Juli 2018 – Jawoll, Mama

Möglicherweise kriegen die Leute ja auch Kinder, weil sie dann endlich mal der Chef von jemand sein können. Beziehungsweise der Oberbefehlshaber.

Heute im Buchladen, Mutter zu Sohn: Schnürsenkel! Nicht anfassen! Du kannst da hingehen, aber wenn ich dich rufe, kommst du zurück. Hast du mich gehört? Schau mich an. Ich hab gesagt: Lass es!

Ach, was für ein herrliches Gefühl. Besonders für Frauen.

Juli 2018 – annehmen

Gestern bei Galeria Kaufhof oben im Cafe. (dreckig, teuer, hässlichste Einrichtung der Welt. Trotzdem, aus irgendeinem mysteriösen Feng-Shui-Grund kann ich hier gerade gut schreiben.)

Eine Frau, ca. 70, lebhaft, hübsch frisiert, kommt zu mir, und fragt: Wollen Sie mein Bändchen haben?  – Whaat? – Is ja wie aufm Festival hier!

Sie hat ein Bändchen aus Papier am Handgelenk, das bekommt man hier, wenn man sich ein FrühstücksBufett für 10 Euro kauft und da darf man mit dem Bändchen nochmal Nachschub holen, erklärt sie mir. Ich freu mich total und sage ja klar, gerne, und: das ist aber nett, und sie zieht das Bändchen ab, und wir probieren, obs mir passt und es passt, na klar, hab ich mir gedacht, sagt sie, sie ham ja auch so schlanke Arme, auch deswegen hat sie mich gespottet, ein bisschen, denke ich. Sie freut sich riesig, dass sie „der netten, jungen Frau, die hier so fleißig arbeitet“, eine Freude machen kann (nett, jung, fleißig, wenn die wüsste…). Aber das tut sie wirklich. Ich lasse es einfach laufen, lasse es zu, lasse diese mütterliche Freundlichkeit auf mich einregnen. Auch weil sie sich so freut. I made her day, das kann sie heute jemandem erzählen: Und dann hab ich gedacht, ich brauch das ja nicht mehr, ist ja eigentlich schade drum, das wär doch auch Verschwendung, und die junge Frau sah nett aus und hat sich so gefreut.

Ich hole mir dann doch nichts mehr. Hatte gestern den ganzen Tag Durchfall.

Juli 2018 – Spermaneid

T. erzählt mir von einer Werbung, die er kürzlich in der U-Bahn gesehen hat. Man kann Geld verdienen – „mit Samenspenden“, ergänze ich prompt. Die Werbung hab ich nämlich auch gesehen und aus irgendeinem seltsamen Grund weiß ich sofort, was er meint.

80 Euro pro Sperma, jubelt er. 80 Euro pro Spende, korrigiere ich. Wenn es pro Sperma wäre, wärst du ja nach einmal schon Millionär. Oder Milliardär? Genau!, lacht er fröhlich. Klar, sage ich, warum nicht etwas so absolut Großartiges und Kostbares wie das männliche Sperma, das sonst einfach immer nur so lapidar an- und abfällt und von niemandem weiter beachtet wird, endlich mal wieder mit Respekt, Achtung und Wertschätzung behandeln – und damit stilvoll Geld verdienen? Wird doch eh jeden Tag ein-, zweimal was von diesem Glibber-Zeug an die Luft transportiert, das sind dann 80 bis 160 Euro täglich für etwas, was sonst einfach in der Bettdecke aufgesaugt, mit dem Taschentuch weggewischt oder im Dusch-Abfluss runtergespült wird. Klar! Make Sperma great again!

