Mai 2019 – was bleibt

Was bleibt sind ein paar Texte. Die keiner habe wollte oder anders oder nur gegen Kämpfe und keines Falls gegen Geld. Ich werd das nie verstehen. Warum es nicht geklappt hat. Mit mir und der Welt. Ich finde, ich habs echt versucht.

Mai 2019 – get! over! it!

Wie lang ist es jetzt her?, fragt Ch., als ich mitten am Tag im Cafe anfange zu weinen. Was?! frage ich grob. Er antwortet nicht.

Er hat recht. Es nervt, es reicht, es dauert zu lange, warum wirds nicht besser, warum geht’s nicht weg, warum funktioniere ich nicht, warum komm ich nicht raus, warum gehts nicht weiter oder sogar los. Stop it, annoying bitch.

Mai 2019 – mutig, stark und schön

Frauen sind mutig! stark! schön! Lese ich auf einem Plakat.

Bullshit, kann ich da nur sagen. Sie sind feige, schwach und hässlich. Sie pupsen und scheißen, sind dumm, fies und gemein. Und sie können einen Haufen Sachen nicht. Guckt mich an. Also hört auf, mir Druck zu machen, ladies. Klar, das andere stimmt auch. Aber solange ich kein Mensch sein darf, will ich keine Frau sein.

(Natürlich muss man das Plakat im historischen Kontext sehen, aus dem es gerade wieder hervorgeholt wird, hier also die geschichtliche Einordnung. Als der Spruch entstand, 1989/90 rum, DDR, by the way, war alles noch ein bisschen anders. Es ist rührend, bzw. mutet fast tragisch an, dass man das Frauen und Männern sagen musste. Dass solche informierenden, trotzigen, tröstenden, aufmunternden, selbstermächtigenden Worte gesprochen werden mussten. Danke, dass ihr das getan habt, ladies.)

Mai 2019 – gay porn

Als ich probehalber hübsche Jungs im Inkognito Fenster eingebe, komme ich direkt zu gay porn. Und was soll ich sagen, da gibt es tatsächlich hübsche Jungs. Ab und an. Sie stehen unter Duschen oder liegen in Betten und stöhnen ganz angenehm, man sieht jede Menge Schwänze und einigermaßen verzückte Jungs-Gesichter. Oh Mann, wieso bin ich da nicht früher drauf gekommen! Eine Welt ohne weibliche Geschlechtsteile, stumm fickende Macho-Männer und nerviges Frauengestöhne! Funktioniert viel besser. Und dennoch, wieder mal alles erschreckend einfallslos. Ich dachte, ich hol mir ein paar Tipps ab, was Jungs so mögen. Aber die zuppeln auch nur son bisschen an ihren Schwänzen rum. Scheint zu reichen. Und bei den Fickszenen frage ich mich mal wieder, wieso da bis heute so ein Theater drum gemacht wird, ist doch echt das gleiche in Grün. Beine breit, bisschen rumgeleckt oder rumgefingert und dann das gute alte Rein-Raus-Spiel, auch die Stellungen sind die gleichen, von oben unten hinten links rechts. In Bezug auf Unterwürfigkeit, Dominanz, kommen sie mir allerdings schmerzfreier vor, die Videos. Das ist auch nicht immer nett. Also sowas wie: Zwei weiße Männer und ein junger Asian Boy, den sie eine Stunde lang „so richtig rannehmen“, und wahrscheinlich „gemessen am Durchschnittslohn vor Ort sehr gut dafür bezahlt“ haben, da wär mit ner Frau schon tendenziell die Grenze überschritten.

Mai 2019 – Ping Pong

Ich will auf eine Veranstaltung. Aber T. könnte dort sein. Wenn T. dort ist, will ich nicht auf die Veranstaltung. Wenn T. nicht dort ist, und ich gehe nicht hin, weil er dort sein könnte, bin ich im am Ende nicht hingegangen, obwohl er gar nicht da war und ich hin wollte. Wenn ich aber hingehe und er ist da, dann geht es mir schlecht. Wenn ich nicht hingehe, gehts mir aber auch schlecht, weil mein Leben eingeschränkt und scheiße ist und ich nicht mal mehr auf Veranstaltungen gehen kann auf die ich gehen will. Es könnte auch sein, dass er nicht da ist, aber Freunde von ihm, die dann sehen, wie schlecht es mir geht. Ich hätte eine Freundin fragen können, ob sie mitkommt. Aber die kennt T. Wenn er also da ist, dann stehen wir alle voreinander herum und die einen müssen sich da hinsetzen und die anderen dorthin oder was? oder er läuft wieder davon oder ich laufe davon oder noch schlimmer, alle tun so als wär nichts, und ich muss mir sein Gesicht angucken, mit dem er so tut als wär nichts, egal was, egal wie, es bricht mir das Herz.

