Palermo 3
Ich mag den Ort nicht, er soll mich erfassen, tut es aber nicht. Leichen hängen und liegen hier nebeneinander, in Regalen, auf Ständern, gut erhaltene Mumien, manche in Kleidung, andere kaum bedeckt, die Hände und Füße gekrümmt, die Schädel leer, die Augen hohl, die Haut wie Leder. Schmal sind sie, erstaunlich klein, ausgedörrt, manche von ihnen sehen nach Schmerz aus, als wäre das Sterben eine Pein gewesen. Ich spüre zu kaum jemandem Kontakt, eine junge Frau bleibt mir in Erinnerung, das Kleid einer älteren Frau, in dem sich ausdrückt, dass sie alles getan hat, um Gott zu gefallen. Die Besucherin neben mir nervt mich, die mit betroffenem Gesicht das Fotografieverbot umgeht, und das zweijährige Kind mit dem Smartphone ablichtet, das hier als die am besten erhaltene Mumie gilt. Betroffenheit als Gier. Das Kind sieht aus wie eine Puppe und liegt hinter Glas.
Die Menschen hier wollten nicht einfach verschwinden, von der Bildfläche der Welt und des Lebens, nur weil sie tot sind. Dafür haben sie Geld bezahlt. Sie wollten erhalten bleiben. Den Tod nicht alles bestimmen lassen. Das hat etwas Trotziges, Verzweifeltes, auch Eitles. Und etwas sehr Kirchliches. In der Reihe Profession sind Ärzte zu sehen, Anwälte, auch eine Reihe mit Mönchen gibt es, Bruder Soundso.
Wie war das Leben dieser Menschen, was hat es bestimmt, Härte, Repression, den Versuch ein guter Mensch zu sein im Sinne Gottes und der Kirche. Was wirst du deinem Herrgott sagen können, wenn du am Ende vor ihn trittst, warst du eine guter Mensch oder ein schlechter? Und wenn du schlecht warst, was hast du dafür getan, da rauszukommen, hast du dich schuldig bekannt, hast du gebeichtet, gebetet, gezahlt.
Wie anders das bei uns heute ist, wie anders die Frage, die wir uns stellen (und nicht uns der Herrgott). Hast du das gemacht was du wolltest, hast du es geschafft, ein glücklicher Mensch zu sein, hast du alles auf der Liste abgehakt, an Reisen und Büchern und Filmen und Sexpositionen, hast du alles erreicht, was du vom Leben haben wolltest und was du in der Welt sein wolltest? Wenn das geklappt hat, dann bist du irgendwie auch sowas wie ein guter Mensch.