Leute sehen mich im Vorübergehen.
Ich trage einen Rock oder eine Hose.
Ich komme aus dem Supermarkt.
Ich warte an Ampeln.
Ich weiche Radfahrern aus.
Ich sitze im Cafe und lese Zeitung.
Einen Augenblick lang bin ich da.
Dann bin ich vorüber.
Leute sehen mich im Vorübergehen.
Ich trage einen Rock oder eine Hose.
Ich komme aus dem Supermarkt.
Ich warte an Ampeln.
Ich weiche Radfahrern aus.
Ich sitze im Cafe und lese Zeitung.
Einen Augenblick lang bin ich da.
Dann bin ich vorüber.
Ich rede auf meine Spiegelbilder ein wie ein Wellensittich. Ich diskutiere, erkläre, wüte, wäge ab, antworte, frage, und empöre mich.
Hat die Globalisierung eine verlorene Generation (vor allem) junger Männer hervorgebracht? Unterscheidet sich der 18jährige arbeitslose Grieche vielleicht gar nicht so sehr vom 18jährigen Kriegsflüchtling aus Syrien vom 18jährigen Wanderarbeiter aus Beijing vom 18jährigen Drogendealer aus Baton Rouge vom 18jährigen Amokläufer mit IS-Veredelung?
Beim wie vielten werde ich aufhören zu sammeln.
Ansbach
Da ist er, der erste Anschlag. Ein kleiner noch.
Würzburg
In Orange is the New Black (OITNB) gibt es eine wunderschöne Szene über die Liebe.
Lorna bekommt Besuch von Vince, ihrem Ehemann, den sie über eine Knast-Brieffreundschaft kennen gelernt hat. Vince ist ein süßer, lieber Junge, Italo-Amerikaner wie sie. Die beiden haben im Gefängnis geheiratet. Lorna trug einen weißen Schleier aus Papier zu ihrer unförmigen Gefängniskleidung, und war so glücklich wie wir sie viele Folgen lang nicht gesehen hatten. Die beiden haben im Anschluss zum ersten und einzigen Mal miteinander geschlafen – dank einer Aufseherin, die weggesehen hat.
Nun sitzen Lorna und Vince einander gegenüber im Besucherraum, den alten, verschlissenen Holztisch zwischen sich, die no-touching!-policy im Nacken, die der Wachmann an der Tür bereit ist, umgehend heraus zu bellen, wenn jemand sich zu weit vorwagt. Und um die beiden herum trennen viele weitere Holztische andere khaki-farben gekleidete Insassinnen von ihren Besuchern. Wie soll man hier, an diesem Ort, in dieser Situation, seine Liebe leben?
Nun muss man über die zierliche Lorna (die wir nie ohne tiefrot geschminkte Lippen, sorgfältiges Make-up, und 40er Jahre Frisur sehen) wissen, dass ihr Glaube an die Liebe groß ist. Nie ist sie es müde geworden, ihren Mitinsassinnen in schillernden Farben von ihrer großen Liebe Christopher zu erzählen, vom romantischen Kennenlernen, vom Sex, den sie miteinander haben (praktisch eine spirituelle Erfahrung), von seinem Antrag, ihrer Verlobung, den Details der bevorstehenden Hochzeit, vom Haus, in dem sie leben, von den Kindern, die sie bekommen werden, von der unbedingten Treue, die sie sich geschworen haben, und die sie einander halten werden bis zum Tod (dass sie sich von ihrer Mitinsassin Nichols ab und an mal lecken lässt, zählt für die katholische Lorna nicht). Manchmal, so scheint es, kann sie beim Erzählen selbst kaum fassen, dass ihr Prinzessinnentraum wahr geworden ist.
Eines Tages kommt ans Licht, dass Lorna (unter anderem – ein bisschen Internetbetrug kommt auch noch hinzu) wegen Stalkings eines Mannes namens Christopher, mit dem sie ein einziges Date hatte, wegen Eindringens in seine Privaträume, wiederholten Brechens der von ihm erwirkten Restraining Order, und einem Mordversuch an ihm und seiner Freundin im Knast sitzt. Sie bricht zusammen.
