September 2025 – Lehnin

Ich mache zwei Tage Schreiburlaub in Lehnin. Der See ist herrlich. Ruhe, Graureiher, besonders am Morgen sind die Blicke wundervoll. Ich mag das kleine Strandbad mit der sehr leise sprechenden jungen Frau. Mit einem großen Besen schrubbt sie die Entengrütze vom Steg und macht den Kindern die Rutsche an.

Ich schwimme! Sonne, Spätsommer, herrlich, das Wasser schon kalt, so gut es geht mit der Schulter. Fordere sie ein bisschen, fühle mich gut danach.

Das Zimmer ist einfach, aber nett mit roten Stühlen, die Brandenburger Ortschaft verläuft links und rechts einer Durchgangsstraße. Das beste Cafe am Platze war einst eine Prachtskonditorei, heute nicht mehr. Alles, was in der Vitrine liegt, sieht aus wie aus dem Backshop, der Magenweh-Cappuccino tropft auf Knopfdruck aus der Saturn-Maschine.

Diese Bräsigkeit der Leute. Man dumpft hier so rum, hat keinen Bock, abends warten Männer mit hochgetuneten Autos vorm Asia-Imbiss auf ihre Bratnudeln. Alle wollen nur eins: ihre Ruhe. Wer hier fordert, dass sich was ändern muss, meint genau das Gegenteil.

Die große Entdeckung ist die Tankstelle. In einem schmalen Durchgang zwischen Verkaufsraum und Parkplatz esse ich am Hochtisch den besten Kartoffelsalat und die beste Bulette meines Lebens. Dazu natürlich Filterkaffee. Dabei Blick auf den Parkplatz, Truckerromantik. Mahlzeit, sagen die Männer, die hier reinlaufen zu mir, und bestellen Gulasch, Soljanka und Bratkartoffeln bei der Frau hinterm Tresen. Mit Ketchup? Ja. Ein junger Mann putzt die Karosserie seines Autos mit einem Mikrofasertuch. Der putzt sonst nichts.

Die etwas überorganisierte Leiterin des Gästehauses bezichtigt mich am Ende des Frühstücksbetrugs. Bis dahin war es eigentlich ganz schön.

September 2025 – Regionalzug

Ein Reh. Ich sehe es aus dem Fenster des Regionalzugs. Es steht ganz allein auf einer Lichtung und frisst.

Nur ein paar Meter danach, ohne dass sie voneinander wissen, ein junger Mann in einem Wäldchen. Er steht Richtung Bahnschienen ausgerichtet und spielt Trompete. Ich höre nichts. Sein Rad lehnt an einem Baum. Warum spielt er hier?

Ich staune über die Geschöpfe. Wie vergnügt sie sind, wie klar, beschäftigt, ohne Angst.

August 2025 – W eats W

Word frisst Wackelkandidatin. Über viele, extra dafür freigeräumte Tage hinweg, schreibe ich wegen Wieder-mal-Rücken im Stehen und unter höchstem Schmerzaufgebot, Beiträge, die rückwirkend einen Zeitraum von etwa einem Jahr erfassen.

Word killt eine große Anzahl von ihnen durch ein von mir unvorsichtigerweise spontan durchgeführtes Update. Ich schreie vor Wut, als die Texte weg sind, es kann sein, dass ich heule, das Messer verstecke ich schnell in der Schublade, bevor es mit der Spitze voran in meiner Hand landet.

Ich frage mich, ob das ein Zeichen ist, die W aufzugeben. Wiederholt sich ja eh alles.

Ich schreibe die Beiträge nochmal.

August 2025 – And just like that

1

Ich bin wirklich gespannt zu erfahren, wie es Carrie am Ende ergeht. Wie sie sich und uns aus ihrer Geschichte entlässt. Ich warte darauf, wie auf eine Gebrauchsanweisung: Wie soll man es nehmen, das Leben ab 50. 

Ich staune, wie viel Raum sie mir immer zur Identifikation geboten hat, bei größter augenfälliger Distanz  Wie sehr auch Carrie immer auf der Hut sein musste, sich nicht zu verlieren, weil sie die Liebe ernst genommen hat. 

In And Just Like That hat Carrie wie gehabt Erfolg, Geld und haufenweise Freundinnen. Sie war und ist, auch jetzt, wo sie älter wird, ein netter offener Mensch. Sie war und ist immer geblieben, ein erzählerisch herrlich elternloses Wesen, das eine Therapie versucht, aber als Nicht-ihr-Ding abgebrochen hat. Am Ende lebt sie nicht mehr in ihrem geliebten Apartment, sondern in einer riesigen Eigentumswohnung in einem soliden Viertel (in das sie für eine Perspektive mit Aiden gezogen ist) mit einer Katze und einem Garten. Zum ersten Mal schreibt sie an einem fiktionalen Buch, einem historischen Roman, einer Liebesgeschichte aus der Perspektive einer Frau.

Sie hat in ihrem Leben eine große Liebe mit viel Schmerz, viele Glück und vor allem einem Haufen Auf und Ab gehabt, sie hat einen einschneidenden Verlust hinter sich – nicht durch Trennung, sondern durch Tod – und sie hat trotz allem Aiden (nochmal) in ihr Leben gelassen, und sich viel Mühe gegeben, die Dinge für sich, ihn und die Beziehung besser oder richtiger zu machen. Um am Ende feststellen zu müssen, dass er ihr und der Beziehung in seinem Leben einfach keine Priorität einräumen kann. Nun schaut sie, nach einer kurzen Affäre mit einem Mann, der sich entfernt wie alle anderen zuvor, dem nächsten Lebensabschnitt allein entgegen, und damit der Frage, wo sie steht. Wie also, soll sie ihren Roman beenden? 

Sie lässt ihre Protagonistin allein an einem Tisch sitzen. Angefüllt und zufrieden mit dem, was sie erlebt hat und was sie umgibt. Doch die Lektorin ist nicht zufrieden. Sie denkt sogar, Carrie habe vergessen, ihr das eigentliche Ende zu schicken. Carrie ist irritiert. Und fragt sich – eine klassische Carrie-Frage aus der Kolumnen-Zeit von Sex and the City – 

Was ist so schlimm an einer Frau, die allein ist? 

Irgendwann, nach Thanksgiving, wo sie all ihre Freunde erlebt, ihnen auf ihre helle, humorvolle Weise beisteht und sieht, wie sie alle ihre gewählte Leben leben, sich dabei aber auch um sie sorgen, sie kennen, schätzen und mögen, schreibt sie den letzten Satz ihres Romans neu. 

She was not alone – she was on her own. 

Ich verstehe, dass on her own sein was anderes ist, was Gutes und Großes. Sie ist erwachsen und selbständig und weiß, wie das geht, sie ist unabhängig, auch davon, sich über die Beziehung zu einem Mann zu definieren. Sie hat sich eine Arbeit, ein Umfeld, einen Wohlstand erschaffen, ein Leben, in dem sie sich frei bewegen kann, weil es ihr darin auf die für sie beste Weise gut geht. Denn sie kennt sich gut.

Dennoch macht mich das Ende traurig.

Es ist so, als habe sie das, was sie sich gewünscht und wonach sie gesucht hat, nicht bekommen. Nämlich jemanden, der bei ihr ist. An ihrer Seite. Obwohl sie sich nicht geschont hat dafür, obwohl sie gelernt und verstanden und sich entwickelt hat, obwohl sie so mutig war, es immer wieder zu versuchen, und obwohl sie einen Schicksalsschlag eingesteckt hat, der sich diesen gewählten Zugriffen entzogen hat. 

