Beim Therapeuten gewesen,
über Kindheitskram gesprochen, versucht, die Verbindung zu den aktuellen Schwierigkeiten herzustellen, geweint.
Beim Therapeuten gewesen,
über Kindheitskram gesprochen, versucht, die Verbindung zu den aktuellen Schwierigkeiten herzustellen, geweint.
Beim Therapeuten gewesen,
von der Begegnung mit dem Typ im Café erzählt und über die Verunsicherung gesprochen, die seine Ablehnung und sein Desinteresse ausgelöst haben.
Ich heiße Anunciata Franco, trage eine grüne Warnweste mit der Aufschrift Probetesterin, ziehe einen schwer gefüllten rosa Rollkoffer hinter mir her, der mit einem riesigen gelben Kreuz bemalt ist, um Missverständnisse zu vermeiden, und versuche mich zu orientieren: Wo ist der Check in? Ist das hier die Sicherheitskontrolle? Wo ist mein Gate? Weiter zum Boarding!
Ich fliege heute nach Kutaissi (drittgrößte Stadt Georgiens, aber das weiß ich erst, nachdem ich gegooglet hab), komme zurück aus Bournemouth, reise als Ida Franz nach Dubrovnik und lande mit dem Flieger aus Salzburg. Alles in knapp vier Stunden, ein wilder Ritt.
Die Wege sind lang, zwischendurch bekomme ich Kaffee und Wasser und kümmere mich um die Erfüllung meiner Sonderaufgabe: MwSt zurück holen, ich bin nämlich EU-Ausländerin und war in Europa shoppen. Die Jungs vom Zoll sind nett.
Als ich auf den Flieger warte, esse ich die beiden Brötchen, die man mir belegt hat und schaue auf das riesige, hauptsächlich leere Flugfeld, auf dem ein paar Easy Jet Maschinen mit abgedeckten Turbinen stehen, damit kein Vogel darin nistet. Mein Flug wird storniert, wir bitten die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.
Mich begeistert die Arbeit der Firma, die das hier logistisch ausgefuchst hat, 500 Komparsen und echte Mitarbeiter, schwer befüllte Fake-Koffer, Sondergepäck und Storylines für alle Normali- und Eventualitäten, sowas zu organisieren muss Spaß machen. Meinen BER Kaffeebecher jedenfalls werde ich in Ehren halten.
Architektonisch ist dieser Flughafen alles andere als ein großer Wurf, immerhin, die Abflughalle ist hell und aus viel Glas, die Wartebereiche vorm Boarding aber eher so Anleihen an den alten Schönefelder Heizungskeller, zu eng, keine Sitzgelegenheiten, der Fluggast als Schlachtvieh, die Beschilderung irritierend unlogisch (mein Hauptkritikpunkt beim Auswertungsfragebogen), wer hat sich da verkünstelt, das Weinrot und die Holzpaneele naja, eher so deutsches Wohnzimmer, hat ja auch was,
alles in allem,
kann man mal aufmachen, jetzt, den Flughafen!
1
Morgens bei bestem Wetter auf dem Bänkchen vorm Cafe. Die Straße vor mir ist gesperrt, Filmdreh, wie so oft hier. Ein Typ setzt sich neben mich, hat sich ebenfalls Kaffee geholt, wir lächeln uns zu – und gucken beide schnell wieder weg. Oha. Der ist aber nett.
