März 2019 – 68

Morgens in der betahaus-Kantine. Ein Mann, Anfang 70, weiße Haare, wache Augen, spricht mich vom Nebentisch aus an. Ob ich wüsste, was das hier ist. Meine freundliche, aber knappe Antwort (Coworking-Space, Kantine), nimmt er als Startrampe für das, was er eigentlich will: Mich zutexten. Einen Moment überlege ich noch, ob ich die Sache abwürge, aber dann denke ich, lassma laufen, vielleicht kommt ja was bei raus.

Innerhalb kürzester Zeit weiß ich Bescheid. Bescheid darüber, dass er Bescheid weiß. Er hat als Unternehmensberater gearbeitet, für die ganz großen Firmen, als Politikberater, für die ganz großen Namen (Stichwort F. Merz), er weiß, wies läuft – mit der Ungleichheit, den Steuererleichterungen für Superreiche und Konzerne, was bei Anne will aber wieder keiner sagt, was er schon komisch findet, als wüsste das niemand, wir haben ein Problem hier in Deutschland, ich muss wissen, er ist ein Alt-68er, zwei Jahre Studentenparlament, aus dieser Generation kommt er, die Frauenfrage ist wichtig, einen Ehevertrag sollte jede machen, da muss man genau auflisten, wieviel sie für jedes Kind bekommt, wenn er geht, sonst steht sie am Ende da, und was ich denn so mache, aha, und ob ich denn am Ende meiner Verträge auf eine fünfstellige Summe komme, aha, und was denn so ein Tagesticket im Co-Working hier kostet, aha, und dass seine Tochter demnächst-Richterin ist, und sein Sohn Unternehmensberater in der Schweiz.

Wie oft ist mir das jetzt schon passiert, mit den Männern dieser Generation.   Mansplaining und Ego-Monologe, Erfolg und Geld und Selbstverständnis, hinter den Augen tickt der Taschenrechner, (dass ich ein Loser bin, hat er sofort durchschaut), aber das Studentenparlament, das muss erwähnt werden, das Alt-68er-Etikett, das signalisieren soll, dass sie das Herz eigentlich links tragen, dass sie im Grunde dieses Herzens wilde Rebellen sind, die das System durchschauen, dass sie die Frauenfrage immer mitdenken, besonders dann, wenn sie Frauen im Cafe ansprechen.

Fuck you, denke ich am Ende. Geld bis an die Haarkante, mit den Merzens auf Du und Du, die Panama Papers nicht verhindert, den ganzen kapitalistischen Schwachsinn bei vollem Bewusstsein mit betrieben, irgendwelche Werte behauptet und gegen sie gelebt, die Frauen aktiv und strukturell ausgebootet, die Affären ideologisch legitimiert, auch noch die Kinder infiziert, mit Erfolg und Geld und Status – 68 my ass.

Da ist mir so ein Merz doch lieber, der würde nie auf die Idee kommen, seinen neoliberalen Ego-Faschismus als was Gutes zu verkaufen. Nicht wie diese hochetablierte, verlogene 68er-Männer-Karriere-Bande. Wenn mir nochmal einer dieser weißhaarigen Volltexter seine zwei Jahre Studentenparlament unter die Nase hält, als wär‘s ein Gütesiegel für Anstand und Wohlerzogenheit, dann raste ich aus.

Verräterschweine.