Lorna also, das kann man sich nun vorstellen, ist gewillt, ihre neu gewonnene und mit anrührender Aufrichtigkeit begonnene Liebe zu Vince, hier, in dieser Situation, an diesem Tisch zu leben. Sie beginnt langsam und mit verführerischer Stimme ihm über die Distanz des Tisches hinweg zu erzählen, dass sie ihn berührt, wie sie ihn berührt, wie er sie berührt, was das mit ihr macht, wie sie sich für ihn anfühlt, und was das in ihm auslöst, und wenn Lorna eine Sache gut kann, so gut kennen wir sie inzwischen, dann ist es, bild- und detailreich Liebe und Sexualität zu beschwören. Und so kommen die beiden schließlich, in Anwesenheit von Aufsehern und Besuchern – und der Einhaltung des Buchstabens des Gesetzes, sich nicht zu berühren, zum Orgasmus.
Natürlich ist diese Szene eine wundervolle Hommage an eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte: Sally beweist Harry in „When Harry Met Sally“ anschaulich, dass Frauen sehr wohl in der Lage sind, überzeugend einen Orgasmus vorzutäuschen. Auch diese beiden haben dabei einen Tisch zwischen sich – allerdings im Diner.
Vor allem aber ist diese Szene – wie Lornas Figur insgesamt – eine große Erzählung über die Liebe. Liebe ist Projektion, sagt man. Man könnte argumentieren, dass es das ist, was hier eindrücklich veranschaulicht wird. Aber stimmt das? Sollen wir annehmen, dass der Sex zwischen Vince und Lorna nicht wirklich stattgefunden hat, dass er eingebildet war, weil sie sich nicht berührt haben? Sollen wir annehmen, dass Lornas Liebe zu Christopher der überzogene Affekt einer Borderline-gestörten Persönlichkeit ist, und nicht wahrhaftig, groß und aufrichtig, und von einem Wissen geprägt, zu dem Christopher einfach keinen Zugang hat? Sollen wir es überzogen finden, dass Lornas Leben und Persönlichkeit, alles was sie ausmacht, zusammenbricht, als man ihren fantasmatischen Raum durchkreuzt, und ihr vor Augen führt, dass ihre Liebe zu Christopher nichts gewesen ist als eine brutale Lüge?
Die Liebe ist kein Beinbruch. Nein. Doch sie sitzt in unseren Körpern und Leben und folgt dort Gesetzen, die uns heilen, retten oder an denen wir zugrunde gehen können.
Es regnet.
Das kürzeste Haiku
der Welt.
Wir werden an diese Tage zurück denken, als die, an denen die Türkei zur Diktatur umgebaut wurde, und niemand in Europa oder den USA etwas dazu zu sagen hatte, außer: Wir unterstützen die demokratisch gewählte Regierung Erdogan.
Und ich hab’s verpasst, nach Istanbul zu fahren. Das kann man jetzt erstmal vergessen, für eine laange Zeit.
Mein I love Malaga-Schlüsselanhänger ist kaputt gegangen.
Ich hab T. mit meinem Schlüssel beworfen, da ist der Anhänger abgefallen.
Vor zwei Jahren sind sie schon mal zusammen im Bett gewesen.
Warum er mir das jetzt, in der Stunde der Wahrheit, wo alles auf dem Tisch ist, wo er mir gesagt hat, dass er zurück will, nicht erzählt hat? (sondern D dafür gesorgt hat, dass er es zugeben musste.)
Er dachte, wir haben es dann einfacher, wieder zueinander zurück zu finden.
Der Schlüsselanhänger liegt jetzt unter einem Busch im Monbijoupark. Wer ihn findet, kann ihn auf ebay versteigern.
Ich finde einen Troststern.
Ich steig jetzt emotional einfach mal aus.
Im globalen Zusammenhang betrachtet ist das doch eh alles pipifax.
Ich koppel mich ab und reite davon, in den Sonnenuntergang der kapitalistischen Erderwärmung.
Können die ihre Geschichten nicht besser abstimmen?
Ich such jetzt im Netz mal nach einem Mailblocker.
So langsam Seifenoper.
Eigentlich ganz unterhaltsam.
D schreibt mir noch eine Mail.
In der sagt sie mir.