Vor uns plustern sich die Produktionswagen der Filmproduktion zu einer Wand auf. Durch eine Lücke zwischen zwei Wohnmobilen sehen wir wie auf einer Guckkastenbühne zwei Polizisten, die auf der Straße hin und herlaufen. Der eine hats mit einem LKW-Fahrer, ruft ihm irgendwas Ironisches zu, weil der meint, er kann hier einfach so reinfahren. Von links kommt der andere ins Bild, mischt sich ein, beide wieder ab. Dann wieder der erste von links, ein riesiges Sandwich in der Hand, in das er kraftvoll reinbeißt. Der Typ und ich müssen beide gleichzeitig anfangen zu lachen, Gehören die dazu? fragt er. Wir beobachten gemeinsam den weiteren Verlauf der Show: ein bekannter Schauspieler setzt sich mit seinem Cappuccino uns gegenüber, ein Abschleppwagen kommt, lädt einen kleinen PKW auf, der wie eingeklemmt zwischen den Produktionswagen übrig geblieben ist, der Besitzer des PKW kommt angelaufen, Dont mess with Filmdreh, sage ich. Während der ganzen Zeit unterhalten wir uns immer wieder kurz, zwischendurch daddelt jeder auf seinem Handy rum oder nur ich. Ich bin nervös. Das ist nett hier, mit uns. Aber vielleicht bilde ich mir alles nur ein. Was mach ich, mach ich was, mach ichs wie neulich, mach ich nix oder was ganz anderes? Ich bringe meinen Kaffeebecher rein, gehe raus, an ihm vorbei und wünsche ihm einen schönen Tag. Mehr nicht. Ich hab hohe Schuhe an, yeah, Rarität, ich hoffe, er guckt mir wenigstens ein bisschen hinterher.
Ein paar Tage später seh ich ihn in einem anderen Cafe um die Ecke, ist er das? Er hängt auf dem Sofa rum, guckt auf sein Tablet, ich glaube, er hat mich gesehen, ich trau mich nicht, so genau hinzuschauen, ignoriere ihn, eh not in the mood heute, ich will draußen sitzen außerdem, die Sonne scheint und ich muss schreiben. Und: Er kann ja auch was machen, wenn er will.
Wieder gehen ein, zwei Tage ins Land, da sehe ich ihn von weitem, plötzlich mit einer anderen Frisur, die Haare im Knoten auf dem Kopf. Eindeutig ein Nachbar, wenn der immer hier rumhängt.
Sehe ihn in Café Nummer 2 wieder, offensichtlich sein Stammladen. Er sitzt drin, ich setze mich raus. Klappe den Rechner auf, arbeite. Er hat mich gesehen, ich bin sicher. Als er den Laden verlässt, an mir vorbeikommt, guckt er mich an, ich ihn, jetzt oder nie, Hey, sage ich, haben wir uns nicht neulich im Dings-Cafe unterhalten. Ja, sagt er, ich dacht auch schon. Da sind wir wohl Nachbarn, sage ich. Ja, sagt er. Wir lächeln uns an. Dann sehen wir uns, sagt er. Ja, sage ich. Er schließt die Haustür auf, aha, wohnt direkt nebenan.
Ich bin happy. Nichts davon tut weh. Alles ist einfach. Ein bisschen aufregend, anregend. Nichts weiter.
Wieder im ersten Café. Ich blicke von meiner Lektüre hoch, sehe ihn aus den Augenwinkeln. Er ist stehen geblieben, er muss an mir vorbei gelaufen sein, er muss mich gesehen haben, er steht da, tut, als überlege er, ob er jetzt vielleicht auch einen Kaffee braucht. Ich gucke absichtlich nicht hin – gleich kommt G. und wir wollen weiter, da hab ich jetzt keine Lust zu, wenn er sich jetzt setzt und das der Moment ist, in dem wir uns unterhalten und kennen lernen könnten und dann kommt da jemand anderes dazu, ein Mann, und ich muss aufstehen und gehen und er denkt noch, hat sie was mit dem. Außerdem ist es mir peinlich vor G. Ich trinke hastig aus, lasse den Becher stehen und gehe schnell weg. Blödsinn, denke ich zuhause.
Einmal laufe ich abends die Straße hoch, vielleicht seh ich ihn ja. Später wieder runter. Ich treffe ihn nicht.
Trotzdem. In der ganzen Zeit bin ich ganz ruhig. Ich weiß, dass ich den Typ wiedersehen werde. Ich weiß, dass ich mit ihm reden werde. Ich weiß es einfach. Ich weiß es. Ab und zu fällt er mir ein, aber nicht allzu oft. Dann denke ich ein bisschen über ihn nach, sammele meine Eindrücke, was er so anhatte, nach was er so aussieht, darüber, was funktioniert hat, an unserer Kommunikation, was nicht, dass ich fahrig war, ein bisschen lahm im Kopf, seine Witze zu spät verstanden habe, dass er nervös war, genau wie ich, dass ich jetzt schon weiß, was ich doof an ihm finden könnte, aber das ist mir egal, im Gegenteil, ich muss lächeln über unsere flaws, die da so offen liegen, auf den Cafétischen, ohne dass es was ausmacht, alles ist ruhig, alles ist angenehm, alles fühlt sich vollkommen logisch und organisch an, es macht keinen Druck, ich hab mein Leben, ich hab zu tun, und er ist jemand, der nett sein könnte.
