Juni 2016 – Spatz gerettet!

Ich will mich ja nicht selber loben, aber heute hab ich einen Spatz gerettet.

Ich sitze im Cafe, einem dieser Kettencafes, vornehmlich von Touris besucht (ich hatte das bereits weiter unten erwähnt, dass es mich dort manchmal hinzieht), und arbeite. (tippe ins Laptop, und sie nannten es Arbeit). Dieses Kettencafe hat zwei, bei der Hitze offen stehende Glastüren (praktisch die gesamte Außenwand besteht aus bodentiefen Fenstern), die sich diametral gegenüber liegen und viele Croissants. Aus dieser Gleichung ergibt sich: Spatzenhorden halten sich hier auf. Heute nicht. Dass das komisch ist, fällt mir erst in dem Moment auf, in dem einer reinsaust, ein Einzelheinz, und sich im Karacho den Kopf an der Fensterscheibe anschlägt. Er sinkt zu Boden und ich denke schon, er ist hin. Nein. Er schreit lautlos (schnabel offen, kleine Zunge raus) und guckt belämmert. Kapier ich nicht, denkt er. Hier geht’s doch raus. Er versucht es nochmal und nochmal das Fenster hoch, panisch flatternd, dann nochmal, nach kurzer Bedenkzeit, mit Anlauf – Boing!, erneutes Schädel-Trauma.

Scheiße, ich kann mich doch jetzt nicht um den kümmern, die sind hier eh nicht gern gesehen, was soll ich mich da jetzt in die Spatzenwelt einmischen, die hier normalerweise prima zurecht kommt, gleich kommt der nächste, helf ich dem dann auch, ich will arbeiten, lass mich in Ruhe, du kleiner Blödmann.

Kein Kumpel da, um ihn zu unterstützen, ihm zu erklären, wo’s hier rausgeht. Jetzt sitzt ein anderer seiner Sorte draußen, auf der anderen Seite des Fensters. Betrachtet die Misere. Der von innen ist noch verwirrter. Ja, das ist schwer zu verstehen, kleiner Spatz. Er sitzt im Knast, im Glasknast. Draußen ist drinnen und andersrum. Da kann man schon mal schreien und dreimal Dünnschiss auf den Boden machen. So, jetzt reichts. Genug Brain-Place für ihn aufgewendet. Ich nehme erst mein Buch – iiih, nee, wenn er da drauf kackt, der Berliner-BazillenSpatz – ich nehme eine Zeitung des Hauses, knicke sie, lasse ihn draufhüpfen, macht er auch, nach drei nachdrücklichen Aufforderungen, ich trage ihn in Richtung offener Tür – Freiheit, raus ist er im straight Flug. Mannmannmann. Wieso bedenkt niemand die Auswirkungen bodentiefer Fenster auf die Spatzenwelt.

Kurze Zeit später sehe ich einen anderen zur einen Tür rein, geradeaus mit Karacho durchs Cafe zur anderen Tür wieder raus fliegen, wie ein Profi. Also entweder meiner war sehr jung oder extra doof.

Juni 2016 – behindert

T. und ich haben gerade angefangen im Wasser des kleinen Müggelsees Beachball zu spielen. Ein Junge, ca. 10, kommt wasserspritzend angerannt, stürzt sich mit einem Flatsch auf den Ball, der gerade zwischen uns im Wasser gelandet ist, und schwimmt damit weg. Fehlt bloß noch, dass er mit dem Schwanz wedelt. T. und ich gucken doof. T. genervt: Ey! Und will ihm hinterher. Kommt ein Mädchen angehüpft, splash splash, durchs Wasser, bis auf Höhe des Jungen. Was machst du?, fragt sie den Jungen. Ich zu ihr: Kannst du ihm mal sagen, er soll den Ball zurückgeben (bevor T. ihm eine reinsemmelt). Gib!, sagt sie zu dem Jungen. Der rückt augenblicklich den Ball raus. Der ist behindert, sagt das Mädchen zu uns, und gibt uns den Ball. T. und ich gucken irritiert. Ist der jetzt wirklich behindert? (Er sieht gar nicht so aus.) Und wenn ja, wie? Besteht die Behinderung darin, dass er denkt, er ist ein Hund? Oder ist das einfach der neuste kleine-Strolche-Trick: Unverschämt sein und dann sagen, der ist behindert, damit sich keiner aufregen kann? Oder meinte sie einfach das, was wir auch dachten: Voll behindert, der Typ.

