Die Regierung beschließt die „Aktivrente“: 2000 Euro steuerfrei bekommt, wer nach Renteneintritt weiter arbeitet. Die Aktivrente gilt nicht für Selbständige. Ich rege mich ziemlich darüber auf, bin damit natürlich nicht die einzige, und entdecke kurze Zeit später irgendwo eine Petition gegen diese Regelung. Erwerbstätige zweiter Klasse? lautet der catchy Empörungstitel.
Ich unterschreibe die Petition und schicke sie sogar im Bürokontext (alles Solo-Selbständig auf dem Weg in die Altersarmut) herum. Sowas mach ich höchst selten. Richtig wohl ist mir auch diesmal nicht dabei. Die Petition an sich erscheint mir ein komisch abgekartetes Business, ähnlich der Großdemo und dem Bürgerentscheid und mit ähnlichen Problemen der Unterkomplexität behaftet, sowie der Abhängigkeit von irgendwie unsichtbaren OrganisatorInnen, die es aber braucht, weil die sich damit auskennen, wie man sowas professionell macht und auf die man sich verlassen muss.
Ich werde von den PetitionsbetreiberInnen, die auf Social Media schon recht aktiv zum Thema sind, darüber informiert, dass nun in einem nächsten Schritt alle Abgeordneten befragt wurden, wie sie denn so zur Fragestellung stehen.
Ich klicke auf den Button, der das Parlament abbildet, alle Abgeordneten sind jeweils als kleine leere Kreise markiert. Nur ein erster und einziger Abgeordneter, der offenbar blitzschnell auf die Anfrage reagiert hat, hat sich bisher geäußert, man erkennt es am mit seinem Bild ausgefüllten Kreis. Er unterstützt die Petition. Er gehört zur AfD.
Na toll. My personal Brandmauer, eingerissen von mir selbst. Das wird erstens ne Menge Leute davon abhalten, die Petition zu unterschreiben, zweitens fühlt es sich natürlich gleich mal höchst beunruhigend an, mit der AfD einer Meinung zu sein. Wobei die bei Selbständigen natürlich an den Handwerksbetrieb oder den Sanitärfachhandel denkt und nicht an irgendwelche elenden Kulturarbeiterinnen. Liegts an mir, hab ich was nicht durchdacht, bin ich auf irgendwas reingefallen, sind die PetitionsbetreiberInnen auch aus der Ecke? frage ich mich nervös. Was, wenn die anderen, mit denen ich die Petition geteilt habe, das sehen und sagen, Ey, bist du AfD oder was, machst dich da mit deren Positionen gemein und schickst mir diese rechtsradikale Scheiße auch noch?
So ist sie, die AfD, gewieft und schnell. Position besetzen und schon sind wieder Fische im Netz. Na, seht ihr, ist doch gar nicht so schlimm.
Ist die Position jetzt also nicht mehr beziehbar, kann ich nicht mehr fordern, dass die Aktivrente auch für Selbständige gilt, weil die AfD dieselbe Haltung dazu hat? Sind die Beweggründe, die die AfD hat, eine Position zu vertreten, egal, Hauptsache man bekommt hinten raus das Gesetz, das man haben möchte? Und wenn es dieselben Beweggründe sind, wie hier, ist es dann okayer als wenn nicht?
Here we are, in the middle of dilemma, und das nur Zuhause am Rechner. Und alles bloß, weil ich mal wieder den Fehler begangen hab, meine Bürger-Empörung am Frühstückstisch mit einem Klick auf einen Button in einen demokratischen Mikro-Einsatz zu verwandeln?