2
Ein paar Tage gehen ins Land. Ich bringe eine große Abgabe hinter mich und der Moment ist gekommen. Ich stehe morgens auf und beschließe: Heute ist es so weit. Ich wasche mir die Haare, ziehe einen Rock an, schminke mich ein kleines bisschen, die Sonne scheint, ich gehe los, nehme meinen Rechner mit, damit ich arbeiten kann, falls alles anders ist. Ich bestelle einen Cappuccino, setze mich raus in die Sonne. Ich sitze keine fünf Minuten, da geht die Haustür auf, der Typ kommt raus, wir schauen uns an, lächeln, ich sage: Hey, hallo, er sagt, Ah, hallo, die Nachbarin, als wären wir verabredet, und das sind wir ja auch. Das wird ein schöner Tag, sage ich, und er sagt, Ja, und ein Motzverkäufer bleibt vor ihm stehen und sagt auch Hallo und er sagt, Nein danke und Mensch, da kommt man morgens raus und wird von allen Seiten angesprochen, und ich lache und sage, ich hab heute frei und er sagt, ich hol mir mal einen Kaffee und das macht er und dann kommt er raus und fragt, ob er sich neben mich setzen darf, was ich wahnsinnig nett finde und dann setzt er sich und wir reden 2 und Dreiviertel Stunden.
Es ist nicht irre toll. Er gefällt mir nicht wahnsinnig gut. Aber er ist nett und und im großen und ganzen witzig und es läuft irgendwie gut durch und immer weiter und wir lachen und es ist überraschend vertraut und einmal sagt er, also dass wir darüber schon reden!, und zwischendurch ist es auch mal still und geht nicht weiter und dann aber doch, und er fragt mich, wie ich heiße und er heißt N.
Irgendwann ist dann auch mal gut. Bevor ich gehe, beschließe ich, ihm meine Mailadresse zu geben, die er sich ins Handy notiert.
Später, zuhause, denke ich: Naja.
Ich fahre ein paar Tage weg und denke überhaupt nicht an ihn.
Dann komme ich zurück. Ich freue mich, weil ich denke, dass er sich melden wird. Ich hab ihm ja erzählt, dass ich Montag zurück bin. Das Wetter ist fantastisch, ich will an den Schlachtensee, eine Kinokarte habe ich auch noch übrig, vielleicht passt ja was. Er meldet sich nicht. Am Mittwoch scheint die Sonne, es ist nochmal richtig heiß, ich hab solche Lust, jemand zu küssen, mit jemand zu schlafen. Ich fahre allein an den Schlachtensee. Ich gehe allein ins Kino. Das ist alles okay, ich komme gut klar, kann das sogar genießen. Am Donnerstag begreife ich: Er hat sich nicht gemeldet. Er wird sich auch nicht mehr melden, dafür ist es jetzt zu spät. Das kann tausend Gründe haben, aber vor allem einen: Er will nicht. Er will mich nicht treffen, er will sich nicht melden, er will mich nicht, er will nichts. Irgendwann bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob er sich meine Adresse wirklich aufgeschrieben oder nur so getan hat, als würde er sie in sein Handy tippen. Die ganze Zeit war alles gut, ich war offen, frei, entspannt, ich war bei mir, aber jetzt, jetzt, wo er sich nicht meldet, will ich unbedingt, dass er sich meldet. Plötzlich will ich ihn haben. Und er mich nicht.
Und alles. Gerät. Aus dem Ruder.
3
Die Woche vergeht. Die nächste Woche auch. Ich würde gerne ins Café 2 gehen und merke, dass ich es meide, weil ich ihn treffen könnte. Das, denke ich, mach ich jetzt nicht, das sind auch meine Räume.
