Oktober 2014 – Wurst

Manchmal ess ich Wurst. Ich meine Wurst im Sinne von Landjäger, Pfefferbeißer, Schinkenknacker. Nicht im Sinne von Aufschnitt. Wurst, in die man beißt, Wurst, die man reißt, mit den Zähnen, dem Kiefer, wie ein Wolf oder ein Urmensch. Die Wurst knackt und platzt auf und verbreitet ihren lauten Geschmack nach Fett, nach Tier und chipsmäßigen Übergewürzen in Sekundenschnelle in deiner gesamten Mund-Aura. Du kaust, du zermalmst sie, und merkst schon, da ist was in dir, das geht richtig mit.

Das kommt hoch aus dem Bauch und ist eine Gier, da ist ein Tier in dir, das mitisst. Das die Wurst begrüßt. Das aufwacht von ihr. So ne Wurst ist geil. Und pervers, das merkst du dann, und auch ein bisschen verachtenswert unterschichtenmäßig. Aber geil. Die Wurst breitet sich aus mit ihrem Gestank, dringt in deinen Kopf und benebelt deine Sinne und dein Bauch streckt sich ihr entgegen und du weißt schon, nachher musst du Zähne putzen und alles wieder in Ordnung bringen, aber jetzt gerade ist es ne geile Wurst.

Du erledigst da gerade was, im jägerischen Sinne, erlegst du da was, du holst dir was ab, und verleibst dir was ein, was du dir verdient hast. Du beißt da rein, und überlebst. Weil dein Tier stärker ist als das andere. Und du bist hungrig! Das hattest du vergessen. Du hast das Gefühl, du hast alles Recht der Welt, hungrig zu sein und deine Zähne jetzt in diese platzende Masse zu hauen und sie durch deinen Schlund zu pressen, und sie deinem Körper zu überlassen, der sich draufstürzt, weil er leben will. So kann Wurst sein.

Ganz schnell kippt das dann, und wird eklig, und wenn man dann die Fettaugen sieht und die Knorpelteile, die jemand in den Wurstdarm gequetscht hat und die Bilder aus der gnadenlosen Kette der kapitalistischen Tierverarbeitungsmaschinerie vor dem inneren Auge auftauchen, dann denkt man wieder drüber nach, Vegetarier zu werden. Aber für einen Moment war‘s ne geile Wurst.

 

 

 

Oktober 2014 – Googoosh

Gestern habe ich (aus Recherche-Gründen) eine Frau besucht, die aus dem Iran kommt. Ich wollte was über alte Leute im Iran wissen.

Sie hat gesagt, die alten Leute, die die heute 70 sind, sind cool. Sie hatten eine gute Jugend, dann wurds scheiße – deshalb sind sie frisch und jung im Herzen. Genau andersrum wie bei den Deutschen, da war alles scheiße, dann wurds besser – deshalb sind sie so grau und gedrückt.

Im Iran hat diese Generation was zu sagen, sie ist anerkannt, man behandelt sie respektvoll, will wissen was sie denkt. Hier nicht. Hier sind die Alten am Rand der Gesellschaft, man nimmt sie nicht ernst.

Wir haben Googoosh gehört, aus den 70ern. watch this: https://www.youtube.com/watch?v=XI11Cnr1nzk


					

Oktober 2014 – Berghain (1 – 3)

1) Gesprächsfetzen hinter mir:

Er: Hast du n boyfriend, oder ein girlfriend… ?

Sie: I dont know

 

2) Ich hab ein halbwegs rückenfreies Shirt an. Jemand berührt mich mit der Hand, weil er durch will. I love that. Das ist typisch Berghain. Dieses respektvolle, zärtliche Hand-Auflegen, nur für einen Moment, den gibt’s nur hier. Du tanzt, sagt es, ich will dich nicht allzusehr stören, Süße, aber ich komm jetzt mal hier durch, Achtung. Das bettet sich ein, in die Choreographien, die notwendig sind, weil immer alles so eng ist, man tanzt und bewegt sich höflich umeinander rum, damit die anderen Platz haben und man selber Raum.

Später eine andere Variante: Jemand klatscht mit seinem nassen Oberkörper gegen meinen Rücken, wurde da hingedrückt, geschoben, Schweiß schmatzt gegeneinander, für einen Moment verbinden sich zwei Menschen mit ihren Flüssigkeiten, eher eklig. Sowieso Gerüche noch und nöcher. Die Frauen immer mit ihren Deos, Parfüms, die Junge mit ihrem Waschmittel.