Ich nehme mir jedenfalls vor, mir das zu merken und demnächst mal irgendwo anzuwenden: Ich mach was Bescheuertes und sag dann, ich bin behindert. Oder ich bitte T. darum, es zu sagen, der macht das bestimmt gerne.

Juni 2016 – Männer und Tee

Der Wasserkocher sprudelt. Willst du einen von deinen Blümchentees? fragt T. laut über ihn drüber. Ja, sage ich, und greife zum Kräutertee. Und du,? Wie immer deinen  Hardcore-Dickschwanz-Tee? Ich reiche ihm den schwarzen.

Juni 2016 – Junge in der Ubahn

Ein Junge in der U-Bahn spricht mich an. Er fragt mich, ob ich ihm helfen kann, eine Fahrkarte zu kaufen, er muss neun Stationen fahren, sagt er. Aha, sage ich und helfe ihm. Mein Eindruck ist, er kann das eigentlich. Nicht vergessen zu stempeln, sag ich noch, dann trudele ich den Bahnsteig runter, warte auf die Bahn. Er kommt hinterher geschlappt, macht ne Kurve um eine Säule, dann taucht er wieder vor mir auf. Mein kleiner Freund. Offensichtlich in Plauderstimmung.

Er will wissen, was für ein Handy ich hab. Samsung. Er auch! Was für eins. Ich: keine Ahnung, GT irgendwas. Ham sies dabei? Ich: Ja. Und rühre mich nicht. (misstrauisch, will diese Berliner Rotzgöre mich beklauen?) Zeigen sie mal. Ich hol mein Handy raus, er seins – Handyvergleich. Seins ist größer, gebe ich unumwunden zu. Das findet er gut. Wir steigen in die Bahn. Er fragt, wie alt ich ihn schätze. Ich gucke ihn an. Er geht mir bis zum Schlüsselbein (und ich bin klein, wie wir alle wissen). Ich sage: neun? Er lacht auf. Was? Nee ich bin vierzehn! ich bin vierzehn und rauche. Ach deshalb bist du so klein geblieben, sag ich. (ganz schön frech). Wir steigen in die Bahn. Ich beweis es Ihnen, sagt er. Er öffnet seine Gürteltasche einen kleinen, konspirativen Spalt breit, darin eine durchsichtige Tupperbox mit losen Zigaretten. Glaub ich dir nicht, sag ich, dass das deine sind. Die sind bestimmt für deinen Onkel oder Vater oder wo du jetzt hinfährst. Für seinen Opa, gibt er schließlich zu. Dann zeigt er mir noch seinen Bizeps am rechten Arm (weicher Babyspeck). Ich muss raus. Junge, allzeit gute Fahrt, denke ich, und: hoffentlich quatschst du immer die richtigen Leute an. Ich nehme mir vor, mit meinem Freund G. darüber zu sprechen, er ist Kinder- und Jugendpsychologe.

Juni 2016 – Coaching

Ich habe einen Termin bei einer Coaching-Agentur.

(Die Arbeitsvermittlerin im Jobcenter, (ja, back to Hartz), hat mir einen Gutschein für ein Coaching gegeben. Es muss eine anerkannte Einrichtung sein, schwups, wird’s bezahlt. Ich muss das nicht machen, ist freiwillig.)