Ich gehe hin, zusammen mit meinem Laptop, und da sitzt er. Vor dem Café. In der Sonne. Shit. Hallo, sage ich beim Reingehen. Er grüßt zurück. Ich kaufe einen Cappuccino. Ich will nicht drin sitzen, ich will raus. Er ist noch da. Seine Tasse ist leer. Er ist sitzen geblieben. Von innen kann ich sehen: fast alle Plätze draußen sind belegt, einer direkt neben den parkenden Autos ist frei. Und einer neben ihm. An einem großen Tisch.
Später frage ich an dieser Stelle meinen Therapeuten. Was, glauben Sie, hab ich gemacht? – Er kennt mich gut.
Darf ich mich hier hinsetzen, frage ich den Typ. Ja, klar. Wieder reden wir zwei angenehme, kreisende Stunden. Es geht viel um unsere Berufe. Er ist heute anders als sonst very leisure gekleidet, das Café sein zweites Zuhause. Ein bisschen habe ich den Eindruck, es geht ihm heute nicht so gut. Ich mag ihn auch diesmal wieder. Am Ende gehen wir auseinander. Bis bald, sagt er. Ja, sage ich, bis bald.
Ich gehe davon und kann nicht umhin, enttäuscht zu sein. Da ist jemand, der nichts möchte. Außer reden. Mit der Nachbarin. Jemand, der mich nicht anziehend findet, sondern einfach nur ganz nett. Nicht wie ich, die sich gefragt hat, ob er nicht der sein könnte, den ich küssen, mit dem ich schlafen könnte.
Aber das ist doch was, sagt G. Es ist was anderes, aber es ist was.
Warum, frag ich mich, aufgewühlt, unruhig, verzweifelt und ohne Boden, gehe ich immer dahin, wo man mich ablehnt. Warum, frage ich meinen Therapeuten, habe ich mich da hingesetzt, neben ihn, warum gehe ich immer wieder dahin, um mir das abzuholen: Ablehnung, Kränkung, Demütigung. Warum kapier ichs nicht, warum kann ich das nicht begreifen, wahrnehmen, annehmen, dass da jemand ist, der einfach nicht auf mich steht, nichts von mir will, nicht mal so viel, dass er Lust gehabt hätte, unsere Treffen mithilfe meiner Mailadresse dem Zufall zu entreißen. Warum, frag ich ihn, suche ich mir so jemanden raus, jemand, der mit sich beschäftigt ist und sein möchte und mit sonst niemand bzw. jemand anderem als mir. Warum verstehe ich die Welt nicht, warum gehen Dinge vor sich, die ich nicht verstehe, falsch interpretiere, warum kann ich die Codes nicht lesen, nicht mal sehen? Ich löse mich auf, ich werde paranoid, die Angst überfällt mich. Der Therapeut beruhigt mich. Nichts an meinem Verhalten hält er für inadäquat. Im Gegenteil.
4
Wieder gehen ein paar Tage ins Land. Der Donnerstag entwickelt sich zum Emotional Roller Coaster Day. Es ist der Tag vor einem Meeting, Feedback auf meine Abgabe, in großer, offizieller Runde, Home Office mit vier Leuten. Ich bin aufgeregt. Am späten Nachmittag meldet sich der Anwalt spricht mir auf die Box: Der Vertrag ist durch! Als ich seine Nachricht höre, balle ich triumphierend die Faust: Yes! denke ich, Yes, Yes, fucking Yes, ich bin drin, suckers! Ich staune. Erstens war mir gar nicht klar, dass mich das mit dem ungeklärten Vertrag offensichtlich doch irgendwie die ganze Zeit beunruhigt hat. Und zweitens staune ich, dass ich so ein Hoch davon habe, es geschafft zu haben. Ich mach euch alle platt, denke ich.