Dass sie und T. vor zwei Jahren schon mal was miteinander hatten,
Danach immer wieder,
Bis zu den letzten beiden „intensiven“ Monaten (wieder dieses schöne, assoziationsreicheWort),
Dass er ihr seit Jahren seine Liebe offenbart, ihr nahezu hinterher gerannt ist und dass sie nun
raus möchte, aus diesem Albtraum mit jemandem, der nicht zu sich stehen kann,
Dass sie keine Gefahr mehr darstelle.
Dass, wenn sie nicht gewesen wäre, ich heute noch nichts davon wissen würde,
dass er ein Spiel gespielt hätte, mit uns beiden, das er noch jahrelang weiter getrieben hätte.
Dass ich nun, da ich alles weiß, auf dem freien Feld entscheiden kann.
Wie zwei Spulwürmer sind sie in meinen Kopf und meinen Körper gekrochen und haben dafür gesorgt,dass alles was ich dachte, was ich wusste, woran ich geglaubt habe, angefressen ist, zersetzt und ausgehöhlt.
Und ich weiß nicht, wie ich sie da wieder rauskriegen soll.
T. schreibt mir eine Mail.
Er hat lange für sie geschwärmt, war aber nie verliebt, vor zwei Monaten hat er zum ersten Mal zugelassen, dass was passiert, hat sich verliebt, konnte nicht mehr raus, hat es laufen lassen.
Das Schlimmste was er je gemacht hat, es tut ihm leid, es ist vorbei, er hat es beendet, er ist nur noch erleichtert.
Ich halte mich am liebsten in Tiefkühlabteilungen auf.
Der Schmerz macht so viel Hitze.
D schreibt mir eine Mail.
In der sagt sie mir.
Dass sie es nicht forciert hat.
Dass sie verliebt ist.
Dass sie immer dafür war, dass er sein
„jahrelanges emotionales Werben“ um sie
mir gegenüber transparent machen soll,
nicht erst in den letzten zwei Monaten als es zwischen ihnen
„intensiver“ wurde.
Dass sie mich schätzt.
Dass sie mir viel Kraft wünscht.
Er sagt, er will zurück.
Wohin zurück?
Jetzt weine ich eigentlich nur noch.
Es ist D.
Ähnlicher Typ, ähnlicher Schwierigkeitsgrad.
Er hatte gar keine Affäre.
Er hatte eine Beziehung.
Das Schlimmste wird sein, dass niemand mehr meine Brüste berührt.
Ich kann mir nichts Einsameres vorstellen.
Achte auf Körper- und Dentalhygiene. (Auch wenn du dir das jetzt noch nicht vorstellen kannst, es kann jederzeit sein, dass dir jemand begegnet, der mit dir Sex haben will. Schneide die Haare an deiner Möse besonders sorgfältig, es könnte sein, dass die andere Frau das besser gehandhabt hat.)
Es gibt Menschen, die nett zu dir sind. Nimm das an.
Masturbiere. Wenn du dabei weinen musst, weine, dann mach weiter. Wenn du nicht weißt, wen du dir vorstellen sollst, denk an Mark Wahlberg.
Sei verwirrt. Das ist keine Schande. Im Gegenteil, es ist eine Superkraft.
Sage nichts ab. Geh zu allem.
Nimm Psychopharmaka. Die machen dich glücklich und die Schmerzen sind nicht mehr so stark.
Triff jeden Tag mindestens einen anderen Menschen zu dem du Sichtkontakt hältst und gegenüber dem du den Mund aufmachst, um Worte raus zu lassen.
Kaufe sehr viel Weißbrot. Bau dir ein Bett daraus und lass dich hinein sinken. Achte darauf, dass die Kruste außen ist.
Ich küsse, S., einen gemeinsamen Freund, während er Auto fährt. Es fühlt sich genauso an wie mit T. S. fährt dabei einfach immer weiter. Ich sehe immer wieder mal auf die Straße. Da liegen drei Leute rum, wie nach einem Motorrad-Unfall, der in der Mitte ist tot, verdreht, sieht aus wie bei Zombie-Highway. S. fährt einfach drüber ohne ihn zu berühren. Hast du gesehen, sage ich, da lag ne Leiche. Nee, sagt er.
Wir küssen uns nochmal, ich bin sehr froh und erleichtert, dass es gut geht und genau wie mit T. ist. Ich weiß, dass S. mit J. (anderer Freund) geschlafen hat. Ja, sagt er, den haben sie mir zum Geburtstag geschenkt. Dann bist du jetzt der lachende Dritte, sage ich. Ja, sagt er, und lacht.