Keine Ahnung übrigens, wer behauptet hat, Sex auf der Toilette kein Problem – kaum geht man mit jemandem drauf, lassen die Wartenden draußen blöde Sprüche los oder gucken sogar über die Zwischenwände. Ich kann da nicht. Will da nicht. Finde auch die Kombination dunkle Toilette und Sex nicht allzu reizvoll, helle Toilette und Sex auch nicht. Wenn man’s in einer Ecke versucht, kommt auch immer jemand dazwischen. Ich bin nicht abgebrüht genug dafür, dass mir das nicht peinlich wäre.  Aber ich nehm auch keine Drogen. Aber auch wenn, glaub ich nicht, dass ich das hinkriegen würde, im Berghain gibt’s immer so viel zu verarbeiten, da kann ich mich nicht noch auf Sex konzentrieren.

 

3) Was geil ist, echt geil ist, ist, dass man im Berghain nicht runtergeht, in die Höhle des Löwen, man geht hoch. Man steigt nicht ab, in dunkle Gefilde, man steigt auf. Man läuft hoch in den Nebel und das Blau und die Musik und die Halle, den Tempel. Und nicht runter in die Abgründe. Sondern hoch. Und dann ist da alles, die harte Musik und der Nebel und blaue Säulen und die Body-builder Gays mit ihren in Hitze und Dampf entblößten Oberkörpern, die man nur schemenhaft wahrnimmt, also eigentlich voll das Klischee, aber weil man hochgegangen ist, ist das alles irgendwie auch witzig und leicht und durchreflektiert und dann geht man noch eins höher und da ist es dann hell, gerne auch mal auf Kommando Sonne reinlassen, durch die Jalousien, und die Musik ist sweeter und die Jungs sind queerer und alles ist peacig, sowieso, auch unten und es ist echt ne tolerant ausgewählte Crowd, die da zusammen kommt, im ganzen Haus, das ist schon schön und da ist auch mal jemand mit Dreads oder alt oder proll-Tussi oder als Engelchen verkleidet, und auch wenn schwarz Hipster überwiegt, da geht schon alles. Süß auch, wenn die Leute sich verkleiden, so richtig was überlegen, was sie tolles anziehen könnten, das geht bei Jungs ja immer super, bei Mädchen eher nicht.

September 2014 – Toilette I

Es ist Samstag und T. regt sich auf. Wir kommen gerade aus dem Café, in dem wir uns getroffen und einen Frühstückskaffee getrunken haben. Jetzt wollen wir spazieren gehen, bestes Oktober-Wetter, in den Wedding. Er regt sich auf, weil ich sage, lass uns noch schnell bei mir vorbei, ich muss mal aufs Klo. T. setzt zu einer Großklage über die weibliche Blase im Allgemeinen, den Umgang mit Toiletten-Ansagen von Frauen im Besonderen und mein persönliches, ihn in seiner Freiheit einschränkendes Toiletten-Verhalten im Spezifischen an.

Den ständigen Toilettendrang der Frau hält er für eine weibliche Irrationalität, die ergo abgeschafft werden muss. Erwiesenermaßen, so führt T. an, hat die Blase der Frau ein weitaus größeres Fassungsvermögen als die der Männer (ich bereue, dass ich ihm dieses tatsächlich interessante Faktum, von dem mir meine Medizinerfreundin C. mal erzählt hat, aufgetischt habe. Jetzt krieg  ich‘s ständig aufs Beweisbutterbrot geschmiert). Der ständige Harndrang der Frau sei also psychisch bedingt, meint T., und psychisch ist in T.s Universum gleichbedeutend mit Bullshit und fauler Ausrede. Psychisch heißt, da stellt sich jemand an. Männer, meint er im Übrigen, haben wenigstens den Anstand kurz mal irgendwo aufs Klo zu gehen, in einer Kneipe, einem Café, aber Frauen wollen dann immer gleich ins Café. Ständig, meint T., müssen die Männer aus diesem Grunde Kaffee trinken, obwohl sie gar keinen wollen oder gar – wie jetzt – mit der Frau nach Hause laufen, obwohl es ein riesen Umweg ist und stundenlang vor der Tür rumwarten, bis die Frau ihre Badezimmergeschäfte erledigt hat. Männer, so T., haben den Anstand die Restwelt nicht mit ihren Toilettenbedürfnissen zu belästigen, belasten, sagt er. Sie regeln sie diskret und schnell, ohne Einschränkungen für die anderen Menschen auf diesem Planeten. Männer, sagt T., reden auch nicht die ganze Zeit darüber, dass sie auf Toilette müssen, weil sie davon ausgehen, dass niemanden das interessiert. Frauen, sagt T., liegen einem ständig damit in den Ohren, als wäre es so richtig interessant, dass sie auf Toilette müssen. Und wie es eigentlich sein kann, dass Frauen, er meint mich, drei Minuten nachdem sie aus einem Café raus sind, in dem sie easy hätten aufs Klo gehen können, auf ein eben solches müssen?!

