Juli 2020 – ohne Analyse

Ich sitze in einem Café-Restaurant, das ich wegen seines Trash-Faktors und seines Standorts hoch über der Stadt, gerne mag. Draußen regnet es. Ich tippe ziemlich vertieft irgendwelche Mails und als ich kurz aufsehe, schaut mir ein Typ, der sich an den Nebentisch gesetzt hat, direkt in die Augen. Ich kriege einen Riesenschreck und gucke schnell weg: Shit. Er gefällt mir.

Er wendet sich wieder seinem Kaffee, seinem Handy und seiner Zeitung zu, ich tippe harmlos vor mich hin, schreibe lubdibubarbrueid dihäät und mustere ihn heimlich. Ich bin total aufgeregt, alles pumpt. Kann aber auch sein, dass das vom Filterkaffee kommt, der durch meine Adern fließt.

Er sitzt so in meiner Blickachse, dass ich ihn von der Seite sehen kann. Ich überprüfe in den nächsten 3, 5, 10 Minuten immer wieder, ob er mir wirklich gefällt oder ob es ein Irrtum war. Er dürfte ungefähr mein Alter sein, bisschen jünger vielleicht, der blaue Pulli steht ihm gut, ich mag seine Haare, ich guck mir seine Schuhe an, die Jeans, die er trägt, er macht was, was ich auch gerne mache, hier, in diesem Café sitzen, Kaffee trinken, Zeitung lesen und warten, bis der Regen vorbei ist.

Ich kritzele meine für solche Zwecke von langer Hand vorbereitete und noch nie eingesetzte Mailadresse auf eine Serviette und spiele durch, was ich sagen könnte. Im Kopfkino erzähle ich mir die Geschichte schon mal aus der goldenen Hochzeits-Retrospektive: Und dann hab ich ihm meine Mailadresse auf die Serviette gekritzelt und ihn angequatscht und dann hat er mir geschrieben und wir haben uns für unseren ersten gemeinsamen Kaffee verabredet, natürlich da, wo alles begann, ist ja klar. Könnte funktionieren, das Storytelling ist ja immer wichtig.

Die von langer Hand vorbereitete Serviette finde ich plötzlich blöd. Er rührt sich irgendwie, packt die Zeitung weg, nicht, dass er mir jetzt einfach abhaut. Nein, er scrollt auf dem Handy herum. Der Regen regnet immer noch. Der wäre vielleicht noch ein Aufhänger. Oder die Zeitung, tschuldige, brauchst du die noch. Ich zerknülle die Serviette und werfe sie in meine Tasche, stecke stattdessen einen Stift griffbereit in die Jackentasche, falls ich meine Adresse aufschreiben darf, und die Kaffeequittung, falls er nichts zum Draufschreiben hat. Mit der kann er sich noch einen Refill holen, vielleicht könnte ich daraus einen Witz machen, haha, besser nicht, keine Witze. Ich stehe auf, räume laaangsam meine Sachen zusammen, kontradiktisch zum Pochen.

Plötzlich stehe ich vor seinem Tisch und sage: Hi, ähm, entschuldige, dass ich dich so anspreche, aber ich dachte, ich frag dich einfach mal, ob du vielleicht Lust hast, irgendwann mal einen Kaffee mit mir zu trinken.

Alles rauscht. Er guckt mich an, braucht einen kurzen Moment um die Gesamtsituation zu prozessieren. Dann verzieht er in einer Mischung aus Befremden und Abscheu das Gesicht und sagt:

Ich glaube nicht.