Das Ende klingt, als habe die Vernunft gesiegt. Nicht die Liebe. Als habe die Emanzipation gewonnen, die Romantik oder vielleicht besser, die Gefühle verloren. Es ist ein durchaus weises Sich arrangieren mit den Verhältnissen, mit dem Alter, das seinen Tribut zollt, in dem nicht mehr alles möglich ist, in dem man dankbar sein muss, für alles, was da ist und geschafft wurde und noch geschafft werden kann. Aber die Liebe und der Traum von ihr sind, wir haben es miterlebt, auf der Strecke geblieben. Vielleicht wird es in Zukunft ab und an eine freundliche Begegnung mit jemandem geben oder einen Gefährten, der eine Weile bleibt. Aber sie wird auf sich allein gestellt sein, mit allem was daran reich und gut und glücklich machend für sie ist. Aber eben auch traurig. 

 

2

Was, wenn das ganze feministische Training von Unabhängigkeit und Eigenständigkeit am Ende nur eine Vorbereitung war auf den Zustand von Lieb-Losigkeit und Einsamkeit, der einen im Alter einholt wie ein unausweichliches Schicksal. Wie kommt es, dass ich es früher cool fand, als Frau allein im Restaurant zu speisen, an der Bar zu sitzen und zu reisen, und es mir heute vorkommt wie etwas, das getan werden muss, weil es anders eben einfach nicht stattfinden würde. Das ist keine freie Entscheidung. Wieso beschleicht mich der Eindruck, dass ich das schamvolle Bild der übersehbaren, bedauernswerten alleinstehenden Frau abgebe, das Bild des weiblichen Scheiterns also, wenn ich da im Restaurant sitze, und eben gerade nicht das Bild einer eigenständigen Frau, die tut, was ihr gefällt und dafür eine Menge überwunden hat (meine Mutter hätte all diese Dinge oben niemals getan), eine Frau also, die voll empowered in der Lage ist, allein zu sein.  

Wer lädt die Bilder auf? Ich? Die Gesellschaft? 

Vielleicht kann man wie Katja Kullmann in Die singuläre Frau oder Gudrun Gut mit ihrem Hof in der Uckermark oder eben Carrie mit ihrem She was on her own tatsächlich zufrieden, einverstanden und sogar glücklich sein, wenn sich das Leben tatsächlich aus- und angefüllt anfühlt, wenn in allen wichtigen Aspekten des Lebens wie Beruf, Umfeld, Auskommen etwas erreicht wurde oder eingetreten ist, was sich richtig und passend anfühlt. Was, wenn das nicht der Fall ist? 

Was, wenn die aktive und längst überfällige Umwandlung des Bildes der alleinstehenden älteren Frau (Hexe mit Barthaar), die in all den Single-mit-50-und-noch-nie-so-glücklich-Bücher und den vielen Empowerment-Artikeln zu Wir-müssen-über-die-Menopause-reden vorangetrieben wird, im feministischen Echoraum verbleibt und mal wieder nur bei den Frauen ankommt? Was, wenn dieser Diskurs, wie meistens, wenn das Private politisch aktiviert wird, neuen Druck erzeugt und vor allem, über eine Sehnsucht und eine Traurigkeit hinweg grätscht, die daher rührt, dass es nicht gelungen ist oder nicht mehr gelingen will, in dieses Private eine Beziehung zu integrieren?

Und was spielen eigentlich KATZE und GARTEN für eine Rolle in dieser Erzählung?

Katze (nochmal andere Implikationen als beim Hund, aber ähnlich): Hast du ein Bedürfnis nach Kuscheln, dann organisier dir was zum Kuscheln. Kenne deine Bedürfnisse und decke sie ab. Such dir was, was dich, anders als die Anwesenheit eines Mannes, nicht ständig damit konfrontiert, dass du trotz deiner Anti-Body-Shaming-Überzeugungen (politisch) very ashamed of your body (privat) bist und du es im Grunde sehr gut nachvollziehen kannst, dass diesen Körper keiner mehr begehrt, einen Körper, den du mehr denn je geschickt bedecken, in intimen Situationen schlecht beleuchten und unter permanentem Aufwand zurecht trimmen musst. Auch der Katze muss man das Kuscheln manchmal ein bisschen abtrotzen, aber das, witzelst du, bist du gewohnt. Ein bisschen Sorgearbeit auch, füttern, mal die Milben aus den Ohren, herrlich. 

Garten. An Virginia Woolfs A Room of Ones Own können wir einen Haken machen: haben wir, check. Was wir jetzt brauchen: A Garden of Ones Own. Such dir einen Garten, dann hast du es schön und ruhig, und kannst den Blick schweifen lassen über das Grün. Das brauchst du jetzt. Einen Ort für dich, an dem du die Welt draußen lassen kannst, denn die wird sowieso und im Alter anstrengender. Hier im Garten gehts um Rückzug. Und ums bei sich sein. Vor allem aber hast du eine Beschäftigung. Eine Beschäftigung, noch so ein Wort des Alters. Such dir eine Beschäftigung.

3

Wahrscheinlich ist es trotz allem die beste Zeit in der Geschichte der Menschheit, eine Frau über 50 zu sein. 

 

Juli 2025 – Kunst gucken

Als ich früh morgens das Kunsthaus betrete und auf den Raum mit der Roman Signer Ausstellung zulaufe, bin ich aufgeregt.  Endlich bin ich da, ich hab eine lange Anreise hinter mir, ich habe keine gute Zeit gerade, ich gehe schweren Herzens durch die Welt. Aber schon an der Eingangstür, dort, wo zur Begrüßung den Besuchern zugewandt eine längliche Tonne auf Gummistiefeln steht, muss ich lachen. Ich könnte die Tonne umarmen. Der Raum, der sich hinter ihr öffnet, hell, hoch, großzügig, fein und klug bestückt mit Signers Arbeiten, räumt auch in mir alles auf. Ich bleibe die nächsten beiden Stunden hier, schaue mir alles genau an, höre Signer in seinem Appenzeller Dialekt über eine App zu, wie er über ein paar seiner Arbeiten spricht, und bin happy.

Das war schon immer so und natürlich nicht bei jeder Kunst, jedem Künstler, jeder Künstlerin. Aber Kunst, Fotografie und Architektur gucken ist für mich ein großes, anregendes, teilhabendes Glück.

Dieser Sommer war ein Art- und Archi-Sommer: Brutalismus-Führung in Berlin: Benjamin Franklin, Hygieneinstitut (kurz vor der Renovierung nochmal von innen!), Mäusebunker. Käthe Kruse in der Berlinischen Galerie. (Über die ich auf Hanne Darboven gekommen bin.) Roman Signer im Kunsthaus Zürich. Rechtswissenschaftliche Bibliothek Zürich von Calatrava. Vija Celmins (kannte ich nicht) in der Fondation Beyerle in Basel (Gebäude: Renzo Piano). Katharina Grosse in der Staatsgalerie in Stuttgart. Hanne Darboven Haus in Hamburg, genau genommen keine Ausstellung, trotzdem gehört’s in die Liste. Bas Jan Ader in Hamburg, absolutes Highlight. Yoko Ono in Berlin. Lost Art Festival und Berlin Art Week folgen noch. Und wer weiß, was noch.

Ich frage mich, warum ich das mache. Was mir daran so eine Freude ist. Mir fallen Menschen ein, die ihre Liebe zur Kunst, ihr Interesse daran, mit mir geteilt haben. Mein Vater, der mich früh an solche Orte geschleppt hat und mir seine aufrichtige Begeisterung für Kunst, für „das Kreative“, das er selbst in sich trägt, gezeigt hat. An J., meine erste Mitbewohnerin und beste Freundin, die sich, vielleicht mit einem intellektuelleren Zugang, für Kunst interessiert hat, und mich mit nach Paris oder Basel geschleppt hat, um welche anzuschauen. Und natürlich T.

