Sie hat viel Angst. Vor allem im Dunkeln. Sie will ein gutes Kind sein, aber ihre Enttäuschung und ihre Wut werden immer größer und sie weiß nicht mehr, warum sie noch länger gut sein soll. Sie muss immer nur warten. Vor dem Lageso, in der Unterkunft. In der nächsten Unterkunft. Die anderen ziehen an ihr vorbei, bei dem geht es schneller, die ist schon in einer Willkommensklasse, warum fangen alle ihr Leben an, nur sie nicht. Sie hat sich das anders vorgestellt, ihr Bruder hat sich das anders vorgestellt, der den Schleppern viel Geld bezahlt hat. Sie ist es nicht gewohnt, schlecht behandelt zu werden, z.B. von der Sozialarbeiterin der Unterkunft, sie ist eine Prinzessin. Sie ist was besonderes, das hat ihre familie ihr gesagt. Sie ist zur Schule gegangen, ein Großstadtkind, sie kann Englisch. Deutsch zu lernen fällt ihr leicht. Es gibt viele Menschen, die ihr helfen, sie in ihre Wohnung aufnehmen, ihr einen Computer schenken, ihr zeigen, wie man die Bibliothek benutzt. Sie ist in Berlin. Gemeldet. Sie kann nicht sehen, dass ihr viel Gutes passiert, dass sie einen Vorsprung hat. Sie weiß es, aber sie kann es nicht fühlen. Sie sagt nicht danke. Die ärztliche Untersuchung ergibt, dass sie volljährig ist. Sie sagt, sie ist 17 gewesen, als sie ankam. Si emag es nicht, eine Identifzierungskarte vorzuzeigen, auf der eine Lüge steht: ihr Geburtsdatum, das die Behörden eingetragen haben. Afghanistan wird demnächst vielleicht als sicheres Herkunftsland eingestuft. Sie besucht jetzt eine Willkommensklasse, aber das geht nur, weil sich jemand persönlich für sie eingesetzt und die Schule sich bereit erklärt hat.
Er ist aus einer ländlichen Gegend. Er kann kein Englisch, nur Dari. Er lernt zuerst das Alphabet. Dann Deutsch. Aber das ist schwierig für ihn, noch nie hat er einen Fremdsprache gelernt, andere Lernmethoden als zuhause, eine andere Sprachstruktur. Er ist ein junger Mann, Anfang zwanzig, er könnte in Kabul leben, untertauchen in der großen Stadt, die Taliban die seinen Vater ermordet haben, würden ihn dort nicht finden, sagen die Behörden. Noch ist er geduldet. Er darf nicht in Berlin sein, er muss in Brandenburg in der Unterkunft sein. Aber in Berlin sind die Helfer, die Mentoren. Also ist er trotzdem in Berlin. Er geht in eine Hauptschule, weil sich jemand dafür eingesetzt hat, und die Schule ihn genommen hat, aber er wird den Abschluss nicht schaffen, es ist alles zu viel. Die Helfer sind enttäuscht und versuchen es nicht zu sein. Er wird hier geduldet sein, auf lange Zeit. Eine lange Zeit in der er nicht arbeiten darf, in einer brandenburgischen Unterkunft leben soll, und keinen Deutschkurs finanziert bekommt.
Wir schaffen das!