Ich videochatte mit N. und B., verabrede mich zum Paralleltrinken mit Ch., L. und T., mit Th. und J. J. macht künstlerischen Quatsch, das gibt schöne Fotos. Später dann: ein Gefühl von. Wehmut? Was zusammenbringt, macht die Trennung sichtbar. Auch der Sommer ist bereits aus dem Rückblick zu betrachten.
Monat: März 2020
März 2020 – Corona 19 – Angst
Ein paar Wochen lang treibt mich die Angst um. Besonders rational ist das nicht. Ich habe Angst, krank zu werden. Ich habe Angst, schwer krank zu werden. Ich habe Angst, alleine krank in meiner Wohnung zu liegen, mit hohem Fieber und Atemnot, und nicht zu wissen, wann ich reagieren muss. Oder nicht mehr rechtzeitig reagieren zu können. Ich habe Angst, eine Lungenentzündung zu bekommen, die man übersieht. Oder eine Sepsis. Ich habe Angst, dass sich in der Klinik niemand um mich kümmert, weil alle denken, die schafft das schon, und dann schaff ichs nicht und keiner kriegts mit.
Ich ziehe jetzt immer den Schlüssel aus der Wohnungstür, damit man im Notfall leichter herein kommt. Ich kaufe mir ein Fieberthermometer und frische die Grippehausmittelchen gegen Husten, Fieber, Kopfweh auf. Ich schaue nach, welche Blutgruppe ich eigentlich habe. Ich lege die Telefonnummern von Gesundheitsamt und Teststellen auf den Nachttisch, bei denen laut Zeitungsartikeln stundenlang niemand abnimmt. Drei Wochen lang treibt mich die Frage um, ob es nicht Sinn macht, sich gegen Pneumokokken impfen zu lassen. Aber ins Wartezimmer eines Arztes will ich gerade nicht. C. versorgt mich mit Statistiken aus einschlägigen Ärzte-Fachmagazinen. Das beruhigt mich am meisten. Die statistische Wahrscheinlichkeit ist unwahrscheinlich.
Als J. mehrmals erzählt, wie hart und anstrengend sie alles findet für eine Familie mit zwei Kindern, reichts mir irgendwann. Allein hat auch so seine Herausforderungen, schreibe ich ihr.
März 2020 – Corona 14 – Werbung
Auch die Werbung passt sich in erstaunlicher Geschwindigkeit an. Ich sehe:
Werbung für Waldfriedhöfe, Patientenverfügungen, einen Ausflug ins All (weil man ja sonst nirgendwo mehr hin reisen kann), einen Keuchen-Feststeller, ein Identifikationsarmband und Alles für die staycation auf deinem Balkon!
März 2020 – Corona 13 – BikeOffice
Morgens auf der Straße fährt eine Frau auf dem Rad an mir vorbei, redet lautstark business in ihre Kopfhörer. Jetzt arbeiten die Leute schon auf dem Fahrrad. Wahrscheinlich besser als zuhause, wo alles so eng ist und die Familie schreit.
März 2020 – Corona 11 – Internet
In der Bäckerei hält der Mann vor mir noch einen kurzen Schwatz mit dem Verkäufer. Er erzählt von seiner Teenager-Tochter, die draußen in Großgruppen mit ihren Freunden herum hängt als wenn nichts wäre. Er so zu ihr: Sag mal, habt ihr kein Internet oder was?
(Das Ding ist, die haben wahrscheinlich anderes Internet.)
April 2020 – Corona 24 – Welle und Flut
Ab und an wird das Außen zu machtvoll, bekommt eine Größe, lässt sich nicht mehr in Schach halten, mit der Strategie des Kleinportionierens und den bereit gestellten Rationalisierungsmechanismen wie Fallzahlen, Verdopplungsraten, Studienergebnissen. Dann z.B. wenn jemand von der Krankheit berichtet, ein Arzt oder Kranker, jemand, der sie erlebt und beschreibt, oder dann, wenn Krankenhausbetten in umfunktionierten Hallen mit der Drohne abgefahren und Massengräber ausgehoben werden, dann also, wenn es nicht der schwappende, sich langsam erhöhende Wasserspiegel einer Flut ist, sondern die heranrauschende Welle am Horizont.
März 2020 – Corona 20 – Krisengewinnlerin
Die Krise, die Krise, ich fühl mich wohl in der Krise. Die Krise ist mein Ding. Allein und isoliert, den Unwägbarkeiten des Universums ausgesetzt, von Angst und Unruhe getrieben, von Tag zu Tag gelebt, überlebt, drüber weg gelebt, kenn ich, hab ich, bin ich. Für die Wackelkandidatin ist die Krise ein piece of cake.
Und dann krieg ich auch noch einen Rettungsschirm aufgespannt?! Werde gesehen, wahrgenommen, plötzlich und zum ersten Mal in meinem Leben, als Freiberufler in meiner strukturell prekären Situation, als Solo-Selbständiger, den nichts auffängt, kein Krankengeld, keine Arbeitslosenversicherung, keine Kurzarbeit, der direkt ins Hartz marschiert, zurück auf Los, um sich dort erstmal von der Bürokratie des Misstrauens wie ein potentieller Verbrecher beäugen zu lassen. Und jetzt? – Name und Steuernummer eingetragen, 24 Stunden später sind 5000 Euro auf meinem Konto. Alter, best time of my job life!
April 2020 – T34
Beim Therapeuten gewesen,
ihm drei Geschenke gemacht: Wien-Buchung, Kontakt-Aufnahme zu R. und E. trotz T.-Tabu. sowie die Abgabe von 264 Seiten – keine Ahnung, ob er’s gemerkt hat.
April 2020 – Corona 23 – Corona Ferien
Ich gebe 264 Seiten ab.
Endlich Corona-Ferien.