Kunst gucken war für mich damals: Hoffnungsschimmer, Türöffner, Erleichterungsmoment, Ankommensgefühl, Anregungsmaschine, Weltverständnis, Teilhabe. Kunst gucken hat mich weg geführt, raus aus der unendlich langen, dumpfen Erfahrung der Realschule, raus aus der inspirationsfreien Umgebung, in der ich aufgewachsen bin. Sie hat mich an Orte geführt, in denen ich atmen kann.

Heute ist mir Kunst näher denn je. Kunst gucken kann ich gut allein (ohne Angst) und sehr gerne mit anderen. Kunst ist Anlass, Kunst bringt mich auf den Weg, führt mich irgendwohin, in Räume, die sie oft atmend umgeben und die mich atmen lassen. Ich brauche Kunst, weil sie mich denken, prozessieren, selbst kreativ werden lässt. Kunst makes me happy.

Juli 2025 – Schweiz im Juli – Insektenhotel

Auf dem Rückweg von Basel nach Berlin übernachte ich in Stuttgart.

In der Jugendherberge sehe ich folgenden Aushang: 

 

Achtung: Eichenprozessionsspinner im Bereich Bruddlerstaffel

Liebe Gäste, liebe Besucherinnen und Besucher,

außerhalb des Grundstücks der Jugendherberge, im Bereich Bruddlerstaffel und insbesondere im dortigen Sitzbereich, wurde ein Befall mit Eichenprozessionsspinnern festgestellt.

Die zuständigen Behörden der Stadt Stuttgart sind bereits informiert.

Die Raupen des Eichenprozessionsspinners können beim Menschen starke Reizungen der Haut, Augen und Atemwege auslösen – auch ohne direkten Kontakt, da sich die feinen Brennhaare der Raupen über die Luft verbreiten können.

Wir empfehlen dringend, den betroffenen Bereich zu meiden und sich nicht in der Nähe befallener Bäume oder Nester aufzuhalten.

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit und Umsicht!

 

Shit. Und ich hatte Angst vor Bettwanzen. 

 

Neue Gefahren überall. Mehr Möglichkeiten übel krank zu werden und oder zu Tode zu kommen. Die Tigermücke und andere von Süden in unseren Süden eingewanderte Stechmücken übertragen Chikungunya-, Dengue- und Zika-Virus, die in Germany aufgetretene Malaria war schon einige Male eine nicht-importierte. FSME und Borreliose sowieso. In Baden-Württemberg wohnt die Nosferatu-Spinne schon ganz selbstverständlich im Haus meines Bruders. Warum nochmal stellen wir Insektenhotels auf? Aber auch ohne Insekten gehts problemlos: Vibrionen in der Ostsee, Zerkarien im Badesee. Diese Artenvielfalt. Toll, so ein Klimawandel. 

P.S. Bruddlerstaffel, kicher.  

P.P.S. Die Bar ums Eck der Jugendherberge ist sehr nett, befindet sich in einem sehr schönen Haus und heißt Apotheke, weil früher mal. Am Platz kurz davor sammeln sich die Leute, um von hier oben bei Abendrot über die Stadt zu schauen. Das könnte jetzt auch in Paris sein. 

 

 

Juli 2025 – Schweiz im Juli – Einblicke ins Angsthirn

Es ist okay, du kannst entspannen, natürlich, der Akku wird bald alle sein, du willst viele Fotos machen, natürlich, jetzt haben sie hier im Bus nur USB-Steckdosen und das richtige Kabel dafür ist im Kofferraum, natürlich, der Bus ruckelt und du wirst Rückenschmerzen bekommen, sobald er losfährt, natürlich, sie haben keine Toilette an Bord und du wirst anderthalb Stunden aushalten müssen, natürlich, es könnte sein, dass du es nicht schaffst bis dahin, obwohl du noch dreimal auf dem Klo warst, aber was könntest du tun, wenn was in die Hose geht, die Jacke um die Hüfte binden, aber die Kälte an den Beinen, der Gestank, alle würden es sehen, riechen natürlich, natürlich, jetzt erlaubt der Router kein ungesichertes Netzwerk, das wolltest du noch einstellen gestern, das hast du wieder nicht geschafft, daran hast du wieder nicht gedacht, dabei denkst du doch schon dauernd an alles, natürlich, du sitzt auf der falschen Seite, die Seen sind rechts, warum hast du das beim Buchen nicht kapiert, natürlich tut dein Nacken weh, dein Bauch wölbt sich über die Hose, natürlich bist du hässlich, natürlich hat U dir ausgerechnet jetzt zurück geschrieben und klingt so distanziert, so weit weg, bestimmt hat er längst mit jemand anderem geschlafen, im Gegensatz zu dir, natürlich, du könntest seine Hand halten, wenn er neben dir säße, und alles wäre vielleicht weniger schlimm, alles wäre ruhiger und dein Angsthirn nicht ganz so laut, natürlich hättest du nicht über all das sprechen dürfen, worüber du gesprochen hast, auch wenn du denkst, du hast es doch kaum getan, natürlich war es zu viel, warum hast du nicht deine Klappe gehalten, natürlich fährst du

die Seen entlang

über die Grenze

nach Italien

du siehst die Berge

die Bäche

die Steine darin,

die Brücken die Boote die Kite Surfer

Die Zypressen.

Natürlich

könntest du dich entspannen

natürlich natürlich

den Kopf zurücklehnen

die Haltung verändern

von links nach rechts die Füße dehnen,

natürlich denkst du an deine Mutter deinen Vater und ihre jeweilige Art zu reisen an den anderen Vater der sich freut dass du reist

an deinen Bruder deine beste Freundin deine Freunde

natürlich sind die Blicke wunderschön

natürlich lächelst du freundlich

natürlich spricht niemand mit dir

natürlich ist der Wahnsinn längst erkennbar

natürlich könntest du daten

natürlich war es die beste Entscheidung seines Lebens, du hast doch gesehen, wie erleichtert er war

natürlich könntest du etwas trinken aber was du dann riskierst siehe oben

natürlich

bist du heute morgen im Pool geschwommen

und hast es dir lange überlegt

natürlich hast du es trotzdem gemacht

natürlich hat dir die Schulter weh getan

natürlich hast du dich still ins Wasser gelegt

wie du es geübt hast

natürlich hast du versucht

loszulassen

so wie jetzt

für ein paar Momente

ist das was du wolltest

das was du machst

das was du dir gewünscht hast

natürlich

spürst du das

spürst du das

spür das

 

Die Italiener hängen die Wäsche raus

Handtücher flattern im Wind

Juli 2025 – Schweiz im Juli – Hobby

Wetter nich so doll, nehm ich mal ne Tram. Eine alte Frau fällt mir auf, die wie ich auf dem Gleis wartet. Sie sitzt auf einer der Bänke, stützt sich, ihr Körper ist schon leicht gebeugt, auf einen Rollator. Sie ist von oben bis unten schwarz gekleidet, trägt einen langen Rock und hat eines dieser Topfhütchen auf, darunter kommen ihre schlohweißen Haare im Bob zum Vorschein. Sie ist geschminkt, die Lippen rot.

Sie steigt in die Tram ein, fährt zwei Stationen, dann sehe ich sie aussteigen.

