Oktober 2015 – Taschenwerbung

Die größte Künstlerin im Bereich Taschenwerbung ist Michelle Williams. Sie ist überhaupt eine große Künstlerin, aber in Sachen Taschenwerbung macht ihr keiner was vor.

Sie hält diese (meist sehr großen, und immer wieder überraschend scheußlichen) A-Liga-Designer-Taschen in einer derart komplexen Mischung aus Dokumentation, Verspieltheit, Dominanz und Pussy-Analogie vor ihren schmalen Körper, dass es eine Freude ist.

Ich blättere Fashion-Zeitschriften inzwischen gezielt auf Michelle Williamssche Taschenwerbung durch, um mir anzuschauen, was sie sich diesmal wieder ausgedacht hat. Manchmal versteckt sie sich dahinter, hält die Tasche vor sich wie ein Schild. Manchmal scheint sie alle Geheimnisse ihres Unterbewusstseins darin aufbewahrt zu haben, selbst verwirrt und verstört davon, aber ohne Möglichkeit, sich davon zu trennen. Manchmal ist die Tasche eine Waffe. Manchmal etwas, auf dem man sich ausruhen kann, in der Not. Etwas, woran man sich klammern kann, wenn man im dunklen Wald verloren geht.

Eine Tasche ist eine stabile Sache für eine verletzliche Person, wie Michelle eine ist. Sie spendet Trost und gibt Selbstvertrauen. Hast du eine Tasche dabei, kann dir nichts passieren. Taschen sind treu. Sie verlassen dich nicht. Eine Tasche hängt an dir und du an ihr, Tasche und Frau stützen sich gegenseitig. Wie Haustiere können sie süß sein und klein, oder edel und groß, oder stolz und arrogant.

Die Taschen werden nie geöffnet. Das ist eine Grundregel der Hochglanz-Magazin-Taschenwerbung und wird auch von Michelle niemals durchbrochen. Der innere Taschenaufbau wird nicht gezeigt.  Das ist tabu.

Und natürlich kann Michelle alles sein, was sie will, mit so einer Tasche. Eine Konkurrentin, der keiner so leicht die Tasche wegnimmt. Eine Geliebte, die immer alles parat hat, was man für einen One-Night-Stand braucht. Eine Jägerin. Eine Sammlerin. Eine Kriegerin. Ein Kind.

Eine Tasche ist ein großes Versprechen, wenn Michelle sie präsentiert. Sie verweist auf  all die kleinen Dinge, die sich in ihr befinden, und von denen wir niemals erfahren werden, die Michelle, die Taschenträgerin, aber braucht, um sie selbst zu sein. Um für einen kleinen Moment in eine Privatheit zu schlüpfen, im Taxi oder auf der Toilette. Um die Kreditkarten zu sortieren, ein Telefonat zu führen, einen Spiegel aufzuklappen, Haar, Make-up, Lippenstift zu kontrollieren, sich einen Tampon reinzuschieben, eine Ersatzstrumpfhose anzuziehen, in Münzen zu kramen. Um dann wieder raus zu gehen, und dem Wind zu trotzen und sich der Öffentlichkeit zu stellen, genannt die Welt und das Leben.

Nie will ich die Taschen haben, wenn ich die Werbung sehe.

Immer will ich Michelle Williams haben.

Oder sein.