Am Ende gehe ich nicht hin. Sondern liege eingequetscht zwischen den hochgeklappten Tischtennisplatten in einer Garage am Rande der Stadt.

Mai 2019 – Dickpic

Ich verstehe nicht, wieso sich alle über Dickpics aufregen. Ich finde die irgendwie süß. Ich würde gerne mal eins kriegen. Dickpics sind so ein bisschen hilflos und irgendwie rührend narzisstisch. Ich meine, was sollen die Jungs denn sonst machen? Mit irgendwas müssen sies ja versuchen, also warum nicht mit was, worauf sie stolz sind und was sie echt gerne mögen? Im Grunde ist so ein Dickpic doch auch nur ein verlängertes Selfie. Und das ist wenigstens ein interessantes. Ein Dickpic erzählt uns doch eigentlich von etwas sehr Emotionalem, nämlich der großen Liebe des Mannes zu seinem Penis, diesem so freudvollen wie quälenden Objekt, das da so lebenslang identitär an ihm dranhängt und unter dessen Knute er ja irgendwie permanent steht. Da macht sich doch jemand verletzlich, mit so einem Dickpic, das wollen wir doch, und ein bisschen witzig oder manchmal ja auch wirklich attraktiv ist so ein dick doch auch, come on. Auch dieses grundlegende Missverständnis, dem Männer in Bezug auf Frauen aufsitzen, weil sie denken, es ginge um irgendwas, dabei gehts um was ganz anderes, tritt einem im Dickpic entgegen, ein ewiger Fluch, das Ganze, aber auch das finde ich irgendwie berührend. Immer wieder aufs Neue diese zarten Versuche, sich zu verständigen, eine Kommunikation herzustellen, voller Hoffnung. Please like me als please let me fuck you. Das ist doch was. Warum macht man sich darüber lustig, findet das unmöglich oder gar ekelhaft? Wenn ich jetzt anfangen würde, Vulvpics zu verschicken oder Tittpics, dann macht mich dafür keiner blöd an. Gut, wer Tittpics (ist das der offizielle Term?) verschickt, gilt als son bisschen doof, das ist dann gleich alles eher so mobbingmäßig konnotiert, Mädchen, pass auf, was du machst, da musst dich nicht wundern, wenn, der Ruf ist schnell ruiniert, und am Ende reden alle über dich als super Schlampe, Männer wie Frauen. Vulvpics – oder muss man in genauer Analogie sagen Cuntpics, fies, oder Pusspics? – würden gerade garantiert als voll feministisch durchgehen, eine Weile lang jedenfalls. Vielleicht wärs eine Überlegung wert, eine Dating App zu machen, in der man nur Dickpics mit Pusspics matcht. Dann sollen die beiden gucken, wie sie klar kommen, wenn sie sich in der Bar auf ein Bier oder auf einen Spaziergang im Park verabreden. Und wir können so lange was anderes machen.

Mai 2019 – 35a

Als ich G. (mal wieder) von meinen Ängsten erzähle, sagt er, (Kinder- und Jugendtherapeut), also ne 35a wärst du schon.

Paragraf 35a des Kinder- und Jugendhilfegesetzes besagt, dass seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, also Kinder, deren

1 seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und daher

2 ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist – einen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben.

Dass ich beide Kriterien voll und ganz erfülle, muss ich hier ja wohl nicht mehr erläutern. Ich habs schon immer geahnt, gewusst, gesagt, endlich hab ichs schwarz auf weiß. Ich gehöre zu einer Edition, die limitiert ist. Oder wie P., ein alter Freund von mir mal gesagt hat, ach Elli, wir lieben dich trotz deiner Behinderung. Es gibt also einen offiziellen Paragrafen über mich, der meine Umstände näher regelt. Wenn dem so ist, frage ich mich, wieso mir eigentlich keiner hilft. Die Psychiaterin hat ihre Praxis zugemacht. Die Arzthelferin hat die AU verschlampt, was das Aus fürs Krankengeld bedeutet noch bevor es überhaupt angefangen hat. Der mühsam heraus telefonierte und stundenlang probierte Therapeut meldet sich seit fünf Wochen nicht. Weil wiederum der Gutachter der Krankenkasse sich nicht sicher ist, ob sich eine Investition da noch lohnt.

