März 2018 – nich immer nur negativ

14 Tage Sonne, Wärme, das schönste Apartment der Stadt, mit Blick auf Sonnenauf- und untergänge, Segelboote und Kreuzfahrtschiffe, ein Calatrava-Gebäude, Fisch, Muscheln, Fisch, Gambas, Fisch, jeden Tag, alles vom Mercado direkt in die Pfanne, eine Bibliothek, 24 Stunden offen, so klug und herrlich gebaut, dass ich konzentriert und effektiv jeden Tag ein paar Stunden arbeite, an einem Hörspiel, das ich schon lange schreiben möchte, Tapas, fast keine Rückenschmerzen, ein Observatorium über den Wolken in dem man Weltraumschrott, Exo-Planeten und den Puls der Sonne beobachtet, Kakteen und andere Pflanzen, die man noch nie gesehen hat, keine Kakerlaken, Menu del dia, Schnee auf der Spitze des Teide, Schwimmübungen im Meerwasser-Pool, Kaffee Bombom für einen Euro.

Als wir das Apartment verlassen, um nach Berlin zurück zu fahren, kommen mir die Tränen.

 

März 2018 – nichts an außer

S-Bahn Friedrichstraße, Rush-Hour zum Feierabend. Es hat um die Null Grad. Mitten zwischen den vielen Leuten auf dem Gleis steht ein Mann, barfuß, nichts an, außer einem Krankenhaushemd, und hält sich mit der linken Hand an seinem Infusionsständer fest. Er sieht aus wie ein Indianer mit Speer, der auf die U-Bahn wartet. Stolz und beiläufig. Der Infusionsbeutel fehlt, ein Zugangskanüle steckt ohne Verbindungsschnur in seiner Armbeuge. Er steht da so selbstverständlich, wie alle anderen, die von der Arbeit von zu Hause kommen, dass ich zuerst nur denke, ach. Dann denke ich, um Gottes Willen. Und dann: Geht ja gar nicht und wo ist der denn ausgebüchst und der holt sich hier noch den Tod! Niemand nimmt weiter Notiz von ihm, keiner spricht ihn an, die Szene ist absurd.

Aber jeder wie er mag, das ist die Devise hier, in dieser Stadt, nicht wahr, und, wer hingeht, hat die Arschkarte gezogen, wird Probleme haben, haben aber alle schon genug. Keinen Bock, sich nach Feierabend auch noch um die ganzen weirdos zu kümmern, die in dieser Stadt aus dem Boden sprießen.

Was mach ich, denke ich, geh ich hin, sprech ich ihn an, was soll ich sagen: Sie sehen krank aus oder Wo sind sie denn abgehauen oder Sie haben ja gar nichts an oder Brauchen Sie Hilfe oder wie gehts oder Toller Look, aber Sie erfrieren wenn sie so weitermachen? Soll ich die Polizei anrufen, das kostet mich eine Stunde mindestens, das Theater, Theater!, vielleicht Straßentheater, ein Filmdreh, ich sehe mich um, ein Test, versteckte Kamera? Derweil füllt sich das Gleis.

Ich schaffe es nicht, hinzugehen, blockiere mich selber, dann kommen zwei S-Bahn-Uniformträger das Gleis hinunter. Ich gehe auf sie zu und sage: Vielleicht sollte sie mal nach dem Mann dort schauen. Die beiden gucken hin und ich sehe sofort: Die haben auch keinen Bock. Aber sie gehen hin, ich wüsste zu gerne was Sie sagen. Die Autoritäten übernehmen, die Institution nimmt ihren Lauf.

März 2018 – Internationaler Frauentag

Die ganze Straße ist voll. Alle sind da, alle Frauen. Sie singen und pfeifen und jubeln und trillern und trommeln. Der Zug geht durch die ganze Stadt, stundenlang, er hört nicht auf, es gibt keine Lücken, die Reihen sind geschlossen. Unglaublich. Die Frauen singen ein altes Lied, ein Gewerkschaftslied. In mir stößt das Seiten an. So viele Menschen, die etwas wollen, etwas Gutes, etwas Besseres. Die eine Stimme haben. Helle Stimmen, nur die hellen Stimmen. Wann hört man das schon.

Ich bin in Spanien. Genauer gesagt: In Santa Cruz de Teneriffe.

Hier wird nicht einfach demonstriert, hier wird gestreikt, am Internationalen Frauentag.

In Deutschland hingegen: Nichts. Oder wenn dann unsichtbar. Den Zeitungen ist der Frauentag kaum ein Artikelchen wert. Aber ich bekomme Mails von Other Stories, Topshop, man gratuliert mir, empfiehlt Kleider, Schuhe, Rossmann heißt diese Woche Rossfrau und McDonalds hat seine M umgedreht und daraus ein W gemacht, also einen Busen.

Ni una menos heißt es in Mexico, in Argentinien. Auch dort ist die Bewegung sehr politisch, gewerkschaftsnah (was dort noch immer links ist), und verblüffend allumfassend: Queer, pay gap, Arbeitsbedingungen, Altersarmut, häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt, alles unter einem Dach.