März 2020 – Corona 15 – Bauarbeiter
Was ist eigentlich mit den Bauarbeitern? Sind das irgendwie die Siegfriede der Pandemie oder wieso stehen die unbehelligt von Kurzarbeit, Homeoffice, Homeschooling oder abgesagten Projekten in Dreier- oder Vierergrüppchen auf ihren Baugerüsten, in ihren Baulöchern und in ihren Baupausen herum und spucken sich gegenseitig ihre Tröpfchen ins Gesicht? Schon klar, solchen Jungs kann keiner was. Dazu haben ihre Hosen viel zu viele Taschen und ihre T-Shirts schon bei null Grad Hauptsaison. Ein Virus? Lächerlich. Wer so einen hat, soll zum Psychiater gehn. Auf dem Bau gibts sowas nicht, da wird gehämmert, geschuftet und geschleppt ab 7 Uhr morgens, das ist so einem Virus alles viel zu breitbeinig. Mindestabstand, ja glauben die Leut, wir sind schwul, den halten wir doch eh immer. Cheers, darauf einen geteilten Kaffee. Dass die Siegfriede vielleicht in ein paar Wochen alle in der Klinik liegen oder daheim in der Quarantäne festsitzen, daran denkt keiner. Dann würde ja die Baustelle brach liegen. Und gebaut werden muss.
März / April 2020 – Corona 21- Pandemie und Alltag
Die Nachbarin von gegenüber putzt die Fenster.
Im fancy Mitte-Haus auf der anderen Seite des Hofs hat Papa den Kindern ein Trampolin für die Terrasse gekauft, er haut auf einen nagelneuen Punching-Ball. (Wird er brauchen, die nächsten Wochen ohne Schule und Kita. Gut zur Vorbeugung häuslicher Gewalt). Nochmal schnell shoppen gewesen, bevor die Ausgangsbeschränkungen losgehen. Machen wirs uns halt zuhause schön.
Alles passiert so schnell. „Man kann gar nicht so schnell adaptieren, wie es geschieht“, sagt A. in einer Whatsapp-Nachricht. Gleichzeitig reden alle von Entschleunigung.
Die Zeitungen als stetig tickende Begleiter. Irgendwann stelle ich die Push-Nachrichten aus. Zweimal am Tag muss reichen. (Die pushen nämlich auch die Angst.)
Schräg unter der Fensterputz-Nachbarin, bei der anderen Nachbarin, ist schon Gesichtsbräunungsfolie angesagt. Er schmeißt parallel dazu den Grill an.
Jeden Morgen, ganz früh, gehe ich spazieren. Immer die gleichen zwei, drei Runden, eine Thermoskanne mit Tee oder Kaffee in der Hand. Die Straßen sind leer, alles ist wie ausgestorben, manchmal ist das unheimlich. Dann, wenn ich jemanden sehe. Einen anderen allein. Auf weiter Flur. Später wirds voll auf den Gehwegen, zu voll, man kann sich kaum noch ausweichen. Ich laufe Slalom, auf die Straße, wieder hoch auf den Gehweg, halte an, lasse vorbei. Den Abstand einhalten, den Mindestabstand. Das Wort des Jahres. Nein, des Jahrzehnts.
Überhaupt, das wording.
flatten the curve.
stayathome.
social distancing.
systemrelevant.
Die Leute joggen wie irre. Sie keuchen an einem vorbei, ich sehe die Tröpfchen in Zeitlupe auf mich zufliegen wie kleine Geschosse. Bei den Handy-Sprechern seh ich sie lupenfein auf den Aerosolen sitzen und nach sanftem, feuchtem Wolkenflug auf meinen Wangen landen, von wo aus ich sie dann auf eine Schleimhaut meiner Wahl schmieren kann. Nicht! ins Gesicht! fassen!
In der S-Bahn gehen die Türen jetzt automatisch auf.
Das Wetter wird von Tag zu Tag besser.
Die BVG reduziert den ÖPNV: Niedrigere Taktung, kleinere Busse. Ergebnis: Die Leute stehen dicht gedrängt und kommen zu spät. Beschwerden, es wird nachgebessert: Alte Taktung, große Busse. Immer noch überall ganz schön viel Leute.
Die Stadt stinkt wie eh und je. Ich dachte, es fahren jetzt weniger Autos.
Die Stunde der Virologen, Epidemologen. Robert Koch (Herr Wieler), Christian Drosten (Charite), Johns Hopkins University.
Mindestabstand Mindestabstand Mindestabstand. Handhygiene, Armbeuge. So der Reim, den man sich aufs Virus macht.
Im Internet seh ich einen Clip von einer Frau aus dem Iran. Sie trägt Einmalhandschuhe und reibt sich mit blauer Farbe die Hände ein, als wärs Seife. Das ist toll, man sieht, wo leere Flecken bleiben, Innenfläche, Außenkanten, Fingerspitzen. Zweimal alle meine Entchen oder Happy Birthday singen.
Die Stunde auch der Zwangsneurotiker und Verschwörungstheoretiker.
Überall stehen Kisten vor den Häusern, alle misten aus.
Schutzkleidung und FFPmasken verschwinden in hoher Stückzahl aus Kliniken. C. rechnet vor, klar, wenn du 50.000 klaust und sie bei ebay für 10 Euro das Stück verkaufst… Eine Woche später schon sind sie heiße Ware auf dem Weltmarkt. Bestellte Masken und Schutzkleidung in Millionenzahl gehen unter dubiosen Umständen auf Flughäfen verloren, verschwinden auf dem Transportweg oder haben gar materiell nie existiert. Die deutschen Behörden als Einkäufer auf einem „Wild West Markt“, auf dem immer von links einer kommen und die Lieferung für ein paar Millionen bar auf die Hand abzweigen kann.
In Ungarn wird unterm Corona-Radar mal eben weiter an der Diktatur gebastelt. Hier und überhaupt stellt sich die Frage: Wo ist Europa?
Auch eine UN soll es geben, von der hört man nichts.