Am nächsten Tag sitze ich in einer anderen Tram. Da ist sie wieder, ich sehe sie vom Fenster aus. Genau wie gestern ist sie schwarz gekleidet, zurecht gemacht, und erklimmt, Rollator vorweg, vom Gleis her die Tram. Eine Station später steige ich aus, gehe auf dem Gleis die Tram entlang und halte Ausschau nach ihr, da sehe ich sie weiter hinten sitzen und hinausschauen,

Ein paar Stunden später stehe ich nach einem langen Spaziergang am Zürichsee an einem großen Platz, einem Knotenpunkt fürs Umsteigen. Auf der anderen Gleisseite entdecke ich sie wieder – sie steigt gerade in eine Tram. Jetzt kapier ichs endlich. Das ist ihr Hobby! Den ganzen Tag fährt die mit der Tram, zwei Stationen hier, drei Stationen dort, guckt raus, kommt voran, hält sich fit, und sieht was von Zürich. Wahrscheinlich kennt sie hier jeder. Vor allem jeder Tramfahrer. Eine Zürcher Pappenheimerin sozusagen.

Ich glaube, das mach ich auch, wenn ich alt bin.

Juli 2025 – Millenials

Ach, diese Millenials. Stundenlang sitze ich im Cafe neben drei wirklich netten Leuten, überzeugt davon, dass der eine der Männer, Cappie, Schnurrbart, buntes Hemd, Loafers, Socken bis zum Knöchel, gay ist. Dann plötzlich legt er die Hand auf den Oberschenkel der Frau und sie greift nach seiner Hand. Die sind ein Paar?!

Ich weiß, das ist gut. Gut, dass es bricht, aufbricht, alles in Frage stellt, mich und meine Wahrnehmung, sowieso. Dennoch störe ich mich daran. Irgendwie. Warum nur?

Ich wittere Betrug. Heuchelei?

Ich wittere die alte Sehnsucht danach, politisch zu sein im Privaten und dabei vor allem eins zu produzieren: Unaufrichtigkeit und Schmerz. Neue Machtverhältnisse, die die alten ablösen. Vor allem aber: pressure.

Juni 2025 – Keine falsche Bewegung

Falsche Bewegung, wie mich das ärgert, wenn das jemand sagt, da haben Sie eine falsche Bewegung gemacht. Was soll das sein, eine falsche Bewegung? Eine Bewegung ist eine Bewegung. Und ich soll möglichst viele davon machen, so die ständige Predigt.  Ich bin nicht schuld an meinem Körper, dieser entsetzlichen Diva. Ich bin nicht mit ihm zu euch (Ärztinnen, Physiotherapeutinnen) gekommen, damit ihr mir die Schuld in die Schuhe schieben könnt an ihm, und seiner Weigerung, gesund zu werden.

Juni 2025 – Dilemma

Manchmal findet man sich in Gesprächen wieder, in denen Männer den Problem nicht verstehen, das man schildert. Weil sich darin ein Dilemma verbirgt, das, meist unausgesprochen, mit dem eigenen feministischen Anspruch zu tun hat. Besonders gay Männer verstehen das interessanterweise oft gar nicht, weil sie anders als viele Heteromänner, die gleich schon ganz geduldig gucken, den Diskurs nicht so aus dem eigenen Beziehungsleben kennen. Man denkt so diskriminierungskumpelig, die müssten da doch was kennen, ist aber nicht so. Die zucken dann mit den Achseln, wenn es um sowas männlich konnotiertes geht wie Sachen reparieren oder Autofahren oder Wohnung renovieren oder allein verreisen, wo is das Problem. Kann man doch machen, alles, oder, wenn man keinen Bock drauf hat, lassen, auch okay. Aber einfach sagen, Regal zusammenbauen, das kann ich nicht, oder nee, ich fahre nicht Auto, das ist mir zu gefährlich, oder allein mit Zelt und Rad durch Marokko, das pack ich nicht, das kann man als Frau nicht. Denn man will das alles aus feministischen Gründen problemlos können, machen und wollen oder sich längst beigebracht haben, man will sich ja auch nicht drumrum pissen, diese Aufgaben zu übernehmen, man will keine Hilfe brauchen, schon gar nicht von einem Mann. Gleichzeitig will man auf sich und seine Bedürfnisse hören, das wurde einem ja therapeutisch und in jedem Psychoartikel einschlägiger Printmedien eingebleut, Bedürfnisse, die vielleicht sagen, ich hab auf nichts davon Bock. Aber sind das die wahren Bedürfnisse, ist denen zu trauen? Und man will sich ja auch nicht schon wieder schlecht machen und selbst geißeln, weil man das alles nicht kann, man will sich verzeihen. Denn was ist denn schon dabei, und dann findet man eben andere Lösungen, (jaja, andere Lösungen namens Mann?) oder dann nimm dir eben ne Freundin mit (Frauen gemeinsam stark, was sind wir, ne Gewerkschaft?) oder Dafür kannst du andere Sachen (was denn, häkeln?, Butterbrote schmieren?). Und wegen diesem ganzen unsichtbar darunter liegenden Mann-Frau-Thema wirken die Einblicke in oft recht alltägliche Entscheidungsprozesse dann so wuschig, hochgejazzt und sperenzchenhaft, dass am Ende auch das  unfeministisch wird. Männer bekommen derweil nicht mit, was da abgeht, weil sie gerade mit dem Zelt in Marokko unterwegs sind oder durch die Unterführung nach Hause gehen. (Die Heteros zumindest). Und wenn sie es mitbekommen oder mitbekommen dürfen, denn man muss es ja auch erstmal selbst begreifen und ihnen dann erzählen, dass das thema im Unterboden mitmischt, stehen sie hilflos davor, was man ihnen nicht verübeln kann, denn wie sollen sie sich richtig verhalten? Das ist praktisch unmöglich in der gesellschaftlichen Gesamtlage. Also ist man als Frau am Ende alleine irre und denkt, gut, treff ich mal Entscheidung.

Juni 2025 – die Schweiz

Ich fahre also allein.

So ein Quatsch.

 

Dieses Land, nur ein Wort, das innerhalb weniger Wochen zu einer Chiffre geworden ist, für, ja, für was, wenn ich es nur verstehen würde, für grundlegende Themen, Konflikte, Fragen? Ein Wort, das sich mit Bedeutung gefüllt hat, ein aufgeblasener Ballon, ein behüllter Raum für Projektionen, Bilder, Geschichten, Ideen. Am Ende ein Mensch, der abreist.

Aber ich wollte da doch auch hin.

Eine Handvoll zu teurer Bahntickets und Hotelübernachtungen später, die sich nur gegen äußerste Widerstände buchen lassen, störrisch sind, sich weigern, sich einzufügen in den Timetable, ins Budget, als spürten sie meine Verunsicherung, als müssten sie mich beschämen, mir sagen, dass ich draußen bin, sich schließlich nur meiner Hartnäckigkeit, meinem immer wieder neuen Ansetzen ergeben, fahre ich also hin.

 

 

Juni 2025 – Trennschärfen

H.s Erzählung über sich und ihren Freund, die sich bei ihrer Trennung eine Nacht lang in den Armen gehalten und getröstet haben. Ich staune, wie unvorstellbar mir das für die Männer vorkommt, mit denen ich zusammen war. Aber vielleicht auch für mich? Es erscheint mir so logisch und richtig.

Juni 2025 – Chat GPT ist ein Angeber

Ein Kollege und ich brauchen für den Entwurf eines Radioprojekts einen Sound, einen Kapiteltrenner.

Es ist schwer, online überhaupt etwas zu finden, bzw. die frei verfügbaren Sounds passen nicht zu unserem Inhalt. Ich komme auf die Idee, Chat GPT zu fragen.

Gar kein Problem, sagt Chat. Audiodateien generieren, Töne und Musik notieren oder komponieren oder Sounddesign-Anleitungen schreiben, kann ich alles. Fein. Ich prompte haarklein den von Chat erfragten Kontext: Für was der Sound gedacht ist, wie lang er sein soll, Stilrichtung, welche Stimmung er haben soll, usw. Chat bedankt sich, wiederholt alles zur Sicherheit nochmal zusammenfassend, und schlägt im Anschluss ausufernd ein Konzept vor, bietet eine Textnotation für Musiksoftware an, fragt nach Tools, die wir benutzen, für die er seinen Vorschlag anpassen könne, erläutert Instrumentenwahl, Länge, Klangcharakter, Tempo, Tonart und macht am Ende ein Angebot: Wenn du willst, kann ich dir jetzt direkt eine MIDI-Datei generieren. Klasse, sage ich, und freu mich, wie easy das alles ist. Dann mach das doch.

