Juni 2016 – Coaching

Ich habe einen Termin bei einer Coaching-Agentur.

(Die Arbeitsvermittlerin im Jobcenter, (ja, back to Hartz), hat mir einen Gutschein für ein Coaching gegeben. Es muss eine anerkannte Einrichtung sein, schwups, wird’s bezahlt. Ich muss das nicht machen, ist freiwillig.)

Außentemperatur heute: 33 Grad. Hier drinne: 36 Grad. Um den Tisch sitzen außer mir noch zwei andere versprengte Scheiter-Gestalten (neun sollten es insgesamt sein, ein paar Hitzetote sind offenbar zu verzeichnen). Der Mann, der heute die Offene Sprechstunde abhält, also eine Infoveranstaltung über die  Agentur und was sie so machen und wie das so läuft ist ein Mann, 60plus, mit blauer Brille und nuscheligem Grundton. Seine Performance ist nervig schlecht, alles was er sagt, wissen wir schon von der Website.

Eine Frau, groß, schlank, blond, weißer breitkrempiger Hut (!), rotes Kleid (!), hohe helle Tango-Schuhe, setzt sich 15 Minuten zu spät und äußerst schlecht gelaunt mit an den Tisch, und spricht, als Garnitur zu ihrem Auftritt, mit osteuropäischem Akzent.

Der Coach erzählt in langweiligem Tonfall von Alfred Adler, blauen und roten Typen (wenn sie rot sind, dann können sie gut verkaufen) und dem energokybernetischen Konzept, das sie in ihrer auf Medienschaffende spezialisierten Agentur anwenden. Auf seine Frage am Ende seines Referats zum Absatz Inhaltliches, ob es dazu noch Fragen gäbe, bevor er dann in die organisatorischen Details gehe, sagt die Frau: Ich bin nur interessiert an Einzelcoaching. Er wiederholt, dass er erstmal wissen will, ob das alles verstanden worden sei, dann käme er wie gesagt zu den Konditionen. Sie: Ja, weil ich dachte, das wäre hier ein Einzelcoaching, an Gruppe bin ich nicht interessiert. Die Gruppe guckt pikiert. Baby, wir sind hier alle wegen Einzelcoaching, aber das ist ne Info-Veranstaltung, kein Grund die Gruppe zu haten.

Er erklärt ihr die Situation – wie ich sprachliche Missverständnisse vermutend – dass es sich heute um eine Info-Veranstaltung handelt, deshalb Gruppe. Die Coachings: Selbstverständlich Einzelcoachings.

Dann holt er wieder aus, faselt weiter von den tollen Coaches, die sie haben, die dann flexibel auf die Leute, je nach Bedarf, losgelassen werden. Sie unterbricht, sagt etwas, was keiner versteht, muss dreimal wiederholen, ich verstehe Vorsingen, versuche ihr beizuspringen: Sie meinen, ob hier auch aufs Vorsingen vorbereitet wird? Nein, sagt sie zu mir mit einem kleinen, spitzen, verächtlichen Schnauben: Vorbereitet bin ich. Sie häuft weiter rudimentäre Sätze auf,  bis wir alle mit einem erleichterten AAAh! schnallen, dass sie Termine zum Vorsingen vermittelt bekommen möchte. Sie fügt hinzu, dass es in Berlin skandalös ist, weil die Termine bei Theatern und Opern nicht online stehen und man nicht weiß, wann man vorsingen kann.

Nein, erklärt der Langweiler ausschweifend, Vorsingen vermitteln sie nicht, aber sie helfen ihr, jemanden zu finden, der das tut. Er preist seine Coaches an, die alle aus der Medienbranche kommen: Musikproduzentin, Filmemacherin, alle mit Alfred-Adler- und Individualpsychologie-Ausbildungen, eine Diplom-Psychologin gar, langjährige Erfahrung, Kontakte, vielleicht ein Showreel für sie….bla.

Ich erinnere mich an eine Freundin, die Berlin mal als Hauptstadt des Coachings bezeichnet hat, hier coachen die Coaches die Coaches. Mein Eindruck: Das Jobcenter hat jahrelang Geld für die Coaching-Ausbildungen dieser Leute ausgegeben (nämlich u.a. der ewig prekären Medienschaffenden, die hier gerade um den Tisch rumsitzen, und jetzt muss es aktiv beweisen, dass Coachings ein sehr wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Arbeitssuche sind, und sich die Investition gelohnt hat, und viel weniger Leute als früher Coaching-Ausbildungen machen müssen. Deshalb hauen sie gerade Coaching-Gutscheine raus wie warme Semmeln.

Und deshalb sitze ich jetzt hier mit dieser bis an die Haarkante frustrierten Hartz-Lady, die nicht fassen kann, was für eine narzisstische Kränkung ihr in diesem Leben zuteil wird, wo sie doch so ein schönes und talentiertes Mädchen ist und die Welt und das Universum das nicht sehen und finanziell anerkennen wollen. Ey, frag mich mal! Frag mal alle, die hier am Tisch sitzen, den stoischen Typen hier neben mir, mit den Tattoos, vielleicht Cutter oder Kameramann oder die kleine freakige Spanierin da drüben, die so grantig guckt, wegen dem was man ihr hier abverlangt, hallo? Meinst du, du bist die einzige frustrierte Zicke auf der Welt? Musst du deshalb den Betrieb aufhalten und alle, aber wirklich alle über die Maßen an deinem Frust teilhaben lassen, die Situation so wenden, dass es nur um dich, wie immer endlich mal nur um dich geht? Es ist gleich elf, ich hab auch noch was anderes vor heute.

