Monat: Mai 2017
Mai 2017 – frame it
Mai 2017 – Krähe und Ratte
Kürzlich gehe ich am Kreuzberger Ufer spazieren. Plötzlich rennt kurz vor meinen Füßen eine Ratte von links aus dem Gebüsch, rast, offensichtlich in Panik rechts über den Weg, dicht hinter ihr: Eine Krähe, die nach ihr hackt. Ja, sag mal, so weit sind wir schon? Hat die Ratte versucht, ihr was wegzufressen oder sind Ratten jetzt das neue Grundnahrungsmittel für Krähen? Die Verrohung der Tierwelt erreicht eine neue Dimension. Diese Stadt macht auch echt alle verrückt. Dabei mag ich Krähen so gern.
Mai 2017 – Ameise
Ich sitze im grünen Gras und lese ein Buch.
Ich lege das Buch mit dem geöffneten Buchrücken nach oben vor mich hin, und guck mal ein bisschen auf den See.
Eine Ameise krabbelt auf den Buchrücken. In dieser typischen Ameisenart, hastig, zittrig tastend, getrieben, wie unter Strom, Sklavin ihrer Aufgabe. In ihrem Maul trägt sie eine andere Ameise, quer. Die andere Ameise sieht mitgenommen aus, um nicht zu sagen tot.
Okay, denke ich. Wo bringst du sie hin? Ins Ameisen-Krankenhaus? (Ich glaube nicht, dass da noch was zu machen ist, ehrlich gesagt.) Zur Ameisen-Beerdigung? Auf den Ameisen-Friedhof? Werden tote Ameisen in der Ameisenwelt irgendeinem Recycling zugeführt? Werden sie anderen zum Fraß vorgeworfen, der Königin oder den Babys? Werden sie als Düngemittel verwendet? Werden sie vor die Stadttore gebracht, weil sie an einer infektiösen Krankheit gestorben sind?
Die Ameise krabbelt mit der Quer-Ameise im Maul (sie sieht aus wie ein Gabelstapler mit Holzbalken, es muss sehr anstrengend sein, was sie da macht) über den leicht ansteigenden Buchrücken direkt auf mich zu. Als sie am Ende angekommen ist, legt sie die Ameise plötzlich vor mir ab. Blitzschnell biegt sie nach rechts ab, kratzt die Kurve, macht sich vom Acker, eilt davon, es sieht aus, als hätte sie schon vergessen, was sie gerade noch vorhatte.
Da liegt sie vor mir, die tote Freundin. Hat die Schleppameise eben jetzt erst realisiert, dass nichts mehr zu machen ist? Hat die Maulameise anders als von mir angenommen vielleicht doch noch gelebt und gerade erst ihren letzten Atemzug getan? Hat die Schleppameise von irgendeiner Chef-Ameise einen Zuruf erhalten, lass los, wir brauchen dich hier dringender? Hat die Schleppameise mir die Maulameise vor die Nase gelegt, damit ich mich kümmere, sie rette? (Sie ist tot, wirklich sehr tot.) Versucht die Schleppameise, einen Mord zu vertuschen und die Leiche auf einem Buchrücken verschwinden zu lassen? Oder hat die Schleppameise mir ein Opfer dargebracht, mir, der großen Göttin der Ameisen?
Ich habe keine Ahnung. Ich verstehe nichts. Wir leben gemeinsam auf diesem Planeten, und sind einander Aliens.
Ich nehme das Buch hoch, die tote Ameise rutscht die Buchrinne runter und landet irgendwo im Gras.
Mai 2017 – Aufm Bahnhof Zoo im Damenklo
Ich muss mal. Wie die meisten Menschen gehe ich dafür zu McDonalds.
