September 2019 – La ragazza con il pallone

Palermo 1

Ich sehe das Bild zuerst aus der Ferne. Schon auf den ersten Blick macht es einen dunklen und leuchtenden Eindruck zugleich, einen Eindruck der harten Kontraste. Eine schwarz weiß Fotografie, nicht nur der Technik wegen. Ein Kind, ein Mädchen, vielleicht 11 oder 12 Jahre alt. Sie lehnt an einer dunklen Hauswand, oder ist es eine Tür? Unter ihrem Arm trägt sie einen Fußball, ihr Kleid ist weiß und leicht. Den anderen Arm hat sie über den Kopf gehoben und an der Wand abgelegt. Eine Pose, die ihre Achsel freigibt, die Hüfte macht einen leichten Knick. Das dicke, schwarze Haar liegt in einem Rundschnitt um ihr Gesicht, der Pony ist hoch über die dunklen Augen geschnitten. Sofort fliegt dem Bild mein Herz zu. Ich finde den Kontrast zwischen dem männlichen Fußball (die Szenerie verweist auf die Siebzigerjahre) und der mädchenhaften Pose im Kleid genial. Sogar etwas Witziges kann ich darin entdecken.

Als ich näher trete, verändert sich das Bild. Im Gesicht des Mädchens liegt so viel Schmerz, dass ich erschrecke. Trauer, auch ein leiser Unmut, ein Unwille sind zugegen. In der eingenommenen Haltung liegt plötzlich etwas – zu? – Frauliches. Ist es die Pose eines Models, die das Mädchen in den Zeitschriften gesehen hat und die sie imitiert? Die Pose einer Prostituierten? Das Bild bekommt einen Schrecken. Etwas spielt sich in ihm ab, zu dem das Mädchen einen Zugang hat, aber nicht wir. In der linken Hand hält sie, nur vom Daumen gehalten, ein zusammengefaltetes Stück Papier, das ich als Geldschein identifiziere. Wer hat ihn ihr gegeben? Die Mutter, der Vater, ein Freier, die Fotografin? Hat sie ihr gesagt, sie soll sich dort hinstellen?

Später finde ich in einem Fotobuch zwei weitere, diesem Bild nachgestellte Fotografien des Mädchens. Sie spielt den Ball mit den Händen an die Wand, lacht, ein anderes Mädchen ist zugegen. Diese Fotos haben nichts als das Spiel des Kindes an einem Sommernachmittag in sich, man meint, die Wärme der Sonne zu spüren, die Straßengeräusche zu hören.

In dem Buch schildert die Fotografin Laetizia Battaglia, wie sie im Straßencafe saß und das Mädchen sah. Sie stand genau so da, sagt sie sinngemäß, an dieser Wand, und ich hatte alles in allem vielleicht sieben Sekunden.