Ich komme vom Einkaufen, es ist noch früh am Morgen. Ich gehe Richtung S-Bahn-Unterführung, niemand ist auf der Straße. An der Ecke zur Unterführung liegt ein umgekippter Einkaufswagen voll mit Broten: Kastenbrote, Rundbrote, Stullen. Die Hälfte der Brote liegt auf dem Gehweg. Es war kalt heute Nacht, die Brote sind steinhart. Hier in der Unterführung übernachten oft Obdachlose. Jemand hat es also gut gemeint. Jemand ist eine erfolgreiche, stadtbekannte Bäckerei, ihr Name ist dem Einwickelpapier der Stullen zu entnehmen.
Ich zücke mein Handy, um die Situation zu fotografieren. Ein junger Mann kommt aus dem Haus gegenüber und sieht die Bescherung. Was ist das denn? fragt er. Ja, sage ich, ich wollts grade fotografieren. Das braucht man nicht fotografieren, sagt er genervt, da packt man an und räumt es auf.
Ich schäme mich. Sie haben recht, sage ich. Er fängt an, das Brot in den Wagen zu räumen, ich helfe ihm, doch einen Moment später hab ich keine Lust mehr, das hier ist Schwachsinn:
Der junge Mann und ich nah beieinander, nachdem ich es den ganzen Morgen geschafft habe, mich auf Mindestabstand zu halten, ich ärgere mich über die Bäckerei mit ihrem dumm-nervig schlechten Gewissen, das verständlich ist, aber hier in der Ausführung zu einem absoluten Desaster führt, das kann doch nicht das erste Mal sein, dass die sich um ihre übrig gebliebenen Brote Gedanken machen, nur weil Corona ist und plötzlich die Obdachlosen in aller Munde? Was stellen die sich vor, dass die Obdachlosen hier kraftvoll in eiskalt gefrorene Kastenbrote von gestern beißen, dass sie sich schön Bütterkess auf die Laibe schmieren, Salami und Gürkchen obendrauf, um das Frühstück ihres Lebens zu genießen, dass die sich freuen bis zur Weihnachtsrührung, dass ihnen endlich mal jemand Brot schenkt? Ich finde, man sollte die Bäckerei darüber unterrichten, dass ihr Schuss nach hinten losgeht, dass es so nicht funktioniert, dass sowas nur die Ratten anzieht und ein paar Blödmänner, die den Wagen umschmeißen, dass man so niemandem eine Freude bereitet, sondern ein Gesundheitsrisiko, und jetzt wird es mir zu doof dem jungen Mann weiter zu helfen, der anders als ich ein Nachbar hier ist, vor dessen Haustür sich die Sauerei geriert, den ich also plötzlich irgendwie zuständiger finde als mich, und ich hätte wohl ein Foto davon machen sollen, warum hab ich mich geschämt, mich von ihm verunsichern und davon abbringen lassen?, es ist meine Art mich den Dingen zu nähern, ein Dokument herzustellen, das hat auch seinen Wert, und ich hätte denen in der Bäckerei das Dokument unter die Nase halten können, damit sie sehen, was für einen Blödsinn sie verzapft haben, er hat ja recht, man läuft an zu vielem vorbei, statt es zu ändern, und sagt dann, ist ja alles mal wieder irre hier, krasskrass, und bildet lediglich ab, was man sieht, aber ich hab jetzt keine Lust mehr, ihm zu helfen. Ich bin wütend und lasse ihn stehen.