Vor dem Eingang steht ne Frau neben nem Tisch, so tellermäßig, kennste, ich geh an ihr vorbei, 2 Meter, bis zur eigentlichen Tür. Vor der Tür stehen verdruckt zwei Mädchen, so 14, schätze ich, bisschen pummelig, noch Babyspeck, eher kurze Haare, sehen wenig nach Stadt aus, eher nach Provinz. Ich sage, was ist los, die: Da brauch man n Code. Ich drehe um, gehe zu der Frau. Können Sie mir die Tür aufmachen. Sie guckt genervt, wieso, hätte ich einen Cheeseburger kaufen müssen, aber sie hat doch ihren Teller für danach, egal, sie kommt, tippt den Code. Ein bisschen so, von der Körperhaltung her, dass die Mädchen es nicht sehen. Ich geh rein, die Mädchen schnell hinterher. Sie gehen in die Kabine direkt neben mir (warum ausgerechnet, denke ich hinterher, die waren doch alle frei, aber so sicher haben sie sich gefühlt). Ich mach die Hose auf, da geht nebenan die Unterhaltung los. Du zuerst diesmal. Man, mach – nee, nich so. oaah, du Memme, nein, tiefer, jetzt. Merkst du was. Uuuhf. – Mir wird klar, die setzen sich da drüben einen Schuss! Ja, sag mal, denk ich, gehts noch? Die sind vierzehn! haben die zu viel Wir Kinder vom Bahnhof Zoo gelesen? Oder zu wenig? Was soll das? Zwei pummelige Klebe-Freundinnen aus der Kleinstadt, die aussehen als könnten sie auch mit der AWO-Freizeit hier sein, spielen hier ganz harte Drogen mit sich selber in den Arm stechen und allem drum und dran? Soll ich was sagen?
Inzwischen haben auch andere Leute den Code geknackt, ich verlasse die Kabine, wasch mir die Hände und gehe. Ich verstehe jetzt, was der Frau an den Mädchen nicht recht war. Sicher kennt sie sie oder hat einen professionellen Blick dafür.
Warum hab ich nichts gesagt? Wa-rum hab ich nichts gesagt? Hätte ich nicht was sagen müssen? Hätte ichs ihnen nicht ein bisschen schwer machen müssen, wenigstens: Ey, könnt ihr das woanders machen oder besser gar nicht, wie alt seid ihr, geht mal heim und lasst den Scheiß. Das ist nicht cool, was ihr hier macht. Hätte ich nicht gegen die Tür wummern müssen und sagen: ich hol die Frau, damit sie euch raus schmeißt, oder die Polizei, wenn ihr nicht aufhört? Was würden ihre Mamas sagen oder ihre Papas, wenn sie wüssten, dass ich nichts gesagt habe. Würde ich mir das nicht wünschen, wenn ich so eine Tochter hätte, dass irgendjemand, bitte, einfach nur irgendjemand wenigstens mal was sagt? Würd ich nicht weinen, angesichts der Tatsache, dass keiner was sagt?
Wie oft. Laufe ich an sowas vorbei, tagtäglich, ohne mich das auch nur ansatzweise zu fragen, und jetzt plötzlich fällts mir auf, nur weils junge Mädchen sind, die nich so aussehen. Bei denen die eh schon so aussehen ists okay?
Is doch scheiße alles.
Mai 2017 – Realpolitik
Bei einer Veranstaltung der Linken wird mir endlich mal wieder klar, wie Politik funktioniert, was genau ihre Aufgabe ist. Das hatte ich total vergessen, weil ich mich so lange nicht damit beschäftigt habe, aber jetzt sitze ich hier, bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Smart City und es fällt mir wieder ein, auf. Die Aufgabe der Politik ist es, real zu sein. Das heißt, dafür zu sorgen, dass sich nichts ändert, solange es irgendwie einigermaßen unauffällig läuft. Es ist nicht die Aufgabe der Politik, Konzepte und Ideen zu haben oder wenigstens aufzugreifen, die sich für das Große und Ganze oder das Kleine und Unscheinbare oder das Neue und Perspektivische interessieren , es ist ihre Aufgabe, solche Ideen und Konzepte aktiv zu verhindern und denen, die die Ideen haben, zu erklären, dass das was sie sich da vorstellen, total interessant ist, und auch genau das, wofür die Partei steht, aber leider nicht geht. Einfach nicht geht, nicht zu machen ist. Oder wie wollen Sie das finanzieren? Oder wie wollen Sie dafür eine Mehrheit kriegen? (Helmut Schmidt: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.) Die Aufgabe der Politik ist die Politik. Lasst alle Hoffnung fahren, Leute, solltet ihr sie je gehabt haben. Die haben einen geregelten Job, und den wollen sie so lange behalten wie geht. Dieser Job unterscheidet sich nicht vom Job eines Sachbearbeiters beim Ordnungsamt. Politik erhebt Gebühren. Auch mal gegen die Interessen der Wirtschaft! Politiker sind nur kleine Rädchen im großen Ideenverhinderungsgetriebe Politik, und die schlimmsten sind die, die einem das auch noch mit traurigem Hundeblick mitteilen. „Der Gestaltungsspielraum ist da doch eher klein“. „Wenn wir mehr Stimmen hätten vielleicht“. Ansonsten bringen sie ihre Kinder in die Kita. In die Politik geht man wegen der Vita, der Festanstellung, der Karriere oder der Rente, nicht weil man was bewegen will. Wer was bewegen will oder was interessant findet oder eine gute Idee hat, der wendet sich schnell und mit Grauen ab von der Politik. Aber weil Politiker wie Redakteure sind, müssen die, die was bewegen wollen, dann wieder bei den Politikern vorkriechen.