T. ist still geworden. Ich werde lauter. Ich erkläre T. deutlich, dass er nicht glauben muss, dass bei diesen Datenbanken jedes dahergelaufene Sperma genommen wird. Knallharte Auswahlkriterien gibt es da! Männer im fortgeschrittenen Lebensalter zum Beispiel oder mit Hang zur Glatze, sind nicht besonders gefragt. T. sagt jetzt gar nichts mehr. Ich rede umso mehr weiter. Außerdem, sage ich, stell dir vor, ich käme an und würde dir erzählen, ich verdiene jetzt Geld mit meinem Menstruationsblut. Oder mit meinen Eiern. Beides übrigens – typisch mal wieder – bei Produktion bzw. Entnahme für die Frau mit Schmerzen bzw. Eingriff verbunden. Und im Fall von Menstruationsblut wird es wirklich von nichts und niemandem gebraucht. Während der Mann also schmerzfrei mit seinen Ergüssen Geld verdient, ja, sogar Spaß dabei hat, sie abzusondern – die Frau natürlich wieder: eine einzige Leidensgeschichte, na, danke, sage ich, und: Dass das ganz reale Konsequenzen hat, darüber denkt natürlich auch keiner nach. Am Ende ist das ein Kind, ein menschliches Wesen! Das steht dann eines Tages vor deiner Tür, mit seinem Hang zur Glatze und seinem fortgeschrittenem Alter, und sagt: Hallo, ich bin dein Sperma. Willst du das wirklich? Aber so ist das, wenn man Leuten in der U-Bahn erzählt, sie können mit Nichtstun Geld verdienen.

Ich schaue T. an, der jetzt traurig aussieht. Es tut mir leid, sage ich, und muss beinahe weinen. Weil ich so gemein war. Ich beteure, dass sein Sperma das beste ist, dass er so viele Kinder machen kann, wie er möchte, weil die alle großartig sein und die Welt verbessern werden, und dass ich, wenn ich mir ein Sperma aus der Datenbank aussuchen müsste, seins nehmen würde, aus tausend anderen, weil ich seine Fortgeschrittenheit als Erfahrung schätze und seinen Hang zur Glatze attraktiv finde, und dass ich wirklich für jedes einzelne seiner Spermien 80 Euro hinblättern würde, nicht nur für die gesamte Spende.

Okay, sagt er, und wir umarmen und küssen uns. Dann fällt ihm ein, dass er gar keine Spermien mehr hat. Die sind ja bei der Vasektomie ein für alle Mal drauf gegangen.

Juni 2018 – schwimmen 1

Die überdimensionale Schwimmbrille im Gesicht beunruhige ich das Aufsichtspersonal des Prinzenbads und irritiere die Mitbadenden mit meinen kläglichen Schwimmübungen, meinem angstverzerrtem Gesicht, abruptem Auftauchen, panischen Bewegungen, mit meinem Kampf um Luft, Koordination und Ruhe, mit meinem Kampf gegen die ANGST. Aber das ist mir egal. Ich mach mich hier zum Affen. Und  zwar so lange bis ich endlich im Wasser sein kann, wie andere Leut‘ auch. Bis ich geschafft habe, was mir verwehrt wurde, danke, liebe Arschloch-Eltern, dann mach ichs eben selber, wie immer, mühsam und zur Unzeit.

Ich lerne schwimmen.

Juni 2018 – happy chicken oder Religion und Fleisch

1 Im Kiosk im Prinzenbad ein junger Mann, seine Frau hält sich hinter ihm, er hat das kleine Kind an der Hand. Er bestellt zweimal Pommes bei dem Typ hinterm Tresen. Fragt, aus was für Fleisch die Buletten sind. Schwein, sagt der Mann. Kurze flüsternde Rücksprache auf Deutsch mit der Frau hinter ihm. Dann dreimal Pommes bitte, sagt der Mann.

2 Muslime essen kein Schweinefleisch, ist voll haram, die Hindus kein Rind, die Kuh ist heilig. Das einzige Tier, das überall auf der Welt gegessen wird, ist das Hühnchen. Es ist niemandem heilig und gilt niemandem als haram, es hat das große Los gezogen und wird von allen Religionen gefressen. Ah, warte, auch Lamm, Ziege, Fisch – haben alle Glück.