Ich verteidige mich tapfer, im Namen aller Frauen. Ich spreche über das weit verbreitete Problem des schwachen Bindegewebes der Frau, das zu höherem Druck auf den Schließmuskel führt. Über spezifisch harndrängende Getränke wie Kaffee und Tee. Wasser, Cola, Apfelschorle, Wein. Und Bier. Ich untermauere unter Zuhilfename von Google Maps meine These, dass meine Wohnung auf direktem Wege in den Wedding liegt und keinen Umweg darstellt, und wenn dann höchstens einen von zwei, drei Minuten, okay fünf inklusive Toilettengangs. Ich preise mich als Zwarhäufigmüsserin, dafür aber Schnellpinklerin. Ich weise auf meinen unverschuldeten Penismangel hin, der mir (oh, wie oft zu meinem eigenen Ärger!) nunmal  per DNA verweigert wurde und mich nun zum Opfer einer schwächlichen, irrationalen, weiblichen Blase macht, einer im Grunde doch rein diskursiven Konstruktion, die mich mangels gesellschaftlicher Akzeptanz alles Weiblichen, um nicht zu sagen durch strukturelle, offene wie subtile gesellschaftliche Diskriminierung dazu bringt, mich nicht hier und jetzt, einfach so in einem Hauseingang oder an einem Baum zu entleeren. Wie er, als Mann, das jederzeit tun kann! Oder sollen wir mal ausprobieren, was passiert, wenn ich hier und jetzt  – (ich greife mir theatralisch an den Gürtel ) – einfach mal so, die Hose runter? Wäre ihm das lieber? (Die Prenzlberger bleiben jetzt schon stehen, ich lasse vom Gürtel ab.) Außerdem trinke ich nun mal gerne Kaffee, führe ich noch ins Feld. Warum soll man nicht das Unangenehme mit dem Angenehmen verbinden, und wenn ich schon drin bin, in so einem gastronomischen Etablissement, kann ich doch auch gleich noch einen kleinen Kaffee trinken. Es ist mir einfach peinlich, die privatunternehmerische Toilette als öffentliche Pinkelanstalt zu missbrauchen, ein für mich nachvollziehbares Ärgernis für jeden Cafébesitzer.

Ich entleere meine Blase in meiner Wohnung . T. wartet mit verschränkten Armen unten auf der Straße. Nach ungefähr dreißig Metern Richtung Wedding muss ich schon wieder. Und zwar echt richtig dringend.

Vielleicht ist es ja doch  psychisch.

September 2014 – (Greece) turtles and rainbows

Wir haben in Griechenland – ohne Scheiß – ich schwöre –

– Zwei Schildkröten gesehen, die sich geküsst haben.

– Und einen Regenbogen, der einmal rum ging, ganz und gar rumging, von links nach rechts, dick und satt, wie man ihn als Kind gemalt hat.

Und beides mal war ich mit T. allein.

September 2014 – (Greece) cross dressing

Ich frage N. ob er eigentlich schon mal Frauenkleider getragen hat.

Mich interessiert das gerade, denn ich hab hier in Griechenland gerade in Alison Bechdels Comicroman Fun Home die Szene gelesen, in der sie als Kind zusammen mit einer Freundin Männerklamotten anzieht. Hemden, Krawatten, Schuhe und Anzug von Dad. Sie geben sich Männernamen (Billy McKean und Bobby McCool!) und spielen Betrüger und Versicherungsvertreter (!).

Ich finde das total abgefahren. Die Szene verblüfft mich. So kenne ich das nicht.

