Eine befreundete Psychologin erzählt, dass eine Kollegin von ihr beim Vorstellungsgespräch gefragt wurde, weshalb sie Psychotherapeutin geworden sei. Drei Kategorien wurden ihr vorgegeben: Macht, Eigentherapie, Voyeurismus. Ich bin verblüfft. Ich dachte, man wird Psychotherapeutin, weil man Menschen helfen will. Und: Kann man hier überhaupt so antworten, dass man den Job bekommt?
Die befreundete Psychologin erläutert, dass sie die drei Vorgaben für äußerst interessant und brauchbar hält, weil sie die übliche Antwort auf diese Frage verhindern, die da lautet: Weil ich Menschen helfen will. Sie spricht den Satz mit nachäffender Stimme. Ich schäme mich ein bisschen. Bei ihr, sagt sie weiter, treffen bspw. 1 und 3 zu; dass ihr Chef, als das Gespräch darauf kam, mit 2 geantwortet hat, das hätte sie nicht gedacht.
Ich frage, ob dieses „Menschen helfen wollen“ denn für sie so gar keine Motivation war, bzw. ob sie das in ihrer Arbeit so gar nicht erlebt. Doch, sagt sie, aber sie findet die Antwort Ich will Menschen helfen einfach nichtssagend und langweilig – noch einmal äfft sie den Satz in so einem Kinderton nach, und ich frage mich, ob sie ihn auch deshalb so ablehnt, weil sie findet, dass es so eine typisch weibliche Antwort ist, eine Brave-Mädchen-Antwort. Und da sie findet, dass Frauen selbstbewusst auftreten sollten, und dazu auch gehört, zu Motivationen und Handlungsweisen zu stehen, die allgemein als dunkel und egoistisch gelten, und eben nichts mit klassisch weiblichen Eigenschaften wie Opferbereitschaft, Fürsorge und Selbstaufgabe zu tun haben, sollten Frauen das auch sagen. Und überhaupt als Therapeutin den Anspruch haben, sich selbst in ihrer Arbeit zu reflektieren, und nicht zu glauben, sie seien nur gute, selbstlose Helfer. Ich finde das alles richtig und hochinteressant.
J. kommt auf seine Arbeit als Pfleger zu sprechen, in der er es als zufriedenstellenden Aspekt empfindet, Menschen zu helfen. Jemanden gut versorgt zu haben, ist befriedigend. Es geht nicht um das Interesse an Medizin, oder um etwas Soziales im Sinne einer Kommunikation oder einer Hilfe zur Selbsthilfe, sondern um etwas Körperliches.
Der befreundeten Therapeutin fällt noch ein, dass sie immer gerne Krimis gelesen hat. Etwas herauszufinden, einer Sache auf die Spur zu kommen, ist für sie ein weiterer Grund gewesen, Psychologie zu studieren.
Ich frage, ob man nicht immer, egal welchen dieser Aspekte man mit in die Arbeit bringt, immer den Patienten braucht, um das jeweilige Bedürfnis oder Interesse zu befriedigen. Der Therapeut kann nichts, gar nichts ausrichten, wenn der Patient es nicht will, er kann weder seinen Machtanspruch erfüllen, noch sein voyeuristisches Interesse oder seine Eigentherapie-Bedürfnisse befriedigen, wenn der Patient sich weigert, ihm etwas davon zu geben. Nicht umsonst gibt es ja den Begriff des Widerstands. Und ist Therapie nicht oft auch ein langer Tanz, ein Kampf genau darum? Du willst was, was willst du, mir helfen, von wegen, so weit kommt`s noch, deinen Narzissmus kannst du woanders befriedigen, für dich bin ich nicht zuständig, du denkst nur an dich, du willst profitieren, aber nicht auf meine Kosten, du mit deinem sezierenden Blick auf mein Verhalten, du mit deinem Herrschaftswissen da drüben auf der anderen Seite, hinter dem Kleenex. Ist natürlich typisch, dass mir das dazu einfällt.
Ein anderer Psychotherapeut, den ich kenne, fügt, nachdem ich ihm von den drei Kategorien erzählt habe, noch eine weitere hinzu: Geld. Erfrischend.