Außentemperatur heute: 33 Grad. Hier drinne: 36 Grad. Um den Tisch sitzen außer mir noch zwei andere versprengte Scheiter-Gestalten (neun sollten es insgesamt sein, ein paar Hitzetote sind offenbar zu verzeichnen). Der Mann, der heute die Offene Sprechstunde abhält, also eine Infoveranstaltung über die  Agentur und was sie so machen und wie das so läuft ist ein Mann, 60plus, mit blauer Brille und nuscheligem Grundton. Seine Performance ist nervig schlecht, alles was er sagt, wissen wir schon von der Website.

Eine Frau, groß, schlank, blond, weißer breitkrempiger Hut (!), rotes Kleid (!), hohe helle Tango-Schuhe, setzt sich 15 Minuten zu spät und äußerst schlecht gelaunt mit an den Tisch, und spricht, als Garnitur zu ihrem Auftritt, mit osteuropäischem Akzent.

Der Coach erzählt in langweiligem Tonfall von Alfred Adler, blauen und roten Typen (wenn sie rot sind, dann können sie gut verkaufen) und dem energokybernetischen Konzept, das sie in ihrer auf Medienschaffende spezialisierten Agentur anwenden. Auf seine Frage am Ende seines Referats zum Absatz Inhaltliches, ob es dazu noch Fragen gäbe, bevor er dann in die organisatorischen Details gehe, sagt die Frau: Ich bin nur interessiert an Einzelcoaching. Er wiederholt, dass er erstmal wissen will, ob das alles verstanden worden sei, dann käme er wie gesagt zu den Konditionen. Sie: Ja, weil ich dachte, das wäre hier ein Einzelcoaching, an Gruppe bin ich nicht interessiert. Die Gruppe guckt pikiert. Baby, wir sind hier alle wegen Einzelcoaching, aber das ist ne Info-Veranstaltung, kein Grund die Gruppe zu haten.

Er erklärt ihr die Situation – wie ich sprachliche Missverständnisse vermutend – dass es sich heute um eine Info-Veranstaltung handelt, deshalb Gruppe. Die Coachings: Selbstverständlich Einzelcoachings.

Dann holt er wieder aus, faselt weiter von den tollen Coaches, die sie haben, die dann flexibel auf die Leute, je nach Bedarf, losgelassen werden. Sie unterbricht, sagt etwas, was keiner versteht, muss dreimal wiederholen, ich verstehe Vorsingen, versuche ihr beizuspringen: Sie meinen, ob hier auch aufs Vorsingen vorbereitet wird? Nein, sagt sie zu mir mit einem kleinen, spitzen, verächtlichen Schnauben: Vorbereitet bin ich. Sie häuft weiter rudimentäre Sätze auf,  bis wir alle mit einem erleichterten AAAh! schnallen, dass sie Termine zum Vorsingen vermittelt bekommen möchte. Sie fügt hinzu, dass es in Berlin skandalös ist, weil die Termine bei Theatern und Opern nicht online stehen und man nicht weiß, wann man vorsingen kann.

Nein, erklärt der Langweiler ausschweifend, Vorsingen vermitteln sie nicht, aber sie helfen ihr, jemanden zu finden, der das tut. Er preist seine Coaches an, die alle aus der Medienbranche kommen: Musikproduzentin, Filmemacherin, alle mit Alfred-Adler- und Individualpsychologie-Ausbildungen, eine Diplom-Psychologin gar, langjährige Erfahrung, Kontakte, vielleicht ein Showreel für sie….bla.

Ich erinnere mich an eine Freundin, die Berlin mal als Hauptstadt des Coachings bezeichnet hat, hier coachen die Coaches die Coaches. Mein Eindruck: Das Jobcenter hat jahrelang Geld für die Coaching-Ausbildungen dieser Leute ausgegeben (nämlich u.a. der ewig prekären Medienschaffenden, die hier gerade um den Tisch rumsitzen, und jetzt muss es aktiv beweisen, dass Coachings ein sehr wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Arbeitssuche sind, und sich die Investition gelohnt hat, und viel weniger Leute als früher Coaching-Ausbildungen machen müssen. Deshalb hauen sie gerade Coaching-Gutscheine raus wie warme Semmeln.

