Juli 2020 – mit Analyse

Zu: Ohne Analyse

Nr. 1: Ich staune selbst, aber ich laufe beschwingt die Rolltreppen hinunter, weg von dort, über den Platz und weiter ins Büro. Es ist doch so. Ich hab mich krass was getraut.

Nr. 2: Ich hab zum ersten Mal nicht nur im Kopf gedacht, sondern glasklar erlebt, wie‘s laufen wird, in nächster Zeit. Das war der Auftakt zu einer langen Reihe von Körben, die ich kassieren werde wie unkriegbare Bälle beim Squash, die einem die Zähne ausschlagen.

Nr. 3: Niemand, der gleichaltrig oder jünger ist, begehrt ernsthaft eine Frau in meinem Alter. Das hat nicht einfach was mit Sexismus zu tun, das ist der Lauf der darwinschen Welthormone, die brutalste Angelegenheit von allen, ich nenne das Bio-Sexismus. Jungs kriegen einfach keinen oder nur mit Überbrückungsmethoden mehr hoch, wenn Frauen die 36 überschritten haben und das ist schon richtig hoch gegriffen. Außer die Frauen sind Heidi Klum oder Demi Moore oder sowas. Ich war noch nie hübsch, jetzt bin ich auch noch alt, und das Scham-Level wird jeden Tag höher und belastender. Es wird viele Anläufe und Überredungskünste brauchen, jemanden, den ich mag, davon zu überzeugen, dass man mich mögen kann.

Nr. 4a: Ich weiß, ich sollte etwas anderes sagen. Ich sollte etwas anderes denken. Schon aus feministischen Gründen. Ich sollte denken, Frauen im mittleren Lebensalter sind toll und sexy und überhaupt nicht alt und können jederzeit einen Mann abkriegen, der sie nicht nur respektiert und wertschätzt, sondern auch vögeln will. Tu ich aber nicht.

Nr. 4b: Anscheinend finde ich mich trotz aller von mir selbst überlaut wahrgenommenen Neurosen und Hässlichkeiten im Großen und Ganzen nett und interessant. Wie sonst ist es zu erklären, dass ich so oft erstaunt oder irritiert davon bin, dass es vielen Leuten anders geht. Ich muss mal meine Selbst- und Fremdwahrnehmung auf einen gemeinsamen Nenner bringen.

Nr. 5: Die Welt des Kennenlernens findet nicht analog statt. Wer‘s analog probiert, kommt rüber wie jemand, der eine Motz verkaufen will oder einfach den Schuss nicht gehört hat. Wenn du jemanden abchecken willst, dann geh gefälligst dahin, wo es sich gehört: Ins Internet! Außer im Club, das ist ne Ausnahme, da ist es dann aber auch gleich voll Sex konnotiert, mit Kaffee trinken und irgendwann mal vorsichtig Händchen halten, hält sich da keiner auf.

Nr. 6: Als ich ihm da so frontal ins Gesicht schaue und er krass das Gesicht verzieht und sagt, was er sagt, denke ich: Was für ein Depp. Als mir das vor Monaten mal anders herum passiert ist und mich jemand angesprochen hat (ich hab‘s hier irgendwo notiert), war ich nett zu dem und habe versucht zu signalisieren, dass ich weiß, wie viel Überwindung das kostet und dass ich mich geschmeichelt fühle, auch wenn ich kein Interesse habe.

Nr. 7: Ich finde, es ist nicht leicht, heute ein netter Mann zu sein. Wie soll mans anstellen, mit dem Ansprechen, wenn man unter allen Umständen vermeiden will, den Eindruck eines weiteren predators zu machen, der jede Sekunde sein dick pic rausziehen, sie heimlich auf dem Klo ausspionieren oder ihr mal schnell unter den Rock fotografieren könnte. Deswegen finde ich es sehr nett und genderpolitisch korrekt von mir, dass ich diese Bürde des Ansprechens übernommen habe, und wenn er einigermaßen klug wäre, hätte er das kapieren und mir einen netten Korb geben müssen.

Nr. 8: Ich dachte, er hat mich angeguckt. Ich dachte, er mag mich. War aber alles ganz anders. Einmal mehr bleibt vor allem eins: Irritation darüber, dass ich nicht weiß, wie die Welt funktioniert. Dass ich Menschen und Situationen falsch einschätze.

Nr 9: Ich weiß nicht, ob sich das lohnt. Ich hab vergessen, wofür ich das machen soll. Ich kenne das Bedürfnis, jemanden bei mir und um mich haben zu wollen, jemanden, der ein Ort ist, ein Bezugspunkt, das kenne ich sehr. Aber den Weg dahin, das Spiel, das nötig ist, das macht mir keinen Spaß. Warum also soll ich es spielen. Es fühlt sich nicht an wie ein Spiel, es ist beschissener Ernst, es ist Arbeit, es ist noch was auf der Liste, noch ein Marathon, den man beharrlich und geduldig und mit viel Überwindung gegen Ängste und mit viel Kampfeswillen und Bereitschaft zum Einstecken laufen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis des Spiels ist, dass jemand bleibt, tendiert gegen Null. Aber als ich mir ausgedacht habe, dass der Typ mich mag und ich ihn, und ich ganz aufgeregt wurde, da hab ich T. vergessen. So sehr wie lange nicht.