April 2018 – refugee trumps woman trumps refugee

T. und ich fahren mit der S-Bahn. Es ist sehr voll, die Leute stehen dicht gedrängt. Am Alex steigen wir aus, auf dem Bahnsteig ist es eng. Plötzlich schlägt eine Frau, vielleicht 27, blond, lange Haare, sportlich-prollig gekleidet, direkt neben uns einem jungen Typen ins Gesicht, einem Refugee. Er ist mit drei anderen Jungs im Schlepptau unterwegs. Sie schreit ihn an, beschimpft ihn, haut nochmal, Oberkörper, Gesicht, er hebt den Arm zum Schutz, protestiert zuerst nicht, dann in gebrochenem Deutsch.

Ich hebe beschwichtigend die Hände, ist ja gut jetzt, sage ich zu beiden. Auch T. versucht, zu beruhigen. Die Menge im Fluss, zwei Meter bis zur Rolltreppe, alles in Bruchteilen von Sekunden, der Typ labert irgendwas in Richtung der Frau, von wegen ich spreche deine Sprache nicht, da schwappt ihre Wut nochmal hoch, sie beugt sich rüber, klatscht ihm nochmal eine ins Gesicht. Hey, ist gut, jetzt, sage ich nochmal, diesmal nur zu ihr. T. sagt: Die wehrt sich wenigstens.

Okay. Wow. Analyse, bitte.

Eine Frau und ein Refugee in einer dicht gedrängten Menge. Sie fängt an, ihn zu schlagen und zu beschimpfen. Ihr Schimpfen gibt keinen Hinweis darauf, ob und was passiert ist, welchen Inhalt die Auseinandersetzung hat. Die erste Annahme, die sowohl T. als auch ich sofort in unseren jeweiligen Hinterköpfen treffen, ist: Er hat das Gedränge genutzt, um sie zu belästigen.

Meine Reaktion auf die Situation: Ich beschwichtige. In beide Richtungen. Denn was ich wahrnehme, allem anderen vorgelagert, ist: Jemand wird direkt vor meiner Nase geschlagen. Ich sehe Gewalt. Ich will vermeiden, dass die Situation eskaliert, dass er (!) ein Messer zückt.

Was ich auch sehe, ist: Eine etwas prollige junge Frau schlägt einen Refugee. Und in meinem Hinterkopf gesellt sich eine zweite mögliche Interpretation zur ersten: Nazi-Braut haut Refugee.

T.s. Reaktion auf die Situation: Auch er beschwichtigt in beide Richtungen. Er sieht, genau wie ich, die Gewalt, und will keine Eskalation. Er nimmt die Reaktion des Mannes wahr, der die Hände zum Schutz vors Gesicht hebt und eher hilflos protestiert. T. interpretiert das als Schuldeingeständnis. (So wie der reagiert hat, sagt er später. Kannste dir denken, was passiert ist). Und er sieht in der Gewalt, die die Frau ausübt, etwas Wehrhaftes. Und darin wiederum etwas Unterstützenswertes. Die erste Annahme also bestimmt hier sein Verhalten viel stärker als meins: Wir haben es hier aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem Täter (Mann) und einem Opfer (Frau) zu tun. Als ich bei ihrem erneuten Ausbruch, nur zu ihr sage: Es ist gut jetzt, sagt T. nichts mehr, sondern lässt sie machen. Formuliert laut: Die wehrt sich wenigstens.

Die Rollenverteilung in unseren Verhaltensweisen ist klassisch – ich, die Frau, richte mich sofort gegen die Gewalt. Er, der Mann, findet, wenn eine Tat vorausgegangen ist, wie die anzunehmende, dann darf und soll sie sich wehren  und der Typ ruhig was einstecken. Frau: konfliktscheu. Mann: Siehts sportlich-gerecht. Habe ich also mit meiner Angst vor dem Konflikt, vor der Gewalt, die ich sofort versucht habe, aus der Welt zu schaffen, die Situation zu befrieden, der Frau geschadet, dem Opfer, das sich gewehrt hat?

Sie hat nicht gesagt: „Nimm deine Pfoten weg“. Oder, nach außen gerichtet: „Dieses Arschloch hat mich begrapscht.“ (Muss sie auch nicht, kein Opfer macht irgendwas falsch oder richtig, not my point here). Sie hat auch nicht gesagt: „Hau ab in dein scheiß Afghanistan oder wo immer du herkommst“. Alle getroffenen Annahmen kann man hinterfragen – von der Annahme es handle sich um einen Refugee über die Annahme, dass die Frau Opfer einer sexuellen Belästigung wurde, bis zu der Annahme, dass sie eine Nazi-lady sein könnte, ja sogar die Annahme, dass es sich bei ihr um eine Frau handelt. Wie sind wir zu diesen Annahmen gekommen? Was, wenn alles ganz anders ist? Jedoch: Wir leben in einer WELT. Mit Kontexten, Vorurteilen, Erfahrungen, Mustern, und wir kommen in einer solchen Sekunden-Situation zu Schlüssen und handeln. Impulsiv, aus dem Bauch heraus.

Ich habe nicht das Gefühl, mich ihr gegenüber richtig verhalten zu haben. Habe ich so ein Problem mit schlagenden Frauen, dass ich mich lieber auf die Seite des Mannes begebe, der geschlagen wird, obwohl er mit recht hoher Wahrscheinlichkeit ein Täter ist, gegen den sie sich tapfer wehrt? Kann ich Frauen mit langen blonden Haaren im Proll-Look weniger leiden als Refugee-Männer? Wie hätte ich mich verhalten, wenn sie den Übergriff formuliert hätte? Anders oder genauso?