Und deshalb sitze ich jetzt hier mit dieser bis an die Haarkante frustrierten Hartz-Lady, die nicht fassen kann, was für eine narzisstische Kränkung ihr in diesem Leben zuteil wird, wo sie doch so ein schönes und talentiertes Mädchen ist und die Welt und das Universum das nicht sehen und finanziell anerkennen wollen. Ey, frag mich mal! Frag mal alle, die hier am Tisch sitzen, den stoischen Typen hier neben mir, mit den Tattoos, vielleicht Cutter oder Kameramann oder die kleine freakige Spanierin da drüben, die so grantig guckt, wegen dem was man ihr hier abverlangt, hallo? Meinst du, du bist die einzige frustrierte Zicke auf der Welt? Musst du deshalb den Betrieb aufhalten und alle, aber wirklich alle über die Maßen an deinem Frust teilhaben lassen, die Situation so wenden, dass es nur um dich, wie immer endlich mal nur um dich geht? Es ist gleich elf, ich hab auch noch was anderes vor heute.

Der Coach erklärt, dass es einen weiteren Termin geben wird, an dem die Interessierten versammelt werden und dann erzählen, was sie brauchen und was sie machen und dann wird ein Coach ausgesucht. Und das ist dann der erste Termin des Coachings. Aha. Mhm. Also noch ein Gruppensammeltermin an dem alle außerdem auch noch ihre private Geschichte auspacken müssen? (er: Das hat sich sehr bewährt. Aha.). Ich beschließe spätestens jetzt, mich noch woanders umzuschauen, an Angeboten mangelts ja nicht gerade, siehe oben.

Jetzt wird die Spanierin rabiat (wenigstens die müsste die  Hitze doch gewohnt sein). Wie können Sie denn nach zwei Sätzen über mich darüber urteilen, was ich brauche (wir alle haben einen Zettel ausgefüllt, mit Beruf, Ausbildung, und unseren Wünschen an ein Coaching). Ihre Frage ist berechtigt, auch wenn sie wiederum auf einem wahrscheinlich sprachlich induzierten Missverständnis beruht, sie hat nämlich nicht verstanden, dass die Coaches erst nach dem Kennenlern-Gruppentermin verteilt werden. Aber muss sie sie so aufs Äußerste empört und keifig stellen, dass allen anderen die Stimmung und der Tag auf jeden Fall auch versaut wird? Leute, was ist denn los mit euch? Das Arbeitsamt bietet euch ne Möglichkeit, die ihr ergreifen könnt oder auch nicht. Freiwillig, keine Sanktionen. Ist das das Schlimmste auf der Welt, passieren in anderen Ländern auch solche himmelschreienden humanen Katatstrophen?

Da sitzen sie und fühlen sich gegängelt und getriezt, vom Jobcenter, schlecht behandelt, und von unwürdiger Serviceleistung angegriffen und ich denke, bin ich jetzt ein rechtskonservatives Arschloch, dass ich finde, man kann das hier mit Anstand über die Bühne bringen und ohne die eigene Scheiße (und ich weiß, dass es scheiße ist, believe me, guys), flächendeckend auf alle Anwesenden auszubreiten?

Nachdem auch dieses Spanierinnen-Missverständnis lang, breit und erfolglos vom Coaching weggenuschelt wurde, erklärt er, das Coaching geht über 40 Unterrichtseinheiten. Uff, das ist echt ein Haufen Zeug. Wer braucht sowas, um am Ende zu wissen, dass er nicht der rote Typ ist?

