August 2018 – Arktis

Heute lese ich, dass die Arktis seit neustem für den Schiffsverkehr freigegeben  ist. Das Eis ist inzwischen einfach so weit geschmolzen, dass man getrost durchfahren kann. Mir fällt die Kinnlade runter. Darum ging es also die ganze Zeit! Deshalb passiert hier nichts!

Bilder von traurigen Eisbären, die vor Erschöpfung sterben, weil sie nur noch von Scholle zu Scholle springen können? Erderwärmung mit fürchterlichen Konsequenzen für Klima, Mensch und Tier? Das ist alles gar nicht schlimm. Das ist im Gegenteil total super. Da muss man keine Klima-Verträge unterschreiben oder gar umsetzen, nein, da muss man zusehen, dass man die Füße still hält, und das Eis schmelzen lässt, bzw. den Prozess sogar noch beschleunigt.

Denn wenn das blöde Eis endlich weggetaut ist, die lästigen Eisberge nicht mehr im Weg sind, dann kann man hier neue Handelswege erschließen. Dann kann man hier endlich schneller und auch im Winter fahren. Dann kann man die Bodenschätze heben, die dort reichlich vorhanden sind, und: Man kann Kreuzfahrten veranstalten. Die ölverschmierten Industrien reiben sich schon längst die Hände. Wie konnte ich bloß mal wieder so naiv sein und denken, die Welt hätte ein Interesse daran, die Welt zu retten? Ich fühle mich, als hätte ich meine Kapitalismus-Hausaufgaben nicht gemacht.

Seine Hausaufgaben gemacht, hat bspw. Russland. Schon im Jahr 2007 hat ein russischer Roboterarm im Rahmen einer U-Boot-Expedition eine Flagge in den Meeresboden am Nordpol gerammt. Militärflughäfen, Radarstationen, alles schon da. Damit’s da kein Vertun gibt. Die Anreiner- bzw. Anspruchs-Staaten der Arktis – Dänemark/Grönland, Norwegen, Russland, Kanada, USA – sind schon längst im Kalten Krieg miteinander, ha. Die Arktis Games haben begonnen.

August 2018 – Bayern

Die Bayern sind halt schon anders. Fremd. Sie sind aus einem anderen Land, haben eine andere Kultur, eine Religion und andere Vorstellungen – von Männer und Frauen, von wie man rumläuft und wie man lebt. Da wollen die ja auch nur ein bisschen Toleranz für. Ihre Kultur und Lebensweise. Kann man ja vielleicht auch mal akzeptieren. Als überheblicher Berliner. Der immer allen gegenüber tolerant sein will, nur auf keinen Fall den Bayern gegenüber.

 

August 2018 – schwimmen 5

Augen auf in der Salatschüssel.

Ich übe ohne Brille unter Wasser zu sein.  Der Trick ist, nicht mit offenen Augen das Wasser zu in der Schüssel zu berühren, sondern sie erst aufzumachen, wenn man drin ist.

Trotzdem: I am not a fan. Brennt. Und ist ja nur klares Wasser bis jetzt. Und besonders viel sehen tut man ja wohl auch nicht. Alles blurry.

August 2018 – Toleranz

Ich steige am Görlitzer Bahnhof aus. Oben auf dem Gleis spricht mich der erste black guy an, Gemurmel, in gebrochenen Deutsch, ob ich Drogen will, auf der ersten Treppe nach unten der nächste mit dem gleichen Spruch, auf der zweiten Treppe der übernächste, unten, ebenerdig, dann nochmal einer. Nein danke, sage ich beim ersten, beim zweiten schüttele ich den Kopf, beim dritten sage ich gar nichts mehr, den vierten schau ich nicht mal mehr an. Ein paar Meter weiter vorne gibt es Streit, zwei von den Jungs schreien sich an. Um die Kurve des Gebäudes, auf dem Weg zur Ampel, sehe ich an der Wand Schlafsäcke, eine Matratze auf dem Boden, das bisschen Hab und Gut drum herum, den Müll, der bleibt, wenn der Mensch etwas isst.