Dabei: Smart City, mann, ich meine das ist doch ein Thema! Diese Stadt hat doch genug Probleme, Verkehr! Wohnen! Aber die Politik sagt ja nicht: Keine Autos innerhalb des S-Bahn-Rings in den nächsten fünf Jahren. Oder: Elektro-Roller? Super Idee, schaffen wir als Kommune an – in Kooperation mit der Wirtschaft von mir aus. Oder: Liebe Architektinnen dieser Stadt, hier ist Geld, baut interessante, leistbare Wohnungen, wir wissen, ihr brennt darauf. Oder: Ökologische Dämmung und sanierte Bäder für alle Mieter, und zwar ohne dass die wegen etwas so Sinnvollem auf die Barrikaden gehen müssen, weil es am Ende nur bedeutet, dass sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Nein, die Politik sagt: Ach, all diese verrückten, kreativen Ideen, das ist ja so Berlin! Und dann geht sie in die Kantine und hält den Stimmzettel hoch, wenn es wieder heißt: ja zur A100, damit man wenigstens regierungsbeteiligt wird. Oder verkauft die GSW.
Im Publikum übrigens: 33 Anwesende, davon 7 Frauen. Ein Mann redet über das Problem der Terminvergabe beim Bürgeramt (tatsächlich eine typische Berliner Sauerei, nicht mal die Politik kriegt sie hin, die Politik), einer über die stiefmütterliche Behandlung der Fragen der Landwirtschaft und die Problematik der Generation Smartphone (Zombies, die sich nichts mehr zu sagen haben), eine Frau von der Gewerkschaft verteidigt VW und hasst Google (??), ein paar von den Jungen, Antifa-mäßigen OSI-Studenten, die Die Linke ja auch im Repertoire ihrer Wähler hat, versuchen’s hoffnungsvoll mit dem eigentlichen Thema, sind aber schnell frustriert, weil es kein Echo gibt.
Mein Fazit: Never again! Und ob ich nochmal wählen gehe…
Mai 2017 – Hate Crime
Ich fahre mit der Tram die Greifswalderstraße entlang. Auf der rechten Straßenseite sehe ich ein Auto, einen kleinen, dunkelblauen Golf, er steht gegen die Fahrtrichtung seltsam schräg zwischen den parkenden Autos, halb auf dem Gehweg. Jemand hat ihn übel zugerichtet. Eine Scheibe ist eingeschlagen, das vordere Rad ist abgeschraubt, er hat überall tiefe Dellen, als hätte ihn jemand mit dem Baseballschläger bearbeitet. In breiter rosa Schrift hat jemand aufs Autodach, auf die Rückfront und auf die Seite das Wort HURE gesprüht. Es sieht aus wie bei einem Filmdreh, ist aber kein Film. Ist echt. Es ist nur ein Augen-Blick aus der Tram heraus, aber es reicht, um wahrzunehmen, wie gewalttätig, brutal, verächtlich und frauenfeindlich das ist.
Den ganzen Tag beschäftigt mich die Frage, warum jemand für so etwas rosa Schrift benutzt.
Mai 2017 – Schmerzen 2 – Haltungsfrage
„Ich glaube, ich werde die Schmerzen nie mehr los“, sage ich.