Berührung
Auf einem Twitter-Clip sind ein paar junge, Masken tragende Chinesen zu sehen, die demonstrieren, wie sie sich in Zeiten des Virus begrüßen: nicht mit Handschlag, no no, sie stupsen die Innenseiten ihrer Füße aneinander, einmal links, einmal rechts. Ich führe das ein, bei C. und G., die ich noch sehe. Wen siehst du noch?, ist häufig die Frage. Rückzug allerorten. Es gibt Leute, die verkünden das richtig, es gibt Leute, die sind einfach nicht erreichbar, es gibt Leute, die sagen, jaja, lass mal treffen und melden sich nicht mehr.
G. .und ich treffen uns zu Distanziergängen.
C. kommt mich auf dem Balkon besuchen. Wir fädeln uns Tetrismäßig in meine Wohnung ein: rückwärts, vorwärts, jetzt du. Dann: Balkonsitzung im Mindestabstand. Als sie geht, und ich sie nicht in den Arm nehmen kann, werde ich traurig.
Es gibt keine Berührung seit Wochen, seit Monaten. Niemand berührt mich. Seit T. weg ist sowieso nicht, nun nicht mal mehr ein Handschlag, eine Umarmung zu Begrüßung oder Abschied. Das ist nicht gesund, sagt die Wissenschaft, da fehlt Oxytocin.
Digitalisierungsschub
Alles und alle gehen in erstaunlicher Geschwindigkeit online: Kinos, Clubs, Festivals, Konferenzen, Schulen, Arbeitsplätze, sogar die Verwaltung. Überall wird Software ausprobiert, fahrig, hektisch, aber eben doch. Ch. erzählt von einer Unterrichtssoftware in der man schnell alles einpflegen kann, Fotos, Videos, alle anderen Materialien, Miro Board.
zoom ist plötzlich das tool der Stunde. Videokonferenzen – machen wir alle mit zoom, die Aktie schießt in die Höhe. Zwei Wochen später haben die Netz-Tech-Überwachungs-consiousness people das Ding schon wieder als Datensicherheits-Supergau entlarvt. Wer cool ist, zieht um zu jitsi. Mal sehen, wie lange das hält.
Den Pornhub Premium Account gibts jetzt for free.
Ich videochatte mit Freunden, verabrede mich zum Paralleltrinken. Das funktioniert erstaunlich gut.
Die kleinen Läden beginnen zu adaptieren: Außerhausverkauf. Fahrradlieferung vom Buchladen. Alles wird bestellt. Amazon stellt Leute ein.
Meine Nachbarn von schräg gegenüber tanzen auf dem Balkon. Hit me baby one more time.
Jeden Abend schaue ich bei United We Stream vorbei. Wahnsinn, wie schnell die waren. Ich kaufe einen Beutel für 15 Euro, Soli-Beitrag.
Versäumnisse
Überall treten Versäumnisse zu Tage. Warum hat man keinen Vorrat an Schutzkleidung. Der bewacht ist, in einem Hochsicherheitstrakt. Wieso gibt es nicht genug Beatmungsgeräte bzw. Intensivplätze. Wieso ist keiner für die Bedienung der Geräte ausgebildet? Warum fängt man jetzt erst mit Homeoffice an und weiß auf die Schnelle nicht, wie? Wieso hat man die Digitalisierung in den Schulen und Universitäten nicht vorangetrieben. Oder zumindest mal die Schultoiletten renoviert und Seife bereit gestellt? Das rächt sich jetzt.
Es gibt Engpässe bei so grundlegenden Medikamenten wie Antibiotika. „Wir“ sind genau wie bei der Schutzkleidung, abhängig vom „Ausland“. Ausland ist grade China.
stayathome für Obdachlose, wie soll das gehen? Kaum kommt einer „von denen“ auf einen zu, wird abgewunken, ausgewichen, es ist ein schrecklicher Anblick. Als hätten genau die alle den Virus. Aber klar, schnorren im Mindestabstand geht irgendwie schlecht. Oder nur schwer. Nach kürzester Zeit sind sie weg, nicht mehr in der Bahn, nicht mehr auf der Straße. Wo sind sie?
Die Nachrichten aus Spanien sind grauenvoll. In Madrid ist die Lage außer Kontrolle. Leichenhallen, Behelfskliniken, Ausgangssperre. Niemand darf zu sterbenden Angehörigen. Schutzkleidung fehlt. Ich mache mir Sorgen um R. und E., traue mich aber wegen T. nicht, Kontakt aufzunehmen. Tue es dann doch. R. ist krank, aber auf dem Weg der Besserung. E. ist isoliert, sicher furchtbar für sie.
Politik
Zum ersten Mal seit ich denken kann, kommt die Politik zu sich selbst. Zu ihrer eigenen Bestimmung. Experten werden einbestellt, angehört. Zuständige Stellen einbezogen. Entscheidungen werden getroffen. Und umgesetzt. Zum Wohle der Bevölkerung. Besonnen, transparent, schnell.
Plötzlich ist Geld da. Geld von dem nie die Rede war, das es nicht gab. Für nichts und niemanden und unter gar keinen Umständen.
In den ersten Wochen jedenfalls blüht die Politik auf. Spahn (Gesundheit), Söder (Bayern), Laschet (NRW), Merkel natürlich. Michael Müller braucht lange, viel zu lange für meinen Geschmack, da sind Lederer (Kultur), und Kalayci (Gesundheit) viel schneller, kriegt dann aber doch noch einigermaßen die Kurve.
Merkel spricht, die Sache ist ernst. Rede an die Nation. Worte von Mutti. Und Vati in Personalunion. Sorge, Mahnung und Masterplan auf Basis von Vernunft und Augenmaß. Besser kann mans nicht machen. Das war schon immer ihre Stärke, im Reaktiven ist sie am besten, die Politik ja generell. Wenn die Kinder brav sind, jedenfalls, verhängen wir keine Ausgangssperre wie in Italien.
Kann man mit Föderalismus auf eine Pandemie reagieren? Bayern hat höhere Fallzahlen, Berlin mehr Solo-Selbständige, Sachsen bisher keine einzige bekannte Infektion.
