Juni 2014 – Hochzeit 2

Der freund einer freundin von L. flippt aus, als ich ihm sage, dass ich 8 Jahre älter bin als L. ich weiß nie, wie ich mit dieser reaktion umgehen soll, die es leider sehr häufig gibt, weswegen ich angefangen habe, meine altersangabe der situation und den wahrscheinlichen Vorannahmen anzupassen. Diese art von reaktion ist mir nämlich zutiefst unangenehm, ich scheine nicht im geringsten die erwartungen zu erfüllen, die man an eine Person meines alters hat und deshalb spreche ich nicht gerne daüber.

L. motzt über die Unterbringung. Wie immer hat ihre Schwester, die es chronisch besser erwischt besser erwischt – dabei ist sie doch die Patentante und sofort und als erste bereit gewesen, die Reise nach K. auf sich zu nehmen, während die Schwester bis kurz vor knapp nicht wollte. Ich kann das verstehen. Trotzdem strengt sie mich an. Sie ist die klassische Pauschalurlauberin. Wie viel und was kriegt man fürs Geld, Portionsgrößen, Sauberkeit, Freundlichkeit, wird alles bemerkt, jeder Deutsche ein ltur. Trotzdem haben wir es nett miteinander. ich mag sie, ihr Weg ist und war der längste. Die anderen kapieren das nicht. Am Abend darauf gehen wir beide ganz allein noch einen trinken.

M. tanzt. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals in meinem Leben tanzen gesehen zu haben. Der verschüttete Mensch in ihr kommt zum Vorschein. Und doch scheinen mir ihre Bewegungen, ihre Ausdauer schon geprägt zu sein von der Krankheit. Ich nehme sie mit auf mein Hotelzimmer als sie mal auf Toilette muss. Ich fotografiere sie. Ihr Kleid wirkt absurd mädchenhaft und ich ärgere mich über die Schneiderin. Sie kämmt sich die Haare. Sie plappert. ich mag sie, ohne sie zu verstehen, jemals verstanden zu haben. Wie immer tut sie mir leid, weil sie eine Tochter hat wie mich.

Als mein Bruder mit I. tanzt, kommen mir doch noch die Tränen.
Ich finde, sie schlagen sich hervorragend. Was für ein Stresstag! Sie sind ein gutes Team. Ich freue mich auf die Kinder.
Es regnet kein einziges Mal obwohl es die ganze Zeit so aussieht. Alles läuft nach Protokoll. Das ist lang und durchgetaktet. Zwei Standesbeamten müssen sich versichern, dass beide Parteien verstehen, auch das Kleingedruckte. Sie müssen versichern, dass sie sich gegenseitig über ihren Gesundheitszustand aufgeklärt haben. Die Übersetzerin weint mit vor Rührung.

Der Fotograf ist ein harter, abgebrühter Typ, er manipuliert das Lachen der Menschen wie ein Marionettenspieler. Später erfahre ich, dass er das schon seit 20 jahren macht.
Der Videomann erklärt uns morgens wie wir L. ankleiden sollen, das macht man so in der Slowakei. Es macht Spaß, auch wenn mir M. ein bisschen leid tut.
Als sie B. für ein Foto küssen soll sieht sie aus wie ein Kind das zum ersten Mal in ihrem Leben und noch dazu einen fremden Onkel auf den Mund küssen soll.

Der Garten ist wunderschön, ich bin auf einer amerikanischen Hochzeit mit weißen Tuchgirlanden und Blumen und einem Zwischengang durch den die beiden schreiten. Ich freue mich den ganzen Tag über das schöne Fest.
Wir Germans tanzen alle und die Slowaken trinken viel weniger als angenommen. Das dient dem Abbau von Vorurteilen. Alleine tanzen darf man übrigens nicht. Man fasst sich an den Händen, das geht dann links rechts, viel GEhüpfe, auch mal große Runden, Kreise, Polonaisen.

Irgendeine dicke Cousine der Braut kommt zu mir, als ich alleine tanze, später, zu Daft Punks Discohit des letzten Sommers. Ooouuuhh, macht sie, I cant see you dancing alone, und drückt mir ein Gespräch rein, dass mich an diese proll-britischen Hochzeitssendungen auf sixx erinnert. Ob ich neidisch bin, auf meinen Bruder, weil er jetzt (vor mir) verheiratet ist. Ob ich nachher auch den Brautstrauß fangen gehe. Nein. sage ich. (Dieses Ritual entpuppt sich später übrigens als abgekartetes Spiel, die hübsche Trauzeugin und beste Freundin der Braut kriegt das Ding praktisch vorgelegt, wie als wär sie Stürmer beim Fußball). Okay, denke ich, bitch. Wenn ich keine überzeugte alte Jungfer wäre, sondern eine mittdreißige Single-Frau mit Hang zur klassischen Biografie würde ich mich jetzt richtig schlecht fühlen und auf die Toilette gehen, um zu heulen und bulimisch das Hochzeitsbufett auszukotzen. Ohne heiraten und Kinder kriegen kann eine Frau hier nicht glücklich werden. Dafür sorgen schon die anderen Frauen. Auch bei den german friends von L. übrigens steht das Heiraten hoch im Kurs. Und die sind alle Mitte dreißig. Schwer, sich nicht falsch zu fühlen. Gottseidank lebe ich im Heimathafen der Schrägvögel, da fällt mir nie auf, wie schräg ich bin.