Ich bereite den Arbeitsplatz vor, da ruft C. an. Wir reden ein bisschen, es geht um eine Sache mit B. und ich ärgere mich, dass sie meinen Punkt nicht versteht. Wir fangen an zu streiten, es ist nicht einfach ein Streit, es geht ans Alte und Eingemachte, es geht um den anderen Punkt, den sie nicht verstanden hat, etwas, das seit nun fast zwei Jahren zwischen uns steht und von mir zum Tabuthema erklärt wurde, damit wir überhaupt weitermachen konnten, um den tiefen Bruch, den die Sache mit T. und ihre Folgen auch für uns beide ausgelöst hat. Es geht um meine Wut, meine Enttäuschung, darüber, dass sie (genau wie damals bei D.) nicht verstanden hat, was mein Schmerz war, darüber dass es in ihr diese Verachtung gibt, für etwas, das sie für Schwäche hält, um ihre Enttäuschung darüber, dass ich nicht anders damit umgehen kann, um die nervöse Ungeduld, die sie mir entgegen bringt, weil ich so hartnäckig feststecke, um meine Auflehnung gegen all das, meine Weigerung, diesen abwertenden Impulsen zu folgen, die ich von mir selbst kenne, mich zu wehren dagegen, mich zu retten davor, mich zu schützen vor ihr, der ich ein tiefes Misstrauen entgegen bringe seitdem, ausgerechnet ihr, die alles getan hat und jederzeit wieder tun würde, um mir zu helfen, mich zu unterstützen und mich bei ihr aufzunehmen. Am Ende sage ich ihr, dass ich sie lieb habe. Woran sie das merken soll, weiß ich auch nicht. Ich bin ja nur noch bei mir.
Danach muss ich raus und laufen. Ich bin durchgekocht. Traurig und unglücklich wegen T., und allem, was das angerichtet hat, ausgerechnet heute Abend, vor dem großen Tag, wo ich doch gerade noch so voller Energie war, ich laufe und laufe und laufe, laufe alles raus, den Kottbusser Damm in mich rein. Was will ich hier, ich weiß es nicht, ich will laufen.
Unschlüssig, ob und wo ich was essen soll, lande ich schließlich bei einem winzig kleinen Italiener bei dem ich noch nie war. Ist der neu oder ist er mir noch nie aufgefallen? Ich bestelle Pasta mit Tomatensauce und als ich anfange zu essen, ist diese Pasta so gut, dass sie sich mit ihrer Tomatensauce um meine arme abgekämpfte Seele legt, und mich tröstet. Wirklich, wirklich tröstet. Ich glaube, das hatte ich noch nie. Dass Essen als Trost funktioniert.
Während des Essens schaue ich raus auf die Straße. Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Draußen ist es kühler, nicht mehr lange, dann ziehe ich zurück in meine Wohnung. In meine vier Wände, die die Tendenz haben, auf mich zuzukommen. Da bekomme eine Nachricht auf mein Handy. Es ist N. Ob ich morgen Vormittag Lust und Zeit habe, einen Kaffee zu trinken?
Ich bin glücklich.
5
Ich antworte ihm am nächsten Morgen. Lust schon, aber leider keine Zeit wegen Besprechung. Ich bleibe so knapp wie er, kündige nichts an, nicht mal, dass ich mich danach melde. Er wünscht mir noch schnell Glück, dann ist die Besprechung.
Nach der Besprechung bin ich erschöpft bis ins Mark. Alles entgleitet mir, stellt sich in Frage. Es wird schwer werden, hier meine Rolle zu finden. Das Wetter hat nochmal angezogen. Es ist kalt, es regnet in Strömen, ich bin zu nichts in der Lage.
Am späten Nachmittag gehe ich ins Berghain. Ha!, von wegen – Kunst gucken, so weit ist es gekommen mit Corona. Ich habe ein Online-Ticket ergattert, wandle allein, aber zufrieden durch die heiligen Hallen. Ob das nochmal so wird wie es mal war, und wenn, wird es sich nicht anfühlen wie ein Abziehbild dessen, was es mal war? Alles hier wirkt irgendwie retrospektiv. Wie eine Reminiszenz an sich selbst. Was, wenn die Ära mit Corona zu Ende ist?
Später gehe ich in die Badewanne. Zum ersten Mal seit ich von T. getrennt bin. Das geht nur, weil ich nicht zuhause bin, sondern in der Untermietswohnung. Ich gebe mir Mühe, Tee, Kerze. Erst abends habe ich genug Abstand zwischen mich und die Besprechung gebracht, um mir einen nächsten Tag vorstellen zu können. Ich schreibe N. eine Nachricht. Wir wärs morgen Vormittag mit einem Kaffee? Er antwortet schnell. Dass wir über das Wo nicht reden müssen, bringt mich zum Lächeln.