Nach ein paar Wochen wird spürbar: Die Mini-präsidenten vergessen nicht, sich zu profilieren, die unruhigen Buben hüpfen auf und ab, vor Mutti und ihr auf der Nase herum.
Fallzahlen, Verdopplungsraten, Todesfälle. Seit neustem: Genesene.
Das Internet macht Stress. Sprache lernen, Yogi werden, witzige Clips drehen, Museen besuchen, rare Filme gucken, Masturbationstechniken verfeinern, Leute, was oll ich denn noch alles machen, ich muss ar-bei-ten!!
Fotos machen, Videos sammeln, Wackel schreiben, ich komme nicht hinterher. Hinter dem Versuch, die Dinge zu bewahren, die Momente festzuhalten. Irgendwann gebe ich auf. Machen sowieso alle, ist die bestdokumentierteste Pandemie der Geschichte.
Am Wochenende ist es kuschelig eng auf Gehwegen und in Parks.
Die Organisation in den Kliniken ist erstaunlich. Trotz aller Probleme. Die Situation stabilisiert sich.
P. schickt jetzt jeden Tag ein Video-Rezept per Statusmeldung.
Klimakatastrophe und Flüchtlingskrise kein Thema mehr. Ah, doch, auf der griechischen Insel Lesbos im Lager Moira befürchtet man eine humanitäre Katastophe wenn der Virus ausbricht.
Europa überholt China bei den Fallzahlen.
Auf dem S-Bahngleis eine Durchsage: Zur Eindämmung des Corona-Virus… Okay, das ist spooky jetzt, wirklich wie im Film. Oder in China.
Ein paar Tage später im Supermarkt das gleiche. Durchsage zwischen Werbebotschaft und Sprudelmusik. Wir von REWE versorgen Sie täglich…
Ich lese einen Artikel über einen Pandemieplan der Regierung, mit erstaunlichen Überschneidungen und komplettem Handlungsdrehbuch von 2006, an das sich jetzt keiner so recht hält. Die andere durchgespielte Katastrophe ist übrigens ein Hochwasser aus dem Mittelgebirge. Dann wissen wir ja, was als nächstes kommt.
Hefe ist nicht zu kriegen, trocken, flüssig, fest, alles ausverkauft. Ich schon wieder: Achso…?
Ich gebe 264 Seiten Serie ab! Was soll ich auch sonst machen, liebe Nachwelt, rumrennen und in Panik schreien? Nudeln mit Klopapier horten, mit Hefe überbacken? Mich bewaffnen? – Das machen die Amerikaner. Die Franzosen angeblich Kondome und Wein, well I dont think so, das hat sich doch jemand ausgedacht…
Begrenzungen
Im Supermarkt jetzt Klebestreifen auf dem Boden. Am Imbiss Tape auf dem Boden davor. Quadrate, Striche. Die Geometrie des urbanen Raums. Einteilen, aufteilen, abgrenzen, begrenzen. Flatterband um die Spielplätze, die Parkbänke.
Bitte treten sie einzeln ein. Nicht mehr als drei Personen gleichzeitig.
Die Verkäuferin hinter Plexiglas. Bitte zahlen sie mit Karte.
Mecklenburg-Vorpommern lässt keine Berliner mehr rein. Grenzkontrolle am anti-viralen Schutzwall. Die finden das geil, da bin ich sicher, unser Land muss sauber bleiben. Ausländer und Berliner raus.
Die Maske, die Maske, die Maskendebatte eskaliert. Ja, nein, eventuell unter bestimmten Umständen. Plötzlich: Mundschutzpflicht beim Einkaufen in Jena. Bayern prescht nach. Näh- und Bastelanleitungen all over the Internetz. Die Maske kommt, mit Warnungen, als Empfehlung, Gebot, Pflicht. Die Asiaten wundern sich schon die ganze Zeit: Wieso haben die Leute in Europa keine Masken auf? Entwicklungsland…
Eine joggende Mama, früh am Morgen, die ihre beiden quasselnden Mädchen, so 6, 8 Jahre alt, vor sich hertraben lässt – damit die Ponys für heute gleich mal ein bisschen Auslauf haben.
Plötzlich neue Stimmen. Ist das nicht alles undemokratisch, autokratisch, kann man einfach so Grund- und Freiheitsrechte aushebeln, den Datenschutz aufgeben fürs RKI?, was passiert hier mal eben schnell, unter der Hand, nur weil es grade mal eben schnell passieren muss?
Die Wirtschaft meldet sich zurück. Wieso die so viel und wir nur so wenig? Was habt ihr euch überlegt? Für ein Leben danach. Denn lange lässt sich das hier nicht mehr durchhalten. Wie sollen wir das durchhalten? Wie soll das alles hier nicht zusammenbrechen?
So langsam kippt die Stimmung. Keiner hat mehr Bock. Der Virus kommt jetzt aus einem Labor in China.
Sogar die Zahlen geraten in Verruf. Verschwimmen, geraten ins Wanken. Wie der Boden unter unseren Füßen, wenn er kein gemeinsamer mehr ist. Die Statistiken sind plötzlich alle fragwürdig, müssen oder können anders betrachtet werden. Das macht mir zu schaffen.
Demonstrationen im Mindestabstand gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Eine Mischung aus Wir sind das Volk-Rufern, Impfgegnerinnen, Verschwörungstheoretikern und angeschlagenen Mittelständlern findet sich zur Empörung gegen den Staat zusammen.
Die Öffnung. Wann wird geöffnet, wie wird geöffnet, wer wird geöffnet, ab wie viel Quadratmetern und unter welchen Voraussetzungen. Öffnungsdiskussionsorgien, sagt die Kanzlerin genervt.
Trump stellt die Zahlungen an die WHO ein. Derweil sterben die Leut und werden in Massengräbern beerdigt. New York ist eine Geisterstadt. Die Leute gehen vermummt durch die Straßen. Die Arbeitslosenzahlen schießen durch die Decke.
