Oktober 2016 – Familienaufstellung

Neulich im Zug. auf der Rückfahrt von Hamburg. Mir schräg gegenüber eine Familie:

Eine junge Frau, hübsch, verständig, bisschen sozialpädagogisch, zwei blonde Kinder, ein Junge ca.5, ein Mädchen ca. 3, und ein großer, schlanker junger Mann, ihr aktueller boyfriend, sehr bemüht und empathisch, nicht der Vater der Kinder.

Bereits nach 2 Minuten ist klar: Das wird nervig. Die gesamte Beziehungsdynamik schwappt über den Gang, die Familienaufstellung offenbart sich in peinlich unterdrückter Manier. Ich bekomme Beklemmungen, fühle mich belästigt, als hätte jemand die Grenze in meinen Schutzraum überschritten und frage mich am Ende, warum ich verdammt nochmal nicht einfach aufgestanden und ins ICE Restaurant gegangen bin. Oder zumindest, wie andere schlaue Leute, die Kopfhörer nicht zuhause vergessen habe. Seltsam, wie sich Intimität herstellt in so einer Szenerie. Ich erlebe, erfahre etwas, das ich nicht wissen will, als schaute ich jemandem ins Wohnzimmer, ins Innere seines selbst. Ich hab das Gefühl, ich sehe alles. Ich sehe sie alle, und wurde nicht gefragt.

Die Schlimmste ist, wie meistens übrigens: Die  Mutter. Sie mag das Mädchen nicht, ein aufgewecktes Ding. Den Jungen mag sie, aber auch an ihm lässt sie kein gutes Haar. Die Kinder sollen still sitzen und aus dem Fenster schauen. Wie Erwachsene. Sie appelliert an ihre Vernunft. Das geht so lange gut, bis die Brezel aufgegessen und die Apfelschorle getrunken ist. Also bis etwa fünf Minuten nach Einstieg. Die Kinder sind keine Sekunde in der Lage, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Es gibt aber auch keine Bücher, Hörspiele, Daddelspiele, Malblöcke. Und wenn sie sich was ausdenken – das Mädchen spielt irgendwann Verkaufen, steht dazu auf und benutzt die Armlehne als Tresen, den boyfriend als Käufer, eigentlich ganz süß – dann würgt sie sie ab.

Ständig schnalzen ihre Drohungen über den Gang, und ihre noch unangenehmeren Enttäuschungsäußerungen: Mit euch kann man nicht mal zwei Stunden Zug fahren. Der Mann versucht aufrichtig, die Frau nach allen Regeln der Kunst zu unterstützen, die Kinder abzulenken, zu bespaßen. Das hält nie lange, sind sie wahrscheinlich auch nicht gewohnt. Sie droht: wenn sie nicht still sitzen, nicht aufhören, sich zu streiten (ein großes Hobby von ihnen), dann gibt es eine Strafe. Jetzt. Gleich! Beim nächsten Mal!! Die Strafe wird exekutiert: Stehen im Gang. (Ich bin etwas enttäuscht). Das hält die Mutter etwa 2 Sekunden durch, dann steht sie auf, flüstert irgendwas, die Kinder jubeln – und gehen an Mamas Hand wie eine glücklich schlendernde Familie in den Speisewagen. Weitere 2 Sekunden später ist sie zurück mit den beiden, die lieben Kleinen tragen je einen DB-Merchandising Artikel in den Händen. Ich bin verblüfft. Da soll noch einer mitkommen, selbst mir war der Sinneswandel und das Gemütsschwankungstempo zu rasant. Das blöde Hohl-Geschenk hält ebenfalls nur für 2 Sekunden.

Die Frau redet immer mal mit ihrem Freund über andere, Freundin, Bekannte, Kollege. Ihr Grundton: Ich mache so viel, ich bin so anständig, ich kümmere mich um zwei Kinder, ich gehe arbeiten und DIE oder und DER: sitzt sich faul den Arsch platt. So siehts aus. Man kann so gut sein, wie man will, man wird am Ende immer von hinten gefickt. Sogar von den eigenen Kindern.

Das war keine schöne Fahrt mit euch, sagt sie am Ende, das war schrecklich und peinlich, nie wieder möchte ich mit euch Zug fahren.

Da kann ich ihr leider nur zustimmen.

Familie – bringing out the worst in you.