August 2019 – ok cupid

Ich melde mich bei ok cupid an. Innerhalb der nächsten 24 Stunden hört mein Handy nicht auf zu pingen, bei 99 Matches bleibt der Zähler stehen, setzt nur noch ein Pluszeichen dahinter. Ich bin der Renner! Is klar, ich hab ja auch kein Foto von mir, sondern von einem Stofftier mit Augen hochgeladen – da schlägt die Fantasie natürlich Purzelbäume. Oder schickt ok cupid regulär allen frisch Angemeldeten 99 matches, so als motivierende Dranbleiber-Grundeinstellung der App? Leider kann ich die Männer, mit denen ich matche, nicht liken, das geht nur, wenn ich ein Abo abschließe.

Also blättere ich mich durch die kostenlos verfügbaren Männer, durch den ganzen langen Katalog, ich swipe und swipe und swipe nach links, irgendwann fange ich an, Chips zu essen, und komme mir schon vor wie das überhebliche Arschloch, das ich bin, bis ich endlich einen Mann finde. Einen, bei dem ich ganz eventuell in Erwägung ziehen würde, nach rechts zu swipen. Statt zu swipen setze ich erstmal eine Bookmark. Man will ja nichts überstürzen.

Er sieht nett aus und wie jemand, mit dem man befreundet sein könnte. Aha, das ist also das innere  Kriterium: Vor wem hab ich am wenigsten Angst.

In den nächsten Tagen schlafe ich in Gedanken dreimal mitdem Typ. Na also, läuft doch. Als ich zu ok cupid zurückkehre, um mich an den Rechts-Swipe zu wagen, ist die Bookmark weg. Ich suche und suche und fluche und finde sie nicht mehr. Wahrscheinlich ist der Typ inzwischen verheiratet. Na gut, man muss also auch schnell sein. Ich scrolle weiter. Männer, Männer, und nochmals Männer, ich seh den Wald vor lauter Männern nicht. Ach, guck mal: Ich entdecke jemanden, den ich von früher kenne. Der war doch ganz lange mit einer Frau zusammen, dann ist der jetzt wohl getrennt von der, ohje. Oder nicht getrennt von der, wer weiß das hier schon. Ich entdecke jemanden, bei dem so dermaßen klar war, dass der hier rumhängt, dass ich aufstöhne und die Augen verdrehe. Ich kann ihn nicht leiden. Wegen seiner zur Schau getragenen linksideologisch hochgejazzten Player-Einstellung zu Frauen und Beziehung. Dann entdecke ich noch jemanden, von dem ich weiß, dass er verheiratet ist, und dessen Frau im Leben nicht auf die Idee kommen würde, dass er sich hier rumtreibt, und wenn sie‘s wüsste, dann würde es ihr zuerst das Herz brechen und dann würde sie einen Rosenkrieg gegen ihn führen, der sich gewaschen hat. Na toll. Also Lug und Trug wohin man schaut. Geht es denn nie auch mal ohne?

Ich finde die Vorstellung, dass es andersum Leute gibt, die mich hier finden, einen Alptraum. Ach, guck mal an, die auch hier, achja, die ist ja jetzt von T. getrennt, ohje, wie sieht die denn aus. Wie ein Stofftier mit Augen.

Ich hab Angst, noch mehr Leute zu entdecken, die ich kenne und mach mal schnell die Seite zu.

Berlin ist halt ein Vögeldorf. 

Am nächsten Tag ist ok cupid mir auf die Stofftier-Schliche gekommen, bzw. die eingebaute Kulanzphase für Fake-Fotos ist abgelaufen. Dabei dachte ich schon, ich hätte die Plattform ausgetrickst und so richtig cool gescoret beim Lieblingssport des modernen Menschen im digitalen Kapitalismus, der da ist: möglichst wenig Daten preisgeben, möglichst unterm Bezahl-Radar mitschwimmen, möglichst die Lücke im Algorhithmus finden. Vergiss es. 