Bilder aus Neu Delhi. Wanderarbeiter in riesigen Migrationsströmen, auf dem Weg in ihre Heimatorte, tausende Kilometer gehen sie zu Fuß, dicht an dicht, der Bus- und Bahnverkehr wurde von einem Tag auf den andern eingestellt. Vorher versuchen sie noch massenhaft an der Busstation eine Mitfahrt zu bekommen. So agiert auch die Türkei: Schnell mal ansagen, dass jetzt dicht gemacht wird und Massenaufläufe und -schlägereien vor Supermärkten produzieren
In der Zwischenzeit zeigt die Weltkarte kaum mehr einen Fleck ohne Virus.
In Wales laufen Schafe durch die Fußgängerzone. Endlich mal in Ruhe shoppen, jetzt, wo die nervigen Menschen weg sind. Die Rabatten schmecken auch nicht schlecht. Tiger auf der Straße in Indien, Seelöwen irgendwo anders.
Alles. geht. so. schnell.
März 2020 – Corona-Knast
Der Radius wird immer kleiner. Jeden Tag die gleichen fünf Straßen. Am Wochenende mal in den Park. Erst kam man aus dem Land nicht mehr raus, dann nicht mehr aus der Stadt, dem Kiez, der Wohnung. HomeOffice, HomeSport, HomeFood, HomeAlone. Wie halten die in Spanien das aus, die Ausgangssperre haben, nicht nur Ausgangsbeschränkungen. Die Perspektive fühlt sich bedrückend an, den Sommer zuhause verbringen, nicht wegfahren, der Sommer der Tagesausflüge.
Ich befürchte, Wien im Juni ist gestrichen.
März 2020 – Corona 17 – Brot
Ich komme vom Einkaufen, es ist noch früh am Morgen. Ich gehe Richtung S-Bahn-Unterführung, niemand ist auf der Straße. An der Ecke zur Unterführung liegt ein umgekippter Einkaufswagen voll mit Broten: Kastenbrote, Rundbrote, Stullen. Die Hälfte der Brote liegt auf dem Gehweg. Es war kalt heute Nacht, die Brote sind steinhart. Hier in der Unterführung übernachten oft Obdachlose. Jemand hat es also gut gemeint. Jemand ist eine erfolgreiche, stadtbekannte Bäckerei, ihr Name ist dem Einwickelpapier der Stullen zu entnehmen.
Ich zücke mein Handy, um die Situation zu fotografieren. Ein junger Mann kommt aus dem Haus gegenüber und sieht die Bescherung. Was ist das denn? fragt er. Ja, sage ich, ich wollts grade fotografieren. Das braucht man nicht fotografieren, sagt er genervt, da packt man an und räumt es auf.
Ich schäme mich. Sie haben recht, sage ich. Er fängt an, das Brot in den Wagen zu räumen, ich helfe ihm, doch einen Moment später hab ich keine Lust mehr, das hier ist Schwachsinn:
Der junge Mann und ich nah beieinander, nachdem ich es den ganzen Morgen geschafft habe, mich auf Mindestabstand zu halten, ich ärgere mich über die Bäckerei mit ihrem dumm-nervig schlechten Gewissen, das verständlich ist, aber hier in der Ausführung zu einem absoluten Desaster führt, das kann doch nicht das erste Mal sein, dass die sich um ihre übrig gebliebenen Brote Gedanken machen, nur weil Corona ist und plötzlich die Obdachlosen in aller Munde? Was stellen die sich vor, dass die Obdachlosen hier kraftvoll in eiskalt gefrorene Kastenbrote von gestern beißen, dass sie sich schön Bütterkess auf die Laibe schmieren, Salami und Gürkchen obendrauf, um das Frühstück ihres Lebens zu genießen, dass die sich freuen bis zur Weihnachtsrührung, dass ihnen endlich mal jemand Brot schenkt? Ich finde, man sollte die Bäckerei darüber unterrichten, dass ihr Schuss nach hinten losgeht, dass es so nicht funktioniert, dass sowas nur die Ratten anzieht und ein paar Blödmänner, die den Wagen umschmeißen, dass man so niemandem eine Freude bereitet, sondern ein Gesundheitsrisiko, und jetzt wird es mir zu doof dem jungen Mann weiter zu helfen, der anders als ich ein Nachbar hier ist, vor dessen Haustür sich die Sauerei geriert, den ich also plötzlich irgendwie zuständiger finde als mich, und ich hätte wohl ein Foto davon machen sollen, warum hab ich mich geschämt, mich von ihm verunsichern und davon abbringen lassen?, es ist meine Art mich den Dingen zu nähern, ein Dokument herzustellen, das hat auch seinen Wert, und ich hätte denen in der Bäckerei das Dokument unter die Nase halten können, damit sie sehen, was für einen Blödsinn sie verzapft haben, er hat ja recht, man läuft an zu vielem vorbei, statt es zu ändern, und sagt dann, ist ja alles mal wieder irre hier, krasskrass, und bildet lediglich ab, was man sieht, aber ich hab jetzt keine Lust mehr, ihm zu helfen. Ich bin wütend und lasse ihn stehen.
März 2020 – Corona 18 – Träume
1 Hieronymus Bosch-Traum: Menschen werden geschlagen, gefoltert, man sieht Gliedmaßen und hört Schreie, vor mir auf dem Boden liegt ein großes weites Hemd, der Oberkörper und die Arme darin sind nur noch Matsch, trotzdem wird weiter drauf geschlagen, mit einem Baseballschläger.
2 Ich träume von Ratten, sie sind in den Schächten einer Wohnung, rasen, laufen über eine Lampe, verbinden sich mit einer Kakerlake, die ihnen ins Auge spuckt, mein Vater ist da, er treibt eine der Ratten in die Ecke, fängt sie mit der Hand, es ist ein guinea-pig, oder eher eine Maus ohne Schwanz.
März 2020 – Corona 16 – allein
Wer jetzt allein ist,
lese ich in einem Artikel kurz nach der Kontaktsperre,
wird es lange bleiben.
Danke für die Info.
