März 2017 – Bettina

Im Secondhandladen finde ich eine Tasche.

Es ist eine Handtasche. Der Schultergürtel schmal und lang, das Leder in einem hellen, warmen Braunton. Eher groß. Für eine Handtasche. Vorne auf der Klappe, die die halbrunde Form bedeckt, ein paar stilisierte Blüten aus abgesetztem Leder und ein paar weiße Perlen. 80er. Ganz klar.

Ich gucke rein in die Tasche und finde in der vorderen Innentasche: Eine Nadelhaarspange in Neongrün, das Metall zur Verzierung leicht gedreht, in der hinteren Innentasche: Einen Fahrradschlüssel für eine Sorte Fahrradschloss, die es heute nicht mehr gibt, weil zu lächerlich, sowie eine in eins dieser praktischen Plastikquadrate verpackte Slip-Einlage Größe L. Das Innenfutter der Tasche ist mit einem musterartig wiederkehrenden Wort  – offenbar die Marke – bedruckt: Bettina Bettina Bettina.

Mein Herz fliegt der Tasche, fliegt dem Mädchen zu, dem sie gehört hat.

Ihre Mutter hat sie ihr geschenkt. Eine ordentliche Tasche. Aus Leder. Vielleicht haben sie sie zusammen ausgesucht. Guck mal, die ist doch toll. Vielleicht haben sie reingeguckt und gelacht: Und dann heißt sie auch noch wie du! Auch die Verkäuferin hat sich gefreut. Dass sie Mutter und Tochter gut bedient, einer schönen Situation beigewohnt hat. Heute war eine Mutter mit ihrer Tochter im Laden. Die junge Frau hatte Geburtstag.

Bettina hat sich gefreut über die Tasche. Sie hat Komplimente bekommen dafür, von ihren Freundinnen. Die ist ja stark, haben sie gesagt, denn es waren ja die 80er. Bettina hat die Tasche gern benutzt. Man konnte sie quer über dem Oberkörper tragen, dann war sie praktisch, oder nur über einer Schulter, dann war sie schick. Man konnte sie zu Jeans und adidas-Turnschuhen anziehen, und damit auf dem Fahrrad zu den Pferden rausfahren. Oder zum lila Hosenanzug mit Gürtel und Stiefelchen, dann konnte man damit ausgehen, in die Disco. Mit der Tasche ging alles.

Ich weiß viel über Bettina. Sie war groß. (Nur großen Mädchen stehen große Handtaschen. Länge des Schultergurts. Slip-Einlage Größe L). Und blond. (Farbe von Tasche- und Haarspange). Sie war ein fröhliches Mädchen, kein dunkles. (Blumen und Perlen). Sie kam aus gutem Elternhaus. (Leder. Anstand.). Manchmal hat sie ihre langen Haare mit der Spange zur Seite gesteckt, und bevor sie zum ersten Mal Sex mit ihrem Freund Rainer hatte, ist sie mit ihrer Mutter zum Frauenarzt. Der Rainer hat ihr damals auch das Fahrradschloss aufgesägt, als der Schlüssel einfach nicht mehr aufzufinden war. Entspanntes Verhältnis zum Frausein. Zu Bewegung. Zu Geld.

Eines Tages, Bettina hatte längst einen Beruf, vielleicht als Logopädin oder Ärztin, ein Kind, und einen Mann, und war schon lange nicht mehr bei den Pferden, da hat sie die Tasche in den Kleidercontainer gegeben. Ganz schnell ist die Entscheidung gefallen, denn wenn Bettina sich mal entschieden hat, dann geht alles ganz rasch. So, die kann jetzt auch mal weg, hat sie gedacht, und das Ding weggepackt, ohne nochmal genau reinzuschauen. Zusammen mit anderen alten Sachen hat sie sie in eine Tüte gepackt und ist auf dem Weg zum Einkaufen mit dem Auto beim Altkleidercontainer vorbei gefahren, das Kind auf dem Rücksitz. Alles noch gute Sachen, gepflegt und in Schuss, sauber, wie ihre von Slip-Einlagen geschützten Unterhosen. Aber irgendwann muss man sich auch mal trennen.

Und jetzt ist sie hier, die Tasche. Im Secondhandladen. Bei mir. Die Tasche steht mir überhaupt nicht. Passt einfach nicht zu mir. Ist klar, oder.

Ich kauf sie.