Ist mir egal. Wenigstens weiß ich jetzt, was ich bin. Ne 35a.

Mai 2019 – Treibsand

Es wird nicht besser, es wird schlechter. Ich rutsche tiefer in die Depression. Werde bewegungsloser. Verzweifelter. Abgetrennter. Kopfloser. Kampfloser. Die Angst ist laut und präsent. Ich kann nichts mehr tun.

Es tut mir leid. Es tut mir alles so leid. Entschuldigt bitte.

Mai 2019 – fahren

Ich nehme an einer Fahrschule für E-Scooter teil. Unser Fahrlehrer, Typ türkischer Papi, bisschen untersetzt mit Schnurrbart. Ich bin verknallt in ihn, ist klar. Er erklärt gut, ist geduldig und ein bisschen streng. Wir üben auf der Etage einer leer stehenden Hochgarage. Gas geben, Slalom fahren, vollbremsen. Er steht ganz hinten, zwischen den Hütchen, und wenn ich losfahren soll, hebt er die Hand. Das mag ich. Ich fahre auf ihn zu (nicht auf den Boden gucken, zu mir!), und bremse vor ihm zwischen den Hütchen ab. Ihm zuliebe fahre ich das nächste Mal auch ein bisschen schneller. 20 km/h. Am Ende fahren wir alle durchs ganze Haus wie die Entchen hinter ihm her.

Mai 2019 – schwimmen

Meine Schwimmlehrerin heißt Dolores. Schon deswegen bin ich verknallt in sie, ist klar. Sie ist groß und trägt einen klassischen, gut geschnittenen, schwarzen Badeanzug. Ich finde sie schön. Sogar die hässliche Schwimmbrille steht ihr. Sie bringt uns Brustschwimmen bei. Gleiten! Atmen! 1 2 34 fühnf seechs. Sie ist ruhig und geduldig und ein bisschen streng. Sie ist mit uns im Wasser und schwimmt uns vor, wie es geht. Ich könnte sie umarmen.

Mai 2019 – Typ

Schon wieder beim Einkaufen. Guckt mich ein Typ an. Dreht eine Runde. Quatscht mich an. Hallo, einen Einkaufskorb in der Hand. Ich verstehs nicht. Ich versteh nicht, was er sieht. Sieht er nicht, dass es nicht geht. Sieht er nicht, wie müde ich bin, wie alt, wie hässlich, wie verschlossen, wie krank an Leib und Seele. Kann er nicht sehen, dass hier nichts passt. Dass ich ihn nicht mag, er mich nicht mag, nicht mögen würde? Was sieht er? Kann er nicht gucken? Ich hab einen Rock an, achso. Wahrscheinlich wars das.

Mai 2019 – Die Abdeckung

Ich wache auf. Ich bin so müde, aber ich wache auf. Augenblicklich ist es da, das Brennen. Das ich nicht loswerde, so sehr ich mich anstrenge. So geht das. Jede Nacht, jeden Morgen. Wirken diese Medikamente eigentlich gar nicht?

Ich stehe auf. Ich laufe los. Erstmal laufen. Laufen.

Da vorne ist eine Polizeiabsperrung. Fußgänger dürfen vorbei. Am Ende der Straße noch mehr Polizei. Ein Krankenwagen. Ich werde langsamer. Ein LKW. „Man unterschätzt die Kreuzung leicht“, sagt eine Frau zu einem Mann in einem Hauseingang. Eine Abdeckung am Boden. Ich bleibe stehen. Ich fange an zu weinen. Ich drehe um. Ich gehe zurück, ich kann kaum noch an mich halten, ich biege ab, laufe davon, mache einen großen Bogen, um die Verletzung, den Schmerz, die Tortur, den Tod, der da vorne auf der Straße liegt.

Mai 2019 – Medikament

Man gibt mir ein Medikament gegen die Angst. Dabei brauche ich eins gegen die Liebe, die Zärtlichkeit, die Sehnsucht, das Verlangen und die Hoffnung. Das will ich alles nicht mehr haben.