März 2020 – T33
Beim Therapeuten gewesen,
über die alte Frage des Kämpfens oder Loslassens gesprochen, und darüber, dass es dabei nicht um richtig oder falsch geht, sondern darum, beide als mögliche Anwendung im Sinne eines Werkzeugs zu begreifen.
März 2020 – Corona 12 – Liebe in Zeiten des Corona
Wie soll das jetzt gehen, die nächsten Wochen und Monate? Irgendwas mit irgendwem anzetteln? Ist die Corona-Krise eine Krise der Dating-Portale? Was machen die denn jetzt eigentlich, wenn sich keiner mehr treffen will, komisch, dass die noch nicht auf ihre prekäre Situation aufmerksam gemacht, noch keine schnelle, unbürokratische Hilfe vom Staat angefordert haben.
Ist ja in gewisser Weise fieser als bei STDs, man muss ja nicht mal Sex haben, um sich anzustecken, man muss ja nur zusammen was trinken gehen. Küssen geht gar nicht, vögeln nur im empfohlenen Mindestabstand von 2 Metern. Oder kapier ich’s nur wieder nicht und alle verabreden sich hinter meinem Rücken fröhlich? G. meint, ja. G. meint, genau andersherum wird ein Schuh daraus, in solchen Zeiten sehnen die Menschen sich besonders nach einer Beziehung und deswegen gehen die User-Zahlen bei den Dating Portalen jetzt erst richtig hoch. Dann wird halt erstmal gechattet für die nächsten Wochen. Ach so, gechattet wird. Und sich ausgedacht, wie man die üblichen Dating-Treffpunkte Bar, Café, Kino anpassen könnte. Also z.B. rausgehen und sich bei einem Mindestabstandsspaziergang unterhalten. Das kapiere ich sofort. 2 Meter Abstand finde ich gut. Wenn man jemanden nett findet, kann das auf Dauer richtig erotisch werden. Ach, was könnten wir brennen, aber wir dürfen nicht. Ach, was denken wir uns für schöne Sachen aus, wie wir beisammen sein können, ohne uns zu berühren und mit unseren Tröpfchen voll zu spucken. Und natürlich kriegsromantisch: Damals, Kinder, die Welt war aus den Fugen, die Zeiten (vor allem für Solo-Selbständige) hart, aber wir hatten einander und liebten uns via Videochat.
Die Zahlen für Sex Toy-Verkäufe sind jedenfalls schon in die Höhe geschossen, weiß G. zu berichten. Wobei, da muss man aufpassen, gebe ich zu bedenken, Sexspielzeuge sind ja doch erstmal vor allem Dildos und Vibratoren, die meistens zum Masturbieren verwendet werden. Und das ganze andere Plastikspielzeug weist außerdem ja eher darauf hin, dass bereits vorhandene Paare sich überlegen, naja, also wenn wir jetzt hier schon wochenlang aufeinander hocken, können wir ja auch mal wieder ausführlich Sex machen. Dann wäre die Sex Toy-Sache also doch eher ein Hinweis auf: Singles spielen die nächsten Wochen mit sich selbst.
März 2020 – Corona 10 – ältere Leute
Keine Ahnung, ob sich da hormonell was verändert oder sich sonstwie was im Hirn anders verbahnt, aber ältere Leute scheinen echt kein Bewusstsein mehr für die Gefahr zu haben. Wie oft ich das jetzt schon gehört habe, dass die erwachsenen Kinder auf ihre Eltern einreden, nicht mehr zur Rush Hour mit dem Bus zu fahren, doch bitte darüber nachzudenken, den Spanienurlaub zu verschieben, nicht mehr im Kirchenchor singen zu gehen, das ist schon verwunderlich. Als ich meinen älteren Nachbarn – angetriggert durch Aufrufe in den Medien zugegebenermaßen, wirklich wohl ist mir dabei nicht – im Hausflur frage, ob alles okay ist und ob sie was brauchen, reagiert er irritiert und unwirsch. Vom Vater einer Freundin höre ich, dass er zunächst denkt, er solle seine Enkelkinder nicht sehen, um sie vor ihm zu schützen, nicht anders herum. Als man ihm sagt, dass er zur Risikogruppe gehört, kann er das nicht glauben, er ist doch noch gar nicht alt. Erst 76. Von einem anderen älteren Herrn wird kolportiert, er halte die 20-Sekunden-Handwaschregel für völlig überzogen (dafür hab ich keine Zeit) und wolle es sich nicht nehmen lassen, den Leuten jovial wie immer die Hand zu schütteln, alles andere wäre ja auch unhöflich. Was ist das bei diesen älteren Leuten? Das Leben am Abgrund, das man sowieso gewohnt ist? Das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben, für so ein aufgeschobenes, abwartendes Leben, weil das eigene ja jederzeit vorbei sein kann? Die Idee einer Unverletzlichkeit, weil man nun schon so viel erlebt hat, und nichts davon hat einen umgebracht? Oder das Stoische der Gewohnheit, so wars schon immer und das mach ich jede Woche, warum solls jetzt plötzlich schlecht sein, warum ändert sich ständig was, man muss nicht alles mitmachen?
Wenn demnächst der junge Mann von unten an meiner Tür klingelt und fragt, ob es mir gut geht und ob er was für mich einkaufen soll, dann hau ich ihm die Tür vor der Nase zu.
März 2020 – Abgrund
Ich weiß nicht, wo du bist. An welchem Ort du all das liest, was ich lese, denkst, was ich denke, fühlst, was ich fühle. Ich weiß nicht, wie es dir geht. Deiner Mutter, deiner Tante, deinen Freunden in Spanien. Ich weiß nicht, ob jemand bei dir ist, der all das von dir weiß, während ich allein in meinem Bett liege.
Nur einen Abgrund entfernt.
März 2020 – T33xx
Nicht beim Therapeuten gewesen,
wegen Corona abgesagt.