Ich meine, Frauen verkleiden sich doch die ganze Zeit als Männer. Inzwischen schon so lange und so häufig, dass es weder ihnen noch irgendjemand wie eine Verkleidung vorkommt. Ist ja kein Cross-Dressing, wenn Frauen Hosen anhaben. Ist selbstverständlich. Die Frau hat einen langen, fast vergessenen, blutigen Kampf um die Hose geführt. Sie hat ihren Wunsch nach Aufwertung, nach Gleichstellung ausgedrückt, als sie sich das Recht auf die Hose erkämpft hat. Der spätere Kampf um den Minirock war dann einer gegen die Abwertung. Des Weiblichen. Hose und Rock, längst geht beides.

Aber Cross-Dressing ist darauf angewiesen, dass es eine Hierarchie gibt zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen. Es setzt sie voraus. Sonst funktioniert das nicht.

Bei Männern funktioniert es dementsprechend immer noch. Wenn Männer Frauenklamotten anziehen, ist das sofort erkennbar. Das ist Verkleidung.

Der Mann hat nie darum gekämpft, einen Rock tragen zu dürfen. Warum soll er auch, wer kämpft schon um gesellschaftliche Abwertung. (Schwule kämpfen um Anerkennung trotz ihrer weiblichen Seite, also genau wie die Frauen. Obwohl die Schwulen selbst oft genug Probleme mit ihrer Weiblichkeit haben. Was nochmal was anderes ist als mit der Zuschreibung ein Problem zu haben.).

Hosen sind cool. Jungs sind cool. Turnschuhe sind cool. Mädchen, die Jungs sein wollten, oder ihnen zumindest nah sein wollten, so wie ich, wollten Hosen und Turnschuhe. Aber genau das ist es. Da steckt‘s drin. Jungs sind besser. Wer sich anzieht wie sie, ist ihnen nah. Aber niemals gleich. Mädchen, die Jungs cool finden, sehen herab auf das Weibliche. Um sie herum und in ihnen drin. Sie werten sich selbst auf, in dem sie sich in der Nähe des Throns aufhalten. Rock  war für mich okay – aber immer auch ein bisschen peinlich, weil ausgestellt, von Außenwahrnehmung betroffen. Hose war besser – weil cooler, tougher. Im Grunde ist das bis heute so. Fühlt sich noch immer genauso an.

Die Szene bei Bechdel (die ihre Zurechtdrapierung zum süßen kleinen Mädchen durch ihren Vater gehasst hat) ist anders. Sie verkleidet sich als Mann. Und sie kann das. Bei ihr funktioniert das mit dem Cross-Dressing. Weil ihr Begehren anders funktioniert als das der heterosexuellen Frau. Weil was anderes drinsteckt. Nicht das Begehren, zu sein wie ein Mann. Oder der Wunsch, dem Mann nah zu sein. Sondern das Begehren, ausdrücken zu können, dass sie ein Mann ist. Dass sie sich wie einer fühlt. Das ist was ganz anderes. Sich zu fühlen wie ein Mann oder eine Frau sein, die gerne ein Mann wäre – das sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Ich hab mich immer gefühlt, wie ne Scheißfrau und mich darüber geärgert, dass ich dem Frausein so ausgeliefert war. Dass ich da nicht raus konnte. Darauf reduziert war. Die schlechte der beiden Geschlechterkarten gezogen hatte. Da haben auch alle Hosen und Turnschuhe nichts genützt. Deswegen bin ich dann irgendwann auf den Rockzug aufgesprungen und hab versucht, mir beizubringen, dass die weibliche Seite einen Wert an sich hat. Dass man als Frau nicht den Fehler machen sollte, die gesellschaftliche Hierarchie zwischen den Geschlechtern fort zu schreiben, in dem man sich und die anderen Frauen fertig macht. Dass das Weibliche und das Männliche Spielwiesen sind mit unendlich vielen individuellen Zwischentönen. Ja, ja, die 90er. Als man noch gekreischt hat auf der Betriebsfeier, wenn die bärtigen, haarigen Jungs im Dirndl aufgetreten sind, an der Uni aber schon viel weiter war. Und heute haben wir den metrosexuellen Mann, der Frauen liebt und ihre Haarpflegeprodukte (Zitat von Raj aus the Big Bang Theory). Und Conchita Wurst. Aber Drags sind noch mal ein Thema für sich.

