bin ich nur noch im Urlaub glücklich. Dann bin ich weg, es ist warm, und ich hab was zu tun. Hier bin ich hier, es ist kalt, und ich weiß nichts mit mir anzufangen.
September 2017 – Marketing
Eine Bekannte (groß, blond, schön) erzählt, dass sie mal den Job angeboten bekommen hat, gegen Geld an einem Speed Dating teilzunehmen. Offenbar hübschen solche Veranstalter ihre Speed Datings mit attraktiven Menschen auf. Ein paar Hotties druntermischeln, schon werden die Bewertungen besser: Bei denen kannste echt geile Frauen kennen lernen, da sitzt gutes Zeug rum, nicht nur der Ausschuss.
Man denkt immer, man hats kapiert, dann kommt die nächste Bombe, so „Mann, wie naiv bist du?“