Der Coach erklärt, dass es einen weiteren Termin geben wird, an dem die Interessierten versammelt werden und dann erzählen, was sie brauchen und was sie machen und dann wird ein Coach ausgesucht. Und das ist dann der erste Termin des Coachings. Aha. Mhm. Also noch ein Gruppensammeltermin an dem alle außerdem auch noch ihre private Geschichte auspacken müssen? (er: Das hat sich sehr bewährt. Aha.). Ich beschließe spätestens jetzt, mich noch woanders umzuschauen, an Angeboten mangelts ja nicht gerade, siehe oben.

Jetzt wird die Spanierin rabiat (wenigstens die müsste die  Hitze doch gewohnt sein). Wie können Sie denn nach zwei Sätzen über mich darüber urteilen, was ich brauche (wir alle haben einen Zettel ausgefüllt, mit Beruf, Ausbildung, und unseren Wünschen an ein Coaching). Ihre Frage ist berechtigt, auch wenn sie wiederum auf einem wahrscheinlich sprachlich induzierten Missverständnis beruht, sie hat nämlich nicht verstanden, dass die Coaches erst nach dem Kennenlern-Gruppentermin verteilt werden. Aber muss sie sie so aufs Äußerste empört und keifig stellen, dass allen anderen die Stimmung und der Tag auf jeden Fall auch versaut wird? Leute, was ist denn los mit euch? Das Arbeitsamt bietet euch ne Möglichkeit, die ihr ergreifen könnt oder auch nicht. Freiwillig, keine Sanktionen. Ist das das Schlimmste auf der Welt, passieren in anderen Ländern auch solche himmelschreienden humanen Katatstrophen?

Da sitzen sie und fühlen sich gegängelt und getriezt, vom Jobcenter, schlecht behandelt, und von unwürdiger Serviceleistung angegriffen und ich denke, bin ich jetzt ein rechtskonservatives Arschloch, dass ich finde, man kann das hier mit Anstand über die Bühne bringen und ohne die eigene Scheiße (und ich weiß, dass es scheiße ist, believe me, guys), flächendeckend auf alle Anwesenden auszubreiten?

Nachdem auch dieses Spanierinnen-Missverständnis lang, breit und erfolglos vom Coaching weggenuschelt wurde, erklärt er, das Coaching geht über 40 Unterrichtseinheiten. Uff, das ist echt ein Haufen Zeug. Wer braucht sowas, um am Ende zu wissen, dass er nicht der rote Typ ist?

Die Polin (Tschechin, Russin, Slowakin) fragt daraufhin, schlau, provokativ und stolz darauf, wie viel Geld er eigentlich für uns bekommt. Okay. Ein bisschen Respekt zolle ich ihr dafür, das ist ne Forderung nach Transparenz, die ich gut finde, aber schon wieder diese unendliche Verachtung für Mensch und Tier in Blick und Stimme?

34 Euro die Stunde, sagt der Coach, offen und prompt. Und fügt hinzu, das ist nicht viel, bedenkt man die langen Ausbildungen und vielfachen Kompetenzen der Mitarbeiter.

Die Polin schnaubt schon wieder. Eine Gesangslehrerin (und schon sind wir wieder bei ihr) verdient 12 Euro die Stunde, eine Putzfrau 10 Euro, da findet sie es schon komisch, dass er 34 Euro wenig findet. Er: Eine unserer Coaches ist Diplom Psychologin, das werden sie doch nicht mit einer Putzfrau vergleichen wollen!, andere Coaches verlangen viel mehr, seit Jahren Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt, immer gutes Feedback, usw. blabla. Die Polin setzt nochmal an – mir reicht‘s jetzt, es ist viertel nach elf. Ich rede laut und deutlich über ihren ego-narzistischen Sermon und zusätzlich noch über den dünkelhaften, vom Arbeitsamt geförderten Coach drüber: Niemand hat gesagt, dass es auf der Welt gerecht zugeht, man muss das doch innerhalb eines Marktes sehen, 34 Euro für Coaching finde ich nicht viel, bedenkt man, dass Coaches in großen Firmen sicher sehr viel mehr verlangen, außerdem worüber reden wir hier, sie muss es ja nicht aus eigener Tasche bezahlen, oder?

Hab ich gerade den Coach verteidigt – er versucht es so aussehen zu lassen, indem er sich bedankt. Dass er genauso ein Depp ist, die Putzfrau zu beleidigen, die im Übrigen heute auch lange Ausbildungswege hinter sich hat, und in der Ukraine Hirnchirurgin war (zu der könnten sie allesamt mal gehen und sich operieren lassen), und ein Studium heute sicher keine Garantie mehr für einen Job oder ein anständiges Einkommen ist, oder dass es sowieso schon immer zynisch und menschenverachtend war und ist, dass irgendjemandes Lebens/arbeitszeit mehr Wert ist als die von anderen, dazu komme ich nicht mehr. Die Veranstaltung löst sich nach meiner Intervention schnell auf. Wir vier Teilnehmer fahren schweigend im Fahrstuhl nach unten.

Der einzige, der die ganze Zeit kein Wort gesagt hat, ist der Typ mit den Tattoos. Er hat uns Zicken machen lassen.