Meine Cross-Dressing-Erfahrung jedenfalls ist eine ganz andere. Ich wäre nie auf die Idee kommen, mich als Mann zu verkleiden. Ich erinnere mich, dass ich mich als Frau verkleidet habe. Genauer gesagt, als Prostituierte. Zusammen mit einer Freundin habe ich mir Lederstiefel meiner Mutter angezogen und bin nur in Unterhosen durchs Zimmer spaziert. Abgesehen von der Auto-Erotik, die in der Szene steckte, und der schlichten Faszination für einen außergewöhnlichen Beruf, stellt sich mir das als Versuch dar, sich das Konzept Frau anzueignen. Es zu imitieren, einzuüben. Das war meine Idee von Frau. Es war etwas Fremdes, das man ausprobieren, aber zu werden nicht ernsthaft in Betracht ziehen konnte. Wie soll man von da aus weitermachen?

Vielleicht stimmt es auch gar nicht, was ich über Al. Bechdel bzw. Lesben sage. Die meisten können mit Männern ja gar nix anfangen und fühlen sich voll als Frau. Frau frau frau, ganz toll. Ganz anders als ich. Von außen ist das absurd. Die sind solche Kerle, ich son Mädchen.

N. erzählt übrigens, dass er die Kleider von seinen Schwestern angezogen hat. Er mochte das. Und dennoch gab es einen Moment von Gefahr. Irgendwo in diesem Spiel gab es eine Grenze. Die man nicht überschreiten sollte.

Er beklagt im Übrigen, dass 80 Prozent aller Klamotten in den Läden für Frauen sind. Da hat er Recht. Die Männerabteilung ist im Allgemeinen einen traurige. Ein Stiefkind der Modeindustrie. Die Bandbreite an Möglichkeiten ist viel kleiner. Die Frau kann eine Hose anziehen oder einen Rock oder ein Kleid. Und unendlich viele Varianten davon. Der Mann kann einen Anzug anziehen oder eine Hose. Das war‘s.

Männer, die aussehen wie Frauen, gehen ja ganz gut inzwischen. Popkulturell sowieso. Schwule Jungs mit ihren Schals und weichen Gesichtszügen und kleinen Mädchenhintern, wer könnte denen böse sein. Kein Problem, sagen wir da. So einen süßen schwulen Jungen hätten wir doch alle gern. Aber Lesben, butch-Lesben, so im Baumarkt- oder Bikerstil? Eher nicht. Das ist schnell unangenehm. Weil wir Machomänner nicht leiden können? Really? Oder doch eher weil es eben was anderes ist als die Hosensache bei der Heterofrau. Da ist jemand Mann, und kratzt nicht nur an der Tür. Das ist ne Unverschämtheit. Ne Kränkung auch. Ein Affront. Gegenüber dem Mann. Das ist schwerer zu knacken, scheint mir. Ham jetzt alle mal the LWord gesehen oder Ellen De Generis? Wer ist nochmal lesbisch bei uns hier in Germany? Ahja, die Talkmoderatorin. Sehr gut. Der Trend geht glücklicherweise zur komplett-Individualisierung. Alles überschneidet, überlagert sich, wird uneindeutiger, individuell verhandelbarer.

Es lebe die cross-Freiheit.

September 2014 – (Greece) beliebig

T. sitzt neben einer Frau auf einer Terrasse mit Blick aufs Meer. Die Unterhaltung ist sanft, kreist um gemeinsame Pläne. Ab und an wird leise gelacht. Das könnte auch seine Freundin sein. Das könnte auch seine Freundin sein. Sie passen gut zusammen, so von hinten. Größe, Typ, alles stimmt. Er würde mit ihr schlafen, mit ihr in Urlaub fahren, leise flüstern und laut streiten. Er wäre genervt von ihr. Das wäre schön. Sie wären auf Fotos drauf. Wie sie da so nebeneinander sitzen. Jemand würde die Fotos zeigen und sagen: Und das sind A. und B., die waren auch dabei. Im Grunde ist es also egal. Es könnte auch jemand anders sein. Ist das bei mir auch so? Ist das bei allen Menschen so? Ist es einfach egal, beliebig, austauschbar? Schon jemand, der passt, das ist klar. Aber es passen viele. Oder? Oder passen nur wenige? Passt nur ein einziger? Die Meinungen gehen auseinander, andauernd, in den Ambivalenzen der Moderne. Parship, das Liebestool unserer Zeit, hat das Konzept der romantischen Liebe auf den Punkt gebracht. Man hat Wünsche und Vorstellungen, einen ganzen Katalog davon und einen Algorithmus. Und mit dem findet man dann die große Liebe, den einen. Den einen, der passt.