Die Handhabe der Berliner, oder genauer, der Kreuzberger Politik, ist in solchen Situationen Toleranz. Was sollen die Leute machen. Sie sind ausgegrenzt, leben in prekären Verhältnissen, stehen unter Druck, müssen mit irgendwas Geld verdienen, müssen irgendwo schlafen. Sagen wir eben einfach höflich Nein, danke, wenn sie uns ansprechen, oder auch Ja, danke, und kaufen ihnen ein bisschen was ab. Lassen wir sie. Ist doch okay. Geben wir ihnen ein bisschen was. Nehmen wir sie mit, wir haben doch genug.

Was, wenn Toleranz hier nichts anderes ist als Indifferenz. Als Gleichgültigkeit, gegenüber dem Elend. Denn das ist es, was ich hier sehe: Elend. Was, wenn Toleranz hier einfach nur zynisch, feige und bequem ist? An diesem Ort bilden sich gerade höchstwahrscheinlich brutale, mafiöse Strukturen heraus, zwischen den Verkäufern von oben (Gleis) und denen von unten (Erdgeschoss), Strukturen mit eigenen ausbeuterischen Regeln, Gesetzen und Strafen, die wir nicht kennen und durchschauen, auf die wir keinen Zugriff haben. Diese Männer schlafen auf der Straße, leben im Dreck und im Lärm, essen auf Augenhöhe mit den Berliner Ratten, verkaufen und konsumieren schlechte Drogen, wissen nicht, wie es weitergehen soll, können nicht vor und nicht zurück, und was uns dazu einfällt, ist, tolerant zu sein. Aber hier geht es nicht um eine Lifestyle-Entscheidung, um sexuelle Orientierung oder kulturelle Vielfalt.

Is mir egal – so hat die BVG sich und die Berliner Toleranz in einem ihrer Werbespots gefeiert. Is mir egal heißt aber auch, du bist mir egal. Du kannst machen was du willst, es kann dir gehen, wie es will, das geht mich nichts an.

Was, wenn sich diese jungen Männer im Stich gelassen fühlen, eben weil man sie toleriert? Was, wenn sie sich jemanden wünschen, der vorbeikommt, und sagt: Das, was ihr hier macht, geht nicht. Es ist nicht erlaubt. Es ist nicht erlaubt, am U-Bahnhof Drogen zu verchecken, sich um unsichtbare Reviere zu streiten, an die Wand des Gebäudes zu pinkeln, Müll liegen zu lassen, hier zu schlafen und Leute zu belästigen. Ist das ausgrenzend, ist das intolerant? Oder ist es das Gegenteil? Erkennt es an, dass hier Menschen in Umständen leben, die menschenunwürdig sind? Erkennt es vielleicht auch an, dass Menschen im Rahmen ihrer Umstände Entscheidungen treffen, für die sie verantwortlich sind? Für die Umstände sind wir zuständig. Zum Beispiel mit einer fehlenden regulierten Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, mit einer Politik, die, nach Jahrzehnten der Ignoranz, in einer Alarmsituation plötzlich endlich sagt: Refugees welcome und die Migranten dann in Aufnahmeeinrichtungen und, wie gehabt, ohne Arbeitserlaubnis im Duldungsstatus verhungern lässt.

Bei diesen Jungs am Bahnhof geht es nicht um eine Lifestyle-Entscheidung, um sexuelle Orientierung oder kulturelle Vielfalt.

Regeln legen fest, was richtig ist und was falsch. Auweia. Man muss sie diskutieren, sich an sie halten, sie durchsetzen. Das ist alles äußerst unangenehm, uncool und aufwändig, aber Regeln überlassen das soziale Feld und den beteiligten Menschen darin nicht einfach sich selbst.

August 2018 – Urlaub

Hotel 4 Jahreszeiten in Berchtesgaden: Bisschen oll und on the nose bayrisch, Rezeptionistin mit Dirndl, aber ein Hammerblick auf den Watzmann! Sogar beim Frühstück, hübsche Fensterfront. (Nur Autos und Straßen übrigens, wenn man  ins Tal schaut, Stau, Lärm, verbaut, Rewe/dm-Parkplatz, diese Bayern, als wenn nix wär. Die Altstadt dann für die Touris.)