Wir sind in einer Bar. Die Frau mir gegenüber am Tisch reicht mir Pillen auf ihrer ausgestreckten Hand. Kleine blaue, hellrosa und weiße Pillen, wie aus Keramik. Die sehen aber hübsch aus, sage ich. Ja, sagt sie. Sie ist mir ganz nah, ihre Hand mit den Pillen bei mir, ich atme und lutsche dabei ein Jasminbonbon. Sie setzt sich zurück mit diesem angenehmen Lächeln, das sie hat. Plötzlich fängt sie an, schwer zu atmen. Sie ist allergisch auf das Jasmin, das aus meinem Atem kam. Ihre Freundin bringt sie schnell raus.
Im Film bauen die Frauen nach sowas immer ihr Leben um. Das wird dann ganz großartig und viel besser als bisher, weil sie nach Indien reisen oder einen Pferdehof übernehmen.
Dass einem das Leben immer als lebenswert verkauft werden muss, wo man geht und steht.
C. sagt, ihr müsst mal reden.
Ich will nicht reden.
Ich will das alles vergessen, ich will dass die Schmerzen weggehen. Ich will ihn küssen und mit ihm schlafen und Witze machen. Ich will, dass das alles ein schlechter Traum ist und ich aufwache.
Das alles wird Monate dauern. Wenn wir uns trennen, Jahre. Wer will sich damit beschäftigen? Ich nicht. Was für eine sinnlose Idiotie.
Wenn ich wenigstens verstehen würde, wo das Problem war. Warum er das gemacht hat. Warum er diese Beziehung so schrecklich fand, dass er da raus musste. Durch die Affären-Hintertür. Oder gehts darum gar nicht?
Du spinnst, sagt C. Auch du hattest ein Problem.
Ich sitze zwei Stunden lang bei einer Tasse Tee an einer Kreuzung und schaue alle Männer an, die vorbeikommen. 99,99 Prozent aller Männer möchte ich nicht berühren.
Was würde ich jetzt geben, um einen Job, der mich körperlich und mental so fertig macht, dass ich keine Zeit habe, nachzudenken oder nachts aufzuwachen. Vielleicht frag ich die Bauarbeiter da drüben, ob ich mitarbeiten kann.
Ich hab immer gedacht, wenn es passiert, dann ist alles ganz klar. Dann gehe ich. Nichts ist klar.
Ich wusste, dass das eines Tages passiert. Ich dachte nur, es passiert etwas später, wenn ich in die Wechseljahre komme.
Ich weiß gar nicht, wie er das hingekriegt hat. Bei all dem Job-Stress, den er hatte. Aber so ist das, Affären setzten unglaubliche Manneskräfte frei. Auch bei meinem Vater waren da ja alle voller Bewunderung.
Hat er ein Kondom benutzt?
Vielleicht benutzt er eins, gerade jetzt.
Wer ist es? Wer weiß es? Wer hat es die ganze Zeit gewusst?
Im Kopf hab ich in Sekundenschnelle alle Frauen durch, die T. so kennt, die wahrscheinlichen und die unwahrscheinlichen. In den nächsten Stunden wiederholt sich das in unendlichen Schleifen. Ich bin sicher, es ist jemand, den ich kenne. Ich bin sicher, ich habe mit dieser Person in den letzten acht Wochen gesprochen, ich war nett zu ihr und sie zu mir. Ich bin sicher, wir haben uns angelächelt, und ein paar Worte gewechselt. T. hat das nicht verhindert.
Ich bin sicher, ich habe in den letzten acht Wochen mit Menschen geredet, die gewusst haben, dass T. eine Affäre hat. Die haben mir ihre Gesichter freundlich vors Gesicht geschoben, was sollen sie auch sonst machen, und hinter ihren Stirnwänden hatten sie Informationen aus der eigentlichen Realität und die haben runtergelächelt auf mich, die leider von nichts ne Ahnung hat, und dabei haben sie sich sicher ein bisschen unangenehm gefühlt. T. hat das nicht verhindert.
