September 2014 – (Greece) cross dressing

Ich frage N. ob er eigentlich schon mal Frauenkleider getragen hat.

Mich interessiert das gerade, denn ich hab hier in Griechenland gerade in Alison Bechdels Comicroman Fun Home die Szene gelesen, in der sie als Kind zusammen mit einer Freundin Männerklamotten anzieht. Hemden, Krawatten, Schuhe und Anzug von Dad. Sie geben sich Männernamen (Billy McKean und Bobby McCool!) und spielen Betrüger und Versicherungsvertreter (!).

Ich finde das total abgefahren. Die Szene verblüfft mich. So kenne ich das nicht.

Ich meine, Frauen verkleiden sich doch die ganze Zeit als Männer. Inzwischen schon so lange und so häufig, dass es weder ihnen noch irgendjemand wie eine Verkleidung vorkommt. Ist ja kein Cross-Dressing, wenn Frauen Hosen anhaben. Ist selbstverständlich. Die Frau hat einen langen, fast vergessenen, blutigen Kampf um die Hose geführt. Sie hat ihren Wunsch nach Aufwertung, nach Gleichstellung ausgedrückt, als sie sich das Recht auf die Hose erkämpft hat. Der spätere Kampf um den Minirock war dann einer gegen die Abwertung. Des Weiblichen. Hose und Rock, längst geht beides.

Aber Cross-Dressing ist darauf angewiesen, dass es eine Hierarchie gibt zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen. Es setzt sie voraus. Sonst funktioniert das nicht.

Bei Männern funktioniert es dementsprechend immer noch. Wenn Männer Frauenklamotten anziehen, ist das sofort erkennbar. Das ist Verkleidung.

Der Mann hat nie darum gekämpft, einen Rock tragen zu dürfen. Warum soll er auch, wer kämpft schon um gesellschaftliche Abwertung. (Schwule kämpfen um Anerkennung trotz ihrer weiblichen Seite, also genau wie die Frauen. Obwohl die Schwulen selbst oft genug Probleme mit ihrer Weiblichkeit haben. Was nochmal was anderes ist als mit der Zuschreibung ein Problem zu haben.).

Hosen sind cool. Jungs sind cool. Turnschuhe sind cool. Mädchen, die Jungs sein wollten, oder ihnen zumindest nah sein wollten, so wie ich, wollten Hosen und Turnschuhe. Aber genau das ist es. Da steckt‘s drin. Jungs sind besser. Wer sich anzieht wie sie, ist ihnen nah. Aber niemals gleich. Mädchen, die Jungs cool finden, sehen herab auf das Weibliche. Um sie herum und in ihnen drin. Sie werten sich selbst auf, in dem sie sich in der Nähe des Throns aufhalten. Rock  war für mich okay – aber immer auch ein bisschen peinlich, weil ausgestellt, von Außenwahrnehmung betroffen. Hose war besser – weil cooler, tougher. Im Grunde ist das bis heute so. Fühlt sich noch immer genauso an.

Die Szene bei Bechdel (die ihre Zurechtdrapierung zum süßen kleinen Mädchen durch ihren Vater gehasst hat) ist anders. Sie verkleidet sich als Mann. Und sie kann das. Bei ihr funktioniert das mit dem Cross-Dressing. Weil ihr Begehren anders funktioniert als das der heterosexuellen Frau. Weil was anderes drinsteckt. Nicht das Begehren, zu sein wie ein Mann. Oder der Wunsch, dem Mann nah zu sein. Sondern das Begehren, ausdrücken zu können, dass sie ein Mann ist. Dass sie sich wie einer fühlt. Das ist was ganz anderes. Sich zu fühlen wie ein Mann oder eine Frau sein, die gerne ein Mann wäre – das sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Ich hab mich immer gefühlt, wie ne Scheißfrau und mich darüber geärgert, dass ich dem Frausein so ausgeliefert war. Dass ich da nicht raus konnte. Darauf reduziert war. Die schlechte der beiden Geschlechterkarten gezogen hatte. Da haben auch alle Hosen und Turnschuhe nichts genützt. Deswegen bin ich dann irgendwann auf den Rockzug aufgesprungen und hab versucht, mir beizubringen, dass die weibliche Seite einen Wert an sich hat. Dass man als Frau nicht den Fehler machen sollte, die gesellschaftliche Hierarchie zwischen den Geschlechtern fort zu schreiben, in dem man sich und die anderen Frauen fertig macht. Dass das Weibliche und das Männliche Spielwiesen sind mit unendlich vielen individuellen Zwischentönen. Ja, ja, die 90er. Als man noch gekreischt hat auf der Betriebsfeier, wenn die bärtigen, haarigen Jungs im Dirndl aufgetreten sind, an der Uni aber schon viel weiter war. Und heute haben wir den metrosexuellen Mann, der Frauen liebt und ihre Haarpflegeprodukte (Zitat von Raj aus the Big Bang Theory). Und Conchita Wurst. Aber Drags sind noch mal ein Thema für sich.