Warum war T. auf ihrer Seite und ich nicht?

Das beschäftigt mich.

April 2018 – Ego-Salat

Ego-Salat
Ego-Salat
Ego Ego Ego-Salat

An der Ampel
Im Cafe
Ego-Salat wo ich geh und steh

Ego-Salat
Ego-Salat
Ego Ego Ego-Salat

Mach isch mir Dressing
für mein Ego-Salat.

Geh isch Therapie
wegen Ego-Salat.

Ess isch kein Fleisch
lieber Ego-Salat.

Ego-Salat
Ego Ego Ego-Salat

Krieg ich kein Job
ohne Ego-Salat

Geh ich ins Bett
mit Ego-Salat

Wach ich nachts auf:
Ego-Salat

Ego Ego Ego-Salat

Liebe ist möglich,

Ego-Salat.

April 2018 – Bizarro World

Kürzlich lese ich im Vorbeigehen auf einem Plakat was über einen Frauenmarsch. Ich bin überrascht, hab ich gar nix von mitgekriegt, womöglich muss ich da ja hin?

Als ich recherchiere, sind das die Rechten.

Ich stoße auf Leyla Bilge und staune. Sie ist AfD-Mitglied und hat den Frauenmarsch ins Leben gerufen. Sie ist Tochter kurdischer Eltern, 2017 zum Christentum übergetreten, alleinerziehend, hat einen fast erwachsenen Sohn. Sie macht sich für ein Burka-Verbot stark. Vor einiger Zeit hatte sie einen Auftritt im Reichstag, bei dem sie in eine Burka gehüllt ans Rednerpult getreten ist. Dann hat sie sich vor den „Altparteien“ – so der AfD-Jargon – die Burka ausgezogen und drunter war ein Minikleid in Deutschlandfarben. So oder so ähnlich hat sich’s zugetragen, was genau davon behauptet und was tatsächlich passiert ist, lässt sich nicht mehr verifizieren. Versatzstücke davon, z.B. das Deutschland-Minikleid und auch die Burka-Enthüllung finde ich noch auf Fotos/Videos ihrer Auftritte.

Bei der Demo geht es um Frauenrechte. Das heißt bei Bilge/der AfD: Frauen sollen sich wieder sicher fühlen können auf der Straße und wenn sie nachts nach Hause gehen. Geschützt werden müssen sie vor den machistischen islamischen Männern, die Frauen nicht respektieren. „Als wir noch Deo statt Pfefferspray in der Handtasche trugen“ ist einer der Claims, den ich finde. Bei der Demo, so wird später gelästert, waren nur ein Drittel Frauen anwesend.

Bei der Demo ist die Antifa am Start, macht eine Gegendemo. Also mainly male und links demonstriert gegen migrantische, kurdische, alleinerziehende Frau, rechts. Wie schräg das alles ist! Was für Überlagerungen da gerade stattfinden! Weird and wild.

Auf eine Frauendemo gehen, heißt also dank AfD nicht mehr automatisch, für was Sinnvolles einzutreten, es heißt unter Umständen auf ein verkapptes rechtsradikales, islamfeindliches, rassistisches, deutschfrauentümelndes Anti-Flüchtlings-Event zu gehen. Die drehen uns das Wort im Mund um. Frauenrechte, my ass. Diese ganzen Pegisten und AfDler, die so unlogisch wie problemlos Gauland, Lesben und kurdische Migrantinnen in sich vereinen, haben uns die Themen längst unterm Arsch weg gezogen. Weil wir sie nicht klug genug besetzt haben, nicht schnell genug, nicht genau genug, nicht klar genug.

Muss ich jetzt immer für das sein, wogegen die AfD ist?

Muss ich eine liberale Muslima wie Seyran Ates, die von anderen Muslimen mit dem Tod bedroht wird, weil sie die Burka (und die Haltung der Linken und der Grünen zur Burka) problematisiert, weil sie ein Problem mit den Kinderehen, dem gepredigten Konservatismus und Chauvinismus des Islam hat und als Frau eine Moschee eröffnet hat, jetzt für ne Rechtsradikale halten?

Muss ich jemanden wie den Journalist Constantin Schreiber, der in Syrien gelebt, im Libanon und in Somalia gearbeitet hat,der  arabisch spricht und die deutsch-arabische Sendung Ankommen in Deutschland produziert hat, als islamophob bezeichnen, weil er sich im Rahmen einer Reportage die Predigten in Moscheen angehört hat und feststellen musste, dass dort gegen Christen und Ungläubigen gepredigt wird und dass Frauen, Homosexuelle und  Juden dort gar nicht gut wegkommen?

Gestern war ich auf einer Veranstaltung bei der es um Filmförderung ging. Also was völlig anderes, Lapidares. Sagt einer der Podiumsgäste, man müsse aufpassen, mit der Kritik an der Filmförderung, weil man sich da mit AfD-Positionen gemein mache.

So kann, so wird es nicht funktionieren.

Wenn die AfD morgen ein Gesetz zur Rettung der deutschen Gewässer fordert oder zum Erhalt des bedrohten deutschen Eichhörnchens, muss ich dann sagen: ich bin gegen Gewässerschutz und das Eichhörnchen ist mir egal? Nee, ich muss sagen: Bin ich dafür, aber ob das Gewässer und das Eichhörnchen deutsch sind, das ist mir egal.

Auf die Argumente kommt es an. Liebe Kinder, gute Nacht.