Großes Gerödel im Hintergrund, da scheint schwer was gerechnet, von A nach B durchdacht zu werden. Dann das Ergebnis:

Es scheint, als könnte ich gerade keine erweiterten Funktionen zur Dateierstellung nutzen.

Na toll. Stattdessen, sagt Chat, könne ich es ja vielleicht doch selbst zu machen und erläutert mir für was, wen (Software-Auflistung) und wie er mir dafür Anleitungen bereitstellen könnte.

Ich frage ihn, ob er eine WAV statt eine MIDI ausgeben könnte.

Kann er derzeit nicht. Warum sagt er nicht. Aber, schlägt er mir enthusiastisch vor,  er könne mir eine komplette Notation zur Verfügung stellen und mir dabei helfen, es in eine der vorgeschlagenen Softwares einzupflegen, auch fürs eigene Spiel gibt er mir Noten an (rechte Hand, linke Hand), auch für mein Betriebssystem könne er mir Hilfestellung geben, und mir erklären, wie ich die WAV erzeugen könne …

Danach Stille. Auf beiden Seiten.

Am nächsten Morgen. Ich habe ausgeschlafen. Chat ja vielleicht auch. Ich frage ich ihn nochmal, ob er seinen Vorschlag von weiter oben denn jetzt als WAV-Datei ausgeben könne?

Er braucht lange, die drei Punkte schwer am Atmen, Gewichte werden gedrückt.

Dann ist sie da. Die WAV-Datei! Ich drücke auf Play. Drei Computertöne erklingen, die sich, ich schwöre, so anhören:

Di Di Dii.

Juni 2025 – see you

Ich liege in meinem Bett. Genau so und an der Stelle, wo er lag, eines Morgens. Wie er damals schaue ich in den Raum, Richtung Tür, dorthin wo ich stand. Ich war aus dem Bett aufgesprungen und hatte Dinge gesagt, wütend, laut, während ich nach irgendwelchen Kleidungsstücken griff, um sie mir anzuziehen. “Ich habe das Gefühl, du verlässt mich und es ist dir egal” war der Gipfel der Dinge, die ich sagte, war der Satz, in dem alles kulminierte und nach dem ich abrupt verstummte, weil mir die Tränen kamen.

Ich sehe mich dort stehen, aus seiner Perspektive, und versuche zu sehen, was er gesehen hat. Zu verstehen, was er verstanden hat.

Nur ein paar Tage später hat er mich verlassen.

Mai 2025 – mp

G. angesichts der vielen kleinen To-Do-Zettel auf meinen Schreibtisch:

Schon n bisschen manisch.

Ich:

Das ist nicht manisch, das ist panisch.

Mai 2025 – Party

Ich bin auf einer Party eingeladen. Ich will da hin. Es werden viele Leute da sein. Ich überlege, was ich mitbringen will, ich kaufe ein, ich will was backen, ich freu mich drauf, das Wetter wird toll, es ist ein bisschen weiter draußen, wie komm ich da hin, ich suche schon mal eine passende Bahn raus.

Schon morgens merke ich, dass es schwierig wird. In meinem Kopf tanzen mögliche Situationen, tummeln sich Menschen, die dort sein werden.

Manche von ihnen Freunde von T., die die Gefahr mit sich bringen, dass ich etwas mitbekomme, was ich nicht wissen will, manche von ihnen Menschen, die ich lange nicht gesehen habe und mit denen die Begegnungen deshalb unangenehm sein könnten, mir fallen Momente ein, in denen ich verletzt wurde von diesen Menschen, ich denke an alte Geschichten. Ich verschiebe das Backen, ich fange an zu backen, ich mache was anderes, ich backe weiter.

Ich zwinge mich, die schönen Sachen aufzurufen, daran zu denken, dass ich Menschen sehen werde, die ich mag, die nett sind, dass ich eine Frau wiedertreffen werde, die ich kürzlich kennen gelernt habe, dass ich auf eine Party! eingeladen bin, dass es sicher, ganz sicher, ein schöner, entspannter, liebreizender Nachmittag im Grünen wird, dass es guttun wird, es geschafft zu haben dorthin zu gehen, dass es wichtig ist, notwendig und wohltuend unter Menschen und im Kontakt zu sein, dass es wichtig ist, sich nicht auszuschließen, Ja zu sagen, statt Nein, dass es schön ist, mit einer immer herzlichen Freundin zu feiern, die dich an deinem Geburtstag besucht, wenn du sie einlädst, obwohl ihr das sicher auch nicht immer leicht fällt, die dich nicht vermissen wird, wenn du nicht da bist, aber die sich verdammt nochmal freuen wird, wenn du kommst, verstehst du das?

Ich laufe los.

Auf der halben Strecke zur Bahn kehre ich um.

Ich schreibe eine Nachricht, dass ich es nicht schaffe.

Es ist ein Desaster. Die Depression ist da, da gibt es kein Vertun.

Sie wirft mich nieder, wirft mich raus, heute und die nächsten Tage, sie kommt wieder keine Frage. Der Kampf ist verloren, er hat mich erschöpft. Ich habs nicht geschafft. Ich habs nicht geschafft. Ich habs nicht geschafft.

Später sehe ich die Fotos, die glücklichen Textnachrichten: Es war ein schöner, entspannter, liebreizender Nachmittag im Grünen.

Mai 2025 – church

Ich mal wieder in der Kirche. Die Kirche katholisch, sieht aber vertraut evangelisch aus, karges Betongebäude. Der Pfarrer so voll locker, muss man sein, wenn man heute noch jemand da hinlocken will, die Ministranten, zwei Mädchen, war auch mal undenkbar, kleiden sich in der Sakristei um als ich aufs Klo muss, man bedankt sich herzlich, dass sie heute so spontan eingesprungen sind, was hätte man sonst gemacht ohne sie. Fachkräftemangel wo man hinschaut. Der Co-Priester aus Ghana, er liest einen Bibeltext, der Mann vor mir verzieht das Gesicht, weil der kein ordentliches Deutsch kann.

Kurzfassen können sie sich immer noch nicht, nach dem xten Song, dem xten Gebet, noch ein Song, noch ein Gebet.

Das Kind ergriffen, erfasst von Glaube, Liebe, Hoffnung

und vor allem: der Sorge um die Welt. Beschäftigt mit den großen Fragen. Es rührt mich.

Ich erinnere mich so gut daran.

März 2025 – Mühsam Berlin

Überall diese Fickerei.

Keiner schaut sich mehr an, küsst sich, kuschelt, streichelt, spielt, ist zärtlich.

Für sowas hat man einen Hund.

Harte Drogen kinky Sex. Diese Stadt hat noch nie zu mir gepasst.

Ihre Kälte hat sie nie verloren.

If you can’t fuck anywhere you can fuck here.