Schlimmer noch: Wer von meinen Freunden und Vertrauten weiß was? Wen kann ich anrufen, mit wem kann ich reden, ohne mir den nächsten Tiefschlag abzuholen, weil ich spüre, dass sie es wissen, weil sie mir sagen, dass sie es wissen, weil sie mir sagen könnten, wer es ist und sie nur mit diesem Geheimnis in ihrem Kopf und ihrem Dilemma in den Augen mit mir reden können. Vertrautes Land – Feindesland. T. hat das nicht verhindert.
Ich sitze hier wie ein Vollidiot. Isoliert und aller Gewissheiten beraubt. Und T. hat das nicht verhindert.
Vermissen bis zum Phantomschmerz. Sogar in meiner Vagina zieht es.
Wenn jemand den Schlussakkord spielt, dann steht man auf und geht, oder?
Man sitzt noch einen Moment da und hält inne und lauscht nach. Dann klatscht man, weil es großartig war. Und dann steht man auf und geht.
War das der Schlussakkord?
Wir hatten Sex, wir waren auf dem Erdbeerfeld, wir waren essen, wir haben Spargel gekocht, wir haben unseren Genitalien Namen gegeben und darüber gelacht. Wir haben den Balkon gelobt, über Pläne im Sommer nachgedacht, uns in Entscheidungen und Gefühle einbezogen, seine Veranstaltungen besucht, seine Mutter gesehen, wir haben uns mit Freunden getroffen. Wir haben im Cafe parallel gearbeitet. Er hat Stress gehabt. Wir haben uns gesagt, dass wir gut aussehn. Wir haben uns angenervt, gestritten, zusammengenommen, vertragen. Wir haben Dinge für uns getan. Wir haben über Politik diskutiert. Und in all dieser Zeit hat er
Seinen Schwanz in eine andere Möse gesteckt. Hat Haare gestreichelt, in Augen geschaut und Füße betrachtet. Hat Brüste berührt. Seine Zunge in weiche Höhlen gesteckt. Gerüche gerochen. Ist richtig gut gekommen. Hat richtig gut gefickt. Hat Neues gelernt. Hat verglichen. Hat Gefühle entwickelt. Hat verglichen. Hat darüber nachgedacht, wer besser ist und bei wem er bleiben soll. Hat mir nicht die Möglichkeit gegeben, das Gleiche zu tun. Hat Minority Report gespielt mit mir und meiner Wahrnehmung, meiner Realität. Das Erdbeerfeld gibt es gar nicht. Das ist alles die Matrix in der ich gefangen bin, weil er es so bestimmt hat.
Ich verstehe das.
Ich verstehe, dass man nach 15 Jahren denkt, man will in diesem Leben auch nochmal jemand anderen nackt sehen. Mal wieder verliebt sein. Jemanden mal wieder so richtig toll finden. Sich toll finden lassen. Seinen Schwanz mal wieder woanders reinstecken. Mal wieder merken, dass sich noch andere Leute für einen interessieren. Dass man’s noch hinkriegt, sich jemandem zu nähern. Dass man nicht komplett vergessen hat, wie man das macht. Mal wieder neu sein. Für sich. Für andere. Ich verstehe das.
Mein Magen ist ungefähr so groß wie eine Pflaume, genauso hart und fest.
Im ersten Moment bin ich einfach nur erstaunt. Ich bin vollkommen, wirklich völlig bass erstaunt. Ich bin so erstaunt, dass mir die Luft weg bleibt. Ich schnappe nach ihr, nochmal und nochmal, wie ein Fisch, den man an Land geworfen hat, und krieg keine. Ich starre aus meinem Gesicht raus und weiß, da sind irgendwelche Löcher drin, die irgendwas durchlassen müssten, aber da kommt ein solcher Schub aus Temperatur und Rauschen von innen hinten, dass der Schub und die Löcher nicht zueinander finden, das eine passt nicht durchs andere, nichts hat mehr miteinander zu tun, auch nicht mit der Haut und ihren Poren, auch nicht mit dem Skelett, das alles zusammenhält.
Ich gehe auf den Balkon, da ist die Luft besser. Dann geh ich wieder rein.
Ich bin sehr gefasst.
Eine Affäre.
Versteh einer einen Virus.