Ausflug an den Königssee. Wir fahren mit dem Schiff eine halbe Stunde über den See. Ein Wahnsinnspanorama, das kann fast nicht wahr sein. Die gesamte Watzmannfamilie (hat Frau und vier Kinder) und die liegende Hexe neben, über und hinter uns. Der See ist grün grün grün. Das Boot innen mit Holz, wunderschön. Der Kapitän hält das Schiff unterm Berg an, der Lotse spielt für uns Flügelhorn, wir hören das Echo. Mir kommen die Tränen als der Berg antwortet. Alle sind mucksmäuschenstill.

Wir wandern bis zum Wasserfall, der ist ausgetrocknet. So heiß, dieser Sommer. Felsen, Wiesenblumen. Kuhfladen. Kuhglocken. Kuh.

Dann einkehren auf der Alm, es gibt Milch, Buttermilch und Brot mit Speck oder Käse. Eine Katze, natürlich. Meine Heidi-Prägung rastet voll ein. Der Blick auf den Obersee ist unglaublich. Wir baden darin, das Wasser ist klar, so klar. Man sieht bis auf den Grund. Ich will nicht raus. Das ist der schönste Badeort meines Lebens.

Am gleichen Tag noch schnell der Obersalzberg – Dokuzentrum. Gut gemacht. Toll der O-Ton über Hitler, der sich darin gefiel, abendlich seine Entourage mit seinen Monologen zu langweilen bis sich kaum mehr jemand wach halten konnte. Außerdem Bernile, ein Mädchen, mit dem er sich regelmäßig hat ablichten lassen, Postkarten-Motiv, sie hatte am selben Tag Geburtstag wie er und war so allerliebst deutsch anzusehen. Briefverkehr bis 1938, dem lieben Onkel Hitler. Lächerliche Poser-Fotos von Hitti, sieht immer so gay aus, wenn er da am Baum lehnt oder seinen Hund neben sich hat (Gemein: Jemand hat dem Hitler seinen Hund vergiftet!).

Weiter nach Salzburg. Auf der Bahnfahrt zwei crazy Tussi-Japanerinnen, die eingekauft haben ohne Ende, Koffein-Shampoo und jede Menge Ajona-Zahnpasta, warum auch immer. Sie kruschdeln und verstauen an und um ihre Koffer und ihre Tischchen herum, bis es nervt. Dann sind sie fertig und gucken schmollmundig minirockig ratlos zwischen Koffer und Ablage hin und her, bis der Mann gegenüber ihnen die Dinger hochwuchtet. Als er sie nach oben verschafft hat,  klatschen sie, die beiden. Ohmann. Augenverdreher Smiley. Ungebrochenes gender-Rollenverständnis auf höchstem Konsum-Niveau. Nix in der Birne außer Geld ausgeben und einen Mann heiraten, der welches hat. Dazu muss man ihn beklatschen, dann macht er das schon. Der Depp. In Salzburg dann wunderschönes Draußensitzen im Kiosk des Cafe Tomaselli. Ein sich überschlagender Kellner in gebügeltem schwarz weiß.

Weiter – wunderschöne Zugfahrt – nach Triest. Triest sehr schön, Mischung aus österreichisch ungarisch italienisch slowenisch spanisch, alles erinnert an alles Mögliche. Hotel super, mit Mikrowelle und Spüle, aber sehr laut. In der ersten Nacht schlafe ich mit Matratze im Bad. In der zweiten mit Ohrstöpsel. Werde ich geräuschempfindlicher?

Besichtigung des KZs in Triest. Vernichtungslager. Folterungen. Partisanen, Juden. Am Ende, in den 70er Jahren, gab es finally einen Prozess gegen zwei maßgeblich Beteiligte. Der eine starb während des Verfahrens, der andere wurde von Deutschland nicht ausgeliefert und konnte nur in Abwesenheit verurteilt werden. Ist doch schön, wenn man seinen Kindern erklären kann, dass am Ende immer die Gerechtigkeit siegt und ins Gefängnis kommt, wer Böses tut. Tapfer erklärt die Schautafel, dass der Prozess sich trotzdem gelohnt hat, weil er u.a. allen (Neo-)Faschisten zeige, dass sich dieser Quatsch auf Dauer nicht auszahlt.

Sehr besonders hier: Die Badegewohnheiten der Triester. Sie liegen auf ihrer Beton-Promenade (bei uns würde man sagen aufm Gehweg) die ganze Küste am Meer entlang. Wie die Robben. Ab und zu eine Limonata oder ein capu en bi in einem der hübschen Kioske. Sehr sehr sehr entspannt, die Triester. Es wird viel gelesen, fällt mir auf.