Die Polin (Tschechin, Russin, Slowakin) fragt daraufhin, schlau, provokativ und stolz darauf, wie viel Geld er eigentlich für uns bekommt. Okay. Ein bisschen Respekt zolle ich ihr dafür, das ist ne Forderung nach Transparenz, die ich gut finde, aber schon wieder diese unendliche Verachtung für Mensch und Tier in Blick und Stimme?

34 Euro die Stunde, sagt der Coach, offen und prompt. Und fügt hinzu, das ist nicht viel, bedenkt man die langen Ausbildungen und vielfachen Kompetenzen der Mitarbeiter.

Die Polin schnaubt schon wieder. Eine Gesangslehrerin (und schon sind wir wieder bei ihr) verdient 12 Euro die Stunde, eine Putzfrau 10 Euro, da findet sie es schon komisch, dass er 34 Euro wenig findet. Er: Eine unserer Coaches ist Diplom Psychologin, das werden sie doch nicht mit einer Putzfrau vergleichen wollen!, andere Coaches verlangen viel mehr, seit Jahren Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt, immer gutes Feedback, usw. blabla. Die Polin setzt nochmal an – mir reicht‘s jetzt, es ist viertel nach elf. Ich rede laut und deutlich über ihren ego-narzistischen Sermon und zusätzlich noch über den dünkelhaften, vom Arbeitsamt geförderten Coach drüber: Niemand hat gesagt, dass es auf der Welt gerecht zugeht, man muss das doch innerhalb eines Marktes sehen, 34 Euro für Coaching finde ich nicht viel, bedenkt man, dass Coaches in großen Firmen sicher sehr viel mehr verlangen, außerdem worüber reden wir hier, sie muss es ja nicht aus eigener Tasche bezahlen, oder?

Hab ich gerade den Coach verteidigt – er versucht es so aussehen zu lassen, indem er sich bedankt. Dass er genauso ein Depp ist, die Putzfrau zu beleidigen, die im Übrigen heute auch lange Ausbildungswege hinter sich hat, und in der Ukraine Hirnchirurgin war (zu der könnten sie allesamt mal gehen und sich operieren lassen), und ein Studium heute sicher keine Garantie mehr für einen Job oder ein anständiges Einkommen ist, oder dass es sowieso schon immer zynisch und menschenverachtend war und ist, dass irgendjemandes Lebens/arbeitszeit mehr Wert ist als die von anderen, dazu komme ich nicht mehr. Die Veranstaltung löst sich nach meiner Intervention schnell auf. Wir vier Teilnehmer fahren schweigend im Fahrstuhl nach unten.

Der einzige, der die ganze Zeit kein Wort gesagt hat, ist der Typ mit den Tattoos. Er hat uns Zicken machen lassen.

 

Juni 2016 – Orlando

So, jeder durchgeknallte Amokläufer (danke Amerika für deine Bürgerrechte, die es jedem erlauben eine Waffe zu besitzen), der sich besser mal frühzeitig auf die Couch gelegt hätte, um mit seiner Homosexualität klar zu kommen (danke Religion, für deine Fähigkeit, die Leute zu verkorksen), kann sich jetzt adeln, indem er sein Tun einfach dem IS unterordnet, kann sein weirdes, armseliges Psychoding jetzt einfach zur ganz großen Sache erklären – und der IS möbelt damit im Gegenzug seine Referenzliste auf. Super Deal.

Juni 2016 – Und, guckst du EM?

