März 2020 – Corona 9 – Dienstag

17.3. Dienstag. Bis letzten Dienstag hab ich mir Sorgen gemacht. Dass ich krank werde, mit hohem Fieber allein in meiner Wohnung liege, dass meine Freunde krank werden, meine unvorsichtigen Eltern. Bis dahin dachte ich: Ich gehöre ja nicht zur Risikogruppe. Ich bin nicht 70 plus, ich habe keine Vorerkrankungen. Wenn ichs krieg, und damit ist zu rechnen bei einer Prognose von 80 Prozent der Bevölkerung, so die in den letzten Wochen stetig in Pressekonferenzen und Talkshows nach oben korrigierte Zahl, dann krieg ichs und dann hab ichs und dann bin ich krank und hab einen milden Verlauf und bin für 14 Tage in Quarantäne und das ist ja vielleicht auch gar nicht so schlecht, womöglich sogar besser, denn dann ist das Thema ein für alle mal durch. Letzten Dienstag dann in Italien: Der Shutdown des gesamten Landes. Am Donnerstag Berichte aus Kliniken am Rande des Kollaps, Ärzte, die nach Triage behandeln wie zuletzt im Krieg, den keiner von ihnen mehr erlebt hat, die Menschen sterben lassen, weil nicht genug Beatmungsgeräte da sind, Patienten, die immer jünger werden und trotzdem schwere Verläufe mit Lungenentzündung und Organversagen haben. Warum sollte ich der üblichen deutschen Überheblichkeit aufsitzen, dass so etwas hier ja nicht passieren kann? Soll mich das jahrzehntelang durchprivatisierte und kaputt gesparte Gesundheitssystem mit seinem fehlenden Pflegepersonal, den dicht gemachten Kliniken, dem Mangel an Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln und den Problemen beim Medikamentennachschub davon überzeugen? Italien und Spanien sind keine Entwicklungsländer, man kann den Virus nicht mehr in die Ferne schieben und nicht ins Fremde, wie alle seine Vorgänger, man kann ihn nicht wegdeuten in ein schmutzig-diktatorisches Asien oder ein eh nichts auf die Reihe kriegende Afrika, nein, die Gesundheitssysteme Italiens und Spaniens sind modern, europäisch und ebenso gut bzw. schlecht aufgestellt wie unseres.

Heute ist wieder ein Dienstag. Italien verzeichnet 25.000 Infizierte und 2000 Tote. Ich mach mir keine Sorgen mehr. Ich hab Angst. Davor, einen schweren Verlauf zu haben, in einem Krankenhausflur zu liegen und übersehen zu werden, weil nicht genug Personal da ist oder kein Beatmungsgerät mehr übrig ist. Davor, dass es Freunden so ergehen könnte, Angehörigen.

Derweil stehen die Leute Schlange am Eisstand, gehen ins Nagelstudio und shoppen bei Other Stories und Weekdays. Wir brauchen eine Augangssperre.