Ich lese: In Spanien sind im letzten Jahr 49 Frauen von ihren Partnern oder Ex-partnern ermordet worden. Ich finde das krass viel. 49 Frauen tot, weil irgendwelche Typen ausgetickt sind? Was für ein body count für ein Jahr. Und von anderen Übergriffen ist hier noch gar nicht die Rede.

Ich recherchiere: In Deutschland sind im letzten Jahr 149 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet worden.  – ?!  Auch wenn man das in Relation zur höheren Einwohnerzahl setzt (Spanien 46 Mill, BRD 82 Mill), ist das ungefähr dreimal so viel. Kein Thema hier. Oder hab ich was verpasst? Schlimm schlimm, aber nicht politisch. In Deutschland spricht man in solchen Fällen gerne von Beziehungstat. Mord klingt ja auch ein bisschen hart. Wenn Männer ihre Frauen und Kinder umbringen, handelt es sich um ein Familiendrama. Ein Familienvater hat seine Frau und seine Kinder getötet. Was zur Hölle ist eigentlich ein Familienvater? Einer der sich hartnäckig hält, seit Jahrhunderten, einer dem alle gehören, Frau, Kind, einer, der Verantwortung trägt für die, die er geschaffen und in Beziehung zu sich gesetzt hat, die hilflos wären ohne ihn, einer der, wenn er die Nerven verliert, weil die Verantwortung ihm über den Kopf wächst, oder die Frau und das Kind nicht so wollen wie er, oder gar allein zurechtkommen, Frau und Kind umbringen darf, ja, muss! Eine Familienmutter gibt es jedenfalls nicht.

An eben diesem Tag telefoniere ich mit einem neuen potentiellen Auftraggeber. Im Team bisher: Nur Männer. Einer aus dem Team hat angeregt, eine Frau dazu zu holen. Wär doch vielleicht mal ganz gut. Zweimal betont der Chef mir gegenüber, dass er das auch gut findet, wenn eine Frau dazu kommt. (Er ist stolz darauf, dass er so progressiv ist). Denn: Es geht ja auch um eine weibliche Hauptfigur. (Heißt: wenn es mal um was Emotionales geht oder um Klamotten oder so, dann ist es ja vielleicht ganz gut, jemand mit Expertise in diesem Bereich im Team zu haben.) Und, auch das betont der Chef: Die weibliche Hauptfigur haben sie gegen alle Empfehlung des Geldgebers durchgesetzt, der für Jungs-Geschichten, denn um eine solche handelt es sich, eigentlich Jungs-Hauptfiguren haben möchte. Was soll ich sagen? Bei so viel revolutionärem Engagement für eine förderbedürftige Minderheit wie mich, bleibt mir natürlich nur, Danke zu sagen. Danke und wow.

Aber ich bin ja auch selbst schuld. Ich kommuniziere weiblich, stelle mein Licht unter den Scheffel und zeige mich bei Absprachen und in Verhandlungen nicht selbstbewusst genug.

März 2018 – Eric

Manchmal frage ich mich, was wäre, wenn ich einen Männernamen hätte. Nehmen wir an, ich hieße Tillmann Saale oder Matthias Lehmann oder Eric Raue. Wäre dann alles einfacher? Bekäme ich Antworten, Chancen, Jobs? Würde man alles, was ich sage und tue von vorneherein ernst nehmen, hätte meine Stimme Gewicht? Würde man mir was zutrauen, auf mich hören? Wäre ich im Gegenzug selbstbewusster, konfrontierender, erfolgreicher? Lauter, dominanter, ehrgeiziger?

Eric Raue ohne h.

Wir könnten Eric anrufen. Lass uns doch Eric noch ins Team holen. Ja, super Idee. Wenn er nicht gerade in anderen Projekten feststeckt. Eric bekäme Gehaltserhöhungen, und die Möglichkeit, aufzusteigen. Okay, Herr Raue, dann wollen wir mal. Einen Stromvertrag abschließen, einen Tisch für vier reservieren, einen Arzttermin ausmachen, einen günstigeren Telefontarif aushandeln. Selbstverständlich. Ein Auto kaufen, eine Wohnung mieten, einen Kredit aushandeln? Wie war der Name? Raue, ohne h.

Vielleicht wäre aber auch alles gleich. Eric wäre beim Therapeuten. Er hätte einen Burn-Out gehabt, bei Männern heißt das ja nicht Depression. Er käme nur schwer klar mit seiner Rolle als moderner, sensibler Mann mit Pflegeprodukten, der irgendwo zwischen ficken wollen und ficken müssen an Beziehungen scheitert, weil die Frauen am Ende ja doch immer nur eins wollen, nämlich einen, der ihnen den Mann macht. Und dann auch wieder nicht. Und Eric ist leider einfach ne Lusche. Einer, der sich schnell verunsichern lässt, der nicht weiß, was er will, der vom Abhauen träumt, seinen Vater hasst, der gerne treu wäre, aber auch sexuell außergewöhnlich aktiv. Der gerne mutiger wäre, es aber nicht ist.

Mann, Eric.

Jetzt hatte ich mich schon gefreut. Aber so, kann ich ja gleich Elli bleiben.