März 2018 – Internationaler Frauentag

Die ganze Straße ist voll. Alle sind da, alle Frauen. Sie singen und pfeifen und jubeln und trillern und trommeln. Der Zug geht durch die ganze Stadt, stundenlang, er hört nicht auf, es gibt keine Lücken, die Reihen sind geschlossen. Unglaublich. Die Frauen singen ein altes Lied, ein Gewerkschaftslied. In mir stößt das Seiten an. So viele Menschen, die etwas wollen, etwas Gutes, etwas Besseres. Die eine Stimme haben. Helle Stimmen, nur die hellen Stimmen. Wann hört man das schon.

Ich bin in Spanien. Genauer gesagt: In Santa Cruz de Teneriffe.

Hier wird nicht einfach demonstriert, hier wird gestreikt, am Internationalen Frauentag.

In Deutschland hingegen: Nichts. Oder wenn dann unsichtbar. Den Zeitungen ist der Frauentag kaum ein Artikelchen wert. Aber ich bekomme Mails von Other Stories, Topshop, man gratuliert mir, empfiehlt Kleider, Schuhe, Rossmann heißt diese Woche Rossfrau und McDonalds hat seine M umgedreht und daraus ein W gemacht, also einen Busen.

Ni una menos heißt es in Mexico, in Argentinien. Auch dort ist die Bewegung sehr politisch, gewerkschaftsnah (was dort noch immer links ist), und verblüffend allumfassend: Queer, pay gap, Arbeitsbedingungen, Altersarmut, häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt, alles unter einem Dach.

Ich lese: In Spanien sind im letzten Jahr 49 Frauen von ihren Partnern oder Ex-partnern ermordet worden. Ich finde das krass viel. 49 Frauen tot, weil irgendwelche Typen ausgetickt sind? Was für ein body count für ein Jahr. Und von anderen Übergriffen ist hier noch gar nicht die Rede.

Ich recherchiere: In Deutschland sind im letzten Jahr 149 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet worden.  – ?!  Auch wenn man das in Relation zur höheren Einwohnerzahl setzt (Spanien 46 Mill, BRD 82 Mill), ist das ungefähr dreimal so viel. Kein Thema hier. Oder hab ich was verpasst? Schlimm schlimm, aber nicht politisch. In Deutschland spricht man in solchen Fällen gerne von Beziehungstat. Mord klingt ja auch ein bisschen hart. Wenn Männer ihre Frauen und Kinder umbringen, handelt es sich um ein Familiendrama. Ein Familienvater hat seine Frau und seine Kinder getötet. Was zur Hölle ist eigentlich ein Familienvater? Einer der sich hartnäckig hält, seit Jahrhunderten, einer dem alle gehören, Frau, Kind, einer, der Verantwortung trägt für die, die er geschaffen und in Beziehung zu sich gesetzt hat, die hilflos wären ohne ihn, einer der, wenn er die Nerven verliert, weil die Verantwortung ihm über den Kopf wächst, oder die Frau und das Kind nicht so wollen wie er, oder gar allein zurechtkommen, Frau und Kind umbringen darf, ja, muss! Eine Familienmutter gibt es jedenfalls nicht.

An eben diesem Tag telefoniere ich mit einem neuen potentiellen Auftraggeber. Im Team bisher: Nur Männer. Einer aus dem Team hat angeregt, eine Frau dazu zu holen. Wär doch vielleicht mal ganz gut. Zweimal betont der Chef mir gegenüber, dass er das auch gut findet, wenn eine Frau dazu kommt. (Er ist stolz darauf, dass er so progressiv ist). Denn: Es geht ja auch um eine weibliche Hauptfigur. (Heißt: wenn es mal um was Emotionales geht oder um Klamotten oder so, dann ist es ja vielleicht ganz gut, jemand mit Expertise in diesem Bereich im Team zu haben.) Und, auch das betont der Chef: Die weibliche Hauptfigur haben sie gegen alle Empfehlung des Geldgebers durchgesetzt, der für Jungs-Geschichten, denn um eine solche handelt es sich, eigentlich Jungs-Hauptfiguren haben möchte. Was soll ich sagen? Bei so viel revolutionärem Engagement für eine förderbedürftige Minderheit wie mich, bleibt mir natürlich nur, Danke zu sagen. Danke und wow.

Aber ich bin ja auch selbst schuld. Ich kommuniziere weiblich, stelle mein Licht unter den Scheffel und zeige mich bei Absprachen und in Verhandlungen nicht selbstbewusst genug.