Mai 2023 – Marseille en Mai – L’eau est bonne! 

Wir gehen ein kleines, verstecktes Hafenbecken unter einer hohen Bogenbrücke entlang. Einfache, kantige Arbeiterhäuschen, die hellen Boote im Wasser wie überall hier dicht an dicht,  ihre dünnen Masten gegen den blauen Himmel wie Spießchen an einer üppigen Tapas-Bar: para picar. Das Becken führt unter der Brücke weiter, öffnet sich nach links, ein großer Felsen auf der anderen Seite wird sichtbar. Darauf, schon von weitem hörbar, sitzen Jugendliche. Wie Vögel sitzen sie, dunkle Flecken in den Kuhlen und auf den Spitzen des Felsens, und schauen aufs Wasser, in die Weite, bewegen sich, zueinander, auseinander, richten sich auf und kauern sich nieder, gruppieren sich und vereinzeln sich wieder. 

Das Becken grenzt das Meerwasser hier zu einem Pool ab, der Felsen als Längsseite eines Spaßbads. Das Wasser türkis und durchsichtig, Adria-Style, die Sonne brennt, die Jugendlichen lachen, flachsen, ich betrachte sie, im Gehen. Ein Junge, vielleicht 14, 15, klettert ins Becken, seine dicken Sneakers an, der Seeigel wegen, ein Mädchen kommt ihm nach, sie tauchen unter, tauchen auf, die Haare dunkel und glatt, schwimmen ein paar Züge, ihr Lachen ist zu hören, ihre Rufe, ihr Atem. Als sie aus dem Wasser kommen, gehen sie mit ihren Sachen auf der uns gegenüberliegenden Seite das Beckens entlang, der Junge vorne weg. „Madame!“, ruft er strahlend herüber und meint mich: 

„L’eau est bonne!“ 

Eine Verkündigung ist das,

und ein Versprechen,

ein Bedürfnis,

das Glück zu teilen, es mitzuteilen, es mit mir zu teilen,

eine Versicherung,

ein Versuch, Zuversicht zu verbreiten, Trost,

eine Antwort

auf eine sich grundsätzlich stellende Frage,

eine Aussage, über das Wasser,

das Leben.

Ich versuche, mir den Satz zu merken als wär’s ein Tattoo in meinem Hirn.