Sehr leckere Bäckerei. Die besten Mini-Pizzen ever.

Ausflug nach Muggia. Fast noch schöner. Sehr idyllisch, Fischerdörfchenmäßig. Wir fahren bis ans Ende der Küste, wo ein Sandstrand sein soll, da ist da plötzlich Slowenien. Mit EU-Schild.

Überall mal Plakate von amnesty: Verita per Giulio Regeni. Er wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von den ägyptischen Geheimdiensten gefoltert und ermordet.  Student, der seine Doktorarbeit über ägyptische Politik schrieb, kritische Artikel zur Regierung in Il Manifesto veröffentlichte.  Hat zu ernsthaften Spannungen zwischen Italien und Ägypten geführt. Na sowas. Haben wir beide nie von gehört.

Sehr leckere Törtchen in der Pasticcheria. Die Kaffeehäuser sind gar nicht sooo doll wie überall behauptet, eher langweilig eingerichtet, San Marco ist ganz hübsch mit Buchladen, und Stella Polare schon wegen des Namens. Capu en bi ist, was man hier trinkt: Espresso macciato im Glas.

Wir gehen essen in einer kleinen Seitenstraße, sehr schick, sehr lecker. Beef Salad, Sepia Salat. Abends laufen wir auf der Piazza mal an ein paar Opernarien vorbei.

Ljubljana. Sehr nett, bisschen zu viel Rotenburg ob der Altstadt, laut T., ich finds okay. Eher Studi-mäßig. Überraschend wenig Real-Soz, sehr westlich. Rooftop Bar auf dem Wolkenkratzer von 1933 (means: 13 Stockwerke). Auch der architektonisch eher New York als Platte. Im Schwimmbad wenig los. Lange Reihen mit Umkleidekabinen, schöne alte Fotos aus den 70ern, 6 Euro Eintritt, holla. Abends fantastisches Essen im Slovenska Hisa, slowenisches Haus. Wein aus dem Karst, sehr lecker.

Toller Urlaub! Ab nach Hause. Und Angst.

August 2018 – Neues vom Körper

Bauch.

Ich hatte nie einen Bauch. Jetzt ist er da. Ich weiß nicht, warum. Laktose, Fruktose, Essen im Allgemeinem oder im Besonderen. Ich schwemme auf. Vielleicht die Hormone, der Stoffwechsel? Ich konnte nie essen. Jetzt fresse ich. In großer Unruhe tanze ich um den Verzicht. Vergeblich. Die Qualle reicht schon über die Hüftknochen, lässt sich greifen wie ein Teig.

Das ganze Morphing. Ist mir neu. Ich staune über die Verformungen. Alles drückt und schiebt sich. Nach unten weg, nach vorne oben. Wirbelsäule, Organe, alle in Aufruhr, alle wollen woanders hin, drängen nach neuem Platz. Unaufhaltsam verwandele ich mich, langsam aber stetig werde ich zu der taillenlosen Flach-Po-Frau, die zu sein ich bestimmt bin, mit vereinzelten störrischen Oberlippen-Barthaaren, denen man nur mit Ausreißen beikommt. Nackenhügel, Cellulite, Rillen in den Nägeln. Das ist die Zukunft.

Kannste nix machen, wie meine M. zu sagen pflegt.

August 2018 – Vau We

T. und ich machen eine Werksbesichtigung bei VW in Wolfsburg.

Das Augenfälligste: Menschen braucht hier kein Mensch mehr. Auch unser Guide von der Presse-und Öffentlichkeitsarbeit macht da keinen Hehl draus (hat er vielleicht noch vor ein paar Jahren, aber jetzt, nach D-Skandal und mitten in der Umstellung auf E-Auto, muss man auch hier kein Blatt mehr vor den Mund nehmen). Man kann bei VW schon mit 57 in Rente, es gibt Konzepte für schon mit 55, erklärt er stolz. Da kommt man dann mit einer schönen Abfindung raus.

Wir schauen den Robotern bei ihrem Ballett zu. Wunderschön. Hand in Hand geht das, jeder an seinem Platz, jeder mit seiner Aufgabe, unbeirrt, auch von uns Zuschauern, fügen sie zusammen, kleben, schieben, legen, hieven. Es gibt die orangenen Roboter von Kuka. Und neue, japanische, in gelb, die sind leichter und wirken insgesamt zarter und noch geschickter.