Mai 2019 – verloren gehen

Ich gehe verloren an einer Kreuzung auf einer Straße in einer Stadt, die ich kenne, ich weiß nicht, wo ich bin, es gibt keine Straßenschilder, aber ich muss dringend auf den Zug, ich komme zu spät, wenn ich den verpasse, das wird teuer, ich hab aber kein Geld, ich weiß nicht, ob ich die S-Bahn nehmen könnte, aber wo fährt die ab und wann, und reicht es dann noch,
zum Laufen ist es zu weit, es kommt kein Taxi, niemand ist hier, kein Auto, kein Fußgänger, keine Bahn, es ist zu früh am Morgen, ich gerate in Panik, ich bin völlig haltlos, tippe fahrig auf meinem Handy herum, drehe und wende mich, auf der Suche nach Orientierung, Nein, Nein, Nein, bettle ich, Nein, nein, nein, rufe eine Taxinummer an, aber die gibt es nicht mehr, bei einer anderen sagt man mir süffisant, ich sei in der falschen Stadt, ich kann mich nicht konzentrieren, nicht sortieren, denk nach, was muss man machen, denk nach, was muss man machen, in so einer Situation!

Das war letzten Oktober.

Heute kommt mir das vor wie ein Vorbote der Trennung.

Mai 2019 – republica

Drei Tage lang habe ich das erhebende Gefühl an einer breiten zivilgesellschaftlichen Zusammenkunft teilzunehmen, die ein großes Unbehagen teilt, nämlich erstens: Hier läuft was schief und zweitens: So kanns nicht weiter gehen. Andererseits ist eben auch Porsche da und Amazon und Google, die ihre tollen neuen Sachen präsentieren, während sie parallel auf der großen Bühne im Track Politics & Society kritisiert oder gar in Gedanken schon abgeschafft oder zumindest mal ordentlich durchreguliert werden. Aber das hier ist ja auch Zivilgesellschaft und nicht Linksradikalismus oder Anti-Kapitalismus. Trotzdem, Wut tut gut. Und die ist da. Politische Zeiten. Endlich.

April 2019 – Nette Männer

Neben mir im Café zwei Männer. Normalos. Sie umarmen sich zur Begrüßung. Sie haben sich länger nicht gesehen. Sie sind gute Freunde. Sie sprechen miteinander. Über ihre Frauen, ihre Jobs, ihre Kinder. Sie sind offen miteinander. Sie fragen sich um Rat. Der eine ist ein bisschen der größere Bruder, der andere der etwas Unsichere, der wissen will, was der Große denkt. Das Gespräch könnten auch zwei Frauen miteinander führen. Sie sind ungefähr so alt wie ich.

Zwei Tage später. Wieder zwei Männer neben mir, bisschen Mittemäßig-erfolgreicher, gleiches Alter, diesmal auf ein Bier. Der eine Mann erzählt von seiner Frau. Es fühlt sich gerade fremd an mit ihr. Sie ist so gestresst. Aber wie ist es denn, wenn ihr zusammen seid, fragt der andere. Damit meint er: beim Sex. So drückt er das aus. Dem anderen macht seine Tochter, Anfang zwanzig, Sorgen. Das Kind hat alles, sagt er. Die spricht jetzt schon drei Sprachen, die kann hingehen mit ihrem Studium (Medizin), wo sie will. Und dann machen die sich so fertig heute, diese jungen Frauen. Sie will keinen Badeanzug anziehen, weil sie meint, sie ist irgendwo zu fett.

Ich weiß nicht, ob ihnen zu trauen ist. In ihrer Sanftheit, Zugewandtheit, Emotionalität. Zueinander und zu den Frauen in ihrem Leben. Am Ende vögeln sie doch nur die Frau vom Freund, schauen den ganzen Tag weibliche Geschlechtsteile in Großaufnahme auf youporn und würden ihre Frauen jederzeit gegen eine eintauschen, die aussieht wie Germanys Next Topmodel auf das sie vorgeben zu schimpfen.

Vielleicht sind sie auch alle schizophren.

April 2019 – Das junge Paar

Hinter mir im Café, ein Paar. Jung, 18, 19, noch halbe Teenager. Sie streiten sich.

Sie will nicht, dass seine Ex-Freundin zuguckt, wenn er Basketball spielt. Er weiß nicht, was er da machen kann, denn die Ex-Freundin is ja nich wegen ihm da, sondern wegen einem gemeinsamen Freund. Und, es ist ja nun mal sein Verein. Aber warum bist du überhaupt da hingegangen, es gibt doch viele Vereine, wo man Basketballspielen kann, sagt sie. Er hat eben über den Kumpel gehört, dass der Trainer da am besten ist. Sie findet, es liegt in seiner Verantwortung, das zu organisieren, dass sie der Ex nicht begegnet. Weiß er, wie sie sich da fühlt, wenn die da rum sitzt? Denkt er, das ist normal? Aber er hat die doch nicht eingeladen, da rumzusitzen!, verteidigt er sich, er macht das ja nicht mit Absicht, so: Hey, ich spiel heute, kommst du. Es ist deine Aufgabe, das zu klären, sagt sie. Du willst auch nicht, dass mein Ex Freund irgendwo rumsitzt.