Der Virus an sich grassiert ja gerne. Er taucht einfach irgendwann irgendwo auf. Wie er sich gebildet hat, woher er eigentlich so plötzlich kommt, warum er sich auf Kotzerei und Durchfall spezialisiert, ob er eine Neuerfindung ist und wo die gemacht wurde – keiner weiß es. Er ist einfach plötzlich da und stürzt sich auf alle im Büro oder der Kita. Er lässt sich von Mensch zu Mensch schleudern, schmieren oder schieben, und wütet dann dort z.B. in den Eingeweiden. Er feiert eine Vermehrungsparty, dass es einem in den Ohren rauscht, bevor er dann langsam, ganz langsam nachlässt. Er fällt den Antikörpern zum Opfer, offensichtlich eine Truppe bis an die Zähne bewaffneter Spezialeinheiten, die ihn scannen, erfassen und besiegen, und er sucht das Weite, bzw lässt sich bequem, z.B. von mir, mit easyjet von Portugal über Frankreich nach Deutschland fliegen, um sich dort neue Opfer zu suchen. Oder er bleibt noch eine Weile im Belüftungssystem sitzen und steigt gar nicht erst mit aus. Am Ende verschwindet er einfach, zurück in das seltsame Nichts aus dem er gekommen ist. Und er wird nie zurückkehren, jedenfalls nicht in dieser Form. An einem geheimen Ort arbeitet er an seiner Modifizierung.
Der Atlantik ist anders als die anderen Meere. Also zum Beispiel anders als die Nordsee oder das Mittelmeer. Das Mittelmeer ist ne Pissbrühe gegen den Atlantik (und im übrigen inzwischen auch ein Massengrab)! Das Wasser des Atlantik ist so klar und so kalt und so salzig, dass du merkst, der hat schon ganz andere Sachen gesehen. Der kann dir Geschichten erzählen, von Dinosauriern, Meteoriten und dem Urknall. Der Atlantik ist nichts für schwache Gemüter. Der Atlantik erinnert dich daran, dass du auf der ERDE bist, also auf einem Planeten, also in einem Universum. Der Atlantik ist so kalt, dass er in deinen Kopf reinknallt.Der ruft dir in Erinnerung, was du bist, und wenn du nur gerade mal den Fuß reinstreckst in einen seiner ruhigsten, zahmsten, befriedetsten Ausläufer in einer hübschen kleinen portugiesischen Bucht, weißt du: Du bist ein Nichts. Und wenn du nur ein bisschen weiter raus schwimmst, und die Strömung spürst, und eine leise Andeutung davon bekommst, was Gezeiten bedeutet, dann schwimmst du schnell wieder zurück an Land und legst dich auf den herrlichen sattgelben Sand.
Wenn du Alzheimer hast, ist es so. Da bringt dich jemand, von dem du dir nicht sicher bist, ob er wirklich weiß, was er tut und über alles informiert ist, in ein Haus, das du noch nie gesehen hast und setzt sich mit dir an einen Tisch und bestellt dir einen Tee. Und du weißt gar nicht, ob du das alles möchtest, und das so richtig ist, aber der Tee ist erstmal ganz gut und die Dame die ihn bringt, ist auch ganz freundlich, und dann erklärt dir die Person, dass alles in Ordnung ist und gleich noch die ganzen anderen Leute kommen, aber damit kannst du nichts anfangen, weil du nicht weißt, warum ausgerechnet hier, wo es ja fremd ist und noch gar keiner da, und wer denn nun genau und vor allem wann, ja wann? In einer halben Stunde. Aber das ist ja jetzt. Wenn der Zeiger hier ist. Aber irgendwie bleibt dir auch nichts anderes übrig, als da zu sitzen und den Tee zu trinken, denn um zu Hause zu sein, oder woanders, dazu müsste ja ein Auto kommen und dein Mann.
L. fragt mich, ob ich Patin werden möchte. Ich freue mich sehr, bin aber auch überrascht. Ich bin weder in der Kirche, noch religiös, das weißt du, sag ich. Er: Macht nichts, Pfarrer (katholische Kirche) locker, alles kein Problem.
