September 2019 – Der alte Mann und das Meer

Palermo 2

Am Strand in Cefalu beobachte ich einen alten Mann. Er ist erstaunlich rüstig für sein Alter, ich schätze ihn auf über achtzig. Die weißen Haare liegen kurz geschnitten wie ein Kranz um seinen kahlen Oberkopf, er hat ein angenehmes, hübsches Gesicht mit einem Ausdruck entspannter Freundlichkeit. Er ist schlank, auch am Bauch, nur die Haut ist weich, und hängt dort, und auch sonst, an Armen und Beinen und überall ein bisschen. Auf seinen Knochen hat er noch einiges an Muskulatur. Zuerst denke ich, er ist allein hier. Er kommt aus dem Wasser und setzt sich in den Sand, schiebt ihn mit beiden Händen unter sich, wie zur Erhöhung seiner Sitzknochen. Er betrachtet die Badenden. Schiebt Sand. Betrachtet. Wie alle hier am Meer in dieser sich seltsam ausbalancierenden Mischung aus Beisichsein und Wahrnehmung der Umgebung, als würde das Meer seinen Rhythmus übertragen, außen, innen, innen, außen. Zuerst denke ich, er ist alleine. Dann kommt sein Sohn kommt aus dem Wasser. Vielleicht Anfang vierzig, Haare. Sie sitzen nebeneinander, aber doch jeder für sich, der Sohn auf seinem Handtuch, der Vater im Sand. Sie sprechen kaum. Sie sind sich auch so nah. Sie haben ihre Routine. Abwechselnd gehen sie ins Wasser, schwimmen geradeaus. Am Strand macht der Vater Armkreisen, der Sohn wie zur Antwort auch. Es geht darum, sich fit zu halten. Gesund zu bleiben. Um sich und das Leben noch möglichst lange haben.

(Ich muss an das berühmte Bild von Ben Gurion denken, der am Strand von Tel Aviv einen Kopfstand macht. Er hatte mit Hilfe von Moshe Feldenkrais seine Rückenprobleme überwunden.)

Einmal, als der alte Mann im Sand sitzt und den Sohn zwischen den Badenden im Wasser entdeckt, winkt er ihm. Der junge Mann winkt zurück. Dabei sind sie so voller Freude übereinander und über das, was sie teilen. Das haben sie bestimmt schon immer so gemacht, schon als der Sohn noch ein Kind war.

Am Ende machen sie ein Spiel. Sie stehen, die Füße fest im Sand, einander gegenüber, und versuchen sich gegenseitig aus der Position wegzudrücken. Mit dem ganzen Körper gilt es, die Balance zu halten, den drückenden Händen des anderen auszuweichen, und die Füße nicht zu bewegen. Sie lachen, der Sohn deutet auf den Fuß des Vaters, der sich doch ein bisschen bewegt hat, beschuldigt ihn des Tricksens. Wieder sprechen sie kaum.  

Ich habe lange nichts so Zärtliches gesehen wie die beiden.