Oktober 2025 – Bauarbeiter

In der Wohnung über mir Baustellenlärm. Ausgerechnet jetzt, ich hab grade Schreibkurs und verstehe kein Wort von dem, was die Leute in ihren vielen Adventskalender artigen Zoom-Fensterchen sagen.

In der Pause gehe ich hoch, klopfe. Ein Mann öffnet, breit, kräftig, guckt um die Ecke, ein zweiter guckt vom Boden hoch auf dem er werkelt. Beunruhigte Mienen. Die Wohnung hinter ihnen leer, ein Renovier-beiger Eindruck aus Folien, weißer Farbe, hellem Laminat durch die halb geöffnete Tür.

Ich sage mein Sprüchlein auf, will wissen, wie lange sie heute arbeiten und ob noch die nächsten Tage. Dann könnte ich gegebenenfalls ins Büro umziehen.

Er signalisiert, dass er nichts versteht. Ah, sage ich. Englisch? frage ich. Rumania, sagt er. Oh, sage ich, das kann ich nicht. Er greift zum Handy, tippt routiniert, hält es mir hin. Ich spreche in irgendein Übersetzungsprogramm, die KI schreibt synchron mit, während ich rede, der Screen füllt sich rasch mit meinem Sprechen, was mich nervös macht,  hübsch siehts aus, so rumänisch, getupft mit kleinen Akzenten oben und unten, es wird immer länger, komplizierter, ich bekomme so auf die Schnelle keine Klarheit in meine Sprache, so langsam wird’s peinlich, er liest mit. Mit einem Nicken beendet er meinen Wortschwall. 18 Uhr sagt er, in dem er mit den Fingern eine Sechs zeigt. Dazu wedelt er mit der waagerechten Hand: ungefähr. Und morgen? Nu.

Nu. Nein auf Rumänisch, ich recherchiere es später. Nu, ist das nicht wundervoll?

Okay, sage ich und gehe wieder runter.

Ich hätte gerne den Text gehabt, den die KI so eifrig hat mitfließen lassen. Mein Gequatsche auf Rumänisch. Ich hätte es rückübersetzen können, um zu schauen, was ich da geredet habe und was sie verstanden hat.

Nachts höre ich in den nächsten Tagen wie jemand abends oben wäscht, herumläuft, leise. Einmal eine zweite Männerstimme, einmal eine Frauenstimme. Vielleicht pennen sie da. Die Bauarbeiter. Eine leere Wohnung. Ein Luxus in Berlin. Vielleicht besser als in der Unterkunft, in der sie sonst sind.

Was sind das wieder für Geschichten. Arbeit und Wahnsinn im Kapitalismus natürlich.

Oktober 2025 – Prügel

Das Eckige muss ins Runde. Oder andersherum? Ich prügel auf mich ein, aber passend wird’s nicht. Ich versuche es mit Ja, ich versuche es mit Nein. Ich verstehe einfach nicht, wie es geht und warum nicht. Es ist mir ein Rätsel.

Ich mache lange Listen von Dingen, die ich mag. Die ich machen, versuchen, können will. Ich betrachte die Listen. Dort ist alles gut aufgehoben. Die Erfahrung zeigt. Es hilft nicht, sie lebendig werden zu lassen. Das Ende ist immer das nichtsnutzige gleiche.

Schmerzen. Angst. Einsamkeit. Alles enorm. Ich lese Artikel über assistierten Suizid und staune, dass man inzwischen nur Geld braucht und eine Kapsel. Das beruhigt mich. Ich hoffe, sie räumen einen danach auch auf.

Oktober 2025 – Game of Drones

Ich bin mittendrin. Nicht, dass ihr denkt. Ich kann alles sehen. Drohnen über zehn europäischen Ländern. Trump, der den muxmäuschenstillen, aus aller Welt zusammen getrommelten US-Generälen sagt, sie mögen doch gerne lachen, applaudieren. Überhaupt könnten Sie tun und lassen, was sie wollten. Sie müssten nur damit rechnen, dass sie möglicherweise entlassen werden. Ich kann es hören. Nicht, dass ihr denkt. Es gibt zwei N-Words, sagt Trump, die man nicht sagen sollte. Das zweite heißt Nuclear, verrät er der versammelten Mannschaft.

Oktober 2025 – Sieger

Noch so ein strahlender Sieger.

Mein Penisneid könnte nicht größer sein.

You win, I lose.

Lose, Loser, am Losersten.

vs. Freiheit und Lebenslust.

Es tut den Menschen immer gut, wenn sie mich hinter sich lassen können.

Wär ich nur einer von ihnen.

 

August 2025 – Groucho

Ein junges Paar, seltsam verzerrt, ich sehe sie von oben.

Er schaut sie von der Seite an, berührt ihren Oberschenkel, küsst sie auf die Wange, streichelt sie, während sie miteinander sprechen.

Warum macht nie einer der Männer das mit mir? Ist das nicht das große Narrativ, Männer begehren Frauen und wollen sie haben und sind wahnsinnig froh, wenn sie jemanden gescored haben? Warum ist nie einer der Männer froh darüber, dass er mich gefunden hat, warum will mich keiner berühren, immer ist es anders herum, ich wende mich zu, ich küsse, ich streichle. Stattdessen tun sie cool. Ist das ihr Muster oder meins? Mag ich Männer, die mich mögen, die bei mir sein wollen, einfach nicht, frei nach Groucho Marx?

Juni 2025 – Schmelz

Ich höre einen Song, irgendwo, im Vorübergehen. Ich kenne ihn gut. Ich weiß, dass T. ihn sehr mochte. Die Stimme einer Frau, hell, sehnsüchtig, mit einem fast ins Weinen kippenden Klang, sie singt von ihrer Sehnsucht nach dem Mann, den sie vermisst. Auch ich mag ihn sehr.

Andere Songs fallen mir ein, und andere Männer, bei denen es ähnlich war, wenn Frauenstimmen, die weich, fast gebrochen, ihre Liebe und ihren daraus resultierenden Kummer über Männer besingen.

Was, wenn die Rührung, die Text und Stimme bei Männern auslöst, gar nicht daher kommt, dass sie sich mit der Frau, die singt, identifizieren, so wie ich. Sondern daher, dass sie berührt davon sind, was Männer – also potentiell sie – Frauen antun können. Welchen Kummer und welchen Schmerz sie ihnen bereiten, welche starken Gefühle sie in ihnen auslösen. Wenn der empfundene Schmelz also, den das Lied auslöst, gar nicht von den Gefühlen der Frau herrührt, sondern vom Wissen um die tragische Cowboyhaftigkeit, die in den Männern wohnt, und die früher oder später aus ihnen herausbrechen wird. Vom Wissen um den Sonnenuntergang also, in den man eines Tages wird reiten müssen, auf den Schultern eine schicksalhafte Last, die getragen, im Herz einen Schmerz, der aufrecht ertragen werden muss, weil man die Frau mit ihrer Empfindsamkeit und ihrer Liebesfähigkeit zurücklassen muss.

Das älteste Identitäts-Narrativ der Welt, in dem man sich so herrlich gefühlig gefallen kann. Beiderseits.