August 2015 – Wildkräutersalat

Neulich am Alex. Ein attraktiver junger Mann drückt mir eine schöne, große Packpapier-Tüte in die Hand, oben verschlossen. Da haben Sie was zu essen! strahlt er mich an. Okay, ich weiß, sowieso schon „born with rings under my eyes“, in letzter Zeit wenig Schlaf, was die Sache nicht besser macht, insgesamt eher junkiehaftes Aussehen – aber dass man mir jetzt schon Care-Pakete auf der Straße überreicht, in der Annahme ich sei bedürftig und obdachlos, schockiert mich doch.

Ich mach die Tüte auf und da ist das ein dickes Promotion-Paket einer Firma, die ich hier aus Gründen der Diskretion nicht nenne werde. Darin: Wildkräutersalat mit Dressing, Nektarinen, Pfifferlingen, Kartoffeln, alles frisch, in abgestimmter Menge und ökologisch sinnvoll verpackt, plus ein übersichtlich gestaltetes, leicht verständliches Rezept. Toll! Ich gehe nach Hause, koche, esse alles auf, obwohl es für zwei Personen ist und habe ein schlechtes Gewissen.

Hätte ich die Tüte nicht einfach direkt an jemanden weitergeben sollen, der bedürftig und obdachlos ist? Aber ein Obdachloser kann keine Kartoffeln im Backofen brutzeln und keine Pfifferlinge mit Nektarinen in der Pfanne anschmoren, weil es auf der Straße keinen Strom gibt. Aber den Wildkräutersalat! Den hätte er essen können. Gut, einen Schuss Olivenöl fürs Dressing hätte er gebraucht, aber sonst? Essen Obdachlose Wildkräutersalat mit Balsamicoessig oder sagen die, lass mal, Fleischsalat mit Majo vom Lidl wär mir lieber, ich brauch schließlich Kraft. Oder ist das ein unverschämtes Vorurteil? Vielleicht ist ihnen egal, was sie essen, hauptsache Essen, na gut, dann halt Wildkräutersalat. Vielleicht hätte ich den Obdachlosen einladen sollen. Guck mal, ich hab hier ne Tüte, schön was kochen, für den Obdachlosen und mich, schließlich war es für zwei. Damit er eine warme Mahlzeit hat.

Ach, herrje.