Kurze Zeit später schreibt meine (evangelische Paten)Tante: Sie freut sich, dass mal wieder jemand getauft wird, ihre Enkelkinder hatten das alle nicht, und ich Patin, toll! Ich denke, ja, aber vielleicht nochmal klar stellen: Ja, freu mich auch sehr, finde das einen schönen Gedanken, zwei Menschen, Figuren, die man so einem Kind an die Seite stellt, die nach ihm schauen, eine Verbindung zu ihm aufnehmen, werde das auf meine Weise interpretieren, denn: Ich bin ja nicht religiös und auch nicht in der Kirche, ne? (ausgetreten mit 18)
Dann denke ich: Was schreib ich das meiner Tante, schreib ich doch mal lieber L., wie ich die Patenschaft verstehe, und ob das so klar geht mit ihm, ihnen, dem Pfarrer.
L.: Ja. Danke für Deine Worte. Genau.
Kurz vor der Taufe, ich hab inzwischen viele Stunden damit verbracht aufgeregt ein sehr ideelles Taufgeschenk zu basteln, bittet mich L. am Telefon eine Taufkerze mitzubringen und die schnell zu bestellen, sonst haut das nicht mehr hin. Sie waren im zwei wochenendlichen Taufkurs, außerdem will er nochmal mit mir den Ablauf durchgehen, das scheint ihm besser. Er meldet sich am WE nochmal.
Es scheint ihm besser.
Ich kaufe schnell die säkularste Kerze, die ich finden kann (Leuchtturm, schön). Als wir uns endlich wegen des Ablaufs erreichen – am Vorabend meiner Abfahrt dorthin – er ist müde und fertig von der vielen Arbeiterei – liest er mir am Telefon vor, was ich sagen muss. Ich muss also doch was sagen. IN einer Art ritualisiertem lautem Dialog zwischen Pfarrer und Eltern/Paten. Bei „Wir erbitten die Taufe“ gehe ich noch mit, bei „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“ verschließt sich langsam mein Magen, ein Kreuz soll dem Täufling von den Paten auf die Stirn gemalt werden, und als dann noch das Wort vom Satan fällt, dem ich wiedersagen soll, und vor dem ich das Taufkind beschützen soll, da platzt es spontan aus mir heraus: L., das pack ich nicht.
L. organisiert in aller Hektik und Anspannung einen anderen Taufpaten.
Ich weine bei T. am Telefon. Wieso nur, nimmt mich das so mit? Mein Bruder hat sich etwas gewünscht von mir, etwas, was ihm wichtig war, und ich konnte es ihm nicht geben. Vielleicht auch. Er wollte mich drin haben, in dieser Familie, und ich hab es wieder mal vorgezogen draußen zu bleiben.
Wir haben es beide geahnt, wir haben es beide hinausgezögert bis zum letzten, traurigen Moment. Ich respektiere seine neu gewonnene Nähe zur Kirche. Ich kann nicht so tun, als hätten diese Zeremonien keine Bedeutung und seien nur eine bürokratische Hürde. Wenn ich das Glaubensbekenntnis gesprochen hätte vor versammelter Mannschaft, und gesagt hätte, ich wiedersage dem Satan, dann wäre ich dort zu Staub zerfallen wie ein Vampir. Was wäre ich für ein Vorbild für meinen Neffen.
Der Pfarrer in der Kirche gibt sich alle Mühe, offen und tolerant zu wirken. Er erklärt Bedeutungen und ihre Entstehungsgeschichte.
Ich weiß von der ersten Sekunde an: Es war die richtige Entscheidung.
Ich werde eine gute, ideelle Tante sein.
Demolition gesehen. Vielleicht ist das Kino ja auch einfach tot.
Auf einer Seite im Internet erklären Frauen, wie sie einen Orgasmus bekommen.
Die Seite ist hell, modern und freundlich, die Frauen lustig, nett, normal und selbstbewusst. Ein paar Auszüge aus den Videos kann man sich anschauen, bevor man bezahlen muss. Auf den Videos sieht man, in aufklärerischer aber warm gefilmter Frontalaufnahme sowie sanften, verspielten Blicken auf Brüste, Hände usw., wie sie masturbieren und dabei erläutern, was sie tun.
Alter Schwede, ist das kompliziert. Dreimal links rum, einmal rechts rum, dann etwas schneller, aber nicht zu sehr und kurz vor knapp bitte aufhören.
Und jede was anderes!: Also ich habs am liebsten so, ahja?, nee so könnt ich ja gar nicht.
OMG, die armen Jungs.