März 2025 – free speech

accessible

activism

activists

advocacy

advocate

advocates

affirming care

all-inclusive

allyship

anti-racism

antiracist

assigned at birth

assigned female at birth

assigned male at birth

at risk

barrier

barriers

belong

bias

biased

biased toward

biases

biases towards

biologically female

biologically male

BIPOC

Black

breastfeed + people

breastfeed + person

chestfeed + people

chestfeed + person

clean energy

climate crisis

climate science

commercial sex worker

community diversity

community equity

confirmation bias

cultural competence

cultural differences

cultural heritage

cultural sensitivity

culturally appropriate

culturally responsive

DEI

DEIA

DEIAB

DEIJ

disabilities

disability

discriminated

discrimination

discriminatory

disparity

diverse

diverse backgrounds

diverse communities

diverse community

diverse group

diverse groups

diversified

diversify

diversifying

diversity

enhance the diversity

enhancing diversity

environmental quality

equal opportunity

equality

equitable

equitableness

equity

ethnicity

excluded

exclusion

expression

female

females

feminism

fostering inclusivity

GBV

gender

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Februar 2025 – Hussel-Alarm

Ich bummel durch die Mall und gehe zu Hussel.

Mit der kleinen Zange fülle ich drei mit Schokolade umhüllte getrocknete Apfelscheiben in ein Tütchen, Zartbitter, Vollmilch, weiß, ein Ritual. 7 Euro 30, sagt der Mann hinterm Tresen. Nein, sage ich und schaue ihn erschrocken an, das geht nicht. Ich gebe ihm die Tüte zurück, überlasse es ihm, die drei schokolierten Äpfel, die mir gehören könnten, wieder zurück zu räumen.

Ich gehe auch seltener essen, fällt mir auf. Alles ist so teuer.

 

Januar 2025 – Der Nachbar

Mein Nachbar von obendrüber quält mich. Er gefährdet mein Wohlergehen, meine psychische Stabilität, ja, sogar meine Beziehung. Das macht er jetzt schon sehr lange. Zweimal hab ich mit ihm gesprochen, dreimal hab ich ihm einen Zettel in den Briefkasten gelegt. Er hat 24 Stunden auf Koks mit irgendeiner Kreisch-Tussi gefickt, jede vorhandene Tür  sowie Schublade um jede mögliche Uhrzeit knallen lassen, er ist nachts um 2, morgens um 5 oder mittags um 12 auf seinem Laufband gerannt, das ein stetes Maschinengeräusch in mein Schlafzimmer gepumpt hat, sein Bett hat nächtelang ungelogen ununterbrochen ein knarzendes Geräusch von sich gegeben, als wäre es aus dünnem Holz, er hat Techno gehört, so telefoniert, dass ich alle seine Thesen verstanden habe, ständig habe ich neue Leute im Haus gesehen – Airbnb?, Zigarettenstummel auf meinem Balkon gefunden, die man dort nur absichtlich hinbekommt, verschiedene Frauen durchs Haus kommen und gehen sehen, die er zu seinen, ich schätze mal PornHub- oder OnlyFans-Videodrehs eingeladen hat. Er hat sich in meinen Kopf gefressen, er ist mein Mitbewohner wider Willen, von dem ich nichts wissen will aber alles dauernd wissen muss. Wenn ich ihn von weitem auf der Straße gesehen habe, hasse ich ihn so, dass mir fast der Schädel platzt, er ist nämlich ein WIESEL. Wiesel sind Menschen, von denen man denkt, der wär gleich vorne mit dabei gewesen. Du hättest nett und verständig getan, um einen gemachten Mann aus dir zu machen und bedauernd geguckt, wenn du die Leute an der Rampe aussortiert hättest, du ekelhaftes Tier.

Irgendwann schreibe ich eine Mail an die Hausverwaltung. Die zuständige Mitarbeiterin ruft mich Wochen später an, um nachzuhaken. Irgendwann kapiere ich, nicht mein Leiden unter der Lärmbelästigung ist der Grund ihres Anrufs,  sondern dass sie aufgrund meiner Mail begriffen hat, dass über mir ein illegaler Untermieter wohnt.

Ich fertige ein Lärmprotokoll an, denn ohne geht es nicht, sagt sie.

Ein paar Wochen später. Ein Bett steht neben unserer Haustür, schön in seine Einzelteile zerlegt, Sperrmüll, soll sich drum kümmern, wer will. Das Bett ist aus Rattan! Zumindest das Knarzen hört auf.

Viel später. Ich treffe den anderen Nachbarn im Hausflur, der, der meinem Quäl-Nachbarn gegenüber wohnt. Ich bin schon fast vorbei, wir grüßen uns immer, sprechen aber eigentlich nie, Der is ja ausgezogen, sagt er unvermittelt. Ich stutze. Ach, sage ich. Und frage ihn, ob er sich denn auch gestört gefühlt hat. Der hat ja ein Bordell betrieben da, sagt er, die haben ja nachts bei uns manchmal geklingelt. Und dann immer die ganzen Frauen vor der Tür. Ich staune.

Ich dachte, ich hab zu viel irre Fantasie

Stellt sich raus, alles stimmt, ist nur noch viel krasser als ich dachte.

 

Dezember 2024 – Sbahn fahren

Ich fahre SBahn.

Bellevue, ein Mann verrichtet seine Notdurft, Number One and Two auf dem Bahnsteig. Als wir an ihm vorbeifahren lässt er gerade das Papierchen fallen, mit dem er sich den Hintern abgewischt hat und zieht sich die Unterhose hoch.

Nächste Station Tiergarten, eine Frau, ich schwöre, sitzt auf der Bank und kotzt mitten auf den Bahnsteig. Einmal zweimal dreimal, raus das Mittagessen. Heute ist der 31.12., Happy New Year. Besser wirds nicht.

November 2024 – Klinik

… Am nächsten Tag quer durch die Stadt zum ambulanten Chirurg. Ich brauche eine Krankenhauseinweisungsbescheinigung. längstes deutsches Wort ever. Sehr gut organisierter Durchgangsarzt, trotzdem wird mir schwummrig von den Gesprächen, die ich vom Wartezimmer aus mithöre, der Zehennagel hängt nur noch so dran; der Deckel von der Thunfischdose war zu scharf …

Am übernächsten Tag zur OP Vorbesprechung nach Marzahn. Erneut werde ich 8 Stunden in der Klinik sein.

Der Orthopäde bespricht die OP mit mir. Die Anästhesistin scheint mich vergessen zu haben. Der Orthopäde schickt mich deshalb schon mal zum Gipsen, weil ihm der Gips aus Bad Saarow nicht gefällt. Beim Gipsen begehe ich den Fehler auf meinen Arm zu schauen. Ich bitte die Schwester, mich hinlegen zu dürfen und um ein Glas Wasser, das völlig verschobene Handgelenk, der ganze Arm (Hämatom) sieht fürchterlich aus. Ich plaudere mich durch meine Angst, frage nach ihrer Ausbildung.

Als Nächstes muss ich in die Radiologie, um zu sehen, wie der Bruch aktuell steht. Strahlenbelastung in den letzten Jahren auch immer höher. Aber einer fragt. Auch dort vergisst man mich im Warteraum. Ich mache mich bemerkbar, frage bei der Radiologie-Anmeldung, ob man mich vergessen hat. Dort werde ich weggeschickt.

Ab und zu tritt ein junger MTA aus dem Maschinenraum in den Wartebereich, ruft Namen auf, die nicht meine sind oder unbeantwortet bleiben. Eine ältere Frau, schon wieder dement, liegt, immer wieder mal stöhnend, im Bett. Sie wäre meiner Einschätzung nach gar nicht in der Lage dazu, ihren Namen zu verstehen, noch zu antworten, wenn sie aufgerufen wird. Doch der Radiologieassistent kommt nicht auf die Idee, dass sie überhaupt jemand mit Namen sein könnte, sie ist ein Bett. Abgestellt von jemand, der schon wissen wird, was das soll. Falls sie morgen noch hier liegt, würde es mich nicht wundern, dann vielleicht auch tot, viel fehlt sowieso nicht mehr.

