Meine Lektüre von Die Clique, einem Buch über acht Frauen im New York der dreißiger Jahre, inspiriert mich zu einem Beitrag über Säuglings- und Kleinkindpflege im Laufe der Jahrhunderte. Gibts darüber schon ein Buch? Eine Diss, eine Habil? Wahrscheinlich. Falls nicht, sollte das jemand in Angriff nehmen.
In die Clique (noch aus ein paar anderen Gründen ein tolles Buch, aber dazu vielleicht später oder nie mehr mehr), gibt es eine tolle Episode rund um eine der Frauen, die in ihrem Freundeskreis dadurch Aufsehen erregt, dass sie ihr Kind stillt. Denn damals, so lässt sich deuten, war Stillen offenbar etwas, was man bei „den Hottentotten“ machte, also bei irgendwelchen Naturvölkern, die man als primitiv bezeichnete und im besten Fall aus dem Ethnologischen Museum kannte, das damals ganz sicher noch anders hieß. Oder von armen Fabrik- oder Landarbeiterinnen, die es nicht besser wussten oder aus ökonomischen Gründen nicht anders konnten. Jedenfalls war das Stillen offenbar weit außerhalb der bürgerlichen Sphäre der jungen Frauen, um die es im Buch geht. Doch die Freundinnen sind begeistert über dieses progressive Verhalten. Denn: der Ehemann der Frau, ein junger Arzt, (den sie sich geschnappt hat, denn das tun die college-gebildeten Frauen dieser Zeit, sie schnappen sich einen Mann, das klappt nicht immer und dann ists tragisch, mit Mann aber auch), hält das Stillen aus medizinischen Gründen für vorteilhaft fürs Kind – eine radikale, sehr moderne medizinische Ansicht, die sich zum Bedauern des ehrgeizigen, engagierten Arztes nur langsam gegen die konservativen, ältlichen Still-Gegner durchsetzt. Das Kind wird dabei aber nicht einfach gestillt, wenn es schreit, sondern nach einem peinlich genauen Zeitplan, den es unbedingt einzuhalten gilt. Abweichungen schaden! Dass die junge Frau im Grunde zum Opfer nicht nur ebendieses Zeitplans wird, dem sie sich mit aller Verzweiflung und allem Altruismus zum Wohle ihres Kindes aussetzt, sondern auch zum Opfer von kulturellen, gesellschaftlichen, ideologisch überformten Konzepten über Frau, Mutterschaft, Kindswohl und Wissenschaft, das zeigt die Episode auf brillante Weise.
Deutlich wird das vor allem einige Zeit später, als wir noch einmal zu ihr zurückkehren, zu einer Frau, die ihr inzwischen zum Toddler herangewachsenes Kind noch immer so stetig kontrolliert wie ihr Mann es wünscht, es aber mit Abscheu, Wut und Frustration beobachtet, weil es einfach nicht mit dem Einkoten aufhören will. Als sie eine der alten Freundinnen aus der Clique trifft, die ihr Kind auf eine Weise erzieht und ihm die Brust gibt, die die junge Frau nur als undiszipliniert und gefährlich ansehen kann, begegnet sie ihr gleichermaßen mit Faszination und Abscheu, und sorgt am Ende dafür, dass sie sich nie wieder treffen.
Dass jedenfalls Säuglings- und Kleinkindpflege und die Frage nach dem Ob und Wie des Stillens noch niemals frei war, und auch ganz sicher auch heute nicht im geringsten frei ist, was sich aber immer gerne eingebildet wird, so funktioniert Ideologie, von konstituierenden, diskursiven Verhandlungen über Frausein, Kindsein, Mutterschaft und Fürsorge, die von Fragen nach Klassenverhältnissen, Wissenschaft, Kultur, Psyche, Körper, Geschlechterverhältnis und Sozialstaat berühren, das ist da mal wieder glasklar geworden.
Das interessiert mich.