August 2019 – allein

Dabei war ich mal so gern allein. Allein hat mich immer so stolz gemacht. Guck mal da, eine Frau, die das ganz allein macht, wie unabhängig, wie selbstbewusst, wie modern: Ins Restaurant gehen, in die Bar, auf Reisen. Jetzt hat Alleinsein was Erbärmliches, es erzählt vom Scheitern, vom Altern, vom Unvermögen sozial zu sein, von der Unmöglichkeit, jemanden zu finden, der es mit einem aushält. Allein ist ein Makel, über den niemand schafft hinwegzusehen. Auch ich nicht bei anderen.

Es war die innere Verbindung, die es möglich gemacht, das Alleinsein als Unabhängigkeit zu erleben. Als Stärke. Eine stolze Krone war das.

August 2019 – M.

Du freust dich, mich zu sehen. Du sagst, ich sei deine Schwester. Du schaust in mein Gesicht, studierst es, du magst die rote Farbe auf meinen Lippen, wie du es schon immer gemocht hast, wenn man sich schminkt, das ist doch ja, sagst du, das kannst du doch, und deutest auf deine Lippen und lachst fröhlich. Du stehst neben mir, als ich sitze und Tee trinke, du sitzt nicht mehr gern, und betrachtest mich. Du streichst mir die Haare hinters Ohr, mit deinen steif gewordenen, wegen einer Krankheit schon immer rauen Fingern, und plapperst dabei. Dann ist die andere Seite dran. Das ist eine Zärtlichkeit, die ich kaum erinnere, und aus einer anderen Zeit. Du bist zufrieden mit mir, mit meinem Anblick, das warst du nicht immer. Es ist keine Wut in mir, keine Enttäuschung, du bist so herrlich harmlos, ich finde dich rührend, witzig, sogar süß, ich bemitleide dich nicht, es gibt keinen Grund dafür, du bist bei dir, du kämpfst nicht, leidest nicht, du bist in deiner Stimmung, auch wenn sie schlecht ist und du schimpfen musst und deinen Mann beleidigen. Die Hose muss hoch, die Hose muss runter, auch mal in der Küche. Du läufst auf und ab, zählst die Schritte, die Kacheln am Boden, man weiß es nicht, du bist weniger im Kontakt als die letzten Male, mehr für dich. Du sagst Papa zu deinem Mann, deinen Vater hast du Vati genannt. Am Ende meines Besuchs sagst du plötzlich einmal den Kosenamen aus meiner Kindheit. Ich hab dich nie gehabt, und dennoch verliere ich dich.

August 2019 – Autobahn

In der U8 sitzt ein Typ neben mir, Anfang vierzig, Typ Familienvater mit, ich tippe: arabischem Migrationshintergrund. Während der ganzen langen Fahrt vom Wedding bis zur Hermannstraße schaut er ein Autobahnvideo auf Youtube. Das Video ist aus der Fahrerkabine eines PKW gefilmt, sieht sehr professionell aus und zeigt die Fahrt auf einer deutschen Autobahn, ich kann leider nicht erkennen, welche. Den Blick immer auf die Straße gerichtet, sieht man Schilder und Leitplanken und Autos, die sich vor einem einfädeln, vor einem abbiegen, und von einem überholt werden, sehr meditativ, ganz konzentriert, kein Schwenk in die Landschaft, nur die Straße vor uns… Ich staune mal wieder, was ich alles nicht weiß, da hab ich echt ein komplettes Genre verpasst. Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands, an die kann ich mich noch erinnern, das war beste Fernsehunterhaltung, aber die schönsten Autobahnen Deutschlands auf dem Smartphone, das kannte ich noch nicht.

Find ich super, dieses Kompensationszeug, wenn jetzt ab sofort alle in der Ubahn Autobahn fahren, dann ist der Planet gerettet.

August 2019 – Macht Eigentherapie Voyeurismus

Eine befreundete Psychologin erzählt, dass eine Kollegin von ihr beim Vorstellungsgespräch gefragt wurde, weshalb sie Psychotherapeutin geworden sei. Drei Kategorien wurden ihr vorgegeben: Macht, Eigentherapie, Voyeurismus. Ich bin verblüfft. Ich dachte, man wird Psychotherapeutin, weil man Menschen helfen will. Und: Kann man hier überhaupt so antworten, dass man den Job bekommt?