Irgendwann komme ich zurück an den Anfang des Warteprozesses, wo auch die Anästhesie sich an mich erinnert. Der OP-Termin, den ich bekomme, liegt an der Grenze der maximal erlaubten Zeit bis zur Operation eines solchen Bruchs. 14 Tage werde ich mit dem Gips herumlaufen, was die Zeit bis zur Knochenheilung – sechs Wochen – also auf insgesamt acht Wochen dehnt.

Am nächsten Tag habe ich eine Job-Besprechung. Es ist klar, dass ich niemandem bei der Firma oder der Redaktion von meinem gebrochenen Handgelenk erzählen kann, solange ich den Job nicht fest habe. Die würden mich sofort rauswerfen, zu hohes Risiko, der Zeitdruck auf dem Projekt ist groß, ist er immer. Ich halte den Arm beim Teams-Call unten, damit man den Gips nicht sieht.

Vorher ist alles gut gelaufen, die Produktionsfirma mochte den Pitch. Hat ihn weitergeleitet an die Redaktion. Nadelöhr 1, Check. Von der Redakteurin werde ich im Call gelobt, ich höre Dinge wie Wärme, feiner Humor, feine Feder. Aus irgendeinem Grund bin ich gerührt davon, weil ich das Gefühl habe, verstanden worden zu sein. „Umso mehr tut es mir leid …“ , setzt die Redakteurin an, und ich stürze, die dramatische Fallhöhe, die sie gebaut hat und auf die ich hereingefallen bin, zu hoch, tief hinunter „… dass wir den Stoff nicht machen können, vielleicht fällt ihnen ja noch was anderes ein.“

Na klar, ich schau mal. Zurück auf Los, zurück ins Ungewisse, was arbeiten und Geld verdienen angeht.

Ich mache alles mit rechts. Hose anziehen ist am Schwierigsten. Betten beziehen geht nicht. Spülen ist auch schwierig. Aber sonst komme ich erstaunlich gut klar.

Am Tag der OP – in der Zwischenzeit arbeite ich mit verstecktem Gipsarm und versuche, möglichst viel zu diktieren und mit einer Hand zu schreiben, um die linke nicht zu belasten – fahre ich morgens um fünf ins Krankenhaus. Ich habe Angst, Angst, dass die OP nicht gut verläuft, Angst vor den Schmerzen, den nicht wirkenden Medikamenten, dem Aufenthalt in der Klinik.

In der Vorbereitung zur OP ein Anästhesist, der irritiert ist, warum ich eine Vollnarkose bekomme, er hat sich auf was Lokales vorbereitet. Lokal, sicher nicht, was denken diese Heroes sich immer? Dass ich ihnen dabei zuhöre, wie sie meinen Arm öffnen, ihre Platten darin verlegen und alles schön festnieten? Der Anästhesist ist nett, keine Ahnung, warum die immer so nett sind, aber die Anästhesisten kommen mir vor wie die nettesten Ärzte, die es gibt. Den Operateur werde ich nicht sehen, ich werde vorher schon weg sein. Wieder versucht ein Pfleger mir einen Zugang zu legen, wie immer merke ich nach 10 Sekunden, ob es klappen wird oder nicht. Es klappt nicht. Er stochert herum, mehrfach, gleicht seine Unfähigkeit durch Laberei aus. Der Anästhesist erbarmt sich, schafft es aufs erste Mal, das Ding sitzt.

Als ich aufwache, habe ich starke Schmerzen im ganzen linken Arm. Es fühlt sich an wie direkt nach dem Bruch, all on fire, from finger to shoulder. Ich bin sehr unruhig, nervös, bewege die Beine hin und her (Opiate). Irgendein Arzt geht, irgendeine Ärztin kommt, sie schaut nach anderen, nicht nach mir. Ich spreche sie irgendwann an. Sage ihr, dass ich Schmerzen habe. Ein anderer Arzt kommt irgendwann, fragt mich wie stark die Schmerzen sind auf einer Skala von 1-10. Die Frage kenne ich schon. Acht, sage ich, und wenn Sie mir sagen, dass das normal ist, halte ich das aus. Nein, sagt er, das ist mir zu hoch. Ich erwähne wie immer die Sache mit den Opiaten, und er gibt mir andere Mittel, erst eins, dann später noch ein weiteres, von dem ich weich und ruhiger werde: Die Schmerzen sind da, der Arm ist da, aber beides ist weiter weg. Irgendwann werde ich mit dem Bett an anderen Betten vorbei, Box-Betten, von einem der Betten-Schieber in mein Zimmer geschoben. Ich war sehr lange im Aufwachraum. Ich finde es zu früh.

Die Schmerzen bleiben hartnäckig, lange. Neben mir eine Frau, 20 Jahre älter als ich, mit gebrochener Hüfte. Sie spricht. Und spricht. Und spricht und spricht. Ein Trigger für mich. Missbrauchs-Gefühle, ich kenne das, von meiner Mutter, meiner Kindheits- und Teenie-Freundin L. Auch am nächsten Tag hört sie nicht auf zu sprechen. Sie bekommt Besuch, mehrmals und erzählt bei jedem Besuch alles, was ich schon mehrfach gehört habe und schon ganz genau weiß, nochmal. Sie hat ihren Mann (erste Demenzansätze, guter Grund, ihn rumzukommandieren und zu demütigen) und ihren Sohn (du willst doch deine Mutti besuchen) ziemlich im Griff. Sie tut mir trotzdem leid. Ich kann nicht weg, nicht auf den Flur, mir ist schwindlig, übel, schwach. Mein Arm ist geschwollen und ich versteh das alles nicht. Müsste das nicht anders sein? Ist das normal? Ich bin enttäuscht von mir, dass ich da nicht schnell wieder fit rauslaufe.

Zu meiner Überraschung muss ich einen Tag länger bleiben, was ich sehr gut finde, denn aufstehen und gehen scheint nicht denkbar. Ich trage permanent Kopfhörer, trotzdem spricht die Frau die ganze Zeit, auch hier erfahre ich Anamnese Diagnose Perspektive. Ich wundere mich, wie wenig der Geriater zum Thema Versorgung zuhause im Anschluss weiß.

Morgens bei der Visite ein Auflauf von 15 Personen in weiß, die ineffektive Fragen stellen, nett sind, aber nicht besonders mitdenken, was hätte man nicht alles im Einzelgespräch schneller und sinnvoller besprechen können. Eine der ältesten und überholtesten Veranstaltung der Medizingeschichte in der man, so mein Eindruck, nichts herausfindet. Performanz. Einem der Ärzte – es ist der lustige Orthopäde, der mich damals zum Gipsen gebracht hat, die Abkürzung übers Traumazentrum genommen hat, was er den coolsten Ort von allen fand und ein bisschen angegeben hat, was hier so mit dem Heli reinkommt – fallen während des Gesprächs am Bett der Nachbarin im Stehen die Augen zu.

Ich gehe mit einem Klostuhl aufs Klo und habe nicht mal mehr ein Fünkchen Humor oder Neugier in mir. Das erschreckt mich am meisten. Ich soll die Finger bewegen, sagen die Ärzte, ich bewege, aber da bewegt sich nichts zurück, die Hand geschwollen, der Ellbogen und die Schulter tun weh, wahrscheinlich vom Aufprall, vom Hämatom.

Ich finde alleine heraus, dass man im Flur Tee holen kann.

Ich weine kein einziges Mal.

Am Tag der Entlassung mache ich mir Sorgen, weil mir schwindlig ist und übel und ich nicht weiß, ob ich den Nachhauseweg schon schaffe. Als die Schwester sehr kompetent den Gips entfernt, um die Wunde zu versorgen, sage ich ihr, dass ich nicht hinschauen werde. Obwohl ich im Bett liege, würde ich bestimmt nur wieder umkippen. Sie macht eine kleine Radioberichterstattung und sagt mir, wie gut alles aussieht, ich hab sie so gern.