Ein paar Leute noch in der Montage. Die kriegt man aber auch noch weg. Im Moment arbeiten sie schon so ergonomisch, dass sie selbst schon aussehen als wären sie Teil einer Maschine: Fahrbarer Sitz unterm Hintern, maschinelle Unterstützung bei der Überkopfarbeit usw. Also Stress haben die nicht, aus der Perspektive der Roboter wirken sie wie seltsame Tiere, die Lambada hören und sich langweilen. T. fragt nach Exo-Skeletten, der Guide sagt, nee, unser Ziel ist ja Industrie 4 Punkt Null. Da wollen wir hin. Ich weiß nicht, ob er weiß, was 4 Punkt Null eigentlich ist, ob das überhaupt irgendjemand weiß, aber die Null klingt nach dem, was er sagen will: Wir arbeiten daran, dass hier keine Menschen mehr gebraucht werden. Gar keine mehr. Die Vier-Punkt-Nullifizierung der menschlichen Arbeitskraft. Solange daran gearbeitet wird: Fine with me. Ich hab da kein Problem mit. Und die VW-Arbeiter auch nicht, die sind so abgesichert und gut verdienend, davon können die Leute, die ich kenne, allesamt nur träumen.

Am Ende der Produktionsstraße gibt es noch ein paar Leute, die gucken, ob die Maschine alles richtig gemacht hat. Prüfung. Überwachung. Das wird bleiben. Die einzige und hochqualifizierte Arbeit, die hier, in dieser gigantischen Halle (die ich mir höher vorgestellt habe und die noch Einschusslöcher nicht aus dem Nationalsozialismus, nein „aus dem Krieg“ zieren, als hier „keine Autos, sondern Rüstung produziert wurde, ehrlich gesagt“, so unser Guide) vorhanden ist, ist in den Robotern versteckt. Eine Arbeit, die woanders stattgefunden hat, in einem Büro mit flachen Hierarchien, gesunden Snacks und Tischtennisplatte wahrscheinlich, in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent (Japan), bei den Software-Ingenieuren und Maschinenbauern. Eine Arbeit, die einmal getan wurde, um sie seitdem nur noch upgraden zu müssen. Und im Produkt selbst, im Auto, da kann man sie auch noch finden, bei den Designern und Marketing-Leuten zum Beispiel. Die trumpfen auch in der ans Werk angrenzenden „Autostadt“ so richtig auf: Ein riesiges Disney-World-Gelände rund um die Marke VW und ihre Töchter. 15 Euro Eintritt, um sich in spektakulär designten Gebäuden Image-Kampagnen ansehen und sich eine überteuerte Curry-Wurst und VW-Schlüsselanhänger kaufen zu dürfen. Wow. Baudrillard fällt mir ein, Simulacrum.

Außerhalb des Werksgeländes sieht man Aufkleber: 30 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Warum nicht für alle, denke ich. Warum nur für VW-Arbeiter? Ist doch viel besser als das Grundeinkommen.

August 2018 – Kotze

Ich gehe im Café aufs Klo. Vor mir kommt eine junge Frau aus der Kabine. Groß, schlank, aufrecht, etwas strenger Typ, Asiatin. Ich gehe rein, es stinkt nach Kotze. Bulimie, denke ich.

(Immer diese leise Abfälligkeit gegenüber den Krankheiten der Frau.)

August 2018 – So

Es gibt, das ist bekannt, tolle Wörter im Deutschen. Wonneproppen zum Beispiel. Oder: Augenblick. Herzeleid, Sehnsucht, Heimweh, terrassenförmige Stahlmuffen – alles großartig. Aber das beste Wort von allen ist

So.

Schon allein ästhetisch macht es was her. Das große geschwungene S zusammen mit dem kleinen runden o – ein austariertes Team, die Freude eines jeden Typografen, was soll man diesen beiden noch hinzufügen, da muss man nicht mehr viel machen, die funktionieren fast von allein, hat man die, hat man alle.