Je länger ich mich hier aufhalte, umso trauriger und hilfloser werde ich. Wie bloß soll ich je wieder jemanden kennen lernen, wie soll ich jemanden finden, den ich mag, wie soll ich je wieder Sex haben? Geht das denn wirklich nur so? Wie ging das denn früher? Und geht das jetzt nur noch so, weil das das jetzt das zuständige Tool dafür ist, auf das sich alle verständigt haben, und außerhalb dessen findet sowas nicht statt, brauchste Bücher gehste amazon, brauchste Musik, gehste Spotify, brauchste Beziehung, gehste ok cupid, und wenn du damit woanders hingehst, in einen nicht dafür vorgesehenen, zu diesem Zweck und für dieses Bedürfnis bereit gestellten und durchformalisierten Raum, dann hast du keine Ahnung oder bist irgendwie inappropriate, so, als würdest du neben die Schüssel pinkeln? Was hat die denn für ein Problem, weiß die nicht, dass man das über ne Datingplattform macht.    

Ich schwanke zwischen Spiel mitspielen und System unterwandern, zwischen Wut auf den Kapitalismus, der noch in die letzten Poren unserer Leben dringt und psychologischen Selbstzerfleischungsanalysen meiner Angstpersönlichkeit. Dazu stehen oder eine Kunstaktion draus machen? Ich fühl mich albern, weil ich mich drumrum zu drücken versuche, mein Bedürfnis zu vertuschen, wenn ich mit FakeFoto, FakeName und FakeAlter so tue, als hätte ichs nicht nötig, bzw. alles voll gesellschaftlich durchschaut. Andererseits habe ich auch keine Lust, mich jetzt einfach mal locker zu machen, jetzt einfach mal ausnahmsweise nicht so ne Klemmschwester und Spaßbremse zu sein, und das jetzt einfach mal mitzumachen und nicht so ernst zu nehmen, obwohl ich merke, dass mich diese Datingplattformsache eigentlich nur bis in die Tiefe meiner Seele traurig macht.

Ok, stupid.

What to do?

Right swipe left swipe.

Es geht ja nicht nur darum, zu erleben, dass andere so mit einem verfahren. Es geht ja auch darum, zu erleben, dass man selbst mit anderen so verfährt. Als ich auf die Straße trete, habe ich sofort das Gefühl, das überträgt sich ins real life, wo der Jungs-Katalog analog zu besichtigen ist. Right swipe, left swipe. Doable, not doable. Fuckable, not fuckable. Boyfriend material, no boyfriend material.

Muss denn immer alles so brutal sein. Ich weiß, das Böse, oder wie ich es nenne, der Kapitalismus, ist immer und überall, aber muss denn noch jeder Bereich unseres Leben von dieser Sorte normalisierter Grausamkeit heimgesucht werden oder stell ich mich nur an, und das ist nur brutal ehrlich, so wie Dating eben ist, und brutal ehrlich ist was Gutes? Auf jemand stehen oder nicht auf jemand stehen ist immer brutal, aber das meine ich nicht, man fühlt sich hingezogen zu jemand oder angezogen von jemand, das ist so oder nicht, und wenn es ungleich verteilt ist, ist das eine der härtesten. Aber hier sind doch tausend andere Sachen am Werk. Wie zum Beispiel Marketing und Präsentation, das Profil muss sitzen, das Foto muss ansprechend sein, das Alter muss passen, der Text muss offen sein, Witz haben, von Selbstreflexion zeugen, die richtigen key words setzen, die SEOs des Dating-Partners sozusagen, man will ja niemand anlocken, bei dem es sich nicht lohnt, und niemand verschrecken für den es sich lohnt. Man will nicht überrascht werden. Man will nicht überraschen. Egal, ob man einen Stromanbieter sucht oder einen Fuck-buddy, man muss als selbstbewusster Kunde das Angebot vergleichen und den Algorithmus füttern, damit der seine Arbeit machen kann: Wenn Sie den angeklickt haben, dann könnte der Sie auch interessieren. Nein, ich behaupte, das war nicht im Grunde schon immer so. Wieso macht eigentlich keiner mehr Privatpartys. Ich bin Ende vierzig und fliege in einer ganz langsamen Zeitlupenkurve aus der Welt.

Ein paar Tage nach meiner Anmeldung erhalte ich folgende Spam-nachricht auf mein Handy: +4915157311602 Auch wenn unsere Meinungen gleich oder unterschiedlich sind.. ich finde du busted wert!! Ich kann warten und gib dir die Zeit und deswegen nochmal… ich hab vollstes Verständnis was dich und dein Liebesleben angeht und deswegen sag ich dir, ich hab dich wirklich gern, Elli! Es war auch sehr schön dich und deine Kommentare zu sehen! Hoffe du bist glücklich und ich hab dich wirklich gern, Herzchen-Smiley Bis bald