Ich habe keine Filter, keine Kraft. Ich bin unleidlich, wütend, verletzt, auf allen Ebenen. Dabei geben sich alle so viel Mühe.

Auch zu Hause wird es nicht besser. Als ich mich hinlege, fängt der Lärm beim Nachbarn oben an, noch so eine Belastung, der letzten Wochen, Monate, die mir entfallen war. So also, denke ich, endet das Jahr und beginnt das neue. Was, wenn die Hand nicht mehr wird, wenn das Handgelenk nicht mehr so belastbar ist wie vorher, was ist mit Sport, mit Pilates, etwas, dass ich dringend brauche, um stabil zu bleiben, um den Rücken bei Laune zu halten, was ist mit Schreiben, was ist mit meinem rechten Arm, nun doppelt belastet und sich sowieso schon in Richtung Sehnenscheidenentzündung orientierend. Was, wenn ich diesen Winter noch mal hinfalle, ausrutsche auf nassen Blättern, auf Eis. Was, wenn das nun die nächsten Jahre werden, im Grunde ja gar keine Frage mehr, mit Brüchen im Krankenhaus landen. Wie umgehen mit Bewegung, mit Mut, mit Reisen, mit Risiko. Ich habe mir nicht den Rücken gebrochen oder ein Bein, auch kein zweites Handgelenk. Ich versuche froh, darüber zu sein, über alles, was gut ist, was sehr gut ist, über die Qualität der OP, über kompetente Schwestern, Physiotherapeutinnen, Durchgangsärzte, nette Worte, über Menschen um mich herum, die bereit sind, mir zu helfen und sich große Mühe zu geben im Irrsinn einen guten Weg zu finden.

Es gelingt mir nicht, das nach oben zu ziehen. Auch das ein Scheitern. Ich mag mich nicht, mag das Misstrauen in mir nicht, den anderen und mir selbst gegenüber, gegenüber dem Sturz und seiner Bedeutung. Die Suche nach der Bedeutung.

Die distale Radiusfraktur ist der häufigste Bruch im Erwachsenenalter.

November 2024 – Ideenhaberei

Tagsüber:

Vielleicht kannst du da mal eine Idee skizzieren, nur kurz, auf so 1,2 Seiten.

Falls dir da was einfällt, sag Bescheid.

Wir brauchen Ideen für jüngere Leute. Ja, für die CC2.

Für den Sonntagabend ist das keine gute Idee.

Super Idee! Wir bleiben bei der ersten.

Sendet eure Ideen ein, die beste wird mit 3000 Euro prämiert.

Also wenn du da ne Idee hast, die anderen überlegen auch mal.

Guck mal, das hat die KI ausgespuckt, vielleicht hilft das ja bei der Ideenfindung.

Die Idee finde ich an sich gut.

Sehr schöne Idee. Vielleicht hat ja noch jemand eine bessere.

 

Abends:

Hast du ne Idee, wo wir heute Abend hingehen könnten.

Ich bräuchte ne Idee für ein Restaurant, ich bekomm Besuch.

In welchen Film könnten wir gehen, hast du ne Idee?

Wo sollen wir uns treffen, du hast doch immer so gute Ideen.

Oktober 2024 – Manchmal

Manchmal, wenn ich mich sehr außen vor fühle, denke ich an Herrn M.

Ich erinnere mich an das, was er gesagt hat, als ich ihm die Situation im Schwimmbad geschildert habe. Alle gehen jauchzend ins Wellenbad und ich stehe am Rand. Ich bin ein Geist in dieser Welt, unfähig, an ihr teilzuhaben und mir ihre Regeln zu eigen zu machen. Aber sie waren doch dabei, hat Herr M. gesagt. Sie haben es beobachtet. Und sie erzählen mir so davon, dass ich das Gefühl habe, dabei gewesen zu sein.

Das ist meine Position, die Position des Beobachters. Und die, hat Herr M. gesagt, ist doch okay.

Manchmal hilft das.

Oktober 2024 – der schmale Grat

Ein Kind überrollt mich von rechts aus einer schmalen Einfahrt kommend mit seinem Buggy, SUV-Style. So heftig, dass mir die Hand noch den ganzen Tag weh tut. Ich schreie es unwillkürlich an: Pass doch auf, Mann! und schaue mich suchend um bei den Umstehenden. Wem gehört dieses Kind, frage ich. Eine Frau, die sich nicht gerührt hat, kommt jetzt mit einem halben Schritt auf mich zu. Entschuldigung, sagt sie leise.

Wow. Der Grat zwischen: Ich will, dass mein Kind eine freier Mensch wird und ich will, dass mein Kind ein rücksichtsloses Arschloch wird, ist verdammt schmal, lady. Speak up, sonst frisst es dich eines Nachts.

Oktober 2024 – Blümchen in der Vase, saß und schlief

Filterkaffee in der Bäckerei ums Eck. Auf dem Tisch ein hübsches Blümchen in einer kleinen Glasvase. Eine puschelig rosa gefüllte Chrysantheme steht im Wasser, dazu passend ein Zweig mit kleinen grünen Blättern. Mich macht das ganz zufrieden.

Irgendwann, es dauert eine ganze Weile, kapiere ich: nichts ist hier echt! Die dichten rosa Blütenblätter wie Papier, der grüne Zweig aus Plastik, die Vase aus Plexiglas, sogar das Wasser darin ist fake: Die Drittelfüllung, in der die Stiele versinken, ist eine gallertartige transparente Masse mit dekorativem Blaseneinschluss. Einmal mehr fühle ich mich: naiv.

 

 

September 2024 – schön wärs

Wenn man den Rassismus aus Texten killt, killt man nicht den Rassismus, sondern die Chance über Rassismus in Geschichte und Kultur reflektieren zu können. Im schlimmsten Fall verleugnet man ihn, tut so, als habe es ihn nie gegeben. Macht ihn unsichtbar, ungeschehen. Rassismus ist nicht nur ein Wort. Rassismus steckt zwischen Zeilen, ereignet sich vor Hintergründen, wird bewusst aufgerufen, um von ihm zu erzählen, liest sich in Kontexten von Figuren und Konstellationen.

Will sagen. Einfach is nich.

September 2024 – Wasserbetriebe

Auf der Toilette vom Galeria Kaufhof. Eine Frau beobachtet, dass ich meine Wasserflasche auffülle. Trinken Sie das? fragt sie. Ich: Klar, warum nich? Sie: Das Berliner Wasser ist voller Medikamentenrückstände! Ich: Das Berliner Wasser ist hervorragend. Sie: Nein, ist es nicht, ich weiß es, ich arbeite da! Ich, natürlich nur in meinem Kopf: Als was? An der Kasse?

Juli 2024 – unter Lesben

Ich gerate in eine Runde Lesben am Biertisch eines einschlägigen Lesbenclubs. Obwohl ich mit zwei lesbischen Frauen da bin, scheint hier niemand auch nur eine Millisekunde davon auszugehen, dass ich lesbisch sein könnte. So hetero sind meine Vibes offensichtlich. Keine flirtet, gut, die ein oder andere macht auf dicke Hose oder lästert über die alteingesessene Freundin daheim, aber das geht nicht in meine Richtung. Ich bin ein kleines bisschen beleidigt.

Ansonsten alles recht hemdsärmelig und irgendwie rollenverteilt hier, ein sichtbarer Generationen-Gap, die jüngeren am Nachbartisch, so kommt es mir vor, habens deutlich leichter und sind nicht ganz so geschlagen mit ihren Geschichten. Ich glaube nicht, dass hier in der Runde der älteren (45 bis 55) irgendjemand nicht irgendwann mal in Therapie war. So siehts aus.