So, das sind zwei, die zusammengehören, Kumpels, buddies, Don Qichotte und Sancho Panza, Freundinnen auf Lebenszeit: Die große S, mit ihrer perfekten Figur, ihrem freundlichen, in sich ausbalancierten Schwung und ihrem Hang zur Skoliose, und o, klein, immer nach vorne, eindeutig, dennoch Fragen aufwerfend, mit einer Neigung zum Adipösen. Auch wenn es klein daherkommt, hat so Ernst-Jandl-Potential. Und im Gesprochenen erst! Was für eine Schönheit es da entfaltet. Schlappe zwei Buchstaben – ungewöhnlich wenig für ein Wort der deutschen Sprache –   und ein Feuerwerk an Möglichkeiten. So ist praktisch chinesisch. Das chinesischste Wort, das wir haben. Je nach Intonation verändert es seine Bedeutung. Ob kurz oder lang gesprochen, pfeilspitz oder im Bogen, so hat immer was zu sagen. So ist Anfang und Ende. So ist Übergang. Abgrenzung und Annäherung. So ist Aggression und Liebe.

So (dann wollen wir mal).

So (das wär geschafft).

So (geht das).

So (jetzt hab ich dich da wo du hingehörst).

So (da hast du’s).

So (oder gar nicht).

So (dann schaun wir mal).

So (jetzt reichts mir aber).

So lässt sich rufen, seufzen, dehnen. So reicht vom Spöttischen bis ins Verächtliche. So kann eine Frage sein oder eine Anordnung. Mit so kann man auf den Tisch hauen, die Arbeit beginnen, ein Gespräch beenden oder Sex haben. Mit so kann man Kinder erziehen, die Welt erklären, das Umfeld verärgern. Mit so lässt sich anmoderieren, abmoderieren, kommentieren, nachhaken. Mit einem so kann man sein Leben ändern, jemandem Suppe bringen, eine Spritze verabreichen. So strukturiert Zeit, Raum und Bewegung. So begleitet uns durch den Tag. So ist ein offenes Wort. So ist ein Beziehungswort. So ist das einzige, gesellschaftlich anerkannte Wort, das man zu sich selbst sagen kann. So verbindet sich gerne mit anderen sos. Zum Beispiel zu Soso. Solala. Sosososo. Oder Achso.

Ich liebe so so sehr.

Laut Duden ist so übrigens ein Adverb oder eine Konjunktion. Das wird der Sache ja wohl nicht ansatzweise gerecht.

August 2018 – Schwimmen 3

Ich trete mein Hirn. In Pfade.

Ich verknüpfe, stelle Verbindungen her, setze Knoten.

Ich lege und lagere und schichte übereinander: die Erfahrung des Körpers im Wasser. Der Nase, des Munds, der Ohren, der Augen. Ich überzeuge mein widerspenstiges, widerstrebendes, ständig Lebensgefahr witterndes (Ersticken, Fallen, Ertrinken),  sich in höchster Alarmbereitschaft, im Panik-Modus befindendes Gehirn. Davon. Dass es gut ist. Unter Wasser zu sein. Dass es Luft geben kann, ohne an der Luft zu sein. Dass es Versorgung geben kann, in einer unwirtlichen Umgebung. Dass das Wasser kein Abgrund ist. Dass es Bewegungen geben kann, die Kontrolle bedeuten.

Immer wieder. Fange ich von vorne an.

Aber so langsam.

Wird’s.

Und ich sehe das pinke Kaugummi, das eines der Kinder an den Boden des Beckens geklebt hat.

Raufholen könnt ichs aber immer noch nicht.

(Kein Seepferdchen.)

Juli 2018 – Schwimmen 2

Um mich herum. Spritzt und schreit und kreischt es. Es plumpst und platscht und juchzt. Es zieht  unbeirrte ehrgeizige Bahnen oder raddampfert rücklings, die Nase gen Sonne gereckt.

Man springt und hüpft und wirft sich. Man flundert am Boden entlang oder pfeilt den Kopf, die Beine hochzus. Man rutscht und flatscht und flutscht. Man taucht auf und ab, dreht sich und schmeißt sich. Man ist scheu und zart oder laut und kraftvoll. Man rangelt und gruppt. Man dümpelt und spricht. Man friert und bleibt trotzdem drin.

Ich stehe und sehe. Ich staune. Und frage mich: Wie – verdammt nochmal zur Hölle – macht ihr das? Woher! Wisst ihr, wie das geht?