März 2020 – Corona 9 – Dienstag
17.3. Dienstag. Bis letzten Dienstag hab ich mir Sorgen gemacht. Dass ich krank werde, mit hohem Fieber allein in meiner Wohnung liege, dass meine Freunde krank werden, meine unvorsichtigen Eltern. Bis dahin dachte ich: Ich gehöre ja nicht zur Risikogruppe. Ich bin nicht 70 plus, ich habe keine Vorerkrankungen. Wenn ichs krieg, und damit ist zu rechnen bei einer Prognose von 80 Prozent der Bevölkerung, so die in den letzten Wochen stetig in Pressekonferenzen und Talkshows nach oben korrigierte Zahl, dann krieg ichs und dann hab ichs und dann bin ich krank und hab einen milden Verlauf und bin für 14 Tage in Quarantäne und das ist ja vielleicht auch gar nicht so schlecht, womöglich sogar besser, denn dann ist das Thema ein für alle mal durch. Letzten Dienstag dann in Italien: Der Shutdown des gesamten Landes. Am Donnerstag Berichte aus Kliniken am Rande des Kollaps, Ärzte, die nach Triage behandeln wie zuletzt im Krieg, den keiner von ihnen mehr erlebt hat, die Menschen sterben lassen, weil nicht genug Beatmungsgeräte da sind, Patienten, die immer jünger werden und trotzdem schwere Verläufe mit Lungenentzündung und Organversagen haben. Warum sollte ich der üblichen deutschen Überheblichkeit aufsitzen, dass so etwas hier ja nicht passieren kann? Soll mich das jahrzehntelang durchprivatisierte und kaputt gesparte Gesundheitssystem mit seinem fehlenden Pflegepersonal, den dicht gemachten Kliniken, dem Mangel an Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln und den Problemen beim Medikamentennachschub davon überzeugen? Italien und Spanien sind keine Entwicklungsländer, man kann den Virus nicht mehr in die Ferne schieben und nicht ins Fremde, wie alle seine Vorgänger, man kann ihn nicht wegdeuten in ein schmutzig-diktatorisches Asien oder ein eh nichts auf die Reihe kriegende Afrika, nein, die Gesundheitssysteme Italiens und Spaniens sind modern, europäisch und ebenso gut bzw. schlecht aufgestellt wie unseres.
Heute ist wieder ein Dienstag. Italien verzeichnet 25.000 Infizierte und 2000 Tote. Ich mach mir keine Sorgen mehr. Ich hab Angst. Davor, einen schweren Verlauf zu haben, in einem Krankenhausflur zu liegen und übersehen zu werden, weil nicht genug Personal da ist oder kein Beatmungsgerät mehr übrig ist. Davor, dass es Freunden so ergehen könnte, Angehörigen.
Derweil stehen die Leute Schlange am Eisstand, gehen ins Nagelstudio und shoppen bei Other Stories und Weekdays. Wir brauchen eine Augangssperre.
März 2020 – Corona 8 – Schönwetterkatastrophe
Das kann doch einfach nicht sein, bei dem schönen Wetter! Das Wetter ist doch immer schlecht, wenn Katastrophen stattfinden, das weiß man doch. Da regnet und hurricanet es doch am Himmel, da dräut das Unheil doch am Horizont. Nicht so hier, nein. Hier ist das Wetter sonnig, warm und vielversprechend, es macht Lust auf Leben und Zusammensein. Wie kann es also sein, dass sich hier, zwischen uns, gerade die Katastrophe ereignet? Es kann nicht sein. Es fühlt sich einfach nicht so an.
Die Katastrophe wird erst da sein, der Virus wird erst dann sichtbar sein, wenn wir Angehörige haben, die infiziert sind, um ihr Leben kämpfen oder sterben. Das Wetter wird dann immer noch gut sein. Bestens, sogar.
März 2020 – T32
Beim Therapeuten gewesen,
über das andere Wärmelevel eines potentiellen nächsten Beziehungskandidaten gesprochen.
März 2020 – Corona 7 – biggest fear
Meine größte Angst ist nicht, dass das Klopapier ausgeht, sondern das Internet.
März 2020 – Stadtnatur
Auf dem schmalen Gehweg in meiner Straße liegt eine Taube quer: Tot, ohne Kopf. Jemand, ein Hund?, eine Katze?, hat ihn ihr abgebissen. Als ich eine halbe Stunde später zurück komme, sitzt eine Krähe auf der Taube und hackt ihr mit ihrem großen Schnabel die Eingeweide raus. Oder das was in den Eingeweiden drin ist. Die Federn fliegen nur so, mir vor die Füße.
März 2020 – Corona 6 – Corona Party
14.3. Samstag. Die Leute unten auf dem Platz als wenn nichts wäre. In Gruppen von zwei bis zehn stehen sie zusammen in der Frühlingssonne, trinken Rosé vom Weinladen und schwatzen sich ihre Tröpfchen ins Gesicht. Und ich denke, mann, klar, würd ich auch gern, aber come on, lest ihr keine Zeitung? Es geht doch nicht nur um euch, sondern um alle. Und wie passt diese Sorglosigkeit zusammen mit den Preppern und dem Hamstern und dem ausverkauften oder rationierten Desinfektionsmittel (jeder bitte nur zwei) und den Home-Office-Vorgaben und den zum ersten Mal in der Geschichte flächendeckend dicht gemachten Einrichtungen? Was soll diese Corona Party? Oder ist das eine Versammlung der Berliner Impfgegner? Ist das: Wir gehören eh nicht zur Zielgruppe, denn wir sind jung und gesund? Oder ist das: Wir sind hier in Deutschland, was soll schon passieren? (Klar, unser zusammen gespartes Gesundheitssystem wird uns retten.). Ist das: Politik du kannst mich mal, statt wie sonst: Wo bleibt die Politik? Oder ist das Tanz auf dem Corona-Vulkan, heute nochmal feiern, weil morgen ja vielleicht schon krank? Versteht man es erst, wenn man den ersten Infizierten kennt oder selbst krank wird? I dont know. Ich finds jedenfalls im höchsten Maße nicht okay.