Meine Cross-Dressing-Erfahrung jedenfalls ist eine ganz andere. Ich wäre nie auf die Idee kommen, mich als Mann zu verkleiden. Ich erinnere mich, dass ich mich als Frau verkleidet habe. Genauer gesagt, als Prostituierte. Zusammen mit einer Freundin habe ich mir Lederstiefel meiner Mutter angezogen und bin nur in Unterhosen durchs Zimmer spaziert. Abgesehen von der Auto-Erotik, die in der Szene steckte, und der schlichten Faszination für einen außergewöhnlichen Beruf, stellt sich mir das als Versuch dar, sich das Konzept Frau anzueignen. Es zu imitieren, einzuüben. Das war meine Idee von Frau. Es war etwas Fremdes, das man ausprobieren, aber zu werden nicht ernsthaft in Betracht ziehen konnte. Wie soll man von da aus weitermachen?

Vielleicht stimmt es auch gar nicht, was ich über Al. Bechdel bzw. Lesben sage. Die meisten können mit Männern ja gar nix anfangen und fühlen sich voll als Frau. Frau frau frau, ganz toll. Ganz anders als ich. Von außen ist das absurd. Die sind solche Kerle, ich son Mädchen.

N. erzählt übrigens, dass er die Kleider von seinen Schwestern angezogen hat. Er mochte das. Und dennoch gab es einen Moment von Gefahr. Irgendwo in diesem Spiel gab es eine Grenze. Die man nicht überschreiten sollte.

Er beklagt im Übrigen, dass 80 Prozent aller Klamotten in den Läden für Frauen sind. Da hat er Recht. Die Männerabteilung ist im Allgemeinen einen traurige. Ein Stiefkind der Modeindustrie. Die Bandbreite an Möglichkeiten ist viel kleiner. Die Frau kann eine Hose anziehen oder einen Rock oder ein Kleid. Und unendlich viele Varianten davon. Der Mann kann einen Anzug anziehen oder eine Hose. Das war‘s.

Männer, die aussehen wie Frauen, gehen ja ganz gut inzwischen. Popkulturell sowieso. Schwule Jungs mit ihren Schals und weichen Gesichtszügen und kleinen Mädchenhintern, wer könnte denen böse sein. Kein Problem, sagen wir da. So einen süßen schwulen Jungen hätten wir doch alle gern. Aber Lesben, butch-Lesben, so im Baumarkt- oder Bikerstil? Eher nicht. Das ist schnell unangenehm. Weil wir Machomänner nicht leiden können? Really? Oder doch eher weil es eben was anderes ist als die Hosensache bei der Heterofrau. Da ist jemand Mann, und kratzt nicht nur an der Tür. Das ist ne Unverschämtheit. Ne Kränkung auch. Ein Affront. Gegenüber dem Mann. Das ist schwerer zu knacken, scheint mir. Ham jetzt alle mal the LWord gesehen oder Ellen De Generis? Wer ist nochmal lesbisch bei uns hier in Germany? Ahja, die Talkmoderatorin. Sehr gut. Der Trend geht glücklicherweise zur komplett-Individualisierung. Alles überschneidet, überlagert sich, wird uneindeutiger, individuell verhandelbarer.

Es lebe die cross-Freiheit.