Ich pass nur zu einem. Das ist ein Erfahrungswert. Und es hat wenig mit passen zu tun. Herzlich relativ wenig mit passen zu tun. Soviel steht fest.

 

September 2014 – Warholias

Mal wieder in Andy Warhols Philosophie von A bis Z geblättert.

Abgesehen von äußerster Witzigkeit:

 

Ausbeute 1:

 

Zitat: „Ich habe schon immer gewusst, dass ich  nie heiraten werde, weil ich keine Kinder will,

ich will nicht, dass sie einmal dieselben Probleme haben wie ich.

Ich glaube nicht, dass jemand das verdient.

(Besser auf den Punkt bringen kann mans nicht.)

 

 

Ausbeute 2:

Die Erwähnung des „Reuben Sandwiches“.

Ich recherchiere und hier kommt’s:

Man nimmt Roggenbrot.

Belegt es mit Pastrami, Appenzellerkäse (kräftig), Sauerkraut (abgetropft).

Gibt ein Dressing aus Creme Fraiche (Basis), Meerrettich und Sojasauce dazu.

Gibt das Ganze in die Grillpfanne (Butter auf die Außenseiten der Brotklappen schmieren! – damit’s nicht klebt kann man Backpapier benutzen),

und serviert es mit Cornichons und körnigem Senf.

New York, New York!

August 2014 – mein Verrückter

hab ich schon mal von meinem Verrückten erzählt?

In Berlin wohnt ja bekanntlich in jedem Haus einer. In meinem auch. (Das liegt an der Armut in dieser Stadt. Und an der Unmöglichkeit aus der Armut rauszukommen. Das ist wie ein Knast. Deshalb macht die Armut verrückt. Ich bin auch schon mal fast verrückt geworden vor Armut.)

Mein Verrückter schreit.

Er schreit laut und durchdringend und so, als sei er vom Dämon besessen.

Als ich ihn das erste Mal gehört habe, vor ungefähr zwei Jahren, kurz nachdem ich eingezogen war, dachte ich, jemand guckt den Exorzist. So klingt das. Man versteht nicht, was er sagt, aber er sagt immer den einen gleichen Satz. Scheint also wichtig zu sein. Immer wieder und wieder den gleichen Satz in der gleichen Intonation. Man weiß nicht, ist es eine Botschaft, ist es ein Fluch, ist es ein Ritual, um den Teufel abzuwehren? Am Anfang hab ich mich furchtbar gegruselt. Das war bevor ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Danach wurde es besser. Aber bevor ich ihn gesehen hatte, dachte ich – denken alle, die ihn zum ersten Mal hinter seiner Tür wüten hören – er ist groß und kräftig, und wenn man an seiner Tür vorbei läuft und er kommt raus und hat ne Axt in der Hand, weil er denkt, man selbst ist der Dämon, dann siehts schlecht aus. Ich hab schon große kerlige Handwerker sich ihre Bohrmaschine zurecht legen sehen, wegen dem.