März 2020 – Corona 5 – Wunder
14.3. Samstag. Bei der Bio Company ein Wunder: eine Packung Toilettenpapier liegt im untersten Regal. Ich steh davor und denke, na komm, nimmste mit und will gerade zugreifen, da kommt eine Mutter flankiert von Mann und zwei Kindern von rechts, und schnappt zu. Wow. Menschen mit Familie sind gefährlich, sag ich ja schon immer. Ihr Trieb, die Brut zu versorgen und die geöffneten Schnäbel ihrer Kleinen mit Klopapier zu stopfen, ist so ausgeprägt, da ist Breaking Bad einfach immer round the corner. Dabei hätte ich das Klopapier freiwillig rausgerückt, guck mal, eine Familie, die braucht das nötiger als ich.
März 2020 – Corona 4 – Ereignisse
11.3. Mittwoch. Die Volksbühne schickt eine Mail: Bis 19. April alle Veranstaltungen gestrichen. Das Berghain verkündet, dass es dicht macht.
Das Berghain macht dicht?!
12.3. Donnerstag. Der Regierende Bürgermeister Müller agiert zögerlich.
Auftritt Merkel.
Sukzessive wird in B alles geschlossen. Bäder, Bib, Museum,… – Schule und Kitas ab Montag!
13.3. Freitag. Ab Montag sollen nun alle Clubs, Bars, Kneipen schließen. Also jetzt am Wochenende nochmal richtig schön anstecken?
Am späten Nachmittag beschließe ich, für nächste Woche alles abzusagen: Therapie, Physiotherapie.
Keine Lust mehr, Bahn zu fahren. Plötzlich husten alle. Derweil schüttelt Trump Bolsonaro die Hand.
Der Virus überlebt 72 Stunden auf Metall und Plastik. Was ist mit Stoff? Hat denn niemand Stoff untersucht?
14.3. Samstag. Ich spaziere morgens um 7 durch die menschenleere, sonnige Stadt. Kaufe einen Kaffee, obwohl ich mir vorgenommen habe, meinen Kontakt als Kundin deutlich zu beschränken.
Boris Johnson regiert den Virus nach der Nudging-Methode. Na, wenn das mal gut geht.
Nun doch schon ab heute alle Clubs, Bars und Kneipen zu. Die Polizei geht von Tür zu Tür und schmeißt die Leute raus.
März 2020 – Corona 3 – Italien
10.3. Dienstag. Italien macht nach dem Norden nun das ganze Land dicht. Die Nachrichten aus den Kliniken sind dramatisch. Es gibt zu wenig Beatmungsgeräte. Die Ärzte arbeiten mit Triage, einem Behandlungsplan bei Katastrophen und im Kriegsfall. Er reguliert die Entscheidung, wer noch behandelt wird und wer nicht mehr. Es gibt Überlegungen, über 90jährige gar nicht mehr aufzunehmen. Dann heißt es, über 80jährige.
Ich bin schon eine ganze Weile auf der Welt. Es gab schon ne Menge. Aber das gabs noch nie. Seit heute nehme ich die Sache ernst.
März 2020 – Corona 2 – Zettelwirtschaft
In der Apotheke hängt zu meiner Überraschung ein Zettel im Fenster: Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken ausverkauft. An drei weiteren Apotheken an denen ich im Laufe des Tages vorbei komme: Die gleichen Zettel. Auch bei Obi sind sämtliche Masken weg. Ich will da nur Kappen für Stuhlbeine kaufen (super schwierig by the way).
In der Drogerie fragt eine Frau, wann denn wieder Desinfektionsmittel da ist. Das kommt wenns kommt, so die gereizte Verkäuferin. Es gibt keine Vitamin C plus Zink Kapseln mehr, stelle ich fest.
Im Supermarkt sind die Regale leer. Nudeln, Chili con Carne, Reis. So langsam frage ich mich, ob die anderen doof sind oder ich.
Wir haben heute keine Lieferung bekommen, sagt der Kassierer und ärgert sich: Das ist alles Panikmache! Total übertrieben!
2.3. Heute der erste Infizierte in Berlin.
März 2020 – Corona 1 – Lust der Ausnahme
Im Einkaufswagen neben meinem: Nudeln, Fertigsaucen, Chipstüten und Klopapier in rauen Mengen. Man könnte fast meinen, die Leute freuen sich auf den Ausnahmezustand. Endlich mal in aller Ruhe zuhause abhängen, futtern, glotzen, auf Klo gehen.
März 2020 – Twitter-Justiz
Lobo, Stokowski und Passig u.a. unterschreiben einen Brief an den Rowohlt Verlag (ihren Verlag). Sie wollen nicht, dass der die Autobiografie von Woody Allen veröffentlicht wird. O-Ton aus dem Brief:
Wir haben keinen Grund an den Aussagen von Woody Allens Tochter Dylan Farrow zu zweifeln.
Wow.
Leben wir in einem Rechtsstaat – der Woody Allen im übrigen zweimal den Prozess gemacht hat – oder in der Twitter-Justiz? Ist das jetzt investigativer, Sorgfalts-Journalismus? Und: kann ich mir bitte mal eine eigene Meinung bilden, ohne dass diese selbstgerechten Super-Blogger mir wegen Hörensagens ein Buch unzugänglich machen?
Enttäuschend!
März 2020 – Gehörige Wörter
Unterhalte mich mit G. in der S-Bahn. Als wir aufstehen, um an der nächsten Station aus zu steigen, spricht mich eine ältere Frau an, die allein im Nachbar-Vierer sitzt:
Solche Wörter sagt ein Mädchen aber nicht.
Ich, verblüfft: Welche Wörter denn?
Sie: Na, da hab ich einige gehört, die sich nicht gehören. Mehrmals!
Dass das Mädchen Ende vierzig ist und sich an höchstens zweimal scheiße und eventuell fuck erinnern kann, und die alte Frau aus dem letzten Jahrhundert stammt, macht nichts,
das Mädchen schämt sich trotzdem.