Die befreundete Psychologin erläutert, dass sie die drei Vorgaben für äußerst interessant und brauchbar hält, weil sie die übliche Antwort auf diese Frage verhindern, die da lautet: Weil ich Menschen helfen will. Sie spricht den Satz mit nachäffender Stimme. Ich schäme mich ein bisschen. Bei ihr, sagt sie weiter, treffen bspw. 1 und 3 zu; dass ihr Chef, als das Gespräch darauf kam, mit 2 geantwortet hat, das hätte sie nicht gedacht.

Ich frage, ob dieses „Menschen helfen wollen“ denn für sie so gar keine Motivation war, bzw. ob sie das in ihrer Arbeit so gar nicht erlebt. Doch, sagt sie, aber sie findet die Antwort Ich will Menschen helfen einfach nichtssagend und langweilig –  noch einmal äfft sie den Satz in so einem Kinderton nach, und ich frage mich, ob sie ihn auch deshalb so ablehnt, weil sie findet, dass es so eine typisch weibliche Antwort ist, eine Brave-Mädchen-Antwort. Und da sie findet, dass Frauen selbstbewusst auftreten sollten, und dazu auch gehört, zu Motivationen und Handlungsweisen zu stehen, die allgemein als dunkel und egoistisch gelten, und eben nichts mit klassisch weiblichen Eigenschaften wie Opferbereitschaft, Fürsorge und Selbstaufgabe zu tun haben, sollten Frauen das auch sagen. Und überhaupt als Therapeutin den Anspruch haben, sich selbst in ihrer Arbeit zu reflektieren, und nicht zu glauben, sie seien nur gute, selbstlose Helfer. Ich finde das alles richtig und hochinteressant.

J. kommt auf seine Arbeit als Pfleger zu sprechen, in der er es als zufriedenstellenden Aspekt empfindet, Menschen zu helfen. Jemanden gut versorgt zu haben, ist befriedigend. Es geht nicht um das Interesse an Medizin, oder um etwas Soziales im Sinne einer Kommunikation oder einer Hilfe zur Selbsthilfe, sondern um etwas Körperliches. 

Der befreundeten Therapeutin fällt noch ein, dass sie immer gerne Krimis gelesen hat. Etwas herauszufinden, einer Sache auf die Spur zu kommen, ist für sie ein weiterer Grund gewesen, Psychologie zu studieren.  

Ich frage, ob man nicht immer, egal welchen dieser Aspekte man mit in die Arbeit bringt, immer den Patienten braucht, um das jeweilige Bedürfnis oder Interesse zu befriedigen. Der Therapeut kann nichts, gar nichts ausrichten, wenn der Patient es nicht will,  er kann weder seinen Machtanspruch erfüllen, noch sein voyeuristisches Interesse oder seine Eigentherapie-Bedürfnisse befriedigen, wenn der Patient sich weigert, ihm etwas davon zu geben. Nicht umsonst gibt es ja den Begriff des Widerstands. Und ist Therapie nicht oft auch ein langer Tanz, ein Kampf genau darum? Du willst was, was willst du, mir helfen, von wegen, so weit kommt`s noch, deinen Narzissmus kannst du woanders befriedigen, für dich bin ich nicht zuständig, du denkst nur an dich, du willst profitieren, aber nicht auf meine Kosten, du mit deinem sezierenden Blick auf mein Verhalten, du mit deinem Herrschaftswissen da drüben auf der anderen Seite, hinter dem Kleenex. Ist natürlich typisch, dass mir das dazu einfällt.  

Ein anderer Psychotherapeut, den ich kenne, fügt, nachdem ich ihm von den drei Kategorien erzählt habe, noch eine weitere hinzu: Geld. Erfrischend.

August 2019 – erwachsen

Wenn erwachsen sein bedeutet, dass man weiß, dass man nichts als einsam ist, dass einen niemand retten wird und nichts, und dass man es für möglich hält, dass die Dinge und Menschen sich jederzeit ins Schreckliche wenden können, dann bin ich erwachsen.

August 2019 – Mexikaner

Ich gehe mit einer Freundin in einen Club, tagsüber, das Wetter ist schön, die Musik nett. Das Publikum ist wie so oft in Berlin so nischenartig wie in der Nische gleichförmig und liegt hier so bei antifa-/queer-links plus Feier-people, tendenziell jung, definiere jung: Mitte zwanzig bis Anfang dreißig.

