September 2014 – Toilette I

Es ist Samstag und T. regt sich auf. Wir kommen gerade aus dem Café, in dem wir uns getroffen und einen Frühstückskaffee getrunken haben. Jetzt wollen wir spazieren gehen, bestes Oktober-Wetter, in den Wedding. Er regt sich auf, weil ich sage, lass uns noch schnell bei mir vorbei, ich muss mal aufs Klo. T. setzt zu einer Großklage über die weibliche Blase im Allgemeinen, den Umgang mit Toiletten-Ansagen von Frauen im Besonderen und mein persönliches, ihn in seiner Freiheit einschränkendes Toiletten-Verhalten im Spezifischen an.

Den ständigen Toilettendrang der Frau hält er für eine weibliche Irrationalität, die ergo abgeschafft werden muss. Erwiesenermaßen, so führt T. an, hat die Blase der Frau ein weitaus größeres Fassungsvermögen als die der Männer (ich bereue, dass ich ihm dieses tatsächlich interessante Faktum, von dem mir meine Medizinerfreundin C. mal erzählt hat, aufgetischt habe. Jetzt krieg  ich‘s ständig aufs Beweisbutterbrot geschmiert). Der ständige Harndrang der Frau sei also psychisch bedingt, meint T., und psychisch ist in T.s Universum gleichbedeutend mit Bullshit und fauler Ausrede. Psychisch heißt, da stellt sich jemand an. Männer, meint er im Übrigen, haben wenigstens den Anstand kurz mal irgendwo aufs Klo zu gehen, in einer Kneipe, einem Café, aber Frauen wollen dann immer gleich ins Café. Ständig, meint T., müssen die Männer aus diesem Grunde Kaffee trinken, obwohl sie gar keinen wollen oder gar – wie jetzt – mit der Frau nach Hause laufen, obwohl es ein riesen Umweg ist und stundenlang vor der Tür rumwarten, bis die Frau ihre Badezimmergeschäfte erledigt hat. Männer, so T., haben den Anstand die Restwelt nicht mit ihren Toilettenbedürfnissen zu belästigen, belasten, sagt er. Sie regeln sie diskret und schnell, ohne Einschränkungen für die anderen Menschen auf diesem Planeten. Männer, sagt T., reden auch nicht die ganze Zeit darüber, dass sie auf Toilette müssen, weil sie davon ausgehen, dass niemanden das interessiert. Frauen, sagt T., liegen einem ständig damit in den Ohren, als wäre es so richtig interessant, dass sie auf Toilette müssen. Und wie es eigentlich sein kann, dass Frauen, er meint mich, drei Minuten nachdem sie aus einem Café raus sind, in dem sie easy hätten aufs Klo gehen können, auf ein eben solches müssen?!

Ich verteidige mich tapfer, im Namen aller Frauen. Ich spreche über das weit verbreitete Problem des schwachen Bindegewebes der Frau, das zu höherem Druck auf den Schließmuskel führt. Über spezifisch harndrängende Getränke wie Kaffee und Tee. Wasser, Cola, Apfelschorle, Wein. Und Bier. Ich untermauere unter Zuhilfename von Google Maps meine These, dass meine Wohnung auf direktem Wege in den Wedding liegt und keinen Umweg darstellt, und wenn dann höchstens einen von zwei, drei Minuten, okay fünf inklusive Toilettengangs. Ich preise mich als Zwarhäufigmüsserin, dafür aber Schnellpinklerin. Ich weise auf meinen unverschuldeten Penismangel hin, der mir (oh, wie oft zu meinem eigenen Ärger!) nunmal  per DNA verweigert wurde und mich nun zum Opfer einer schwächlichen, irrationalen, weiblichen Blase macht, einer im Grunde doch rein diskursiven Konstruktion, die mich mangels gesellschaftlicher Akzeptanz alles Weiblichen, um nicht zu sagen durch strukturelle, offene wie subtile gesellschaftliche Diskriminierung dazu bringt, mich nicht hier und jetzt, einfach so in einem Hauseingang oder an einem Baum zu entleeren. Wie er, als Mann, das jederzeit tun kann! Oder sollen wir mal ausprobieren, was passiert, wenn ich hier und jetzt  – (ich greife mir theatralisch an den Gürtel ) – einfach mal so, die Hose runter? Wäre ihm das lieber? (Die Prenzlberger bleiben jetzt schon stehen, ich lasse vom Gürtel ab.) Außerdem trinke ich nun mal gerne Kaffee, führe ich noch ins Feld. Warum soll man nicht das Unangenehme mit dem Angenehmen verbinden, und wenn ich schon drin bin, in so einem gastronomischen Etablissement, kann ich doch auch gleich noch einen kleinen Kaffee trinken. Es ist mir einfach peinlich, die privatunternehmerische Toilette als öffentliche Pinkelanstalt zu missbrauchen, ein für mich nachvollziehbares Ärgernis für jeden Cafébesitzer.

Ich entleere meine Blase in meiner Wohnung . T. wartet mit verschränkten Armen unten auf der Straße. Nach ungefähr dreißig Metern Richtung Wedding muss ich schon wieder. Und zwar echt richtig dringend.

Vielleicht ist es ja doch  psychisch.