Okay, jetzt ist wieder EM und ich frage mich so langsam, wieso hat eigentlich keiner ein Problem mit Fußball? Sind doch sonst immer alle so schnell dabei, wenn’s um Korrektheitsverhalten geht. Man darf nicht bei Primark kaufen, bei amazon, keinen unzertifzierten Tunfisch verspeisen, kein Gluten, kein Fleisch, aber Fußball gucken, das darf man! Dabei ist Fußball die unkorrekteste Veranstaltung von allen! Da waschen sich Männer gegenseitig die Hände, Männer, von denen man dachte, sie wären längst ausgestorben, mit den 50er Jahren untergegangen, aber nein, wie sich herausstellt, regieren sie die Welt! Die klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und schieben sich unterm Tisch die Millionenverträge zu und geben sich feuchte Händedrücke und dann teilen sie sich zur Feier des Tages eine Edelhure. Im schlimmsten Fall gibt’s mal einen Sex- oder Korruptionsskandal. Aber das schadet nicht weiter, im Gegenteil. Das Ganze zieht sich dann runter bis auf die Spielerebene. Und wenn wenigstens ENDLICH mal einer von denen die COJONES hätte, zu sagen, dass er schwul ist! Aber nein, nicht mal das kriegen die Feiglinge hin! Dabei wär der ein Superstar, hochgejubelt und international durchgetalkshowt. Come on, da ist jetzt echt genug geredet und der Weg geebnet worden. Das hat inzwischen so ziemlich jede Sportart hingekriegt, außer Reggea und Synchronschwimmen. Und dann wird einem dieser ganze korrupte Geldlesverdiener-Scheiß auch noch von Antifa bis grün als big united Multikulti-Ding untergejubelt, dabei geht’s nur um globalen Kapitalismus und internationale Verschiebeverträge. Das hat doch mit: Ey, ein Schwarzer spielt für uns, der kann das und ist hier geboren, eat that, du borniertes rechtes Nazi-Arschloch!, nichts mehr zu tun, funktioniert doch überhaupt nicht. Und dann die Fans! Eine reizende Bagage in deren Mitte sich genau dieses rechte, verspießerte, brutale Dumm-Männertum unterm Deck- und Legitimationsmäntelchen des angeblichen Familien- und Gewerkschaftssports austoben kann: Saufen, dummbrüllen, Randale machen, und dann noch nicht mal wissen warum! Herrgott, man ist doch auch irgendwann mal aus der Kirche ausgetreten, weil man von dem Verein nichts hält, auch wenn er ab und an mal was Gutes tut!

Ob ich EM gucke?

No fucking way, liebe Genossinnen und Genossen! Ich mach den Spielverderber.

 

Und Tor !!! Nachtrag, 17.6.: wie konnte ich die vergessen!? Die ganzen misogynen Arschlöcher, die sich vom Fußball ins Recht gesetzt fühlen die übelsten Hasskommentare über eine Frau! als Moderatorin! im Fußballjahr 2016 abzulassen. Von „Kampflesbe“ und „geh Wäsche machen“ über das solide alte „Schlampe“ bis zu „darf die überhaupt raus aus der Küche“ und „nix gegen Emanzipation, aber können sie uns nicht wenigstens den Fußball lassen“ sowie „die können ja Frauenspiele kommentieren, aber doch nicht die richtigen“ war alles dabei, was man wissen muss.

Juni 2016 – grüßen

Es gibt ja so Leute, die hat man irgendwann mal gegrüßt und dann grüßt man sie irgendwann nicht mehr. Das ist sehr unangenehm. Geht das nicht irgendwie anders? Und wer hat überhaupt damit angefangen. Bzw. aufgehört? Man selber? Oder der andere? Eigentlich immer der andere. Immer hat der andere angefangen. Nicht zu grüßen. Wir haben uns gegrüßt, dann hat er mich nicht mehr gegrüßt. Ich kenne niemanden, der sagt, ich hab aufgehört, den zu grüßen. Ich kenne nur Leute, die sagen, der grüßt mich nicht mehr. (Oder, gerne Frauen: Die grüßt mich nie, also grüß ich sie auch nicht.)