Irgendwann wird seine Anspannung zu groß und er steht genervt auf. Läuft den Gang runter, knallt die leere Kaffeetasse auf die Ablage. Dann kommt er zurück. Setzt sich. Und fängt an zu weinen. Hey, sagt sie, geht zu ihm, setzt sich ihm auf den Schoß, tröstet ihn. Sie flüstern, küssen sich, lachen.

Ich staune.

Ich frage mich, wie die Situation bei mir und T. abgelaufen wäre.

Vollkommen anders.

Ich hätte das nicht verlangt.

Er hätte nicht geweint.

April 2019 – in der U8

„Bruder“ steht auf dem Handy-Display des etwa 10jährigen Jungen neben mir. Er geht dran. „Wirf schon mal die Playstation an“, sagt er, „ich bin gleich Hermannplatz“. Es ist Dienstagmorgen um kurz vor 9.

April 2019 – Lächeln

Vor dem Eingang zur Bank immer der Typ mit Hund. „Bringst du uns einen Groschen mit, oder ein nettes Lächeln?“ Jedes Mal wenn er das sagt (und er sagt es jedes Mal) merke ich, dass ich krass genervt bin. Für diesen Claim könnte ich ihn treten. Warum?

Dass er da sitzt und schnorrt, stört mich nicht. Auch nicht, dass er seinen Spruch gefunden hat, jeder von uns muss heute gucken, wie er‘s macht, mit dem Marketing. Was mich aggro macht, ist die Sache mit dem Lächeln. – Gut, der Groschen nervt auch, der kommt so ein bisschen treuherzig, Mittelaltermarktmäßig rüber, überhaupt der ganze Typ und sein Setting so ein bisschen schnuffig, harmlos-provinziell, die Ansage immer so mit dem Blick von unten nach oben vorgetragen, mit leicht schief gelegtem Kopf vom harten, kalten Boden hoch, auf der Decke die versorgende Hundeschale, der Hund daneben gerollt. Aber das ist es nicht. Es ist das Lächeln, das er haben will. Wenigstens das! Ich meine, wer bin ich, seine Tanzmaus? seine Lächel-Prostituierte? Ich kann gucken wie ich will, es geht ihn einen feuchten Dreck an, ob ich einen guten Tag habe oder einen schlechten, ob ich miese Laune habe oder die beste, er muss mir auch nicht unterjubeln, dass die Welt aus meiner Sicht doch lächelnswert sein muss, dass mein sauertöpfisches Gesicht unangebracht ist, wo doch sogar er, der auf der Straße lebt, einen so lustigen Spruch drauf hat, was hat der Typ für eine Ahnung von mir und meiner Welt, glaubt er etwa, nur ihm geht’s scheiße, und alle anderen haben Grund zu lächeln, mein Lächeln gehört mir, „Gib mir was“, ist was anderes als „sei was“, Geld, das ist der Rhythmus bei dem jeder mit muss, okay, aber seinen Lächel-Porno, den kann er sich bei youtube runterladen, und vor allem: Sagt er das nur bei Frauen? Bittet er Männer um ein Lächeln? I doubt it!

Bei mir hat er seinen Groschen jedenfalls verkackt.

April 2019 – Untersuchungsgegenstand

Ich bin mir selbst ein ständiger Untersuchungsgegenstand. Seit ich denken kann, versuche ich, mich zu verstehen.

Durch Texte und Therapien, Spiegel und Menschen, Rasierklingen und Selfies. Ich finde mich wirklich wahnsinnig interessant.

Begreifen aber, tu ich mich nicht.

April 2019 – Gewinner

 

Neukölln. Ein Typ kommt ins Cafe. Er ist total aufgeregt, freut sich tierisch, gibt dem Mann hinterm Tresen ein fettes Trinkgeld auf seinen Cappuccino to go, strahlt, und verkündet laut:

Ich hab im Lotto gewonnen!

Ich hab absolut noch nie was gewonnen!

Alle drehen sich um. Der Gast neben mir: Na, dann haste den Ferrari ja schon bestellt. Das nicht, sagt der Typ, es sind 4000 Euro.

Ich weiß nicht warum, aber augenblicklich stellt sich bei allen Anwesenden, auch mir, Enttäuschung ein. (Achso, 4000 Euro… Ein Tropfen auf den heißen Stein.)

Der Typ aber verlässt überglücklich den Laden.