„So würde ich da nicht rangehen“, sagt meine THERAPEUTIN. „Da schließen Sie ja schon von vorneherein aus, dass sie nochmal schmerzfrei werden.“
„Sag doch besser: Ich werde immer Schmerzen haben“, sagt meine PHYSIOTHERAPEUTIN, „das ist gleich was anderes.“
Mai 2017 – Schmerzen 1 – Aussichten
Heute kein guter Tag.
Ich träne heimlich beim Sport. Jede Bewegung ist mühsam, ich bin verkrampft, hab Angst, dass wieder irgendwas kracht. Ich glaube nicht, dass ich jemals ohne Schmerzen sein werde. Ich glaube, dass die Schmerzen einfach immer nur schlimmer werden, dass sie mehr werden, sich auf andere Orte, Elemente, Bereiche ausweiten, sich festfressen werden. Man kann sie ignorieren oder was gegen sie tun, oder was für sie, aber los wird man sie nicht mehr. Das sind die Aussichten.
Und das obwohl die Sonne scheint.
Mai 2017 – Bella Matrix
Ich bestelle Blumen bei einer Floristik-Kette, für eine Hochzeit. Die Verkäuferin, Anfang vierzig, ist sehr nett, gibt sich Mühe, hängt sich richtig rein. Ihre Zähne sind ein bisschen schlecht, sie hat oben so einen Zahnersatz mit Bügel, der nicht richtig sitzt. Deshalb muss sie immer die viele Spucke wegschlucken, die sich bildet. Ich mag sie. Bestimmt hat sie einen Mann und zwei Kinder und eine Mutter, die nicht immer nett zu ihr ist. Früher war sie mal mit einem anderen verheiratet, der hat getrunken und sie gehauen. Aber sie ist fröhlich, weil sie gerne was organisiert, und ich höre, wie sie einer Freundin am Telefon erzählt, dass da heute eine nette Frau (ich, ich bin das) im Laden war, die was für eine Hochzeit bestellt hat: Kleine rosa Rosen wollte die haben, 100 Stück. Ich hab ihr welche empfohlen, sagt sie zur Freundin, stolz: „Ein Arm voll Bella“. So heißen die, helles Rosa, geöffnet, eher kurz. Sie sagt, dass ihr Job ihr Spaß macht, vor allem, wenn sowas ist. Dann macht es ihr auch nichts, dass sie den ganzen Tag bei künstlichem Licht im Untergeschoss einer Shopping Mall im Schichtdienst arbeitet und sehr wenig Geld verdient.
„Ich muss mal in der Matrix gucken“, sagt sie, „ob wir die haben“. Dafür liebe ich sie. Dass sie Blumen in der Matrix hat. Dass die da drin sind, die Blumen. Sie mag das auch, sie sagt es oft und gerne, während sie im Einfinger-System in die uralt Tastatur tippt. „Wenn die diesen Freitag in der Matrix sind, dann kann ich sie bestellen. Für nächsten Mittwoch. Aber manchmal sind die dann plötzlich nicht in der Matrix, es kommt eben immer drauf an – dann sind andere in der Matrix, aber genau die eben nicht. Darauf hat man keinen Einfluss. Aber eigentlich sollten sie drin sein. Vielleicht rufen sie am Freitag an, oder gegen mir ihre Nummer? Dann kann ich am Freitag gucken, ob wir sie in der Matrix haben und sie bestellen.“ Ich zögere kurz, beschließe dann aber aufs Ganze zu gehen und bis Freitag zu warten. Am Freitag ruf ich an und sie sind nicht in der Matrix. Obwohl sie die ganzen letzten Wochen jeden Tag in der Matrix waren, sind sie nun ausgerechnet heute nicht drin. Wir sind traurig. Aber es gibt noch eine Möglichkeit, nämlich, dass sie am Dienstag wieder drin sind. Dann könnte sie sie aus der Matrix raus bestellen und sie wären am Mittwoch da. Das ist zwar High Risk, rein zeitlich, aber ich rufe am Dienstag wieder an. Sie sind zwar nicht in der Matrix, aber sie hat die Frau erreicht, und direkt bei ihr bestellt. 100 Stück, ein Arm voll Bella. Wir sind glücklich.