An der Bar bestelle ich einen Gin Tonic und zwei Mexikaner. „Was war das“, wiederholt der Typ, Federohrringe, lackierte Fingernägel, ohne mich anzuschauen, „ein Gin Tonic und zwei Mexikanerinnen?“ „Ja, genau“, sage ich, leise beschämt.  

Als ich meine Drinks davontrage, ärgere ich mich. Klar, ich krieg hier zu meinen Drinks ne lecture in punkto gender gratis obendrauf, denn das ist es, was den Typ höchstwahrscheinlich gerade persönlich und akademisch umtreibt, aber was ist mit der Rassismus-lecture? Die hat er vergessen. An die hat er gar nicht gedacht. Wäre er ein Mexikaner, hätte er wahrscheinlich gesagt: Was du willst, ist ja wohl ein Gin Tonic und zwei Tomate-Wodka-Tabasco-Shots, oder? Und könnte es nicht sein, dass Mexikanerinnen sagen kein Fünkchen besser, sondern doppelt doof ist, nämlich rassistisch und sexistisch, oder warum soll man einen scharfen Tomaten-Shot Mexikanerin nennen? Da hilft nur eins: Mexikaner und Mexikanerinnen runter von der Getränkekarte! Aber ist das dann nicht sowas wie cultural discrimination? Grenzt man damit nicht eine ganze Kultur aus, macht sie unsichtbar, drängt sie in die Nicht-Repräsentation?  

Das nächste Mal bestelle ich zwei ToWoTa, und wenn der Barkeeper sagt, ham wa nich, erklär ich ihm, was er alles nicht weiß.

August 2019 – Risa

Kürzlich am Bahnhof Zoo. Ich hab Lust auf Süßkartoffel-Pommes von Risa. Ich geh da rein, ist super viel los, die hinterm Tresen schreien die Bestellungen raus. Ich stell mich in die Schlange. Mein Blick fällt rechts auf eine Werbetafel, so eine mit Bewegtbild – läuft da ein Ausschnitt aus Four Blocks: Toni futtert bei Risa. Product placement im Zentrum des Bildes.

Krass. Ich bin geschockt. Ehrlich, ich find’s nicht witzig. Klar ist Four Blocks irgendwie sinnvoll, weil es eine Welt abbildet, die unsere Welt ist und von der nie jemand aufrichtig und ehrlich was wissen wollte und wissen will, aber wir haben da diese ganzen Kids und ihre Probleme, und auch wenn die sich endlich mal repräsentiert fühlen können, mit den ganzen Schwierigkeiten, die sie haben, irgendwie anders auf die Beine zu kommen als mit Drogen und anderem Abfuck, können wir denen doch jetzt nicht ernsthaft diese Lapidarisierung reinjubeln und den geilen Verbrecher-Typen erzählen, der in ihrem Rias sitzt. Das wäre ja noch vertretbar, wenn er da mal eben so sitzen würde, im Vorbeigehen, weil das ja eben die Welt ist, genau wie irgendein Späti, den alle kennen, aber jetzt hier so richtig Merchandise-Maschine mäßig ein mit Toni identifiziertes Produkt präsentieren, damit sich die Produktionsfirma voll einen dran abverdienen kann, und Risa auch, das finde ich obszön. Die Amis haben sich Los Pollos Hermanos wenigstens selbst ausgedacht.

Ich finde, das geht gar nicht und verlasse den Laden.

August 2019 – Sekundenschmerz

Gestern im Cafe. Ich sehe vom Rechner hoch, fährt da ein Typ auf dem Rad am Fenster vorbei, ich sehe ihn von hinten, und für eine Sekunde denke ich: Da ist T.

Der Schmerz (die Liebe?, die Angst?, wer könnte sie unterscheiden, ich nicht), fährt mir in die Eingeweide, und ich gehe in die Knie. Ich denke an deinen Körper und kann es nicht fassen: Noch immer bin ich verliebt in dich.

Wann soll das jemals aufhören. Warum und wodurch. Und womit hat ein anderer Typ das verdient.  

August 2019 – Was hat dich bloß so traumatisiert

Ich schlafe und erwache mit Angst.

Angst vor dem Tag, der Arbeit, der Zukunft.  Alles ist leer und eng zugleich.

