August 2017 – Style Style Polizei

1

S. findet, alte Frauen sollten sich so anziehen, dass sie niemanden mit ihren Hässlichkeiten belästigen. Dellen, Krampfadern, Besenreißer, rote Flecken, braune Flecken, das ganze Gehänge hier und dort, die sackartige Haut über dem weichen Fleisch, das, findet sie, ist alles eine derartige ästhetisch Zumutung, dass man sie den anderen ersparen sollte. Kurze Röcke, ärmellose Oberteile – nicht, wenn es nach S. geht. Nein, auch nicht am Strand oder wenn es ganz heiß ist. Da besteht sie drauf. Bedeckende Kleidung muss her.

Was, frage ich mich, machen wir bloß mit unseren Gesichtern? Burka für alle ab 40?

Die französische Präsidentengattin Brigitte Macron, 64, sieht sich immer wieder mit abfälligen Kommentaren konfrontiert: In ihrem Alter könne man so nicht rumlaufen. Vor allem die Kürze ihrer Röcke, sprich die Sichtbarkeit ihrer Beine, ist immer wieder Grund zur Empörung. Die Kommentare stammen ausschließlich von Frauen. Und Brigitte Macron hat Beine wie ein Topmodel. Was wär erst los, wenn dem nicht so wäre.

Ich frage eine Freundin, ob sie sich schon mal irgendein Kleidungsstück nicht gekauft hat, weil sie sich gedacht hat: Nee, also das kann ich jetzt echt nicht mehr anziehen. Kürzlich, erzählt sie, war es mal so weit. Da hat sie sich bei einem kurzen Ärmel gefragt, ob das noch geht. Ja, ja, die Oberarme. Winkelemente! Pelikan-Problemzonen! Madonna, Michelle Obama, zu dick, zu stark, zu schwabbelig – und trotzdem ein ärmelloses Kleid!

 

2

Als ich nochmal bei S. nachhake, korrigiert sie: Sie meint nicht nur alte Frauen. Niemand, der hässliche Körperteile vorzuweisen hat, egal welchen Alters, sollte die zeigen, auch keine Zwanzigjährigen! Diese dicken deutschen Mädchen (S. ist Spanierin) mit ihren Hotpants aus denen die weiße Orangenhaut quillt, das will sie einfach nicht sehen.

Man könnte es sich jetzt leicht machen und S. verunglimpfen. Das ist Ageismus und dann auch noch Sexismus in Reinstform (von Männer redet sie nicht). Aber ich verstehe S. Sie mag es, wenn Leute sich gut kleiden, irgendeinen interessanten Stil tragen. Sie hat das Gefühl, die Welt ist ein bisschen besser, wenn man sich auch auf ästhetischer Ebene Mühe mit ihr gibt. Für sie hat das was mit Respekt sich und anderen gegenüber zu tun, mit Niveau, gepflegter Kommunikation, gar mit Bildung.

Der nackte, kranke, behinderte, alte Körper als Provokation. Kennen wir auch. Brustamputierte Frauen. Beinstümpfe in Großaufnahme. Nacktsein ist doch ganz natürlich, die 70er. Dicksein ist doch auch schön, die Dove-Werbung. Der Mini-Rock als Befreiung, das zerfetzte T-Shirt als Rebellion. Alles dagewesen, alles gehabt, alles wieder eingeholt, reingeholt, nichts davon falsch oder richtig, sondern ständig, sich im Fluss befindende Verhandlungsmasse von race class gender age! Ganz schön anstrengend.

Mit Zöpfchen aufm Rave, wird langsam albern. Aber warum. Und mein Tiger-Shirt will ich behalten, den Jeans-Minirock auch. Am schlimmsten sind die, die sagen, kann dir doch egal sein, mach doch was du willst. Ist mir nicht egal. Ich will nicht machen, was ich will. Wollt ich noch nie. Ich will drüber nachdenken. Über die Verschiebungen, die Schranken. Nur so kommt man weiter. Komplex.