6
Wir quatschen zwei Stunden, wir lachen viel. Erzählen uns unsere Biografien. Wir verlassen das Café, drehen eine Runde. Seltsam wie unterschiedlich die Menschen Räume erleben, beleben, ich würde nach rechts gehen, er geht nach links. Hier würde ich dorthin gehen, er steuert woanders hin. Glücklicherweise haben wir einen ähnlich schnellen Schritt. Wie diese Dinge eine Rolle spielen, zum Problem werden können, verhandelt werden müssen. Mein timing-Gefühl stimmt nicht, er will früher wieder zurück. Er sieht die Dinge an und sieht etwas anderes als ich. Trotzdem. Alles fühlt sich gut an, wie alle in so einem Stadium suchen und finden wir Ähnliches, Trennendes wird sichtbar, ohne dass es groß was macht, es gehört dazu, zu dieser Geschichte, und die Geschichte ist gut. Alles ist im Hier und Jetzt. Ich hab keine Angst. Ich bin stolz. Das hier geht weiter. Wohin auch immer, ich segle mit.
7
Zwei Tage später schreibe ich ihm eine Nachricht. Inzwischen hab ich viel an unser Treffen und an ihn und mich gedacht, habe hübsche Ideen entwickelt, in meinem Kopf, was wir so alles zusammen tun könnten, habe ihn in Anspielung auf einen Witz, den wir gemacht haben, zum Essen eingeladen, war was mit ihm trinken, habe ihn geküsst, bin mit ihm an die Nordsee gefahren, die er mag und ich nicht, habe mit ihm geschlafen, war mit ihm im Kino und bei dem kleinen Italiener. Ich fange bei Letzterem an und frage ihn, ob er Lust hat, am Abend dorthin mitzukommen.
Er antwortet, knapp vor der vorgeschlagenen Uhrzeit, und sagt ab, anstrengender Tag. Ich wünsche ihm einen schönen Abend. Er mir auch. Er ist nett, höflich. Korrekt.
Er meldet sich nie mehr.
Beim Therapeuten gewesen,
über seine Frage an mich gesprochen, ob ein Kontakt zu T. nochmal sinnvoll wäre, überrascht, irritiert und aufgewühlt davon gewesen, wo kommt das denn jetzt her?
Sitze mit einer Freundin auf einer Bank am Oranienplatz und quatsche. Ein Junge, vielleicht 12, kommt auf seinem Rad vorbei, stoppt direkt vor uns ab, dass der Boden staubt. Salaam Aleikum! sagt er. Ich so: Hey, hi. Er so: Das heißt Aleikum Salaam.
Beim Therapeuten gewesen,
gefragt, ob er eigentlich den Eindruck hat, dass es besser wird, darüber gesprochen, auf welch fruchtbaren Boden die Sache mit T. gefallen ist. Also nein?
Beim Therapeuten gewesen,
schlechte Laune gehabt oder bekommen, fahrig herum argumentiert, schon wieder von wegen in die Falle tappen: Beziehungen, Hoffnung, warum eigentlich nicht einfach und endgültig mal aufhören, loslassen, diesen beschissenen Motor zum Verstummen bringen, als ich draußen bin habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich so herumgewütet hab, der Arme.
Beim Therapeuten gewesen,
auf Nachfrage erneut über das Gefühl „in die Falle zu tappen“ gesprochen und über den Streit mit J. am Telefon.
Seit Wochen stelle ich mir immer wieder die Frage, weshalb Enten beim Dümpeln eigentlich nicht nach vorne umkippen. Einen Loop machen. Wollen sie nicht oder können sie nicht?
Man merkt, dass Sommer ist…
Ich erzähle einem Freund von der jahrzehntelang geheim gehaltenen Parallelbeziehung meines Vaters zu einer 30 Jahre jüngeren Frau. Ein Verhältnis, das begonnen hat, als sie 15 war.
Ein ladies man, dein Vater, sagt er anerkennend.
Wie ich das hasse.