Und dann sitzt man plötzlich nebeneinander im Cafe oder begegnet sich auf der Straße und läuft auf einem engen Gehweg aneinander vorbei und es ist komisch. Awkward, wie der Ami sagt. So awkward. Oder jemand anderes, den man gerade am Nachbartisch getroffen, und der noch zu denen gehört, die man grüßt, sagt zu dem am übernächsten Nachbartisch, den man nicht mehr grüßt : Ihr kennt euch doch auch, oder? Die allerunangenehmste Variante. Die peinliche Direkt-Ansprech- Bloßstellungsvariante, von freundlichen unbedarften Zeitgeistern durchgeführt, die denken, alle ham sich lieb. Dann muss man sagen, jaja, richtig, von da und da, ne? Das wird einem eine Lehre sein, das nächste Mal wird man sich wieder grüßen. Oder auch nicht. Mal sehen, ob er mich dann grüßt.

Aber was ist das auch für ein komischer Moment, das Grüßen. Wie kommen einseitiges und einträchtiges Grüßen zustande? Wer entscheidet wie in Sekundenbruchteilen des Anschauens, Registrierens und Prozessierens, ob man und wie man grüßt? Hallo. Hi., nacheinander, überlappend, gleichzeitig. Lässt sich das nicht algorithmisch lösen? Eine Sheldon Cooper Autisten App, eine would appreciate App, die das für einen übernimmt, das Grüßen.

Es gibt Leute, die grüßt man jahrelang immer nur und wechselt nie ein Wort. Dann kann mans ja irgendwann auch echt mal lassen, das Grüßen, oder? Aber wer weiß schon, ob man sich nicht doch mal wieder begegnet, in irgendeinem Kontext in dem es wichtig gewesen wäre, die Person zu grüßen. Du willst den Job? Hättste mal besser gegrüßt.

Dann gibt es Leute, die erkennt man tatsächlich nicht mehr oder man ist, wie ich, damit beschäftigt mit den Zähnen zu knirschen und beim Laufen ein Problem zu zermalmen, das im Kopf rumkullert wie ein Stein, und man ist für einen Moment zu langsam bzw. zu schnell vorbei am Anderen. Oder man ist einen Moment nicht sicher, ob es die Person ist, die man immer gegrüßt hat? Denn man wird ja auch alt, vergesslich und wunderlich. Und man hat so langsam auch echt schon viele Gesichter gesehen, und manche von denen sind sich ähnlich oder überlagern sich, Frisuren, Figuren verunsichern einen, weil sie sich verändern sich oder man kann den Gesichtern keine Namen mehr zuordnen und man grüßt lieber nicht, denn wenn die Person stehen bleibt, dann muss man umschiffen, dass man ihren Namen nicht weiß oder keinen Schimmer mehr hat, aus welchem Zusammenhang man sie kennt. Und manchmal ist man einfach zu faul zum Grüßen, zum Nettsein, zum Lächeln, auch wenn‘s nur kurz ist. Eine Sache, die man einsparen kann, ach du, egal, rasch vorbei, danke.

Eine seltene, aber sicher die sozial alptraumartigste Version des Nicht-Grüßens ist natürlich die des Nicht-Grüßens, weil man sauer aufeinander ist. Weil man nichts mehr miteinander zu tun haben will. Da gehen Menschen grußlos aneinander vorbei, die Sex miteinander hatten. Die ihre Genitalien betrachtet und ineinander gesteckt haben. Die sich weitaus mehr zu sagen hatten, als Hi. Die beste Freunde waren! Sich ihre Liebe gestanden haben! Ihre Familien, Freunde, Haustiere, Wohnungen geteilt haben! Und jetzt: kein Wort.  Grußlos gehen sie vorüber. Wenn man sich vorstellt, dass man da einfach so zwischen durchläuft, dass da einer die Straßenseite wechselt, nicht einfach weil er zu Rossmann will, sondern weil er der Person, die gerade an dir vorbeiläuft, nicht begegnen will. Was für eine Energie, was für eine Geschichte. Von der man nichts mitkriegt.

Je länger man in einer Stadt wohnt, umso häufiger und weitverzweigter wird natürlich die Grüß-Problematik. Das Netz wird dichter, zieht sich langsam zu. Man muss aufpassen wie ein Luchs. Wie mag das alles erst Menschen gehen, die viele Leute kennen? Ich kenne ja praktisch niemanden.