Bei Licht betrachtet ist er ein verstörter junger  Mann, abgemagert, ungepflegt, mit irrem Blick und weiteren Ticks (zum Beispiel dem, dass er sich an Straßenecken immer rückwärts eindreht wie so ein FBI-Agent). Es gibt so einen Rest in ihm, von dem jungen Mann, der er gewesen wäre. Das ist traurig. Da sieht man noch, was er mal war, was er noch sein könnte, wenn er nicht krank wäre. Ein sanfter, schüchterner, mit sich und der Welt hadernder Junge. Jemand, den man von früher kennen könnte, mit dem man vielleicht befreundet gewesen wäre. Den man dann aus den Augen verloren hätte, von dem man gehört hätte, was ihm widerfahren ist. Eine tragische Existenz. Und doch. Wenn er schreit, scheint er unberechenbar. Man weiß nicht,was er sieht, was in ihm ist, welche Kräfte da toben. Manchmal schreit er monatelang gar nicht. Dann schreit er wochenlang andauernd. Tag und Nacht. Um 4 Uhr morgens oder um 10 Uhr abends oder von 15 Uhr 20 bis 17 Uhr 30. Dann hat er einen Schub und so ziemlich jeder im Haus würde ihn gerne killen. Ich auch. Dann bollert er gegen seine Tür, und die Haustür, mit einer Wucht, dass man staunt, dass er sich nicht die Knöchel bricht. Es ist gruselig und ängstigend wenn er schreit. Und einschränkend. Er setzt in meinem Kopf was frei. Dsa gefällt mri nicht. Er setzt scih rein in meinen Kopf und macht mir Gedanken. Er dringt mit seinem Geschrei bis in meine Träume vor und ich denke, hoffentlich schreit er nicht, wenn ich nachts nach Hause komme, wenn ich an seiner tür vorbei muss, wenn ich arabeiten muss. ich weiß, dass ich ein bisschen bin wie er, ein kleines bisschen. ich kenne diese Verrückt-Hirn-Schranke in meinem Kopf. ich bin selber manchmal unbalanced. Und er steckt mich an, er zieht mich zu sich hin, in seinen Teufelskreis. „Mein Verrückter schreit wieder“, sage ich manchmal. WEnn man ihn öfter sagt, klingt auch dieser Satz gruselig. Ich nehme es sportlich. Ich bin stärker als er. Ich bin auf der sicheren Seite.

Mein Vermieter sagt, er hat ihm gekündigt, Aber „ein Verfahren ist anhängig“. Ich stelle mir vor, ich wäre seine Psychiaterin, seine Anwältin. Sie müssen da nicht raus, Herr B. Sie haben ein Recht auf ihr selbständiges Leben. Machen sie sich keine Sorgen, wir gewinnen den Prozess.

Seit kurzem schreit ein Nachbar von der anderen Seite zurück. Anfangen hat er mit Halts Maul, du Assi. Dann hat er ihn bei seinem vollen Namen genannt, Vorname und Nachname plus Halts Maul und Mach dein Fenster zu. So ging es hin und her über den Hof. Dämon versus gesunder Menschenstammtisch. En Verrückter schreit den anderen Verrückten an. Meine Nachbarin hat irgendwann mal zuraück geschrien: Der ist krank, Mann. Da hat der mit dem gesunden Menschenstammtisch geschrien: Wieso gehstn du nicht zum Arzt, voller Name?

Ist nicht so, dass ich nicht ausziehen würde. Aber Wohnungen für Einpersonenhaushalte sind schwer zu finden und sie sind alle 200 Euro teurer als ich es mir leisten kann.

Seit kurzem hat er den Satz gewechselt. Als es das erste Mal passiert ist, war ich schockiert. In meinem Kopf hab ich nach dem alten Satz gesucht, nach dem Endes des Satzes, denn der neue ist kurz, ganz kurz, vielleicht nur ein Wort, nur noch ein abgehacktes Bruchstück aus dem alten Satz. Das macht mich wahnsinnig. Der Sound stimmt nicht. Da fehlt was. Und ich kann mich nicht mehr an den alten Satz erinnern, obwohl ich ihn zwei Jahre lang so oft gehört habe. Was bedeutet es, dass er jetzt einen anderen benutzt? Braucht er Abwechslung? Hat er den Dämon besiegt und jetzt ist ein anderer dran wie in einem zwei Jahre währenden computerspiel, das nächste Level? Ist er auf dem Weg der Besserung? Ist er auf dem Weg in ein großes Schweigen? In eine Implosion nach innen, statt nach außen?

Manchmal, wenn ich ihm begegne, im Hof oder im Hausflur, grüße ich ihn. Hallo, sage ich. Klar und deutlich. Hallo, sagt er. als wenn nichts wäre.

Wie gesagt, in jedem Haus in Berlin wohnt ein Verrückter. Vielleicht bin’s ja ich.

