Februar 2020 – Therapie 3

Der Therapeut als Übergangsmann.

Jemand an dem man sich abarbeiten, den man kennen, verstehen lernen kann, jemand, auf den man wütend sein kann, den man schlecht behandeln kann, den man in aller Ruhe nerven, ärgern, provozieren kann, jemand, zu dem man scheiße sein kann, jemand, zu dem man nett sein kann, für den man schwärmen, den man zutexten und vollheulen kann, jemand von dem man sich abhängig fühlen und die nächste Stunde absagen kann,

ohne Angst haben zu müssen,

nächste Woche nicht wieder hin zu dürfen,

ohne Gefahr zu laufen,

sich oder ihm

weh zu tun.

Februar 2020 – Jetzt oder morgen

Dokumentarfilm aus Wien. (Auf der Berlinale gesehen, am Publikumssonntag, zusammen mit H.),

Im Zentrum des Films eine junge Frau, etwa 19, mit ihrem dreijährigen Sohn. Frisch getrennt vom Vater des Kindes zieht sie zurück in den Heimathafen, in die kleine Wohnung der Mutter, um die 50. In der Wohnung lebt schon: Der Bruder der jungen Frau, Anfang zwanzig.

Hier wird sich nicht geschlagen, eigentlich sind alle ganz lieb zueinander. Der wichtigste Ort ist die Couch, auf der alle schlafen, dösen, glotzen, daddeln, scrollen, kuscheln, sich umarmen, balgen, auf und abspringen, eine unglaubliche Körperlichkeit gibt es hier, ausgehend von der den ganzen Tag in ihrem Bürostuhl vor zwei Bildschirmen sitzenden Mutter, die darin täglich dicker zu werden scheint. Alle wollen nur eins: ihre Ruhe. – Alles was von außen kommt, sei es noch die kleinste Anforderung, wird als total Belastung erlebt. Eine Bewerbung schreiben, ein Besuch beim Amt, ein Arzttermin, eine Rechnungaufforderung. Niemand ist hier in der Lage mit dieser Art von Druck umzugehen. NIemand will hier raus. Man möge sie doch endlich alle in Frieden lassen. Ein paar Mal gibt es Zoff, der Bruder, noch am Lebendigsten von allen, ist gekränkt, weil man seinen Geburtstag nicht richtig feiern will, das VErsprochene RAusgehen am Ende nicht stattfindet. Das Kind, das ist es, was in diesem Film am Schwersten auszuhalten ist, geht dabei vor die Hunde. Es ist noch klein, wird im Laufe des Films irgendwann ein Schulkind, und doch denkt man schon jetzt: Alles verloren, nochmal zurück auf Los, bitte!, irgendwo anders hin, dann vielleicht, hat es eine Chance, aber so: Sehen wir ihn schon jim Geiste auf dem Sofa sitzen, wenn er so alt ist wie seine Mutter jetzt, in diesem Kokon verbleibend in den man ihn verstrickt hat, wie alle anderen auch. Der temporäre Auszug mit Mama zum neuen Daddy erweist sich als Desaster, das junge Paar macht schnell Schulden, verliert die Wohnung, und Mama, Kind, plus neuer Daddy sind wieder daheim bei Oma.

Wirklich arm ist hier niemand. Computer, Laptop, Handy, alle haben alles, allerdings auch Schulden. Es lohnt sich nicht zu arbeiten, damit kann man die Schulden nicht tilgen, findet der neue Daddy. Auch sonst verdient man beim Arbeiten einfach zu wenig Geld für zu viel Stress. Bei Licht betrachtet stimmt das auch.

Diskutiere danach mit H. Was ist da schief gelaufen? Ist das was schief gelaufen? Sind die einfach so wie sie sind, soll man sie einfach so lassen wie sie sind? Wäre diesen Menschen mit einem Grundeinkommen (wirklich) geholfen?

Ich denke noch oft an den Film. Vor allem an den kleinen Jungen, der in einer schrecklichen Szene von Mama und dem neuen Daddy gedemütigt wird. Weil er nichts kann, nichts, weil er dumm ist, zu dumm und noch dazu lahm.

Februar 2020 – Ich war 13

Nehmen wir an, ich würde meinem 13jährigen Ich erzählen, wie ich heute so lebe.

Also, Elli, 13, du lebst in Berlin und arbeitest als Autorin. Das geht mehr schlecht als recht und du hast keinen Erfolg, aber du hängst sehr daran und willst es nicht aufgeben. Du hast oft Geld- und Zukunftssorgen. Du wohnst alleine in einer kleinen Wohnung mit einem Balkon mitten in der Stadt. Du hast nicht geheiratet und keine Kinder bekommen. Du hast eine große Liebe gehabt, die dich verlassen hat und nun bist du traurig. Du hast wenige, aber gute Freunde. Du hast Ängste und Depressionen und gehst regelmäßig zur Therapie. Du hast ein paar Reisen gemacht.

Was würde mein dreizehnjähriges Ich dazu sagen. Ein Ich, das keine konkrete Vorstellung von der Frau gehabt hat oder gewagt hat, sie zu haben, die sie einmal sein und werden will, von dem Beruf, den sie einmal haben will?