Trotzdem überlege ich, wegzuziehen.

Irgendwo ganz neu anfangen, mit dem Grüßen.

Juni 2016 – Weg, Ziel

Wer hat eigentlich gesagt, der Weg ist das Ziel. So ein Blödsinn.

Der Weg nervt, und zwar ziemlich, und so lange, bis das Ziel auch nervt. Der Weg verdirbt einem das Ziel. Er macht das Ziel egal. Dann halt nicht, Ziel. Wenn der Weg so scheiße ist. Dann bleib halt wo du bist, in deinem Tal der Unerreichbaren. Viel Spaß da, Ziel. Tschüss, Weg, danke für die Scheißnummer.

Ich springe in die Luft, dann halt ich sie an, damit ich nie wieder runterfalle, auf den Weg.

Juni 2016 – Traum

Ich träume, ich trenne mich von T. Ich weiß, es wird hart, und noch lange wehtun, aber ich werde es schaffen. Ich wache auf und schnappe nach Luft, ein Schub aus Angst und Panik erfasst mich. Was hab ich nur getan?! Glücklicherweise liegt er neben mir.

Seltsam. Normalerweise träume ich das Gegenteil: Er verlässt mich und ich weiß nicht mehr ein noch aus. Ich weine und bettle. Er zuckt nur mit den Achseln. Es ist das Gefühl von damals, als er mich verlassen hat. Wenn ich aufwache, bin ich erleichtert, weil es nur ein Traum war. Aber das Gefühl hängt noch lange in den Tag hinein.

Juni 2016 – kaufen

ich kaufe und kaufe. hier was und da was. im laden oder online. ich guck mal hier, ich guck mal da, vielleicht ham sie was dort. dann entscheid ich mich. und kauf das. richtig gut ist das. spontan oder überlegt: das kauf ich jetzt. kaufen ist das beste. es gehört mir. ich kann das, kaufen kann ich gut. ich kann das richtig gut, ich bin ein guter käufer, das ist ein skill, das ich habe. ich kaufe mit geschmack, sinn und verstand. ich kaufe essen. ich probier das mal aus und das nächste mal das. ich kaufe klamotten. die umkreis ich, guck sie an, probier sie an, die hab ich gesehen, vorher, an leuten, in zeitschriften, an puppen in schaufenstern. ich kaufe sachen für die wohnung. ich will dass die sachen schön sind, dass sie richtig schön sind, ich will nur schöne sachen kaufen, nur was mir gefällt. ich will nicht nicht kaufen, das macht keinen spaß und führt zu frust. wenn ich kaufe bin ich am leben. ich nehme am leben teil. mit dem kaufen und mit den sachen, die ich kaufe. andere leute haben die auch, oder eben gerade nicht. ich bin für mich, ich bin bei mir, beim kaufen, da sind auch andere leute, aber ich bin parallel, in der kauf-parallel-welt, ich seh die anderen aber die sind nicht wichtig, nur beruhigend. ich guck gern, was die anderen kaufen. ich guck auch in der werbung, was ich kaufen kann. ich kaufe sehr gern. wirklich sehr sehr gern. kaufen bedeutet, dass ich geld habe. das ist vielleicht das wichtigste, es bedeutet, ich bin frei, frei zu kaufen was ich möchte. wenn ich kaufe, bin ich unterwegs, hab was zu tun, muss hierhin und dorthin, entscheidungen treffen. wenn ich kaufe, werde ich nicht depressiv. die welt ergibt sinn, wenn ich kaufe, ich ergebe sinn in der welt. ich kaufe. früher war mir das egal, kaufen, geld, egal. heute weiß ich nicht, was ich sonst machen soll außer kaufen und geld spielt in meinem kopf die rolle nummer 1, ich will welches, die ganze zeit und hab nie welches, die ganze zeit.