August 2014 – Drohnen

Google arbeitet an einem Paketversand mit Drohnen. Ich finde das so SciFi mäßig geil, dass ich fast durchdrehe. Da fliegen dann überall diese fleißigen kleine Bienchen rum und kommen zu dir und sagen noch was Witziges und lassen dein Paket ab und in der Luft ist alles voller Straßen und manchmal gibts Unfälle, und die kleinen fleißigen Drohnen knallen aneinander und was ist, wenn sie Kühlschränke transportieren und sie haben einen Bug oder eine Wildgans fliegt in ihren Rotor und der Kühlschrank fällt runter und erschlägt einen? Es geht wohl eher um Bücher, aber auch so ein Hardcoverbuch im richtigen Winkel gegen den Schädel… Ich lese, dass Google sich im Gegensatz zu Amazon, die da AUCH schon längst dran arbeiten und ERSTERr waren, hatte ich gar nicht mitgekriegt!!, die Pakete an Seilen ablässt, denn der Mensch neigt dazu, impulsiv nach seinem Paket zu greifen und dann kriegt er die Hand in die Rotorblätter und endet ähnlich wie die Wildgans. Wie groß sind die überhaupt? Und dann könnte man sich einen Spaß draus machen, die abzufangen und andrer Leuts Pakete zu bekommen oder die Drohnen im großen Stil zu hacken und in geheime Lagerhallen umzuleiten, von wo aus man die Pakete dann weiter verkauft, ist ja manchmal vielleicht doch ein gewisser Warenwert unterwegs, ach nein, die werden bestimmt überwacht, aber wie gesagt: Hacker. Und kommen sie an die Haustür, in den Hof, oder in die Straße? Wahrscheinlich muss ich mich gegenüber der Drohne identifizieren und eine Pin eintippen oder redet sie ein bisschen mit mir? Macht sie ein Foto von mir, der glücklichen Person am Wegesrand, die erfreut die Arme nach ihrem Paket ausstreckt, wie ein Kind sein Geburtstagsgeschenk. Die Drohne wird all diese Bilder sammeln und es wird Personen geben, die sie mehr mag und andere weniger. vielleicht trödelt sie auch mal oder fährt einen Umweg. Für manche wird sie der einzige menschliche Kontakt sein, den sie haben.

Landen sie oder bleiben sie immer in der Luft? Sind sie Google-bunt oder eher so metallisch-R2D2? Sind sie laut? Die Prototypen vielleicht noch, aber da wird sicher schon dran gearbeitet. Werden wir uns belästigt fühlen, vom ständigen Luftverkehr? Besonders die ländlichen Regionen, so Google, werden davon profitieren. Und natürlich werden sich die Lieferzeiten verkürzen wie Sau. Ich freu mich drauf! Ich finds super!  Wenn die erste Drohne kommt, werden wir aufgeregt sein wie die Kinder und nach ein paar Monaten ist alles normal. So ist das immer mit der Zukunft. Und irgendwann ist alles was mal war so weit weg wie die Zukunft es immer sein wird und man fühlt sich alt, im Sumpf wie seine Omi.

August 2014 – Fields

In der SZ lese ich einen Artikel über eine Frau, 36, Iranerin, verheiratet, eine dreijährige Tochter, die die Fields Medaille für Mathematik bekommen hat. Als erste Frau überhaupt.

Sie sieht wahnsinnig sympathisch aus und ich liebe sie augenblicklich, weil ich so stolz und gerührt über ihre Tapferkeit und Klugheit bin. Es hat damit zu tun, dass ich an all die Kämpfe denke, die sie ausgestanden haben muss, um das zu sein, was sie ist und kann. Es liegt an meiner Sehnsucht, so eine Frau vor mir gehabt zu haben (eine Lehrerin, eine Dozentin, eine Mutter verdammt nochmal), jemanden, der stark ist und etwas kann und will und mir das Gefühl gibt, etwas verstehen und erreichen zu können, was mir verschlossen oder ängstigend erscheint. Ein Vorbild.

In ihrer Rede hat sie gesagt, dass sie hofft, dass viele junge Wissenschaftlerinnen und Mathematikerinnen durch den Preis bestärkt werden. Klug genug also auch noch, zu wissen, dass es nicht selbstverständlich ist. Dass es was mit Repräsentation zu tun hat. Andere sagen dann gerne mal, sie persönlich hätten sich nie unterdrückt gefühlt.

Dazu kommt noch, dass es wahrscheinlich nichts gibt, was ich mehr bewundere als einen Menschen, der sich in Wissens-Sphären bewegt, von denen ich nicht mal ansatzweise verstehe, wie sie funktionieren. Das hat ne Größe, so lebensphilosopisch betrachtet, die mir imponiert. Es scheint mir so sinnvoll, sinngebend zu sein, sein Leben damit zu füllen.