April 2017 – worship the dick
In „Transparent“ haben Sarah, die älteste Schwester der Pfefferman-Kinder, und ihr Ex-Ehemann Len beschlossen, wieder zusammen zu leben und gemeinsam ihre Kinder zu erziehen. Sie verstehen sich noch gut, haben aber nichts mehr miteinander. Neben jemandem wie Sarah, die wie alle Pfeffermans ruhe- und und skrupellos auf der Suche nach sich selbst ist, einer Suche, die in Transparent immer und vor allem eine nach der „richtigen“, befriedigenden Sexualität bzw. sexuellen Identität ist, kann ein netter Mann wie Len schon mal auf der Strecke bleiben.
Len hat seit einiger Zeit eine Beziehung mit einer jüngeren Frau, die im Fitness-Studio Spinning-Kurse gibt. In einer Szene bläst sie ihm einen. Er liegt auf dem Sofa, so halbwegs auf dem Rücken, sieht ihr zu, wie sie seinen Schwanz im Mund hat. Ja, sagt er, worship the dick.
Das ist ein toller Moment. Sein ganzer Frust, seine ganze Sehnsucht stecken da drin, und die ganze Tragik des modernen, heterosexuellen Mannes, der damit leben muss, dass den dick worshippen eine Spielart des Sexuellen neben vielen anderen geworden ist, beziehungsweise nur noch als solche funktioniert. Da kann die Beziehung zu einer netten, jungen, hard-body Spinning instructor was ausgleichen, ein Balsam für die geschundene Seele dieses liebenswerten Mannes sein, der seine komplizierte Frau noch immer liebt, die er mit dem dick, den er zu bieten, oder den Gefühlen, die er für sie hat, einfach nicht befriedigen kann. Sie ist längst: on a cruise. Den dick worshippen bedeutet nicht mehr, dass Männlichkeit klar ist, eindeutig oder gar Sinn stiftend und Welt bestimmend. Aber für einen Moment ist es eine Erlösung, eine Herrlichkeit.
April 2017 – Samstag
Folgender handschriftlicher Eintrag in meinem Kalender:
T.: einkaufen Karstadt. Gestritten, geweint. (Sex) Kuchen
Ja, ja, denke ich, so ist das Leben.
April 2017 – PMS
PMS ist das Schlimmste. Man befindet sich in einem hormonüberfluteten Körper, dessen Stimmungen man ausgeliefert ist und man kann froh sein, wenn einem noch rechtzeitig einfällt, dass man bald seine Tage bekommt, sonst wäre man kurz davor, sich einliefern zu lassen. Eine Heulerei, nur weil im Fernsehen jemand die Tür aufmacht und den lange verlorenen Sohn in den Arm nimmt. Auf nichts spricht man in dieser Zeit so sehr an, wie auf auf Rührung gebaute Momente. Und dann diese Gereiztheit. Jemand der sich vordrängelt, jemand, der kein Gefühl für sozialen Abstand hat, jemand, der stinkt, der laut ist, der nur über sich redet. Jemand, der dir dumm kommt, ein Gesicht zieht, obwohl du freundlich zu ihm bist. So jemand – lebt gefährlich. Zumindest im Nachhinein. PMS ist die Zeit der wütenden Selbstgespräche, der funkensprühenden inneren Dialoge mit soeben getroffenen unbekannten Sozialverbrechern. Da wird sich überhitzt aufgeregt bis die Nervennadel 280 zeigt, nur um im nächsten Moment wieder im See des Weltschmerz unterzugehen. PMS gibt es. PMS ist scheiße. Man kann froh sein, wenn einem noch früh genug einfällt, dass es am PMS liegt, wenn man jemanden angefahren oder umgebracht, jemand auf offener Straße angespuckt oder ein Bein gestellt hat. Nein, Herr Richter, ich wollte es nicht. Ich hatte PMS. Achso, Freispruch. Warum haben sie das nicht gleich gesagt. Freispruch und lassen Sie mich das ganz persönlich sagen: Mein Beileid.
PMS, prämenstruelles Syndrom ist übrigens nicht zu verwechseln mit PMS, postmenstruellem Syndrom. Da hat man die gleichen Symptome, aber es ist normal.