Vor dem letzten Aufwachen: Traum mit T. Ich bitte ihn, mit mir zu sprechen, mir zu erklären, was in ihm vorgeht, mir zu sagen, was er denkt. Er sitzt entfernt von mir, rutscht noch weiter bis ans Ende des Sofas, wendet sich ab, ist ungehalten, Da gibt es ganz klar 3, 4 Punkte, sagt er, ich bitte ihn, mir zu sagen, welche, ich verstehe ihn nicht, er nuschelt, dann sagt er: Also gut, wenn dus wissen willst: Ich fand noch nie eine Frau so abstoßend.

Warum träume ich das? Warum muss ich damit durch den Tag gehen? Warum heile ich nicht?

Warum hat mich das so traumatisiert?

August 2019 – Spam

Man sollte immer alle seine Spam-Nachrichten lesen. Hier findet man nämlich oft Momente aphoristischer Weisheit, sieht sich mit interessanten philosophischen Fragestellungen konfrontiert (Brauchen Sie Geld?), und kommt in Kontakt mit Menschen, die einen mit seinen Grundbedürfnissen und inneren psychologischen Aufstellungen erkannt zu haben scheinen und in höflicher Form darauf ansprechen. Hier zum Beispiel eine Nachricht von Niels Günther aus Hohenroda in Deutschland: Elli April Sie möchten auch endlich viel mehr Härte?

August 2019 – Loslassen

Ob ich das will, fragt mein Therapeut. Was? frage ich. Loslassen.

Natürlich nicht. Loslassen ist wie sterben. Und wenn es wie fliegen sein sollte, dann kommt doch immer noch unten der Aufprall. Also der Tod. Oder zumindest die schwere Verletzung. Warum also sollte ich loslassen und vor allem was? Das, was gut ist? Meine Liebe, meine Loyalität, meine Treue, meine Integrität, meine Überzeugung, meine Freundschaft, meinen Respekt, mein besseres Leben?

Juli 2019 – Die Stadt

Die Stadt ist ein Mantel.

Groß und schwer, hüllt er mich ein,

wärmt mich, erdrückt mich,

zieht mich runter, mit seinem Gewicht.

Der Mantel ist alt, zerschlissen und kratzig,

voller Flecken und Löcher und kleiner Tiere, die in ihm wohnen, genau wie ich. Er riecht und er stinkt, er lässt Luft. Unter ihm bin ich nackt.

Ich bin nicht denkbar ohne den Mantel. Ich kann mich nicht verlieren ihn ihm.

Die Stadt ist ein Mantel,

der Mantel mein Haus, mein Gehäuse.

Die Stadt ist mein Mantel.

Die Stadt ist mein Mantel.

Juli 2019 – Neues vom Feminismus

1 Die Vulva

Die Vulva ist gerade in aller Munde. Die Vulva ist das nächste große Ding. Die Vulva ist voll im Kommen. Nein, im Ernst jetzt. Aufgrund des repräsentationspolitischen Versuchs, die Vulva aus ihrer strukturell bedingten Unsichtbarkeit zu holen und ihre Gleichstellung mit der Pimmelzeichnung zu erreichen, findet man sie inzwischen praktisch auf jeder zweiten Toilette. Ich persönlich begrüße das sehr. Sogar meine Frauenärztin greift nämlich, wenn ich eine vulvabezogene Frage stelle, freundlich nickend zum Spekulum und taucht damit in meine Vagina ab. Die Vagina, die Vagina. Die hatten wir doch jetzt. Sogar Monologe musste sie halten. Jetzt sind wir gespannt, was die Vulva uns zu sagen hat. Wie so eine Vulva aussieht, weiß nämlich im Grunde kein Mensch. Anders als der Penis, der ja quasi auf die 12 und in ya face am Männerkörper angebracht ist, braucht man für eine ordentliche Vulva-Selbstbetrachtung schon zwei Hände plus einen Spiegel (!). Was man dann sieht, kommt einem suspekt vor. Ob das so gehört? Keine weiß es. Die medizinischen Abbildungen haben mit dem, was man da vorfindet, nur abstrakt etwas zu tun, der Pornografie ist nicht zu trauen, und anders als der Penisvergleich zur männlichen, gehört der Vulvavergleich nicht zur weiblichen Sozialisationskultur. Da hilft nur eins: Der Rückgriff auf die DIY-Kultur. Vulva-Strickmützen, Vulva-Kissen, Salzteig-Vulva, Vulva-Malbücher, Vulva-Gipsabdrücke, endlich kommt Licht in die Sache. Im Internet scrolle ich mich durch Vulva-Abdrücke und staune einmal mehr über die unendliche Vielfalt der Natur.