Berlin und Autorin fände sie cool. Nicht verheiratet, keine Kinder auch. Große Liebe sowieso. Aber warum, würde sie fragen, hast du so wenig Freunde? Bist du nicht nett zu den Leuten oder warum mögen sie dich nicht? Kannst du dich da nicht mehr anstrengen? Noch immer hast du so viele Ängste?, würde sie sagen (und das würde ihr Angst machen), ich dachte, das hört auf, wenn man erwachsen ist, ich dachte, das wächst sich raus. Und: Ich verstehe, würde sie sagen, dass du traurig bist, weil der mit der Liebe weg ist, aber kannst du dir nicht einen neuen Freund suchen? Und was ist mit dem Erfolg, (Geld war ihr noch nie wichtig, da hat sie schon immer trotzig getan und gefunden, das sollte auf den Bäumen wachsen.), ich meine, bist du jetzt eine Autorin oder tust du nur so? Ich dachte, würde sie sagen, und verträumt gen Himmel schauen, du fährst mal als Journalistin überall auf der Welt herum und schreibst kluge, einfühlsame, preisgekrönte Artikel und Reportagen über Menschen. Und du hast einen Freund, der dich sehr liebt und du lebst alleine oder mit ihm, aber eher alleine, in einer sehr coolen, und sehr cool eingerichteten Wohnung. Und du hast viele Freunde, gute, aber nicht wenige, sondern viele. Die kommen bei dir vorbei, und setzen sich an den Tisch, und dann gibt es Essen und alle diskutieren miteinander wie in einem Salon, und es entstehen Ideen und Gedanken, die fliegen über den Tisch, und am Ende geht aus der einen oder der anderen Sache sogar etwas hervor, ein Buch, ein Film, eine Veranstaltung. Und du kannst viele Sprachen, Spanisch, Französisch, Italienisch mindestens, aber auch Japanisch und selbstverständlich fließend Englisch, denn du bist ja so viel im Ausland gewesen und warst doch immer so gut in Sprachen.

Phff, würde ich zu Elli, 13, sagen, denn so langsam wäre ich genervt, hör du erstmal auf ins Bett zu machen. Das einzige, was du bis jetzt gemacht hast, ist, dich weg zu wünschen, in ein diffuses Rausda ohne Ideen und Umrisse, geschweige denn Ziele, achja, und: das Essen einzustellen. Als hätte das je jemanden interessiert. Während du noch vor dich hin rottest, bin ich schon längst raus, ich bin in Berlin und arbeite als Autorin, und das ist gar nicht soo weit weg von deiner doofen Journalistin mit ihren preisgekrönten Etepetete-Freunden, und nein, die Ängste wachsen sich nicht raus, sie bleiben, und kosten einen Haufen Kraft und Zeit und limitieren dich dein fucking scheiß Leben lang und du musst gegen sie kämpfen, als wärst du selbst dein größter Gegner, und du warst, ehrlich gesagt, auch nicht gerade eine große Hilfe dabei, mal früher damit anzufangen, dich damit zu beschäftigen, und deiner ganzen scheiß Familie zu sagen, was du denkst, und was du brauchst, du feiges, kleines Opfermädchen.

Elli, 13, fängt an zu weinen.

Ich entschuldige mich. Ich weiß, du bist ein Kind, du tust, was du kannst. Nein, sagt sie, das ist es nicht. Ich tue zu wenig, das weiß ich schon. Aber…

Aber was? frage ich.

Hast du mich mitgenommen? fragt sie und schaut mich hoffnungsvoll an.

Wohin, frage ich.

Na, raus, sagt sie.

Klar, sage ich, und seufze. Klar hab ich dich mitgenommen.

Anders wärs ja nicht gegangen.

Februar 2020 – #Thüringen oder: Hallo Übermorgen

5.2., Dammbruch in Thüringen. Was für ein Buben-Coup.

Hab ich hier nicht sogar mal was über Mohring geschrieben, der im November 2019 niemanden mehr für verrückt erklären wollte, der mit der AfD paktieren will?

„Die Verfassung schreibt uns nur die Methoden vor, nicht aber das Ziel. Wir werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten in den gesetzgebenden Körperschaften zu erlangen versuchen, um in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu bringen, die unseren Ideen entspricht.“  Berühmte Persönlichkeit, 1930

Januar 2020 – DSGVO

Ich weiß nicht, hat`s das jetzt gebracht? Auf jeder Website sage ich jetzt:

einverstanden,

einverstanden Datenabgabe, einverstanden Kapitalismus, einverstanden Bullshit,

einverstanden, dass mir transparent vor Augen geführt wird, dass und wie ich und der Kapitalismus zusammen arbeiten, einverstanden, dass es jetzt dank DSGVO ein richtiges Leben im falschen gibt, einverstanden, dass ich selber schuld bin, wenn ich mir das falsche nicht DURCHLESE, sondern einfach auf okay klicke.

Einverstanden Verarsche war gestern, einverstanden Selbstverarsche ist heute, das ist, ich meine das ohne jede Ironie, denn so sind die Verhältnisse, ein hart erkämpfter Fortschritt, der uns zu mündigeren Bürgern macht.