Doch wie das so ist in Kapitalismus und Patriarchat, kaum hat man Sichtbarkeit und Repräsentation erkämpft, steigt auch schon der Druck. Beauty- und Optimierungsstress sind round the corner, der übliche Gentrifzierungskreislauf der Körperpolitik. Das System tritt an, die vielen unschuldig-diversen Blüten dem Markt zu unterwerfen, und uns ganz genau wissen zu lassen, wie sie denn nun gehört, Germanys Next Top Vulva: Straff, faltenfrei – und mit einem Schuss personality. Und die Männer, die sich, so mein Eindruck, bisher nicht besonders für die Vulva interessiert haben, ihr eher beiläufige Blicke zugeworfen haben, und wie meine Frauenärztin lieber rasch nach ihrem Instrument gegriffen haben, um damit freundlich nickend Richtung Vagina abzutauchen, (orale Umwege über die Klitoris, immerhin part of the vulva, nehmen sie ja, was für eine historische Errungenschaft, was für ein Kampf, mal kurz erinnern, bitte, und danke sagen nicht vergessen) die, ja die sind jetzt natürlich aufgewacht und auf die Idee gebracht, auch die Vulva in ihre definitionsmächtigen Attraktivitätskategorien einordnen zu können und ganz genau zu wissen, welche Vulven sie so an- oder abtörnend finden. Und schon finden wir uns mit unserer Problemvulva im Fitnessstudio, beim Friseur oder beim Schönheitschirurgen wieder (Schamlippen-OP im Trend). 

Aber wie zeichnet man jetzt eigentlich eine Toiletten-Vulva? So ein Pimmel ist ja schnell aufs Wesentliche reduziert, mit einem einzigen durchgehenden Strich kriegt man ihn hin, inklusive ein paar Eiern. Noch einen kecker Schwung für die Eichel, ein Strichlein für die Harnöffnung, schon hat man ihn. In all seiner Charakteristik. Schon rein zeitlich kann man sich dann noch ein paar spratzige Hoden-Haare als Verzierung leisten, die verleihen der Sache immer so einen gewissen Witz, wahrscheinlich weil sie im Kontrast zum schnell gekritzelten Rest so schön auf die äußerliche Unterkomplexität des männlichen Geschlechtsorgans verweisen. Die Vulva der Frau hingegen ist natürlich wahnsinnig komplex, ja, na klar! Äußere Schamlippen, innere Schamlippen, Klitoris, Harnröhrenöffnung, vaginale Öffnung – da ist ne Menge los und mit ein zwei Kritzelstrichen wird’s knapp. Was tun? Versucht man, ihr gerecht zu werden, wird’s albern, wir sind hier auf Toilette und nich beis Rembrandts. Versucht man sie so knapp wie möglich zu halten, längliches Oval mit einem Punkt für die Klitoris, sieht sie aus wie ein nach oben schwimmender, evangelischer Fisch. Ich hab bisher wenig Überzeugendes gesehen. Aber da hilft nur eins: Üben, üben, üben. Ich kenne Jungs, die haben das jahrelang gemacht, Peniszeichnungen, schulhefteweise. Am Ende sahen die aber auch echt top aus.

2 Die Menstruation

Hier eine Zusammenfassung der aktuellen Debatte. (Man beachte auch die Vulvazeichnung oben-mittig, hier in einer Variante mit smiley.)

3 Die Burschenschaft

Linksrechts, linksrechts im Umkehrschluss. Das Beste zum Thema kommt gerade aus Österreich. Hier haben Frauen die Burschenschaft Hysteria gebildet. Ihr Schlachtruf: Patriarchat wegfotzen!

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Juli 2019 – weise

Ein Junge, so ca. 5,  stellt sich an der Ubahn-Haltestelle vor mich hin und starrt mich an. In gebührendem Abstand zwar, aber er starrt. Erst lass ich ihn und guck weg, damit er in Ruhe starren kann. Ich verstehe Starrbedürfnisse. Aber er hört nicht auf. Es fängt an, mich zu nerven. Also schau ich zurück. Er starrt weiter. Was guckst du mich so an, sage ich schließlich. Kurz dreht er beschämt den Kopf weg – nur um mich gleich wieder anzustarren. Schließlich tut er einen sehr tiefen Seufzer. Und dreht sich weg.

Der weise, kleine Mann.